VW ID.4 – die elektrische Interpretation des Tiguan-Themas
Viel wurde über den VW ID.4 geschrieben, jetzt können wir endlich auch vom Fahrgefühl hinter dem Steuer des E-SUV berichten. Christoph M. Schwarzer ist Volkswagens „Weltauto“ gefahren. Der Neue dürfte bessere Marktaussichten haben als der ID.3. Nicht nur weil SUVs weltweit beliebt sind, sondern weil er den ID.3 auch bei der Qualitätsanmutung übertrifft.
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Hui, ist der groß. Der Volkswagen ID.4 ist ein ziemlicher Brummer. Zumindest subjektiv und auf den ersten Blick. Die Differenz zum ID.3 in Zahlen: Er ist 4,58 Meter lang (32 Zentimeter mehr), 1,64 Meter hoch (plus sieben Zentimeter) und ohne Spiegel 1,85 Meter breit (vier Zentimeter Zuwachs). Nur beim Radstand gleichen sich ID.4 und ID.3: Er beträgt jeweils 2,77 Meter. Das ist ein Ergebnis des Modularen Elektrifizierungsbaukastens (MEB), auf dem beide basieren. Vorerst, also bis zum Erscheinen der Allradversion GTX mit einem zusätzlichen Asynchronmotor an der Vorderachse (75 kW, 151 Nm) im späten Frühjahr, gibt es bei diesem elektrischen SUV nur eine Antriebsvariante: Der Synchronmotor an der Hinterachse leistet 150 kW, hat ein maximales Drehmoment von 310 Nm und bezieht den Strom aus einer Batterie mit 77 Kilowattstunden (kWh) Nettokapazität. Dieses Package wird beliebt werden, vermutet Volkswagen. Vielleicht, so spekulieren es Branchenkreise, werden 2021 in Deutschland fast so viele ID.4 wie ID.3 verkauft. Die Chancen dafür stehen jedenfalls gut, wie bei einer ersten Probefahrt über 190 Kilometer klar wurde.
Das Teil passt einfach. Der Innenraum ist großzügig geschnitten – auch überm Scheitel der Hintensitzenden –, und die Materialauswahl ist so, wie es bei Volkswagen erwartet werden darf: hochwertig. Dass anders als beim ID.3 im ID.4 erdige Farben verbaut werden, schafft ein gewisses Maß an Wärme. Die ist nach dem Start durch Druck aufs Bremspedal bei zwei Grad Außentemperatur zügig vorhanden: An Heizenergie sollte niemals gespart werden, weil neben dem Komfort auch die Sicherheit leidet, wenn die Menschen frieren und die Scheiben beschlagen. Vom Veranstaltungsort bei Wolfsburg geht es südwärts Richtung Elm. Durch dieses Mittelgebirge führt das Reitlingstal, das wegen seiner Kurven im Sommer von vielen Motorradfahrern frequentiert wird.
Dank präziser Lenkung spielerisch fahrbar
Jetzt, im Dezember, herrscht dagegen Nebel, und die Straßen sind feucht. Es ist der falsche Zeitpunkt, um den ID.4 1st Max an die Grenzen zu treiben. Feststellbar ist: Die Lenkung ist präzise und bietet eine genaue Rückmeldung. Das macht das Handling dem Übergewicht (2.124 kg, alle Daten nach Konfigurator) zum Trotz simpel. Wie beim ID.3 ist die Traktion aus engen Biegungen heraus erstklassig. Ein schwerer Motor auf der hinteren Antriebsachse: Das ist das Prinzip, das früher beim Käfer und heute beim BMW i3 sowie dem Tesla Model 3 SR+ für beste Ballastverteilung sorgt. Nicht nur beim aktiven Fahren bildet das Heckmotor-Heckantriebs-Konzept einen scharfen Kontrast zu den vielen Elektroautos mit Frontantrieb, die schon bei trockener Straße Mühe haben, die Kraft zu übertragen.
Wegen der aufwändigen und wirksamen Geräuschdämmung fühlen sich Geschwindigkeiten niedriger an, als sie sind. Das mag ein wenig langweilig erscheinen, denn objektiv beschleunigt der ID.4 in 8,5 Sekunden auf 100 km/h und weiter zur Spitzengeschwindigkeit von 160 km/h. Aber so will es die Kundschaft, und ein Blick in den Rückspiegel erzeugt einmal mehr das typische Elektroauto-Erlebnis: Wo sind die anderen, die eben noch an der Ampel auf der Stoßstange saßen?
Der Volkswagen ID.4 1st Max ist serienmäßig mit der Augmented Reality ausgestattet. Ein Extra, dass beim ID.3 erst mit den Updates ME 2.0 und 2.1 aufgespielt wird. Oberhalb des gewöhnlichen Head-up Displays werden zum Beispiel Abbiegepfeile vom Navigationssystem eingeblendet: Wenn etwa in 500 Metern ein Abzweig nach rechts kommen soll, erscheint ein kleiner blauer Pfeil. Dieser wird beim Näherkommen immer größer, und unmittelbar vorm Abbiegen betont die Lichtleiste am unteren Rand der Windschutzscheibe die Aufforderung. Was noch? Wer von der Fahrspur abzuweichen droht, bekommt eine unterbrochene orange Linie direkt neben die tatsächliche Linie eingeblendet. Und die Erkennung eines vorausfahrenden Fahrzeugs wird durch eine grüne Linie direkt dahinter verdeutlicht.
Software deutlich verbessert
Braucht man die Augmented Reality? Natürlich nicht. Aber sie dokumentiert, in welche Richtung die Unterstützung der Fahrer:innen geht. Außerdem schafft sie einen Unterschied zu den Wettbewerbern. Der Autor dieses Beitrags gesteht, sich noch nicht ganz sicher zu sein, ob die Begeisterung über dieses System die anfängliche Skepsis überwiegt: Die Überblendung von Softwarewirklichkeit und Realität ist interessant. Zumindest die grüne Linie der Vordermann-Erkennung aber irritiert, und eine kurze Gewöhnung an die Augmented Reality war auch notwendig.
Der Rest der Software zeigt durchgehend das, was beim ID.3 durch das Update verbessert werden soll: Die Arbeitsgeschwindigkeit hat erheblich zugenommen. Die Sprachsteuerung (per Knopf oder „Hallo ID“ aktivierbar) macht ihre Arbeit in vielen Bereichen wie der Navigation sehr gut, aber noch nicht perfekt. So sind bereits viele, aber noch nicht alle Funktionen per Sprache bedienbar. Und wie präzise die Routenplanung und ideale Ladesäulenintegration – im Grundsatz nun endlich vorhanden – rechnet, muss ein Praxistest zeigen, der länger als die 190 km lange Tagestour ist.
Faszinierend und eindeutig positiv im Volkswagen ID.4 sind die prädiktive Rekuperation und der Travel Assist. Bei der Routenführung wurden alle Geschwindigkeitsbegrenzungen inklusive den Wechselzeichen über Autobahnen erkannt und automatisch übernommen. Vor Kreiseln oder engen Kurven verzögert der Volkswagen ID.4 auf ein vernünftiges Tempo, um dann wieder zu beschleunigen. So geht Fahrautomatisierung heute, und das Ergebnis sind höchster Komfort und gesteigerte Sicherheit. Top.
345 km Praxisreichweite
Zum Stromverbrauch: Die kombinierte Werksangabe nach WLTP liegt bei 18,5 kWh / 100 km. Dieser gesetzlich vorgeschriebene Wert beinhaltet die Verluste beim Laden. Auf der Testfahrt war naturgemäß lediglich das Auslesen des Bordcomputers möglich: Der Durchschnitt lag bei 22,3 kWh / 100 km, woraus rechnerisch 345 km Reichweite resultieren.
Auf der Überlandfahrt sank der Verbrauchswert auf 21,7 kWh, was 355 Kilometern entspricht. Und auf der Autobahn mit per GPS gemessener Richtgeschwindigkeit (Tachoanzeige 132 km/h) waren 26,8 kWh / 100 km ablesbar. Macht 287 km bis zum Zwangsstopp. Wie die DC-Ladekurve verläuft, muss gleichfalls ein längerer Test zeigen. Wegen des Zeitdrucks kann lediglich ein Messpunkt angegeben werden: Bei einem SOC (Abkürzung für State of Charge bzw. Ladestand der Batterie) von 68 Prozent waren es 40 kW. Das ist weniger, als der niederländische Anbieter Fastned für die Ladekurve des ID.3 mit 58 kWh Kapazität veröffentlicht und darum ein klarer Hinweis auf eine noch nicht warmgefahrene Batterie. In der Spitze soll die Ladeleistung des ID.4 bei 125 kW liegen, und AC-seitig sind elf kW dreiphasig Serienausstattung.
Dass dem ID.4 der Erfolg sicher ist, liegt an der internationalen Nachfrage nach SUVs in diesem Segment, der aktuellen Abwesenheit von Konkurrenten (2021 folgen das Brandenburger Tesla Model Y, der BMW iX3 sowie der Skoda Enyaq) und die im Vergleich zum ID.3 höhere Familientauglichkeit. So liegt die Dachlast bei 75 kg, die Anhängelast beträgt eine Tonne bei zwölf Prozent Steigung (acht Prozent: 1.200 kg), und das Kofferraumvolumen ist mit 543 Litern (sorry, no frunk) nicht allzu weit vom Tiguan (615 l) entfernt. Skandinavische VW-Käufer, bei denen die Skibox nahezu eine Selbstverständlichkeit ist, müssen also genauso zum E-SUV greifen wie jene, die zwei Pedelecs transportieren wollen. Die 55 kg beim ID.3 sind einfach zu wenig, wenn man Träger-Eigengewicht plus zweimal Riese & Müller addiert.
Was kostet der Spaß? Zufall oder nicht, der üppig ausstaffierte Volkswagen ID.4 1st Max liegt mit 58.438,68 Euro bei 16 Prozent Mehrwertsteuer exakt unter der magischen Grenze von 60.000 Euro brutto. Für die Versteuerung des geldwerten Vorteils eines privat genutzten Firmen- oder Dienstwagens muss also nicht ein Prozent des Bruttolistenpreises pro Monat, sondern nur ein Viertel davon aufgebracht werden. Wie relevant das ist, zeigt ein Blick in die Zulassungsstatistik des Kraftfahrtbundesamts: 65,5 Prozent der bis inklusive November neu zugelassenen Tiguan liefen auf gewerbliche Halter.
Für den einfachsten Volkswagen ID.4 („Pro“) verlangt Volkswagen 43.329,42 Euro. Weil der Nettobasispreis hier unter 40.000 Euro liegt, kann die volle Fördersumme der so genannten Innovationsprämie in Höhe von 9.480 Euro abgezogen werden. Es bleibt ein Grundpreis von 33.849,42 Euro oder die analoge Leasingrate. Das ist keineswegs billig. Aber es eröffnet für viele Kunden den Weg zu einem äußerst komfortablen Elektroauto mit viel Platz für Familie und Freizeit sowie einer Reichweite, die Urlaubsfahrten nicht ausschließt. Dass Qualitätsanmutung und Software inzwischen dort sind, wo sie beim Namen Volkswagen hingehören, ist eine gute Nachricht. Was bleibt ist ein seltsames Gefühl, weil ein so großes und massiges Fahrzeug offenbar der neue Weltstandard für die Vorstädte ist.
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