Kritik am SchnellLG: Hat der Markt tatsächlich versagt?
Der Referentenentwurf des Schnellladegesetzes hält die Lade-Branche seit Wochen auf Trab. Inzwischen wird die öffentlich geäußerte Kritik der Ladepunktbetreiber lauter. Sie fürchten nicht nur Folgen für ihre bestehenden Ladestationen, sondern auch den weiteren Ausbau außerhalb der „Bundes-Ladeparks“. Aber nicht alle Unternehmen teilen die Kritik.
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Der Markt hat versagt, nun muss die Politik eingreifen – mit dieser Begründung hatte der Bund im Juni 2020 seine Pläne für 1.000 Schnellladeparks vorgestellt. Der Bund macht Vorgaben und unterstützt, die Ladepunktbetreiber (CPO) bauen und betreiben die Parks. Die Zustimmung – auch aus der Industrie – war groß, die in Aussicht gestellten Förderungen versprachen Kunden und Betreibern einen zügigen Ausbau.
Zumindest seitens der Industrie hat sich die Stimmung aber inzwischen gedreht. Der Ende Dezember mit kurzer Kommentierungsfrist vorgelegte Referentenentwurf des SchnellLG aus dem Bundesverkehrsministerium (BMVI) ließ trotz der Vorlaufzeit seit Sommer einige Fragen offen – etwa zu den Vergabekriterien selbst, aber auch zur Finanzierung des Vorhabens.
Die Berliner Anwältin Katharina Boesche (Schwerpunkte Energiewirtschafts- und Wettbewerbsrecht, mit Erfahrung im eMobility-Bereich) hat den Entwurf und den Markt analysiert – und stimmt der Einschätzung des Bundes in vielen Punkten nicht zu. Das Grundproblem ist das angebliche Marktversagen: Die derzeitigen CPO haben trotz des heute nicht wirtschaftlich tragfähigen Betriebs in Ladeinfrastruktur investiert. Investiert nun der Bund politisch motiviert, sei die Sorge groß, „dass ein wirtschaftlich nicht tragfähiger Ansatz ‚flächendeckend‘ in den Markt gebracht wird und somit die privatwirtschaftlichen Investitionen dauerhaft unwirtschaftlich werden“, so Boesche in ihrer Analyse, die electrive.net vorliegt.
Mit der bisher im SchnellLG möglichen Vollfinanzierung greift der Bund massiv in den Markt ein, der zum Teil aus vollständig selbstfinanzierter Ladeinfrastruktur und jener besteht, die nach den aktuellen Fördervorgaben gebaut wurde – also mit maximal 40 Prozent Förderquote. „Ein solcher Eingriff ist stets nur dann zulässig, wenn ein Marktversagen vorliegt“, so Boesche. Doch genau dieses Marktversagen sieht die Anwältin nicht: „Im Falle des Aufbaus von Ladeinfrastruktur konnte durch Marktbeobachtungen und Analysen gezeigt werden, dass der Betrieb von Ladepunkten trotz ihres Infrastrukturcharakters nicht die typischen Merkmale eines Marktversagens aufweist, weil jede Ladesäule für den durchschnittlichen Ladepunktnutzer schon oder jedenfalls alsbald substituierbar ist.“
Hier legt Boesche nach eigenen Angaben den „weithin anerkannten Drei-Kriterien-Test“ zugrunde. Danach kommen für eine Regulierung Märkte in Betracht, die durch beträchtliche und anhaltende strukturell oder rechtlich bedingte Marktzutrittsschranken gekennzeichnet sind, längerfristig nicht zu wirksamem Wettbewerb tendieren und auf denen die Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts allein nicht ausreicht, um dem betreffenden Marktversagen entgegenzuwirken.
Gerade den zweiten Punkt, wonach ein Markt reguliert werden muss, wenn er längerfristig nicht zu wirksamem Wettbewerb tendiert, sieht etwa EWE Go, die eMobility-Tochter des Oldenburger Energieversorgers EWE, kritisch. Zur Erinnerung: Laut dem Referentententwurf will der Bund auch bei den Ladepreisen mitreden. „Ein Eingriff des Staates darf in keinem Fall dazu führen, dass bestehende Geschäftsmodelle von Betreibern negativ beeinflusst werden“, sagt Werner Harms von EWE Go im Gespräch mit electrive.net. „Die heute bestehenden Betreibermodelle sind in ihrem Business-Case auf Langfristigkeit angelegt und beziehen sich nicht ausschließlich auf Top-Standorte, sondern betrachten Elektromobilität ganzheitlich.“
Wie günstig wird das Laden an den „Bundes-Ladeparks“?
EWE Go hat zum Beispiel den Auftrag gewonnen, Schnelllader an über 1.000 McDonald’s-Filialen in Deutschland zu errichten. Der Betrieb dieser und weiterer Ladepunkte des Unternehmens wäre – im Anschluss an die ursprünglich gestemmte Investition – extrem unter Druck, wenn in der Nähe einer der geförderten „Bundes-Ladeparks“ errichtet wird. „Es ist davon auszugehen, dass das Preisniveau der ‚Bundes-HPC-Ladesäulen‘ unterhalb der privatwirtschaftlichen Ladeinfrastruktur liegen wird, da dahinter eine staatliche Vollfinanzierung steht und die getätigten Ausgaben kein Investment sind, das sich durch wirtschaftliches Agieren auf einem Wettbewerbsmarkt auf Dauer rentieren muss“, schreibt Anwältin Boesche. Damit sei ein privatwirtschaftlicher Wettbewerb nicht mehr möglich.
Eine Befürchtung, die auch EnBW geäußert hat. Wenn die Bundesregierung ihre Förderung an Preisobergrenzen für Ladevorgänge koppele, führe das „zu einem ruinösen Wettbewerb für die Bestandsinfrastruktur“, schreibt der Energieversorger in einem Brief an die Staatssekretäre Tamara Zieschang und Steffen Bilger, aus dem die „Welt am Sonntag“ zitiert hat. In der Folge würden geplante Standorte nicht mehr realisiert, „weil weder Kunden noch Einzelhandelspartnern höhere Preise als an den geförderten Standorten vermittelbar wären“.
Auch Allego befürchtet, dass der bestehende Markt zerstört werden könnte. „Das SchnellLG geht mit der geplanten Vollfinanzierung der HPC-Standorte zu weit“, sagt Ulf Schulte, Managing Director für die DACH-Region, gegenüber electrive.net. Von der im Entwurf formulierten Regelung, wonach Betreiber ihre Ladestationen bei „wirtschaftlich unzumutbarer Belastungen“ durch einen neuen Ladepark an die Behörden verkaufen können, will Schulte keinen Gebrauch machen. „Wir wollen nicht für unsere bestehenden Standorte entschädigt werden, sondern diese unter fairem Wettbewerb weiterbetreiben und unser Schnellladenetz weiter ausbauen“, so der Manager. „Wir brauchen weniger Regulierung, sondern Unterstützung beim schnelleren Ausbau.“
Katharina Boesche geht derweil sogar noch weiter: „Elektrofahrzeugnutzer werden bei günstigen Preisen das HPC-Laden bevorzugen und bestehende Normal- und Schnellladeinfrastruktur mit weniger als 150 kW gar nicht mehr nutzen.“ Somit hätte das SchnellLG nicht nur Auswirkungen auf andere Schnelllader, sondern auch auf die AC-Infrastruktur. Den Vorteil des schnelleren Ladens erkaufen sich Nutzer heute meist mit höheren kWh-Preisen. Wenn der Strom an der Schnellladesäule aber günstiger ist als an der öffentlichen 11-kW-Säule, reduzieren sich die Vorzüge des AC-Ladens auf den akkuschonenderen und netzfreundlicheren Ladevorgang.
Lohnt sich der Aufbau von Schnellladesäulen noch außerhalb des Förderprogramms?
Aber nicht nur für Kunden bzw. das angenommene Kundenverhalten hätten die Preise und 100-Prozent-Förderung Auswirkungen: „Die Preisregulierung hat wiederum zur Folge, dass kein Unternehmen mehr in den privaten Aufbau von Ladeinfrastruktur investieren wird“, so Boesche – und argumentiert damit ähnlich wie die EnBW. „Es besteht auch die Gefahr, dass im Umkreis der 1.000 HPC-Standorte keine weitere DC- oder AC-Ladeinfrastruktur mehr installiert wird, wenn das Preismodell an den HPC-Ladesäulen auf dem gleichen Niveau liegt.“ Da das Schnellladegesetz „die vorhandenen lokalen Lücken im Schnellladebereich mit Blick auf Mittel- und Langstreckenfahrten schließen“ solle, teilt das BMVI die von EnBW geäußerten Befürchtungen nicht – und damit auch nicht die Kritik von Boesche.
In diesem Punkt sind nicht nur die CPO aus der Energiebranche – wie etwa EnBW und EWE Go – skeptisch, sondern auch der in Europa wohl bekannteste Ladepunktbetreiber, der von den Autobauern finanziert wird: Ionity. Das Schnelllade-Joint-Venture arbeitet derzeit noch daran, mit Verzögerung die ursprünglich bis Ende 2020 angekündigten 400 Standorte zu realisieren – derzeit sind 332 Standorte in Betrieb. Im Hintergrund laufen aber schon Vorbereitungen für die zweite Welle. Aus Branchenkreisen ist zu hören, dass dieses Vorhaben angesichts der ab 2022 drohenden Konkurrenz der „Bundes-Ladeparks“ ausgebremst oder zumindest überdacht werden könnte. Zu den möglichen Auswirkungen auf künftige Projekte äußert sich Ionity nicht. „Es sind bei dem Gesetzentwurf noch einige kritische Fragen offen“, so das Unternehmen.
Nicht alle CPO sehen den Entwurf skeptisch
Aber: Nicht alle CPO und Energieversorger sehen den Referentenentwurf des SchnellLG derart skeptisch – nicht nur wegen der Aussicht auf üppige Förderungen. Tenor der Gegenseite: Mit den Ausschreibungen sollen vor allem dort Ladeparks entstehen, wo es sich für einen CPO mit der aktuellen Förderpolitik schlichtweg nicht lohnt, einen teuren Schnellladepark mit neuem Netzanschluss zu bauen. Für die Verbreitung der Elektromobilität sei es aber wichtig, den Nutzern auch in den vermeintlich weniger attraktiven Gebieten ein Angebot zu machen – damit der ewigen Kritik, dass sich das Elektroauto nicht für alle Fahrten eigne – der Wind aus den Segeln genommen werden könnte.
Ein Unternehmen, das die im Referentenentwurf hervorgebrachten Rahmenbedingungen ausdrücklich begrüßt, ist E.On. „Dabei ist besonders positiv zu bewerten, dass der Bund einen Großteil des wirtschaftlichen Risikos übernimmt, indem Investitions-, Betriebs- und Netzanschlusskosten getragen werden“, sagt Robert Echtermeyer. „So wird ein vorausschauender Aufbau und Betrieb öffentlicher Schnellladeinfrastruktur ermöglicht.“ Eine umfassende Förderung durch den Bund sei unabdingbar. „In einem jungen und innovationsgetriebenen Markt kann nur so Wirtschaftlichkeitslücken in der Hochlaufphase angemessen Rechnung getragen und Investitionssicherheit gewährleistet werden“, so der E.On-Experte gegenüber electrive.net.
EWE-Go-Manager Harms hält den Vorstoß des Bundes dennoch für bedenklich. „Das Gesetz hat an vielen Stellen eine Unschärfe, die zu einer Unsicherheit im Markt führen könnte“, so Harms. Eine Position, der zum Beispiel Echtermeyer widerspricht: „Wir sind der Meinung, dass ein Gesetzentwurf die Vergabekriterien nicht vollständig definieren kann. Dies sollte dann über die Ausschreibung selbst erfolgen, die unbedingt noch vor der Bundestagswahl starten sollte.“
Ein weiteres Problem aus Sicht von Harms war aber auch das Vorgehen des BMVI selbst. Das Ministerium hatte den Unternehmen und Verbänden den Entwurf am Abend des 28. Dezember übermittelt – mit Kommentierungsfrist bis zum 6. Januar, trotz der Urlaubszeit zum Jahreswechsel. „Gemessen an der Bedeutung dieses Gesetzes wäre es wünschenswert, realistische Fristen zur Kommentierung der Branche einzuräumen, sofern eine öffentliche Konsultation erwünscht ist“, sagt Harms. „Damit verringert man erheblich das Risiko, nach Veröffentlichung eines wichtigen Gesetzes mit unerwünschten Auswirkungen umgehen zu müssen.“
Eine unerwünschte Auswirkung des Verfahrens ist aus Sicht von Harms, dass sich die geplanten Schnellladeparks mit dem Gesetz nicht zeitnah umsetzen lassen. „Das Gesetz bezieht sich auf das Instrument der Ausschreibung, wie es bei den 1.000 Ladestandorten vorgesehen ist. Die vorgesehene Größenordnung der Lose erfordert, die Ausschreibung nach EU-Kriterien durchzuführen“, erklärt Harms. „Diese Verfahren nehmen einen beachtlichen Zeithorizont in Anspruch, so dass ein schnelles Aufbauen von Ladeinfrastruktur damit nicht gewährleistet ist.“
Eine Alternative, die sowohl Harms als auch Katharina Boesche vorschlagen: Die bisherige Förderpraxis beibehalten. „Aktuell entsteht eine Vielzahl von öffentlicher Ladeinfrastruktur, die auch auf den bestehenden Fördermechanismen gut funktioniert und massiv vorangetrieben wird“, so der EWE-Go-Manager. Boesche ergänzt: „Mit den Mitteln von 1,9 Milliarden Euro könnten durch Fortsetzung der bisherigen Förderquoten von 40 Prozent deutlich mehr Standorte gefördert werden, als durch die 100-Prozent-Finanzierung von 1.000 Standorten.“
Sollte der Bund besser Standorte zur Verfügung stellen?
Als sinnvoll erachtet Boesche eine Förderung der Netzausbaukosten als „bedarfsgerechte Förderung der Ladeinfrastruktur“ – was der Bund in dem Referentenentwurf auch vorsieht. „Durch die Übernahme der Netzanschlusskosten würden privatwirtschaftliche Investitionen in jegliche Art von Ladeinfrastruktur gefördert und kein Unternehmen übervorteilt“, so die Anwältin. „Da Netzanschlüsse ein reguliertes Geschäft sind, hat diese Maßnahme keinen Einfluss auf den Wettbewerb.“
Ein weiterer Alternativ-Vorschlag von Boesche: Statt der 100-Prozent-Förderung und der Preiseingriffe könnte der Bund die über das Standort- und Flächen-Tool ermittelten Standorte verfügbar machen. „Die benötigten und verfügbaren Standorte könnten durch den Bund oder die NOW akquiriert werden (z.B. Kauf, Miete, etc.) und dann in einer Ausschreibung der Betrieb von Ladeinfrastruktur auf diesen Flächen vergeben werden“, schreibt Boesche in der Analyse. „Damit würde eine der größten Hürden für den Ausbau der öffentlich zugänglichen Schnellladeinfrastruktur vermindert werden und Bundesmittel zielgerichtet und bedarfsgerecht eingesetzt.“ Ein Vorschlag, dem zum Beispiel auch E.ON-Manager Echtermeyer zustimmt: „Die Bereitstellung geeigneter Schnellladestandorte seitens des Bundes, der Länder und Kommunen würde eine rechtssichere und zügige Umsetzung des Aufbaus erleichtern.“
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