electrive.net LIVE: Quo vadis Schnellladegesetz?
In der ersten Ausgabe unserer Online-Konferenz „electrive.net LIVE“ im Jahr 2021 wurde natürlich auch über das Thema diskutiert, das die Lade-Branche derzeit besonders umtreibt: der Entwurf des SchnellLG. Dabei hat sich gezeigt, dass die Ziele von Industrie und Politik nicht so weit voneinander entfernt sind – Dissens gibt es aber bei dem Weg dorthin. Hier ist die Zusammenfassung.
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Die Kritik der Ladepunktbetreiber war deutlich: Mit dem Referentenentwurf des Schnellladegesetzes sei ein privatwirtschaftlicher Wettbewerb nicht mehr möglich. Geplante Ladeparks würden eventuell nicht mehr umgesetzt, weil das Laden an den eigenfinanzierten oder teilgeförderten Ladeparks teurer wäre als an den „Bundes-Ladeparks“ – und weder Kunden noch Einzelhandelspartnern höhere Preise als an den geförderten Standorten vermittelbar wären“, wie es die EnBW in einem Brief an die Staatssekretäre Tamara Zieschang und Steffen Bilger ausdrückte.
Johannes Pallasch, Leiter der bei der NOW angesiedelten Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur, bezeichnete den Markthochlauf der Elektromobilität bis 2030 bei seinem Auftritt bei electrive.net LIVE „nicht als Sprint, sondern als Marathon“. Das hat Gründe: „Wegen der Klimaschutzziele dürfen wir den gerade erfolgenden Hochlauf nicht gefährden“, so Pallasch.
Die Intention der 1.000 „Bundes-Ladeparks“ aus seiner Sicht ist also, den privatwirtschaftlichen Markt nicht über technische Vorgaben und Preiseingriffe abzuwürgen, sondern Lademöglichkeiten an Orten zu schaffen, an denen sich der Betrieb für Unternehmen nicht lohnt. „Der Hebel der 1.000 Standorte ist nur ein Baustein auf unserem Weg bis 2030, aber nicht der einzige“, sagte Pallasch im Rahmen der Online-Konferenz. „Der Staat will kein CPO werden, wir wollen mit den Ausschreibungen vor allem einen Anschub leisten.“
In der Industrie hatten die Passagen zu möglichen Preiseingriffen für Aufregung gesorgt. Timo Sillober, Vertriebschef der EnBW sagte nach seinem Vortrag, dass man keinem Kunden oder Einzelhandelspartner, auf dessen Parkplatz die Ladesäule gebaut wurde, erklären könne, warum der Strom an der Ladesäule 20 Cent pro Kilowattstunde teurer sei als an einem zwei Kilometer weiter errichteten „Bundes-Ladepark“. „Wir investieren über eine Milliarde Euro in den Ausbau unseres Schnellladenetzes“, so Sillober im Gespräch mit electrive.net-Chefredakteur Peter Schwierz. „Das Thema Preis darf nicht den Markt zerrütten.“
Dem EnBW-Manager schwebt eine andere Lösung vor: „Wir können über die Steuern und Abgabelast für den Strom in der Elektromobilität die Diskussion über die Ladepreise einfach und pragmatisch beenden“, sagte Sillober im Rahmen von „electrive.net LIVE“ vor hunderten Gästen. „Die Million Euro, die ich vorne aus Steuergeldern gefördert bekomme, zahle ich im Betrieb über die Abgaben wieder an den Staat.“ Er rechnet vor, dass man heute teilweise über 50 Prozent Abgaben auf Strom für die Elektromobilität habe.
Aussagen, die bei Pallasch angekommen sind. „Ich verstehe, dass Punkte wie technische Vorgaben und Preise sehr sensibel gesehen werden. Das Vergaberecht verbietet uns aber, jetzt bei dem Gesetz über die Inhalte der späteren Ausschreibungen zu sprechen“, so der Leiter der Nationalen Leitstelle. Dennoch bemühte er sich um eine Einordnung: „Es hilft keinem weiter, wenn wir 20 Cent pro Kilowattstunde aufrufen und alle anderen Anbieter in die Röhre schauen. Es hilft aber auch keinem weiter, wenn sich Preise von 79 Cent oder einem Euro pro Kilowattstunde im Markt etablieren.“
Als EnBW-Manager Sillober dem grundsätzlich zustimmt („Wir befürworten die 1.000 Standorte. Wenn man einem marktwirtschaftlichen Preis wählt, kann das durchaus funktionieren.“), äußert sich Kritik im Chat. Bio-Bäcker Roland Schüren, Initiator des Ladeparks Seed&Greet in Hilden, bemängelt die „Konsenzsauce“. „Johannes [Pallasch] beschreibt die richtigen Ziele“, schrieb Konferenz-Teilnehmer Schüren und kritisierte den Entwurf: „Der Weg dorthin führt zur Zeit aber wirklich in die Staatswirtschaft. Private Betreiber werden massiv abgeschreckt.“
Ausschreibungen sind keine Förderungen
Pallasch beschwichtigt: Das Gesetz bilde die Grundlage für die kommenden Ausschreibungen. „Ich bin mir sehr sicher, wenn wir nicht alle Punkte abdecken, hätte das jemand ausgenutzt und dagegen geklagt“, so der Leiter der Nationalen Leitstelle. „Dann hätten wir keinen Mittelabfluss für den schnellen Aufbau von Ladeinfrastruktur.“ Der an anderer Stelle geäußerten Befürchtung, dass beihilferechtliche Genehmigungen das Verfahren massiv verzögern würden, widerspricht Pallasch übrigens: „Wenn der Bund eine Ausschreibung, also einen Wettbewerb um den Markt macht, ist das keine Förderung. Und damit fällt es nicht unter das Beihilferecht.“
Dass der Ende Dezember den Unternehmen und Verbänden mit kurzer Frist vorgelegte Entwurf nicht zum besten Zeitpunkt kam, ist auch den Verantwortlichen in der Nationalen Leitstelle bewusst – dafür seien unter anderem Verzögerungen im Vorfeld verantwortlich gewesen. Und mit Gegenwind hatte Pallasch auch gerechnet. „In einem parlamentarischen Verfahren eckt ein Gesetz immer an“, sagte der Leitstellen-Leiter. „Wir haben die Weisheit nicht mit dem Löffel gefressen, wir wollen Feedback auf den Entwurf erhalten. Die Reaktion auf das Thema Preise hat gezeigt, dass wir hier noch sensibler sein müssen.“
Dem Entwurf seien lange Vorbereitungen und Studien vorausgegangen. Eine Herausforderung sei dabei gewesen, dass niemand bisher die Kriterien für ein gutes Ladeerlebnis des Kunden zusammengestellt habe. Dieses „einheitliche Bild“ habe die Leitstelle erst erarbeitet. „Einige Dinge erscheinen dabei selbstverständlich – etwa dass ein Kunde jederzeit einen Überblick über alle verfügbaren Ladepunkte in seiner Umgebung erhalten kann“, berichtete Pallasch bei „electrive.net LIVE“. „Wenn man das aber tatsächlich so umsetzen will, sind die Dinge plötzlich nicht mehr selbstverständlich und wir müssen dicke Bretter bohren.“
„Ich will keine Wartezeiten von ein oder zwei Stunden“
Ein weiterer Punkt ist die Abdeckung der Fläche. Während teilweise mit Landesinitiativen in einigen Regionen Deutschlands bereits eine sehr gute Abdeckung an Gleichstrom-Ladepunkten gegeben ist, sieht es in anderen Gebieten noch mau aus. Dazu kommt der Spezialfall Autobahn: „Entlang der Autobahnen haben wir zwar eine Flächendeckung, aber keine Deckung des Bedarfs bis 2025“, so Pallasch. „Einige Standorte haben eine sehr saisonale Nachfrage – und ich will keine Wartezeiten von ein oder zwei Stunden an der Ladesäule.“
Mit den Ausschreibungen in Gebietslosen soll das nach Ansicht der Leitstelle behoben werden – sowohl an den Autobahnen, aber auch in der politisch wichtigen Fläche. EnBW-Vertriebschef Sillober, früher in der Geschäftsführung von Vodafone Deutschland aktiv, schwebt aber eher ein Modell vor, dass sich in der Mobilfunk-Branche etabliert hat: Ohne Flächenabdeckung gibt es keine Förderung. „Natürlich hat es als Betreiber keinen Spaß gemacht, einen teuren Mobilfunkmasten irgendwo auf dem kahlen Land zu errichten – dazu war die Auslastung viel zu gering“, sagte Sillober. „Wichtig war es trotzdem.“
In seinem Vortrag im Rahmen unserer digitalen Konferenz stellte Sillober übrigens klar, dass sich die EnBW nach ausführlichen Analysen auf das Hochleistungsladen konzentrieren werde. Neue AC-Ladepunkte will der baden-württembergische Energieversorger nicht mehr errichten. „Natürlich ist der Ladevorgang zuhause mit der Wallbox für den Kunden am besten. Aber nicht alle Autofahrer haben einen festen Ladeplatz und unseren Zahlen zufolge können auch nur in rund der Hälfte der Häuser Ladepunkte installiert werden“, sagte Sillober. „Wer also nicht zuhause laden kann, wird mit HPC das Laden in seinen Alltag integrieren können.“
Verlustträchtige AC-Ladevorgänge?
Anders die öffentliche AC-Ladeinfrastruktur, die „passe oft nicht in den Lebenszyklus des Kunden“. Stichwort Blockiergebühr – wer zu lange an der AC-Ladesäule hängt, sorgt nicht für genügend Umsatz und Auslastung. Im Schnitt seien es an AC-Ladesäulen weniger als zehn Kilowattstunden pro Ladevorgang. Dann gewährt Sillober einen interessanten Einblick: Mit den vorhin erwähnten hohen Abgaben mache EnBW im Roaming bei AC-Ladern teilweise Verluste. Seiner Logik nach müsste vor Kunde das AC-Laden wegen der Abgaben teurer sein als das schnellere DC-Laden.
Beim Punkt AC-Laden widerspricht derweil Christoph Steinkamp, Geschäftsführer der Hamburger hySolutions GmbH. Zum einen sei in Hamburg die geladene Energiemenge pro AC-Ladevorgang mit 13,3 kWh im Schnitt höher (aber noch unter den 19,6 kWh der DC-Ladevorgänge), zum anderen gebe es mit bis zu 8,4 Ladevorgängen pro Tag sehr wohl rentable AC-Ladesäulen.
„Insgesamt ist zwar der Break-Even noch nicht erreicht, aber einzelne Ladestationen lohnen sich bereits heute“, so Steinkamp in seinem Vortrag bei „electrive.net LIVE“. „Wir merken aber auch, dass der Druck auf die öffentliche Ladeinfrastruktur steigt. Neben den Zulassungszahlen kommen weitere und wachsende Benutzergruppen wie E-Carsharing oder E-Taxis hinzu.“
Hamburg plant 200 neue Ladepunkte pro Jahr
Neben einer gezielten Förderung solcher gewerblicher Ladepunkte plant die hySolutions, künftig 200 Ladepunkte pro Jahr aufzubauen – AC, DC und HPC. In diesem Jahr soll der erste städtisch betriebene Ultra-Schnelllader in Hamburg in Betrieb gehen. Den Standort verrät Steinkamp noch nicht, trifft aber eine interessante Aussage: „Das Einkaufen ist für den Kunden ein sehr guter Anwendungsfall zum Laden.“
Hier wiederum hat Steinkamp die volle Zustimmung von EnBW-Vertriebschef Sillober. Neben dem HPC-Laden entlang der Langstrecke mit bis zu 150 oder 300 kW seien Parkplätze im Einzelhandel im Fokus des Ausbaus: „Wir wollen die Infrastruktur dort bauen, wo der Kunde ohnehin 20 bis 30 Minuten verbringt“, sagt Sillober. „Damit lässt sich der Ladevorgang einfach in den Alltag integrieren.“
Auf den Parkplätzen müssen es dann auch nicht unbedingt die 300 kW der Autobahn-Raststätte sein, Ladeleistungen von 75 bis 150 kW würden ausreichen, um während eines halbstündigen Einkaufs Strom für bis zu 250 Kilometer nachzuladen – und damit bei den meisten Kunden genügend Strom für eine ganze Woche. „ An solchen Standorten ist der Anschluss an die Mittelspannung gut möglich, dazu können die Parkflächen einfach skaliert werden“, ergänzte Sillober.
Netzdienliche Schnelllade-Vorgänge?
Dass die HPC-Ladevorgänge auf dem Parkplatz vor dem Baumarkt, Supermarkt oder der Drogerie-Filiale den Überlegungen des netzdienlichen Ladens widerspreche, sieht EnBW nicht so. „Mit dem HPC-Laden bei den Einzelhändlern gehen wir direkt ans Mittelspannungsnetz, in dem es genügend Leistungsreserven gibt“, erklärte Sillober. „Damit entlasten wir das eigentlich kritische Niederspannungsnetz enorm, wenn die Ladevorgänge über die Mittelspannung und nicht die Wallbox zu Hause erfolgen.“
Neben den Ladesäulen auf den Einzelhandels-Parkplätzen (mit zunächst nur zwei oder vier Ladepunkten) will EnBW auch weiter urbane Schnellladeparks ausbauen – am Tag der Konferenz wurde ein weiterer dieser Parks in Karlsruhe eröffnet. Derzeit entstehen (wiederum mit Förderung des Landes Baden-Württemberg) einige Standorte mit zwölf Ladepunkten und mehr in mehreren Stadtzentren in dem Bundesland. Damit soll den Kunden eine einfache Lademöglichkeit geboten werden, die zu Hause oder in ihrer Straße eben nicht laden können.
Ein Projekt, dass wiederum Johannes Pallasch von Berlin aus genau beobachtet. Denn neben der Abdeckung in der Fläche arbeitet die Nationale Leitstelle auch an einem Programm, welches das Laden in Wohnquartieren ermöglichen soll. „Hier müssen wir im ersten Schritt nicht über die Ladeleistung reden, sondern wie wir das organisieren“, sagt Pallasch. „Hier gibt es noch keine einfache Lösung für Menschen, die zu Hause keine Lademöglichkeit haben.“
EnBW-Manager Sillober gibt sich zuversichtlich, dass auch für diese Zielgruppe eine Lösung gefunden werden kann – und die Elektromobilität endgültig für alle Anwendungsbereiche taugt. „Wir haben in Deutschland etwas gebraucht“, sagte Sillober. „Aber jetzt kommen die Ladepunkte, die nächsten zwei bis drei Jahren werden enorm viel bringen.“
Die nächste Ausgabe von „electrive.net LIVE“ findet am 24. Februar 2020 statt. Thema ist dann ausschließlich das High Power Charging. Im ersten Panel der Konferenz „Quo vadis der Elektromobilität 2021?“ wurde über die politische Perspektive und das Vehicle2Grid-Laden diskutiert.
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