Wie sich Mercedes‘ E-Transporter bei Amazon schlagen
Online-Versandriese Amazon setzt bei der Auslieferung seiner Pakete in Deutschland bekanntlich teils auf Elektro-Lieferwagen von Daimler. Flottenchef Daniel Kasack hat mit unserer freien Mitarbeiterin Nicole de Jong über die Verlässlichkeit der E-Transporter, winterliche Routenplanung und das Ladekonzept gesprochen.
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Amazon hat bereits vor fünf Jahren begonnen, Elektrofahrzeuge auf der letzten Meile zu erproben. „Die ersten drei Versuche, E-Autos bei Amazon ins Feld zu bringen, sind allesamt gescheitert“, erzählt Daniel Kasack, in Europa für die einige Tausend Fahrzeuge umfassende Amazon-Transporterflotte zuständig. Im vierten Anlauf hat der Online-Händler die Schwelle von der Pilotphase in den Regelbetrieb schließlich genommen – unter Einsatz von E-Transportern aus deutscher Produktion: Rund 800 Elektro-Lieferwagen von Daimler setzt der Konzern mittlerweile in Deutschland im täglichen Zustellbetrieb ein ‒ europaweit sind es insgesamt 1.800. Zwei Drittel davon Mercedes-Benz eSprinter, ein Drittel Mercedes-Benz eVito.
„Auf der letzten Meile funktioniert die Zustellung mit E-Fahrzeugen sehr gut. Es ist die richtige Entscheidung für den richtigen Einsatzzweck“, führt Kasack aus. Je nach Routenart kommt der größere oder der kleinere Transporter zum Einsatz. Der eVito hat mit 41 kWh eine kleinere Batterie und mit sechs Kubikmetern weniger Ladevolumen als sein großer Bruder Sprinter. „Der Vito ist daher besser für kleinere Straßen in engen Wohngebieten geeignet“, so der Flottenchef. Der Sprinter sei dort im Einsatz, wo mehr Platz ist und mehr Kunden sind. Er verfügt über elf Kubikmeter Ladevolumen, sein Akku verfügt über 55 kWh Kapazität. Da die Batterie jeweils im Unterboden verbaut ist, nimmt sie keinen Laderaum weg. Die maximale Zuladung ist für Amazon laut Daniel Kasack nicht relevant, da die Paketsendungen ‒ auch wenn es viele sind ‒ im Durchschnitt nicht viel wiegen.
Amazon berechnet genau, welche Routen elektrifizierbar sind. „Wir planen eine deutliche Reserve gegenüber den Herstellerangaben ein, um auf operative Herausforderungen vorbereitet zu sein. Der Fahrer muss immer einen kleinen Schlenker machen oder einen Empfänger ein zweites Mal anfahren können, falls der erst später da ist und das mit einem Zettel an seiner Tür mitteilt“, erläutert der Fuhrparkverantwortliche. Auch kalte Temperaturen, bei denen mehr Strom fürs Heizen verbraucht wird, sind in die Routenlänge einkalkuliert. Im Lieferalltag bedeutet dies, dass beim eVito die Touren maximal rund 70 Kilometer, beim eSprinter rund 90 Kilometer lang sind. Am besten eigneten sich die E-Transporter daher für den Kern des Liefergebietes, sagt Kasack.
Abstecher zum neuen Umschlag-Hub Bad Oldesloe
Amazon setzt die neuen E-Transporter bislang vor allem an seinen neuen Distributionszentren ein, denn „Parkraum und die stärkere Stromleitungen an bestehenden Standorten nachträglich einzurichten, ist oft aufgrund von Platzmangel und nachträglichen baulichen Maßnahmen schwierig“. Ein Beispiel für solch einen neu eingerichteten, elektrifizierten Umschlaghub ist der Amazon-Standort im schleswig-holsteinischen Bad Oldesloe, der im vergangenen September in Betrieb genommen wurde. Dort stehen 100 Parkplätze für E-Fahrzeuge bereit, inklusive der dafür benötigten starken Stromleitung.
In Bad Oldesloe sind derzeit sechs Lieferpartner mit 81 Elektro-Sprinter und -Vitos für den Onlinehändler unterwegs. „Es gehört zu unserem Programm, dass unsere Lieferpartner die E-Fahrzeuge zu den gleichen Raten leasen können wie herkömmlich angetriebene Fahrzeuge. Es soll ihnen kein Nachteil entstehen“, erläutert Kasack. Die Ladeinfrastruktur ‒ in Bad Odesloe sind es zirka 100 Ökostrom spendende Ladepunkte des niederländischen Herstellers Alfen ‒ stellt Amazon an seinem Standort bereit, ebenso den Service für die Fahrzeuge. Grundsätzlich setzt der Onlineriese an den bislang elektrifizierten Standorten auf das frei stehende Alfen-Ladegerät des Typs Eve Single Pro-Line.
Laut Kasack werden an den Verteilzentren immer ein paar Ladepunkte mehr einkalkuliert als Fahrzeuge, sodass bei eventuellen Defekten dennoch alle Transporter aufgeladen werden können. Probleme solcher Art habe es bislang jedoch nicht gegeben. Alle Fahrzeuge werden langsam und über Nacht geladen ‒ Schnellladepunkte gibt es nicht, „weil der eVito gar nicht schnellladefähig ist und weil wir auch keinen Bedarf haben, die Autos schnell zu laden“. Selbst wenn der Fahrer maximal lange für seine Tour brauche, stehe der Wagen anschließend zwölf bis 14 Stunden auf dem Hof.
„Wir laden im sogenannten Loadbalancing je nach Strompreis und Bedarf mit Ladeleistungen zwischen 3,7 und 10 kW. Da wir genug Zeit dafür haben, müssen wir nicht ans Limit gehen“, führt der Flottenchef weiter aus. Die Fahrzeuge kommen ihrer Ankunftszeit entsprechend zeitversetzt an den Ladegeräten an. Welches Fahrzeug wann wieviel Strom bekommt, wird automatisch über eine Steuerungssoftware geregelt. „Das langsame Laden schont zudem den Akku, entlastet das Stromnetz und sorgt dafür, dass nicht immer der teuerste Tarif zum Tragen kommt“, fügt Kasack hinzu.
Im Winter deutlich kürzere Touren als im Sommer
Die Vitos und Sprinter mit E-Antrieb laufen zuverlässig, Fragezeichen bleiben aber: Wie lange die Akkus halten, muss sich noch zeigen, ebenso fehlen bislang Daten zum Verschleiß. Auch der Betrieb bei kalten Wintertemperaturen war jüngst eine Premiere. „E-fahrzeugspezifische Ausfälle gibt es nicht, allerdings sehen wir, dass im Winter durch das Heizen der Stromverbrauch deutlich ansteigt und Touren dadurch deutlich kürzer ausfallen müssen als im Sommer“, sagt Kasack. Die meisten Touren habe Amazon zwar richtig vorgeplant, „zu behaupten, wir hätten gar nichts gelernt, wäre aber falsch“. Klar sei, je größer der Akku, desto leichter sei es, flächendeckend mit den Fahrzeugen zu arbeiten.
„Wir wollen den Einsatz von E-Transportern in der Breite hinkriegen mit dem Ziel, bis 2040 komplett CO2-frei zuzustellen“, erläutert der Amazon-Manager weiter. Es sollen daher auch Bestandsimmobilien nach und nach mit ausreichend Strom für die Ladeinfrastruktur versorgt werden. „Wir sind auf dem richtigen Weg, auch wenn er noch lange und an verschiedenen Stellen herausfordernd ist“, resümiert er. Wichtig sei vor allem, die Menschen mitzunehmen. Es handele sich um neue Produkte, die erklärt werden müssen, damit Vertrauen entsteht und der Umstieg auf die neue Realität gelingt.
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