Daimler-Vorstand Schäfer: „Bereiten uns auf frühere Umstellung vor“
Das Gerücht, dass Daimler schon deutlich vor dem bisher hierfür festgesetzten Jahr 2039 aus dem Verbrennungsmotor aussteigen könnte, hat neue Nahrung durch Aussagen von Daimler-Vorstand Markus Schäfer erhalten. Ein neues „End-Datum“ nannte Schäfer aber nicht.
Alle müssten anerkennen, dass der Umbruch der Fahrzeugindustrie hin zu elektrischen Antrieben womöglich weit schneller vonstattengeht als bisher angenommen, sagte Schäfer, der im Vorstand von Mercedes-Benz die Entwicklung und im Daimler-Vorstand als COO das Tagesgeschäft leitet, gegenüber dem „Handelsblatt“. „Wir bereiten uns jedenfalls auf eine frühere Umstellung vor“, so Schäfer. Es gebe „produktseitig in der nahen Zukunft keinen rationalen Grund mehr, sich für einen Verbrenner zu entscheiden“. Bisher hatte der Konzern, der sich bis Jahresende aufspalten will, das Jahr 2039 als Ziel für eine emissionsfreie Neuwagenflotte genannt.
Dass es Schäfer bei Formulierungen wie „in der nahen Zukunft“ belässt, hat einen einfachen Grund: Aus seiner Sicht kommt es bei dem Tempo der Transformation entscheidend darauf an, wie streng die kommende Euro-7-Abgasnorm tatsächlich ausfällt. Hier will die EU-Kommission bis Ende des Jahres einen konkreten Entwurf vorlegen. „Je nachdem, welche Regularien am Ende angewendet werden, kann sich die Perspektive für Verbrenner noch einmal dramatisch verändern – bis hin zu einem Szenario, das es fast unmöglich macht, ab 2025 noch Verbrenner zuzulassen“, so Schäfer.
Dieses Tempo hat natürlich auch starken Einfluss auf die Entwicklungs- und Produktionsplanung bei den Unternehmen. Wie das aussehen kann, hat Daimler am vergangenen Freitag angedeutet: Im Stammwerk Stuttgart-Untertürkheim wird ein neuer E-Campus errichtet, dafür wird die dortige Kurbelwellenfertigung ins polnische Jawor verlegt. In anderen Werksteilen, die bisher Benziner, Getriebe und Achsen fertigen, werden nach und nach Montagelinien für Batteriesysteme oder Komponenten des elektrischen Antriebsstrangs (eATS) etabliert. Ab 2024 will Daimler den eATS selbst herstellen und nicht mehr von Zulieferern wie ZF einkaufen. Die Kapazität hierfür wurde gegenüber den ursprünglichen Plänen verdoppelt.
In der Ankündigung des E-Campus ließ sich der Konzern offen, ob es nochmals eine Produktion neuer Verbrenner in Stuttgart geben wird – man wolle auf die Flexibilität des globalen Produktionsverbunds setzen, hieß es vergangene Woche. Schäfer ließ nun durchklingen, dass auf die 2016 angelaufene „FAME“-Motorenfamilie keine weiteren mehr folgen werden – es seien die „finalen Vier“. Die Entwicklungsausgaben für diese Aggregate sind abgeschlossen, die Kapazitäten aufgebaut. „Das heißt: der Großteil der Investitionen kann jetzt wirklich in Elektromobilität gehen“, so Schäfer.
Der Entwicklungsvorstand kokettiert zwar nicht mit einem unmittelbaren Ende der Verbrenner, rechnet aber damit, dass die Variantenvielfalt deutlich zurückgehen wird – „bis 2025 um 40 Prozent und bis 2030 um 70 Prozent“. „Das ist die Minimummaßgabe“, so Schäfer. „Der Wandel kann auch weit schneller kommen.“
Daimler plant weiter keine eigene Massenproduktion von Batteriezellen
Trotz dieser Ansicht und der am Freitag angekündigten Pilot-Produktion für Lithium-Ionen-Zellen lehnt Schäfer die vom Daimler-Betriebsrat geforderte Massenproduktion weiter ab: „Für uns ist es zur aktuellen Zeit keine Option, Batteriezellen im großen Stil selbst zu bauen, weil das Rennen um die beste Zellchemie der Zukunft noch völlig offen ist.“ Auf seinen Pilotanlagen zur Zellproduktion könne Daimler in Untertürkheim zwar künftig die beste Kombination aus Anode, Kathode und Elektrolyten erproben und das Verständnis über den Chemiebaukasten weiter vertiefen. „Aber jetzt in ein massives Investment für eine Großserienproduktion zu gehen, halte ich für zu früh“, so Schäfer.
Spekulationen im Februar, wonach die Qualität von Zellmustern bei der Firma Farasis mangelhaft sein soll, dementiert Schäfer. Farasis fertige „innovative und hoch performante Batteriezellen“. Gleichwohl deutete Schäfer an, dass sich der geplante Bau einer Zellfabrik von Farasis in Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt verzögern könnte. „Als eher junges Unternehmen macht es für Farasis Sinn, sich zunächst auf ein Industrialisierungsprojekt zu fokussieren“, so Schäfer. Derzeit produziert Farasis nur in China. So oder so sieht Daimler seine Batteriezellversorgung als gesichert an, zumal der Konzern auch mit den beiden südkoreanischen Konzernen LG Chem und SKI Innovation zusammenarbeitet.
handelsblatt.com
1 Kommentar