Brennstoffzelle: Kein Rennen gegen, sondern mit der Batterie
Die Wasserstoff-Brennstoffzelle in der E-Mobilität – ein Thema, das polarisiert. Dabei gibt es eine Menge Sachargumente, mit denen sich potenzielle Anwendungsbereiche abstecken lassen. In unserer Online-Konferenz „electrive.net LIVE“ skizzierten sechs führende Branchenköpfe, wo Use Cases liegen und was es braucht, um sie zu realisieren.
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Wer die Tweets von Volkswagen-Chef Herbert Diess verfolgt, könnte glatt denken, die Brennstoffzelle sei für die Automobilindustrie vom Tisch. Dagegen argumentiert das bei „electrive.net LIVE“ geladene Sextett entschieden. Batterie-elektrische Mobilität und Wasserstoff-Mobilität – „das ist kein Rennen gegeneinander, sondern miteinander“, meint etwa Björn Eberleh. Der Akasol-Manager teilt sich die digitale Bühne an diesem Tag mit Elena Hof von der NOW GmbH, Nikolas Iwan von H2 Mobility, Christian Mohrdieck von Cellcentric, Tjark Siefkes vom Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt und André Steinau von GP Joule.
Wasserstoff entfalte seine Stärken, wenn man ihn als Energieträger in einem Ökosystem betrachtet, also nicht isoliert im Verkehrssektor, sondern als Schlüsselelement bei der Sektorenkopplung, vergegenwärtigen gleich mehrere Sprecher. „Wer allein die kurzfristige Fahrzeugeffizienz im Auge hat, wie Herr Diess, der kommt natürlich zu dem Schluss, dass es wirtschaftlichere Möglichkeiten gibt“, äußert André Steinau. Wenn aber „alle Früchte der Elektrolyse“ geerntet werden und all dies in die Effizienzanalyse einfließe, dann habe Wasserstoff „seine absolute Berechtigung im Verkehr“.
Als weiteren Kernaspekt warnen die Experten davor, die Technologie-Diskussion auf Deutschland zu verengen. „Die Frage, ist ob wir international mitspielen wollen. In anderen Ländern wird Wasserstoff in Pkw als attraktives Konzept betrachtet“, sagt NOW-Expertin Elena Hof. Daran knüpft Christian Mohrdieck an: „Wir müssen aufpassen, dass wir den Zug nicht verpassen. Sonst werden Brennstoffzellen künftig nicht in Deutschland und nicht mal in Europa produziert.“ Sondern Übersee, wie wir das von den Batteriezellen ja schon kennen.
Steigen wir in die einzelnen Vorträge des Tages ein. Mit Elena Hof ist zum Konferenzauftakt die Programm- und Teamleiterin des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) der NOW GmbH zugeschaltet. Sie legt dar, wie die Regierung mit Milliarden-Förderungen die Umsetzung ihrer Wasserstoff-Strategie in Deutschland anregt. Drei nationale Förderrichtlinien (u.a. zu Bussen und Lkw) kündigt sie noch für dieses Jahr an. Dazu wie berichtet die Standortauswahl für ein H2-Innovationszentrum, weitere sogenannte Hyland-Förderungen und „zeitnah“ den Start des sogenannten EU-Matchmaking-Prozesses für das Wasserstoff-IPCEI auf EU-Ebene.
Diesem „Großvorhaben von öffentlichem Interesse“ liegen laut Hof „hunderte Interessensbekundungen von Akteuren aus ganz Europa zugrunde“, die sich rund um Wasserstoff in der Mobilität und anderen Bereichen drehen. Die Bündelung und Auswahl soll in wenigen Wochen starten und einen europaweiten Projekte-Verbund hervorbringen – analog zu den beiden gestarteten Batterie-IPCEIs. Hofs Botschaft: Die Weichen werden von Regierungsseite gestellt, die Wasserstoff-Technologie für wichtig erachtet. Das spiegele sich auch in der NOW GmbH als Koordinationsstelle selbst wider: „Als ich hier 2017 angefangen habe, waren wir 40 Mitarbeiter. Jetzt sind es um die 100 und bis zu Jahresende sollen es 180 werden.“
Nikolas Iwan rollt das Thema von der Infrastruktur-Seite her auf. Der CEO von H2 Mobility Deutschland meldet 92 von seiner Firma in Betrieb genommene H2-Tankstellen in Deutschland, bis Jahresende sollen es bereits rund 100 sein. Er ist überzeugt, dass sich das Rennen zwischen BEV und FCEV im Nutzfahrzeugbereich an der Infrastruktur entscheiden wird: „Das ist die Achillesferse für Trucks“. Grundsätzlich spricht er sich dafür aus, beide Technologien mir ihren jeweils sinnvollen Anwendungsbereichen im Spiel zu halten. „Aus der Landwirtschaft haben wir gelernt: Monokulturen sind nachteilhaft“.
Auch ein paar Extra-Infos zum deutschen H2-Tankstellennetzwerk hat Iwan im Gepäck. So seien die bald 100 Stationen bei einem einkalkulierten Umweg von bis zu fünf Kilometern zurzeit von sechs Millionen Fahrern erreichbar (nicht zu verwechseln mit der Kapazität, die dafür noch nicht ausgelegt ist). Seit Dezember 2016 ist die Nachfrage laut Iwan jährlich im Schnitt um 50 Prozent gestiegen. In den kommenden fünf Jahren soll das aktuelle Netzwerk für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge ausgebaut und gleichzeitig ein H2-Tanknetzwerk für mittelschwere Lkw sowie erste Stationen für schwere Lkw realisiert werden. „Nutzfahrzeuge werden die Treiber der Wasserstoff-Mobilität sein“, ist sich der Manager sicher. Bis 2025 rechnet H2 Mobility mit 9.000 H2-Fahrzeugen in Deutschland, darunter 16 Prozent schweren und 25 Prozent leichten Nutzfahrzeugen, bis 2030 bereits mit 102.000 Fahrzeugen (38 Prozent schwere Lkw, 25 Prozent leichte Nfz). Als langfristig sinnvolle Anzahl von H2-Tankstellen für einen Hochlauf in Deutschland lässt er sich auf „rund die Hälfte der herkömmlichen Tankstellen“ festnageln. Also rund 7.000 Stück.
Herausforderung: Technologie auf Serienniveau herstellen
Mit Christian Mohrdieck übernimmt der Managing Director des neu gegründeten Brennstoffzellen-Joint-Venture Cellcentric von Daimler Truck und der Volvo Group das Mikro. Er bezeichnet die Dekarbonisierung des Lkw-Verkehrs angesichts eines Anteils von fünf Prozent an den weltweiten CO2-Emissionen als „großen Hebel“. Für die Brennstoffzelle spricht dabei aus seiner Sicht „vergleichbares Gewicht, Betankungszeit und Reichweite wie bei Diesel-Lkw“ und damit verbunden das Beibehalten von bewährten Logistikprozessen.
Cellcentric will ein Maximum von BZ-Fahrzeugen über modulare Antriebseinheiten auf die Straße bringen. „Wie in der Bekleidungsindustrie bieten wir die Größen S, M, und L, um alle wesentlichen Anwendungen abzudecken.“ Gemeint sind damit Trucks aller Größen bis hin zu Bussen, Pkw und stationäre Anwendungen. Das Thema H2-Pkw sei nie vom Tisch gewesen, so der frühere Daimler-Mann Mohrdieck. In Lkw bestehe aber eine höhere Notwendigkeit mangels Alternativen. „Da gelingt der Durchbruch am ehesten.“ Die beiden Mutterkonzerne von Cellcentric wollen dabei vorangehen und ab 2040 nur noch lokal CO2-neutrale Neufahrzeuge anbieten. Die nächsten Schritte auf diesem Weg sind jetzt „die Technologie selbst auf Serienniveau herstellen und sie bezahlbar für Kunden zu machen“, so Mohrdieck.
Das Trio Hof, Iwan und Mohrdieck kommt zum Abschluss der ersten Konferenzhälfte mit Moderator und electrive.net-Chefredakteur Peter Schwierz dann noch mal untereinander ins Diskutieren. Interessant vor allem: Sowohl Infrastruktur-Experte Iwan als auch OEM-Vertreter Mohrdieck sagen, dass sie sich sowohl auf gasförmigen als auch flüssigen Wasserstoff als Energieträger einstellen können. Es komme darauf an, auf was man sich auch international verständige. Beide hoffen, dass binnen zwei Jahren Klarheit einkehrt. Keinen Zweifel hegt das Trio übrigens daran, dass Deutschland künftig Wasserstoff importieren muss – wohl allen voran über umgerüstete Pipelines und/oder Transportschiffe.
Im zweiten Panel vergegenwärtigt Björn Eberleh, wie stark sich Batterie und Brennstoffzelle in Hybridanwendungen bereits ergänzen. Eberlehs Arbeitgeber, der Darmstädter Batteriesysteme-Hersteller Akasol, baut für solche Anwendungen eigens Batterien, die sich unter anderem dadurch auszeichnen, dass sie „der Brennstoffzelle durch die Pufferung von kleinen Leistungsspitzen und die Aufnahme von Bremsenergie viel Stress ersparen“. Zurzeit hat Akasol für H2-Anwendungen eine Batterie mit 77 kW Dauerleistung im Angebot, will aber die Leistungsdichte bei einer bereits geplanten neuen Generation weiter steigern.
Potenzial für die Technologie sieht Eberleh auf der Straße vor allem bei Reisebussen und Langstrecken-Trucks, außerdem auf der Schiene, wie eine bereits 2020 geschlossene Liefervereinbarung mit Alstom manifestiert. Das seien zwar eher Nischen, aber dadurch, dass die Batterietechnologie übertragbar sei, könne die Produktion dennoch skaliert werden, führt Eberleh aus. In-house-Konkurrenz zur Batteriesystemfertigung für BEV sieht er nicht. „Wir sind getrieben von dem Ziel einer nachhaltigen Mobilität und wollen machen, was sinnvoll ist. Wir haben keine Angst, den Markt zu teilen.“
Wasserstoff: Energieträger mit der geringsten Umweltbelastung
Tjark Siefkes, am DLR Direktor des Instituts für Fahrzeugkonzepte, wartet im Anschluss mit einem gesamtsystemischen Blick auf die H2-Technologie im Spannungsfeld der künftigen Energie- und Mobilitätsentwicklung auf. Um die Ziele des European Green Deals zu erreichen, braucht es aus seiner Sicht unter anderem eine bewusstere Wahl der Verkehrsmittel durch jeden Einzelnen, mehr Leichtbau-Fahrzeuge, mehr automatisierte Mobilität und Mobilität als Service, effizientere Antriebsstränge und mittelfristig den Import von Wasserstoff.
Im Vergleich der Energieträger wird Wasserstoff aus Sicht von Siefkes allein „durch die geringste Umweltbelastung und die höchsten Energiedichten eine wichtige Rolle spielen“. Und: Im Gegensatz zu BEV sei bei der Brennstoffzelle keine Reichweiten-Verkürzung im Winter zu befürchten. Das DLR selbst hat mit dem SLRV bekanntlich ein eigenes Brennstoffzellen-Leichtfahrzeug in der Entwicklung, das Mitte der 2020er Jahre serienreif sein soll. Siefkes bestätigt, dass der Anschaffungspreis für das 450-kg-Leichtgewicht nicht höher als 15.000 Euro ausfallen soll. Während Pkw im urbanen Umfeld künftig wohl eher rein Batterie-elektrisch unterwegs sein dürften, sieht der Professor für H2-Pkw wie den SLRV vor allem Potenzial bei Pendlern und in Betriebs- sowie Serviceflotten.
Mit André Steinau, Leiter Business Unit Think Wasserstoff der GP Joule Gruppe, geht es abschließend in den hohen Norden: In Nordfriesland agiert seine Firma als kompletter Auftragnehmer eines regionalen Wasserstoff-Ökosystems namens eFarm mit zwei H2-Tankstellen, fünf Produktionsstandorten, zwei BZ-Bussen und 35 BZ-Pkw, darunter der Hyundai Nexo von André Steinau selbst. Die Erkenntnisse überträgt GP Joule aktuell bereits auf weitere Projekte überall in der Bundesrepublik. Wasserstoff sei das Schlüsselelement für die Energiewende, ist Steinau überzeugt. Es brauche aber neue Märkte zur regionalen Wertschöpfung. Der Verkehr bietet sich neben Industrieanwendungen besonders an.
„Der H2-Lkw kommt. Wasserstoff in Nutzfahrzeugen ist unabdingbar!“, gibt sich Steinau sicher. Mittels regionaler H2-Ökosysteme sieht er im Gegensatz zu seinen Vorrednern erstmal keinen Importbedarf. „Wir haben gerade mehr als wir verwenden können.“ Außerdem könne man auch bei den Produktionskosten für Wasserstoff mithalten, da der Transportweg entfalle. Den Aufbau der Demonstrationsprojekte bezeichnet Steinau als Beitrag zur langfristigen Entwicklung. „Wir sind uns bewusst, dass wir in Vorleistung gehen, dass sieben magere Jahre kommen, bevor sieben fette folgen.“ Es geht dem GP-Joule-Vertreter darum, die Machbarkeit zu zeigen und die Akzeptanz der Bevölkerung vor Ort zu gewinnen. Bei der eFarm funktioniere dies mit inzwischen 19 weiteren Gesellschaftern, 3.500 am Projekt beteiligten Bürgern und bald 100 H2-Pkw sehr gut.
In der anschließenden Diskussion kommen die drei Experten des zweiten Panels unter anderem auf Olympia in Japan zu sprechen, das H2-Mobilität weltweit ins Rampenlicht rücken könnte. Dort soll der gesamte Verkehr um die Spiele mit Wassserstoff-Fahrzeugen bewältigt werden. „Das wird in puncto Akzeptanz sehr helfen“, so Tjark Siefkes. Außerdem beurteilt das Trio die Potenziale von Wasserstoff in der Schifffahrt als vielversprechend. Und auch die Rückverstromung – etwa zur Versorgung von Gebäuden – könnte ein Geschäftsfeld werden. „Gegenüber Batterien haben wir dabei den Vorteil größerer Leistungsmengen, weniger Abnutzung und einer schnellen Nachbetankung“, so Steinau.
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