„Der elektrische Antrieb bietet sich einfach an“
Ende April hat der Zulieferer Benteler eine Plattform für elektrische People Mover vorgestellt. Marco Kollmeier, Vice President Business Unit E-Mobility bei Benteler Automotive, erklärt im Interview sowohl die kommerziellen Überlegungen hinter dem Vorstoß in das Mover-Geschäft als auch die Technik der Fahrzeuge.
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Herr Kollmeier, warum hat Benteler eine Plattform für elektrische People Mover entwickelt? Was ist die kommerzielle Überlegung dahinter – etwa anstelle einer weiteren Pkw-Plattform?
Wir sind mit dem Rolling Chassis im Pkw-Markt gestartet – im gehobenen Segment. Wir sind aber auch dabei, für das kleinere Segment eine Plattform zu entwickeln. Der Markt für Shuttles, People Mover oder auch Cargo Mover ist noch sehr jung, aber auch sehr interessant. Weil er der Startschuss für die Zukunft der Mobilität ist. Alle reden vom autonomen Fahren und dem Roboter-Fahrzeug, das die Pizza liefert. Das wird aber kein Pkw sein, sondern eine spezialisierte Form eines „Movers“. Schlussendlich unterstützen wir damit einmal mehr unsere Kunden, kostengünstig sichere und umweltfreundliche E-Mobilitätslösungen zu entwickeln, die ihr Geschäft beschleunigen.
Ist der Markt schon so groß, dass er interessant wird?
Die Technologie ist noch in einem frühen Stadium, das hängt aber auch stark mit der Gesetzgebung zum autonomen Fahren zusammen. Es ist nicht nur die Technik selbst, auch die Rahmenbedingungen müssen erfüllt werden. Bereits heute gibt es für Mover – egal ob für Menschen oder Güter – Einsatzgebiete, etwa in Geofenced Areas, das heißt: nicht auf öffentlichen Straßen, aber in abgesperrten Bereichen. Gerade der amerikanische Markt ist sehr innovativ, dort werden schon Universitäten mit Movern als Campus-Shuttles ausgestattet. Natürlich noch mit geringer Geschwindigkeit und in einem Überwachungs-Modus, aber es geht! So fängt eine solche Technologie an. Denken wir nur an die Elektromobilität, die gefühlt schwach angefangen hat und inzwischen ist der Tipping Point erreicht.
Wann kommt der Tipping Point bei den Movern?
Wer das wüsste, könnte reich werden. Erste Level-4-Fahrzeuge – also mit einer Person zur Überwachung an Bord – fahren bereits heute. Dafür werden zwar Fahrzeuge gebaut und nachgefragt, aber in relativ kleinem Umfang von rund 5.000 Stück. Spannend wird es bei Level 5, dem wirklich autonomen Fahren. Das wird wahrscheinlich Ende des Jahrzehnts kommen – das ist nicht morgen, aber auch nicht mehr sehr weit weg. Vor drei oder vier Jahren hätten viele auch nicht gedacht, wie weit der Markt für Elektromobilität heute ist. Und wenn dieser Selbstverstärkungseffekt bei den Movern eintritt, muss man bereit sein. Sonst verpasst man das Rennen.
Sind Sie da nicht etwas optimistisch? Der fahrerlose Fernverkehrs-Lkw, um den auf der Autobahn herum alle Fahrzeuge in dieselbe Richtung fahren, wird noch nicht in Serie gebaut. Die autonome Fahrt in der Stadt ist ungleich komplexer.
Das stimmt, deshalb wird es auf diesem Weg auch verschiedene Stufen geben. Etwa mit baulich getrennten Fahrspuren, ähnlich einer Straßenbahn. Oder Infrastruktur-seitigen Sensoren, damit nicht nur das Fahrzeug selbst alles erfassen muss, sondern auch Sensoren an Gebäuden oder Ampeln unterstützen. Das Ziel ist es, dass das Fahrzeug mit seiner Sensorik und Software alles selbst detektieren kann. Das wird sich Schritt für Schritt entwickeln – ich glaube aber mit sehr schnellen Lernschritten.
Ist beim Antrieb Batterie-elektrisch für Sie gesetzt oder bereiten Sie sich auf andere Möglichkeiten vor?
Momentan impliziert man mit einem Mover ein elektrisches Fahrzeug. Theoretisch ist es möglich, auch einen Verbrenner einzubauen. Aber der elektrische Antrieb bietet sich einfach an. Zum einen, weil man im vorrangigen Einsatzbereich, der Innenstadt, die Luft sauber halten will. Zum anderen muss ich das Fahrzeug, wenn ich autonom fahre, auch autonom warten können. Das geht mit einer induktiven Ladelösung sehr viel einfacher als mit einem Tank-Roboter, der eine Zapfpistole bedient. Aus technologischer Sicht kommt noch der Bauraum hinzu – mit Batterien im Fahrzeugboden und kleinen Elektromotoren kann ich die Nutzfläche des Movers maximieren.
Und Wasserstoff mit zylindrischen Drucktanks?
Die Brennstoffzelle hat den Vorteil, dass ich elektrisches Fahren mit der Reichweiten-Logik eines Verbrenners kombinieren kann. Aber für urbane Mover brauche ich die Reichweite nicht, da wäre die Brennstoffzelle überkompensiert. Ein autonomes Shuttle rollt nicht 24 Stunden am Tag, sondern steht auch – und kann in dieser Zeit selbstständig eine Lademöglichkeit anfahren. Das kann man in den Tagesablauf einplanen und sich so die aufwändige Brennstoffzelle sparen.
Bisher hat Benteler beim Antrieb des People Mover von einem Front- und Heckmodul gesprochen. Sind das dann Achs-Antriebe oder Radnabenmotoren, wie sie etwa Ree einsetzt?
Es gibt für dieses Konzept Anwendungen. Aber auch Zentralmotoren sind interessant, etwa beim Preis-Leistungs-Verhältnis, haben aber „Nebenwirkungen“. Sie bauen höher und benötigen den Bauraum zwischen den Rädern. Sie sind aber auch ein robuster Stand der Technik und können günstig und schnell realisiert werden. Und auch die Antriebskräfte sind besser abzubilden.
Und Radenabenmotoren?
Sie haben extreme Vorteile, etwa ihren kleinen Bauraum. Man ist beim Fahrwerk recht frei und kann einen sehr guten Wendekreis erreichen – ein solcher Mover mit vier Radnabenmotoren könnte theoretisch auf der Stelle wenden. Das geht mit Zentralmotor und Antriebswellen nicht. Und da der Antriebsstrang nicht in der Mitte des Fahrzeugs verbaut wird, erhalte ich dort Platz und Bauraum für Passagiere oder Fracht. Die Radnabenmotoren-Technologie ist noch sehr jung, aber der Trend geht dorthin.
Was werden Sie in Ihrer Plattform anbieten?
Wir haben für beides Lösungen, Zentralmotoren und Radnabenmotoren. Die Anwendungen sind noch sehr vielschichtig.
Fällt der viel zitierte Nachteil der höheren ungefederten Massen bei den Geschwindigkeiten eines Movers weg?
Da scheiden sich die Experten. Bei den Movern mit sehr gleichmäßigen Fahr-Charakteristiken und den niedrigen Geschwindigkeiten ist das Thema aus meiner Sicht absolut unkritisch. Wir reden bei der Fahrdynamik nicht über g-Kräfte wie bei einem Sportwagen. Sondern darum, dass Fahrgäste in dem Mover stehen und das Anfahren möglichst sanft erfolgen soll.
Kunden können sich beim Mover aus vorintegrierten Modulen ihre Fahrzeuge zusammenstellen. Wie kann eine solche Individualisierung aussehen?
Die Anforderungen an einen Mover sind ganz anders als etwa an einen Pkw. Was interessiert einen Kunden? Das ist erst einmal der Platz, um Menschen oder Güter zu transportieren. Dann brauchen wir eine Antriebsleistung, um diese Transport-Anforderung erfüllen zu können. Und dann kommt die Reichweite bzw. die Nutzungszeit. Dafür bieten wir unterschiedliche Längen und Batteriegrößen an, hinzu kommen die erwähnten unterschiedlichen Antriebe. Beim Fahrwerk bieten wir einen Stand der Technik an, der nicht viel Modularität erfordert. Es ist ein bisschen „One size fits all“ – unser Fahrwerk erfüllt alle gängigen Mover-Anforderungen. Daher haben wir hier bewusst Varianten reduziert, um die Kosten gering zu halten. Der Mover-Markt ist nicht so groß wie der Pkw-Markt. Und je kleiner die Stückzahlen sind, desto besser muss das Varianten-Management sein.
Über welche Fahrzeuglängen und Batteriegrößen sprechen wir da?
Heutige Mover haben zwischen 40 und 60 Kilowattstunden. Wir sind in der Lage, hier deutlich mehr anzubieten, wollen aber auch kein Wettrennen starten. Es ergibt keinen Sinn, Mover mit 150 oder 200 kWh auszustatten. Man muss den Mix zwischen Nutzungsprofil und der Batterieleistung finden. Wir sind heute in der Lage, bis zu 100 kWh abzubilden. Mehr macht meiner Meinung nach nicht zwingend Sinn.
Mit 15 bis 22 Personen ist Ihr Mover aber auch größer als bekannte Modelle, die meist um die zehn Personen Platz bieten.
Genau, das ist eine Anforderung des Marktes. Mit den heutigen acht bis zwölf Fahrgästen ist es noch nicht wirtschaftlich. In der Klasse von 15 bis 22 Fahrgästen kann es kommerziell sinnvoll sein. Das heißt nicht, dass es in anderen Anwendungen kleinere Mover nicht geben wird.
Und das Fahrzeug ist dann grob zwischen sechs und acht Metern lang?
Es hängt vom Einsatzzweck ab, aber mit der Größe liegen Sie ganz gut. Es wird unter zehn Metern Länge bleiben. Limitierend ist am Ende auch das Zulassungsgewicht, hier sollte man unter 3,5 Tonnen bleiben.
Den Markt für People Mover hatten Sie schon kurz umrissen. Aber wo geht es bei Cargo Movern hin? Dass ein 3,5-Tonner zwei Pizzen ausliefert, ist nicht sinnvoll.
Gute Frage. Der Markt für Cargo Mover ist noch jünger und noch weniger entwickelt als für People Mover. Aber er bietet auch das größere Potenzial. Das sehen wir auch täglich selbst, wie viele Güter auf der Straße unterwegs sind. Dort zu optimieren, ist mehr als sinnvoll. Es gibt für mich noch keinen klaren Trend, ob sich der kleine Mini-Transporter für zwei Pizzen oder das größere Fahrzeug mit einem halben Container Kapazität zuerst durchsetzen wird. Im Zweifel würde ich sagen, lieber etwas mehr Kapazität. Was will man ersetzen? Da reden wir über die Sprinter-Größe im Zustellverkehr. Die Last-Mile-Delivery verursacht nicht nur viel Verkehr, sondern auch – wenn nicht elektrisch – viel CO2 in den Innenstädten.
Sie haben angekündigt, auf Wunsch nicht nur die Plattform zu liefern, sondern auch mit Partnern ganze Shuttles für Kunden zu bauen. Was ist die Überlegung dahinter?
Wir erschließen uns damit einen ganz neuen Markt. Wir wollen kein OEM werden. Aber bei den Movern reden wir über ganz andere Kunden. Wir sehen auch im Logistik-Bereich, dass viele Kunden ihr eigenes Fahrzeug wollen. Der Logistiker fragt nicht mehr, welcher Hersteller welches Modell im Angebot hat und wählt daraus aus. Er sucht sich einen Partner und baut sein eigenes Elektroauto bzw. lässt es bauen. Das war vor Jahren noch undenkbar, kann aber auch bei den Movern so kommen. Hier hilft uns unsere langjährige Erfahrung in der Entwicklung und Fertigung von Fahrwerksmodulen, Plattformen und großen Strukturkomponenten.
Wäre es dann für Sie eher attraktiv, einen solchen Großauftrag anzunehmen?
Das ist eine Frage der Modularität. Der Sinn der Plattform ist im Wesentlichen, kleinere Mengen bauen zu können. Ich kann bei der Elektromobilität auf die Antriebsplattform relativ einfach unterschiedliche „Hüte“ aufsetzen, bei der selbsttragenden Karosserie eines Pkw geht das nicht so leicht. Ob es auf eine Losgröße kleiner zehn gehen wird, weiß ich noch nicht. Tendenziell ja. Aber es muss sich rechnen.
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