EU-Direktive: Elektrische Linienbusse auf der Überholspur
Ab August müssen 45 Prozent der neuen Linienbusse im ÖPNV „clean“ sein. Über die Umsetzung dieser EU-Vorgabe verhandeln zurzeit Bund und Länder. Eines steht schon fest: Im Stadtbus feiert der Elektroantrieb seinen großen Durchbruch.
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Vom Kriechgang auf die Überholspur: Linienbusse im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) haben – oder besser: hatten – einen Dieselmotor zu haben. Gerne von den heimischen Marken MAN oder Mercedes. Zwar haben etliche Pilotprojekte mit allen denkbaren Antriebs- und Ladelösungen den Wissensstand der Verkehrsbetriebe und der Hersteller erheblich verbessert. Eine wirkliche Änderung aber gibt es erst im Spätsommer: Ab 2. August gilt die Clean Vehicles Directive (CVD) der Europäischen Kommission. 45 Prozent aller ab diesem Datum neu angeschafften Linienbusse müssen „sauber“ sein. Das ist eine elementare Änderung.
Nach Angaben des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) sind zurzeit etwa 500 Batterie-elektrische Busse, 1.500 Hybride und 400 Brennstoffzellen-Busse unterwegs. Eine Karte des VDV zeigt die Verteilung und welche Systeme wo getestet werden. Die Zusammenarbeit aus Verkehrsbetrieben und Industrie ist eng und bewährt; ein Prozedere, das im so genannten Sondermaschinenbau üblich ist.
Emissionsfrei oder auf dem Weg dahin
Was aber bedeutet „clean“? Die 45-Prozentquote besteht zur einen Hälfte aus emissionsfreien Fahrzeugen – also Batterie- und Brennstoffzellen-elektrischen sowie Oberleitungsbussen – und zur anderen Hälfte aus Bussen, die als sauber klassifiziert sind, obwohl sie einen Verbrennungsmotor haben. Hierunter fallen zum Beispiel Plug-in-Hybride, Erdgas-Busse oder jene, die mit „Bio“- oder synthetischen Kraftstoffen fahren. Diese EU-Direktive gilt bis zum 31. Dezember 2025. Danach und bis Ende 2030 erhöht sich die Quote auf 65 Prozent.
Der ÖPNV, im schienengebundenen Verkehr ohnehin längst auf Strom, wird also per Vorgabe elektrifiziert. Bis zu diesem Punkt ist alles klar. Bei der Umsetzung aber gibt es einen Konflikt – und der dreht sich wie so oft ums Geld.
Staatlich finanziert
Die Welt des öffentlichen Nahverkehrs ist weitgehend eine staatswirtschaftliche, auch wenn die jeweiligen Unternehmen auf dem Papier zum Beispiel als GmbH oder AG firmieren. Der ÖPNV gehört im weiteren Sinn zur Daseinsvorsorge. Eine Großstadt ist ohne ÖPNV nicht funktionsfähig. Gewinne werden nicht erzielt, und den Rest gleicht der Steuerzahler oder der kommunale Querverbund aus. Eine europäische Standardisierung bei den Fahrzeugen selbst ist ebenfalls vorhanden; am bekanntesten sind die beiden Buslängen von 12 Metern sowie 18 Metern mit Gelenk.
In mehreren Hintergrundgesprächen wurde electrive.net ein Preis von etwa 250.000 Euro netto für einen 12-Meter-Bus mit Dieselmotor genannt. Die besten Aussichten haben mittelfristig ähnlich wie im Pkw-Sektor Batterie-elektrische Busse, die ungefähr das Doppelte kosten. Die Rahmendaten: 300 bis 400 Kilowattstunden (kWh) Kapazität, 200 bis 250 Kilometer Reichweite.
Wie teuer dürfen Batterie-elektrische Busse sein?
In der Pkw-Branche werden Kosten von höchstens 150 Euro pro kWh berichtet. Auch wenn man davon ausgeht, dass angesichts der geringen Stückzahlen bei Linienbussen kaum Skaleneffekte auf Systemebene erzielbar sind, so sind die Zellen meistens mit denen in Elektroautos identisch. Anders gesagt: Es entsteht der Verdacht, dass hier gutes Geld verdient wird.
Das Bundeskabinett hat inzwischen einen Entwurf des Bundesverkehrsministeriums (BMVI) zur Anschaffung von Linienbussen beschlossen. Und der setzt im Wesentlichen die Vorgabe der Clean Vehicles Directive aus Brüssel um. Aus Marktperspektive entsteht dadurch ein Rollentausch: Während im Pkw-Bereich die Hersteller durch die CO2-Flottenvorgaben gezwungen sind, attraktive Elektroautos zu bauen, ist bei den Linienbussen der Kunde in Gestalt der Verkehrsunternehmen in der Pflicht.
„Keine Differenzierung der Anwendungsfälle“
Martin Schmitz, Geschäftsführer Technik beim VDV, kritisiert die aktuelle Ausgestaltung der gesetzlichen Vorgabe: „Es gibt keine Differenzierung der Anwendungsfälle. Kleine Verkehrsbetriebe im ländlichen Raum werden genauso behandelt wie sehr große urbane.“
Oder anders gesagt: Für klamme Kommunen in einem Flächenland sind die Zusatzkosten für elektrische Linienbusse, die dafür notwendige Ladeinfrastruktur sowie das Wartungspersonal einfach zu hoch. Gleichzeitig gibt es eine Bereitschaft der Verkehrsbetriebe in den Metropolen, die Pflichtquote zu übertreffen. In Berlin oder München ist der schnelle Austausch von Dieselbussen durch solche ohne Verbrennungsmotor ohnehin sinnvoller, weil die akute Luftbelastung höher ist als auf dem Land.
Der Kabinettsbeschluss der Bundesregierung war zustimmungspflichtig, und der Bundesrat hat kein Veto eingelegt. Wie ein Ausgleich konkret aussehen könnte, ist dagegen unklar und wird im Hintergrund weiterhin verhandelt: Im Pkw-Bereich ist das Pooling bei den CO2-Flottenemissionen möglich. Hersteller, die zu wenig Elektroautos verkaufen, können anderen ihre Credits abkaufen. Ein identischer Mechanismus aber ist bei den Linienbussen kaum vorstellbar: Woher sollten Kommunen, die sich die Anschaffung nicht leisten können, plötzlich das Geld für einen Quotenausgleich hernehmen?
Ausgleichszahlung durch Steuergeld
Wahrscheinlich wird dieser Konflikt durch Steuergeld gelöst. Das BMVI bereitet derzeit eine Förderung in Höhe von 1,75 Milliarden Euro vor, die noch bei der Europäischen Kommission notifiziert werden muss.
„Ich sehe die Gefahr, dass die Verkaufspreise von elektrischen Linienbussen vorerst nicht sinken“, erklärt dazu nochmals Martin Schmitz vom VDV. Gleichzeitig aber berichtet er von einer grundsätzlich großen Bereitschaft der Verkehrsbetriebe, auf elektrische Linienbusse umzusteigen: „Wir werden Vorreiter beim Umwelt- und Klimaschutz sein.“
Die Erfahrungen mit den Produkten jedenfalls sind gut. Positiv sei, so Schmitz, dass die Verfügbarkeit inzwischen auf 90 bis 92 Prozent gestiegen ist. Dieser Begriff bezeichnet in der Sprache der Verkehrsbetriebe die Zuverlässigkeit. In der Frühphase der Pilotprojekte gab es offenbar Probleme etwa mit dem Lademanagement oder der Heizung der E-Busse, die inzwischen weitgehend behoben sind. Zum Vergleich: Dieselbusse liegen bei 95 Prozent.
15 Prozent mehr Busse notwendig
Allerdings müssten bei einem kompletten Umstieg auf Batterie-elektrische Busse rund 15 Prozent zusätzliche Fahrzeuge angeschafft werden, um den Betrieb zu bewältigen. Und anders als im Pkw-Sektor, wo Brennstoffzellen-Fahrzeuge lediglich für den Fall des Verbots von Verbrennungsmotoren eine Nische besetzen könnten, gibt es etliche Anwendungsfälle für Brennstoffzellen-Busse. Diese werden zurzeit von Van Hool aus Belgien, Caetano Toyota aus Portugal sowie Solaris aus Polen geliefert.
So entsteht einmal mehr der unglückliche Eindruck, dass die deutschen Unternehmen MAN und Mercedes zwar viele wunderbare Prototypen gezeigt und gebaut haben, mit der Serienproduktion von elektrischen Linienbussen aller Art aber bis zum gesetzlichen Zwang warten. Die gute Nachricht ist, dass die Clean Vehicles Directive eine positive Entwicklung voranbringt. Dass für die Umsetzung viel Fördergeld erforderlich ist, liegt in der Natur des ÖPNV. Allerdings wird es lange dauern, bis die Fußgänger und Fahrradfahrer am Straßenrand keine Dieselabgase mehr atmen müssen: Zehn bis zwölf Jahre muss ein Linienbus halten, bevor er verschrottet oder exportiert wird.
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