Hyundai Ioniq 5: Hervorragender Antrieb, Abzüge in der B-Note
Dass der Ioniq 5 auf dem Papier ein sehr wettbewerbsfähiges Elektroauto ist, war seit seiner Vorstellung im Februar klar. Bei einer ersten Ausfahrt kann das E-GMP-Modell mit seinem Antrieb überzeugen – zeigt aber an anderen Stellen auch Schwächen.
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225 kW, 605 Nm, 460 Kilometer WLTP-Reichweite, 1,6 Tonnen Anhängelast und Schnellladen mit über 200 kW. Die technischen Daten des Top-Modells des Hyundai Ioniq 5 können sich sehen lassen. So schnell – genau genommen in 18 Minuten von zehn auf 80 Prozent – lädt in der Preisklasse unter 50.000 Euro derzeit kein anderes Elektroauto. Mit 48.900 Euro vor Förderung bleibt der Allrad-Hyundai mit großem Akku unter dieser Marke – das Basismodell mit Heckantrieb (125 kW) und kleiner Batterie (58 kWh für 384 WLTP-Kilometer) gibt es für 7.000 Euro weniger.
Doch die Papierform sagt nicht alles aus. Für Vielfahrer sind Werte wie die Reichweite und Ladeleistung natürlich sehr wichtig, im Alltag oder Familieneinsatz zählen aber auch andere Faktoren. Hier konnten wir bei einer ersten Ausfahrt über 200 Kilometer einige Eindrücke sammeln.
Bei der ersten Begegnung wirkt das Auto so kompakt wie auf den Bildern. Erst in der Seitenansicht wird klar, dass es sich um ein stattliches Auto mit 4,64 Metern Länge handelt – aus anderen Blickwinkeln könnte der Ioniq 5 teilweise auch als Kompaktmodell durchgehen. Gerade die extrem flach stehende Heckscheibe weckt eher Assoziationen zu einem Klein- oder Kompaktwagen und nicht zu einem großen Familien-SUV. Am Ende ist der Ioniq 5 – laut Hyundai übrigens durchgängig englisch ausgesprochen – dennoch 1,89 Meter breit (2,12 Meter inkl. Außenspiegel) und 1,61 Meter hoch.
Mit glatten drei Metern Radstand bewegt sich der erste Stromer auf Basis der E-GMP jedoch auf Oberklasse-Niveau. Das macht sich nicht nur bei der üppigen Beinfreiheit für die Passagiere auf der Rückbank bemerkbar, sondern auch beim Fahren. Über die Autobahn gleitet der Ioniq 5 sehr komfortabel und entspannt, bis Tempo 120 bleibt es auch angenehm ruhig im Innenraum – mehr ließ das Tempolimit nicht zu. Die Kehrseite: Mit knapp zwölf Metern liegt der Wendekreis eher im klassenüblichen Mittelfeld.
Zu dem entspannten Fahrerlebnis trägt auch der „Highway Driving Assist 2“ bei, der bereits beim Basismodell für 41.900 Euro zum Serienumfang gehört. Das System kombiniert nicht nur einen sehr feinfühlig arbeitenden Spurhalte-Assistenten und einen Abstands-Tempomaten, sondern passt auf Wunsch auch die Geschwindigkeit an das derzeitige Tempolimit an. Auch automatische Überholvorgänge auf der Autobahn sind möglich. Direkte Vergleiche mit den Systemen anderer Hersteller sind bei solchen Testfahrten kaum möglich, hierzu wäre ein direkter Vergleich in der jeweiligen Verkehrssituation nötig. Der erste Eindruck passt aber, das System hat bei unserer Testfahrt nicht nur zuverlässig, sondern auch fehlerfrei gearbeitet – wie gesagt auf 200 Kilometern, ein ausführlicherer Test wird folgen.
Bei diesem Test werden wir dann auch detailliertere Verbrauchsdaten erheben. Die Tendenz nach der ersten Ausfahrt: In der Stadt lag der Verbrauch des Top-Modells zwischen 15 und 16 kWh/100km, auf der Autobahn (wie erwähnt max. 120 km/h) zwischen 20 und 22 kWh/100km. Im Schnitt zeigte der Bordcomputer nach 202,7 Kilometer durch und um Valencia 17,2 kWh/100km an. Zum Vergleich: Mit den an unserem Testwagen montierten 20-Zoll-Felgen liegt der WLTP-Verbrauch bei 19,0 kWh/100km, mit den Serien-19-Zöllern sind es 17,7 kWh/100km. Die beiden Heckantriebs-Modelle kommen auf rund eine Kilowattstunde weniger. Das sind nicht mehr die Verbrauchs-Rekorde eines Kona oder Ioniq Elektro, dafür ist der Ioniq 5 auch anderthalb Klassen darüber angesiedelt und bietet im Top-Modell nach der alten Währung mehr als 300 PS. Der Verbrauch kann sich also sehen lassen!
Dass wir den WLTP-Verbrauch unterbieten konnten, lag sicher an der flachen Topographie rund um Valencia und den Temperaturen, die zwischen 26 und 30 Grad lagen. Aber auch die Rekuperation hat dazu beigetragen: Über die Schaltpaddels am Lenkrad kann der Fahrer zwischen vier Stufen wählen oder auch das „i-Pedal“, also das One-Pedal-Driving, aktivieren. So kann der Fahrer das Rekuperations-Verhalten nicht nur an seine eigenen Vorlieben, sondern auch an die Fahrsituation anpassen – oder auch das dem Highway-Tempomaten überlassen.
Bei der Reichweite bedeutet der Norm-Verbrauch für das Top-Modell 460 Kilometer mit den 19-Zöllern und 430 Kilometer mit den 20-Zöllern im Diamant-Design. Bei einem Ladestand (SoC) von 98 Prozent zeigte der Bordcomputer 413 Kilometer an. Die erwähnten 202,7 Kilometer später ist die Reichweitenanzeige um 199 Kilometer auf 214 Kilometer gesunken – also eine recht akkurate Reichweiten-Schätzung. Der Ladestand sank auf 52 Prozent, womit wir für diese Strecke 46 Prozent Akku verbraucht haben – bei ungefähr 50 Prozent Autobahn-Anteil. 400 Kilometer Reichweite sollten damit drin sein. Übrigens: Gemäß der aktuellen WLTP-Homologation kommt das reichweitenstärkste Modell des Ioniq 5 mit großem Akku (72,6 kWh) und 170-kW-Heckantrieb auf 481 Kilometer.
124 kW Ladeleistung bei 82 Prozent SoC
Heißt aber auch: Mit diesen Reichweiten sind wir nicht in die Nähe eines Ladevorgangs gekommen. Eine kurze Probe-Ladung eines Kollegen hat jedoch gezeigt, dass selbst bei einem hohen SoC von 82 Prozent innerhalb kürzester Zeit 124 kW Ladeleistung anlagen. Bei den MEB-Modellen mit 77-kWh-Akku – also etwa die Konkurrenzmodelle VW ID.4, Skoda Enyaq oder Audi Q4 e-tron – ist das derzeit die Spitzenleistung, der Ioniq 5 erreicht hier laut Hersteller 220 kW. Dem eigens entwickelten 800-Volt-System sei Dank! Im Wettbewerbsumfeld bietet das nur das Schwestermodell Kia EV6, das aber noch nicht ausgeliefert wird.
An einem 50-kW-Lader ist der große Akku laut Hersteller-Angaben in 57 Minuten von zehn auf 80 Prozent geladen, beim kleinen Akku dauert es 44 Minuten. An einer 11-kW-AC-Station liegt die Ladezeit von zehn auf 100 Prozent bei 4:59 Stunden bzw. 6:09 Stunden – mit einer entsprechenden Wallbox ist der Akku also über Nacht wieder voll.
Neben der hohen Ladeleistung glänzt das Top-Modell auf dem Papier natürlich auch mit den besten Fahrwerten, in 5,2 Sekunden beschleunigt er aus dem Stand auf 100 km/h, in 3,8 Sekunden von 80 auf 120. Das Basismodell ist hier mit 8,5 bzw. 6,3 Sekunden deutlich langsamer. Wir haben die Zeiten nicht selbst nachgemessen, je nach gewähltem Fahrmodi scheinen sie aber plausibel: Vor allem im Sport-Modus setzt der Allradler die Vorgaben des Fahrpedals sehr zackig um und spricht direkt an, im Eco-Modus fällt alles eine Nummer sanfter und sparsamer aus. Auch das Basismodell wird elektro-typisch direkt auf das Fahrpedal reagieren, wenn auch mit weniger Vehemenz – ist dafür 7.000 Euro günstiger, die man sich entweder sparen oder in eines der drei Ausstattungspakete investieren kann.
Anhängelast hängt von der Batterie ab
In der Praxis dürfte diese Entscheidung für einige Kunden aber nicht ganz so simpel sein – Stichwort Anhängerkupplung. Die beiden Versionen mit kleiner Batterie können maximal 750 Kilo ziehen, bei den beiden 72,6-kWh-Modellen dürfen es unabhängig von der Motoren-Anzahl 1.600 Kilo gebremst sein – der bisher beste Wert in dieser Preisklasse, wenn man das Heckantriebs-Modell mit 45.100 Euro vor Umweltbonus zugrunde legt. Die Stützlast liegt bei jeweils 100 Kilogramm.
Auch wenn im Alltag die kleine Batterie reichen würde, muss es für Anhängelasten über 750 Kilo der große Akku sein – selbst wenn die Strecke womöglich nur vom nächstgelegenen Baumarkt nach Hause gewesen wäre. Mit 1,6 Tonnen am Haken in der reichweitenschwächsten Version (360 WLTP-Kilometer bei kleiner Batterie und 173-kW-Allrad) wäre der Ladestand auf der Autobahn wohl nur so dahin geschmolzen.
Übrigens: Hyundai erwartet für Deutschland aufgrund der Marktforschung und der ersten 5.400 bestellten Einheiten, dass sich 53 Prozent der Kunden für eine der Allrad-Versionen und 47 Prozent für den Heckantrieb entscheiden. Bei der Batterie geht es 60:40 zugunsten des größeren Stromspeichers aus. Gefragtestes Ausstattungspaket mit 48 Prozent ist „Techniq“, für „Dynamiq“ entscheiden sich 32 Prozent der Kunden, für die Top-Version „Uniq“ 15 Prozent – nur fünf Prozent belassen es bei der Serien-Ausstattung.
Egal für welche Version man sich entscheidet, gibt es ab Werk eine im Verhältnis 60:40 umklappbare und verschiebbare Rückbank. Minimal fasst der Kofferraum 527 Liter, was aber um die bis zu 14 Zentimeter verschiebbare Rückbank deutlich erweitert werden kann. Dann ist die Beinfreiheit für die Passagiere hinten nicht mehr üppig, aber immer noch ausreichend. Werden die Rücksitzlehnen umgeklappt, passen bis zu 1.587 Liter in den Ioniq 5.
Flache Heckscheibe kostet Nutzbarkeit
Der Haken: Der Kofferraum ist nicht sehr flexibel nutzbar. Zum einen begrenzt die eingangs erwähnte flache Heckscheibe im 45-Grad-Winkel die Höhe im hinteren Bereich stark. Getränkekisten dürften zwar auf der gesamten Kofferraum-Fläche abgestellt werden können, bei der Höhe einer Umzugskiste dürfte das schon anders aussehen. Auch bei einer Hundebox im Kofferraum kann aus demselben Grund nicht die gesamte Fläche genutzt werden.
Auch das dachhohe Beladen – egal ob mit aufgestellten oder umgeklappten Rücksitzlehnen – ist nicht so einfach möglich, da es keine Vorrichtung für ein Trennnetz gibt. Im Kofferraum sind vier Verzurrösen angebracht, ansonsten wird es bei der Ladungssicherung schwierig. Bleibt nur der Griff zu einem Trenngitter aus dem Zubehör-Handel – was aber deutlich unflexibler ist als ein ausziehbares Trennnetz im Stile der Gepäckraumabdeckung. Dazu kommt: Mit einer Zuladung von 365 bis 445 Kilo (große Batterie) bzw. 385 bis 465 Kilo (kleine Batterie) gehört der Ioniq 5 je nach Ausstattung nicht gerade zu den Zuladungs-Meistern.
Einige Kunden wird das nicht stören, wenn der Ioniq 5 ohnehin als Langstrecken-Dienstwagen genutzt wird. Die vierköpfige Familie, der wegen der eigenen Wallbox zuhause Werte wie die DC-Ladeleistung egal sein könnte, muss bei der Urlaubsfahrt (möglich sind auch bis zu 80 Kilo Dachlast) auf die Zuladung achten. Der Frunk unter der vorderen Haube taugt nicht für Gepäck, sondern nur für die Ladekabel und den optionalen V2L-Adapter, um über den Ladeport Geräte mit Strom versorgen zu können. Bei den RWD-Modellen fasst der Frunk 57 Liter, bei den Allradlern 24 Liter – hier bauen der vordere Elektromotor und die darüber positionierte Leistungselektronik recht hoch, weshalb der Frunk flacher ausfällt.
Navi ohne Ladestopp-Planung
Sowohl für Vielfahrer als auch für Neulinge in der Elektromobilität wäre noch eine andere Funktion hilfreich: eine Echtzeit-Routenplanung mit Ladestopps. Die Bedienung der gesamten Infotainment-Einheit mit der Kombination aus wenigen Schnellwahltasten und dem 12,25 Zoll großen Touchscreen ist relativ schnell zu lernen. Aber dass ein so langstreckentaugliches Auto wie der Ioniq 5 nicht die Route dynamisch planen kann, ist ein großer Kritikpunkt. Für Vielfahrer erhöht sich der Komfort, Einsteigern wird die Reichweitenangst genommen. Wenn ein nahezu voll geladenes Auto aber zuerst zu einer 1,3 Kilometer entfernten Ladestation fahren will, weil das 550 Kilometer entfernte Ziel außerhalb der Reichweite liegt, trägt das nicht gerade dazu bei, Hemmnisse abzubauen – eine Aussage über einen 14-minütigen Ladestopp in 300 Kilometern wäre da hilfreicher.
Bei der Software kann Hyundai aber natürlich noch nachlegen, abgesehen von der Nutzbarkeit des Kofferraums sehen wir nach der ersten Ausfahrt bei der Hardware wenig unmittelbaren Handlungsbedarf. Das Design innen wie außen ist Geschmacksache, Platzangebot, Verarbeitung und Qualität sind dem Preis aber auf jeden Fall angemessen.
Deutschland-Chef Jürgen Keller will in diesem Jahr insgesamt 8.000 Ioniq 5 verkaufen – die 5.400 bereits bestellten Fahrzeuge sind da eingerechnet. Zu den extrem langen Lieferfristen, die es beim Ioniq Elektro und dem Kona Elektro zwischenzeitlich gab, sollen sich laut Keller nicht wiederholen. „Wir haben die Vorbereitungszeit genutzt: Wer heute bestellt, sollte sein Fahrzeug in vier bis fünf Monaten erhalten – schließlich ist das Auto über einen Monat auf dem Transportschiff unterwegs“, so Keller. „Wer auf eine individuelle Konfiguration verzichten kann, erhält Bestandsfahrzeuge im Handel natürlich deutlich schneller.“
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