VW-Strategie 2030: Software, Batterien und digitale Dienste
Volkswagen hat seine Strategie für 2030 namens „New Auto“ vorgestellt. Kern dieser Strategie ist der Wandel zur Elektromobilität und das schrittweise Auslaufen des Verbrennungsmotors – sie geht aber weit über die lange dominierende Hardware hinaus.
Dass die Zukunft von Volkswagen elektrisch ist, daran gibt es bereits länger keine Zweifel mehr. Spätestens mit dem Launch der MEB-Plattform und dem „Power Day“ im März war klar, wohin CEO Herbert Diess den Wolfsburger Konzern steuert. VW, künftig einer der größten Batterienutzer weltweit, definierte da sein eigenes Zellformat – die Einheitszelle.
Bei der Präsentation der „New Auto“-Strategie für 2030 gaben Konzernchef Diess und sein Spitzenmanagement nun Einblicke, wie dieser Wandel des Konzerns – es ist immer wieder von „Neuerfindung“ die Rede – ablaufen soll. „New Auto“ heißt die Strategie übrigens deshalb, „weil das Automobil bleibt“, wie es Diess ausdrückt: „Der Individualverkehr wird bis 2030 das wichtigste Transportmittel bleiben.“
Während viele Branchenexperten – zwischenzeitlich auch Diess selbst – vorhergesagt hatten, dass gerade der Einstieg in die Individualmobilität teurer werden wird, hat der VW-Chef seine Haltung anhand der sich abzeichnenden Entwicklung geändert. „Der Preis für die Mobilität fällt unter das Niveau von heute“, sagt Diess bei der Strategiepräsentation. „Gleichzeitig werden sich die Branchenumsätze verdoppeln.“
Wie das gehen soll? Mit Software, Batterien und digitalen Diensten. Die beim „Power Day“ angekündigte Batteriezellproduktion soll dazu beitragen, dass sich die Wertschöpfung des Konzerns bei der Elektromobilität erhöht. Zu den sechs europäischen Gigafactories, welche die Einheits-Batteriezellen für den Eigenbedarf produzieren sollen, gab VW bei der Strategie-Präsentation ein Update. Gigafactory 1 wird bekanntlich von Partner Northvolt im schwedischen Skellefteå betrieben.
Chinesischer Zellhersteller wird Partner für Salzgitter
Während schon beim „Power Day“ bekannt wurde, dass Northvolt nicht mehr an der Fabrik 2 in Salzgitter beteiligt ist, wird VW dieses Werk entgegen der Ankündigung vom März nicht alleine betreiben. Für Salzgitter haben die Wolfsburger in dieser Woche den chinesischen Partner Gotion High-Tech an Bord geholt. Ab 2025 sollen in Salzgitter Einheitszellen für das Volumensegment gebaut werden – also Kathoden mit hohem Mangan-Anteil. Northvolt wird in Schweden Premium-Zellen bauen, deren Kathoden einen hohen Nickel-Anteil aufweisen.
Zur dritten Fabrik, bisher geplant für Südeuropa, gibt es den neuen Stand, dass sie definitiv in Spanien entstehen wird. VW hatte sich gemeinsam mit Seat bereits dafür stark gemacht, da auch im Seat-Werk Martorell größere Volumina an Elektroautos gebaut werden sollen. Hier will der Konzern aber Anteile an der angekündigten spanischen PERTE-Förderung. Offiziell heißt es, Volkswagen prüfe gemeinsam mit einem strategischen Partner die Option für den Aufbau einer Giga-Fabrik. Auch die Fertigung der sogenannten Small BEV Family in Spanien hängt noch „von den allgemeinen Rahmenbedingungen und der staatlichen Förderung“ ab.
Punkt 2 für den Branchenwandel ist laut VW die Software. „In einer Welt des ‚New Auto‘ wird die Markendifferenzierung viel mehr aus der Software und den Diensten kommen“, sagt Diess. Das heißt aber auch: Kosten und Komplexität bei der Hardware sollen mittel- und langfristig sinken.
Kurzfristig wird es aber wohl etwas teurer, denn bei dem Strategietag kündigte VW auch das De-Facto-Ende der beiden Elektro-Plattformen MEB und PPE an – noch bevor mit dem elektrischen Porsche Macan überhaupt das erste PPE-Modell auf den Markt kommt. VW entwickelt an einer einzigen Konzernplattform, der Scalable Systems Plattform oder kurz SSP. 2026 soll das erste Fahrzeug auf der SSP basieren, ab dann sollen „alle wichtigen Zukunftsmodelle“ auf dieser Plattform aufbauen – von 85 bis 850 kW Leistung bei allen Modellen und Marken, wie es Diess ausdrückt. Wie der MEB in der Kooperation mit Ford soll auch die SSP für andere Autobauer geöffnet werden. Wie lange VW im Übergang MEB und PPE weiter betreiben will, gab der Konzern nicht an.
SSP: Eine Plattform für alle VW-Elektroautos vom Kleinwagen bis zum Premium-SUV
Eckdaten zu der SSP nannte VW nur wenige. Wie Audi-Chef Markus Duesmann, der auch die Konzernforschung leitet, angab, soll bei der Mechatronik-Plattform ein „800 Volt Flex“-System Standard werden. Und bereits bis 2030 soll die SSP mehr Volumen erreichen als MEB und PPE zusammen – über die nicht genauer genannte Lebensdauer der Plattform sollen 40 Millionen Fahrzeuge gebaut werden. „Das zeigt, dass die Skaleneffekte, die wir erwarten, enorm sein werden“, so Duesmann.
Möglich werden soll das durch ein modulares Konzept. „ Wir brauchen eine drastische Reduktion der Varianten“, sagt Duesmann. „Deshalb besteht SSP aus standardisierten Modulen, die innerhalb gewisser Vorgaben miteinander kombiniert werden können.“ Als Beispiel nennt der Audi-Chef die Zahl der Batterie-Systeme, die auf acht Systeme konzernweit reduziert werden könne – von heute 22 Systemen.
Über die Kombination der Module und vorgegebene Plattform-Größen soll die Komplexität um 50 Prozent sinken. Dennoch sollen Sonderfahrzeuge möglich sein – innerhalb der von Duesmann angedeuteten Grenzen für die Kombination der Module, um die Komplexität und Kosten nicht wieder zu erhöhen. Ein Einstiegsmodell von Porsche könnte zum Sportmodell von VW werden – und dennoch würden sich die Fahrzeuge unterscheiden können. „Wir werden diese Komplexität nicht mehr in der Entwicklungsarbeit abdecken müssen, können aber dennoch vor Kunde die Vielfalt bieten“, so Duesmann. Die Entwicklungsarbeit soll vor allem in Wolfsburg stattfinden, wo Volkswagen 800 Millionen Euro in ein neues Entwicklungszentrum investiert.
Ab 2025 geraten die Verbrenner-Margen unter Druck
Die Komplexität ist auch das Stichwort für die Verbrenner-Modelle. Konzernchef Diess erwartet, dass der Markt für Verbrenner in den kommenden Jahren um 20 bis 30 Prozent sinken wird. Welche Folgen das für den Konzern hat, führte Finanzvorstand Arno Antlitz aus. „Wir wollen die Verbrenner konkurrenzfähig halten und stabile Cashflows generieren“, so Antlitz.
Sein Szenario: Ab 2025 werden die Margen bei den Verbrennern unter Druck geraten, da bereits in zwei bis drei Jahren die Elektroautos bei der Marge zu den Verbrennern aufschließen. Um die sinkenden Verbrenner-Margen abzufedern, wird die Komplexität schrittweise reduziert – weniger Motor-Getriebe-Kombinationen, weniger Modelle. In Europa bis 2030 konkret 60 Prozent weniger Modelle, wie Antlitz ausführt. Parallel werden immer mehr Werke auf die Produktion von Elektroautos umgestellt. „Der MQB für die Verbrenner wird hier ein großer Vorteil sein, da wir mit dem MQB die Skaleneffekte hoch halten können.“
In den kommenden Jahren wird – wohl unter anderem wegen der Entwicklung der SSP und der Software – der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung steigen, so Antlitz. Danach soll der Anteil wieder sinken. Die Ausgaben sollen aber schnell in entsprechenden Umsätzen münden. Wie zuversichtlich der Zahlen-Experte ist, zeigt seine Prognose für 2025: Als Grundlage für die Planungsrunde 70 im kommenden November hat der Konzern die ursprüngliche Spanne für die operative Umsatzrendite von 7-8 Prozent auf nun 8-9 Prozent erhöht.
Software soll für steigende Umsätze sorgen
„Wir erwarten, dass bis 2030 die Umsätze mit E-Autos die der Verbrenner übersteigen werden“, so der Finanzvorstand. „Ab 2025 wird ein weiterer ‚revenue pool‘ hinzukommen, die Software. Bis 2030 wird die Software ähnlich groß sein wie der Umsatzanteil der Elektroautos oder der Verbrenner.“ Mit einem Umsatz von 1,2 Billionen Euro könnte Software bis 2030 zusätzlich zum erwarteten Geschäft mit BEV und ICE rund ein Drittel des gesamten Mobilitätsmarktes ausmachen, schätzt Volkswagen.
Möglich machen soll das Dirk Hilgenberg. Der CEO der konzerneigenen Software-Schmiede Cariad soll mit seiner Mannschaft diesen „revenue pool“ erschließen. „Wir stehen bei der Transformation in der ersten Reihe“, sagt Hilgenberg. „Wir schaffen die Grundlage für eine datengetriebene Mobilität und den Zugang zu diesen profit pools für den Konzern.“
Von der E3 1.1, der Software des MEB, soll mit der PPE ein evolutionärer Wandel zur E3 1.2 erfolgen. „Das wird ein ganz neues Fahrererlebnis“, so Hilgenberg. Kunden von Audi oder Porsche sollen ihre eigenen Daten und Dienste mit ins Auto bringen können. Wie aus einer Folie von Hilgenbergs Präsentation hervorgeht, wird die E3 1.2 auf Android Automotive basieren – also wie das System im Polestar 2.
Die revolutionäre Entwicklung kündigt Hilgenberg aber für 2025 an. Dann soll die E3 2.0 debütieren, in dem Fahrzeug des Artemis-Projekts. „E3 2.0 bietet im Konzern maximale Entwicklungssynergien, gibt den Marken aber die Möglichkeit zur Differenzierung“, sagt Hilgenberg. E3 2.0 unterstützt zudem autonomes Fahren nach Level 3 und ist für Level 4 vorbereitet, so die Ankündigung.
Hilgenbergs Prognose: „Die Software wird den Produkt-Lebenszyklus komplett verändern. Nachgelagert zum Verkauf werden wir das Kundenerlebnis weiter aufwerten können – je nach dem, ob der Kunde das will, dauerhaft oder vorübergehend.“ Sein Beispiel: Der Kunde könne im Nachhinein mehr Reichweite freischalten, für eine Urlaubsfahrt womöglich nur für ein paar Tage oder auch dauerhaft, wenn sich seine Lebensumstände geändert haben. All das soll für Umsätze nach dem Fahrzeugkauf sorgen – und so die Marge je Fahrzeug „deutlich“ erhöhen. Details hierzu nannte Hilgenberg aber nicht.
Level-4-Autonomie soll Mobilitätsdienste ermöglichen
Neben der E3-Software im Fahrzeug, die bereits Umsatzmöglichkeiten bietet, soll auch eine Software-Plattform rund um Mobilitätsdienste aufgebaut werden. Damit sollen Mobility-as-a-Service und im kommerziellen Bereich Transport-as-a-Service so einfach angeboten und genutzt werden können wie eine App – möglich macht das auch die Level-4-Fähigkeit der E3 2.0. Zusammen mit den Diensten aus der Fahrzeug-Software ergibt sich so Punkt 3: die digitalen Dienste.
Um die von Hilgenberg angepeilten 40 Millionen BEV mit E3-2.0-Software bis 2030 zu verkaufen, muss der Konzern eine andere Herausforderung angehen: das Laden der Elektroautos. Dazu will Volkswagen die öffentliche Ladeinfrastruktur in Asien, Europa und Amerika weiter ausbauen – teilweise über die beim „Power Day“ angekündigten Ziele hinaus.
Electrify America soll seine derzeitige Ladeinfrastruktur in den USA und Kanada auf insgesamt 1.800 Schnellladestationen und 10.000 installierte Ladepunkte bis 2025 nahezu verdoppeln, wie VW-Managerin Elke Temme ankündigte. Der geplante Ausbau wird zu einem erweiterten Einsatz von 150- und 350-Kilowatt Ladesäulen führen.
In Europa hat Volkswagen zudem ein neues Joint Venture mit Enel X beschlossen, um in Italien landesweit ein HPC-Netzwerk mit mehr als 3.000 Ladepunkten mit jeweils bis zu 350 Kilowatt aufzubauen. Insgesamt will der Volkswagen-Konzern 18.000 HPC-Ladepunkte in Europa, 17.000 in China und 10.000 in den USA und Kanada aufbauen.
„Das Automobil, die individuelle Mobilität hat eine glänzende Zukunft“, sagt Diess mit Überzeugung. „Mit seinen innovativen Marken und State-of-the-Art-Technik-Plattformen bereitet sich Volkswagen darauf vor, in der neuen Mobilitätswelt eine führende Rolle zu spielen.“
Quelle: Livestream der Veranstaltung, volkswagen-newsroom.com (Strategie), volkswagen-newsroom.com (Gotion High-Tech), volkswagen-newsroom.com (Kooperation Enel X), electrifyamerica.com
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