BMW i4 im Fahrbericht: Elektro-Sportler mit Manieren
Parallel zum Flaggschiff-SUV iX bringt BMW im November den i4 auf den Markt. Die E-Limousine von der Größe eines 3er BMW soll den Kern der BMW-Modellpalette elektrifizieren. Ob das gelingen kann, zeigt der i4 auf einer ersten Ausfahrt.
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Die Markteinführung und die Kommunikation (wie etwa bei der Verkündung der Preise Anfang Juni) mag beim iX und i4 gemeinsam ablaufen, dennoch verfolgen beide Modelle einen jeweils unterschiedlichen Zweck: Das große E-SUV soll als reines Elektromodell auf einer eigenen Plattform zeigen, wozu die aktuelle BMW-Technologie in Sachen Elektromobilität, Fahrassistenten und Vernetzung imstande ist. Der i4 hingegen soll diese Technologie-Bausteine nutzen, um all die Funktionalität in die Mitte der Modellpalette zu bringen: eine sportliche Mittelklasse-Limousine, wie sie seit Jahrzehnten den Markenkern der Münchner definiert. SUV-Boom hin oder her.
Das mit der „Mitte der Modellpalette“ ist bei diesem Fahrbericht aber nicht zu eng zu sehen: BMW hat zwar auch für das erste Kennenlernen sowohl den iX als auch den i4 zu einer Veranstaltung für die Medien zusammengefasst, allerdings stand dort nur das Top-Modell i4 M50 für Testfahrten bereit. Mit einer Leistung von 400 kW erfüllt diese Variante zwar das Credo der sportlichen Limousine, sprengt aber mit Basispreisen von 69.900 Euro vor Förderung ein wenig den Rahmen der Mittelklasse – mit etwas Ausstattung sind auch Preise jenseits der 90.000 Euro möglich.
Auf der anderen Seite ist der i4 M50 gut geeignet, die Flexibilität der viel zitierten „fünften Generation“ der E-Antriebe bei BMW zu erklären. Beide setzen auf einen elektrischen Allradantrieb, sprich mit jeweils einem E-Motor an der Vorder- und einem an der Hinterachse. Sie bedienen sich aber nicht nur aus demselben Baukasten, sondern sowohl der i4 M50 als auch der iX xDrive 50 haben an der Vorderachse die 190-kW-Maschine der Größe „M“ verbaut und an der Hinterachse die „L“-Maschine mit 230 kW. Mehr zu den stromerregten Synchronmotoren haben wir im Fahrbericht zum iX beschrieben.
Das Interessante ist, was die beiden Modelle aus den Hardware-seitig identischen Motoren machen – mit der jeweils spezifischen Batterie und Software. Der iX kommt auf eine Systemleistung von 385 kW bei einer 105,2 kWh großen Batterie. Mit seiner kleineren, aber mehr auf die Fahrdynamik der Sport-Limousine ausgelegten Batterie kommt der i4 im Boost auf bis zu 400 kW Leistung oder 350 kW im Normalfall. Der ebenfalls zum Marktstart verfügbare i4 eDrive 40 nutzt die selbe 80,7 kWh große Batterie wie das erste elektrische Modell von BMW M, verfügt aber nur über einen „L“-Motor im Heck, der 250 kW leistet.
Während die 250 kW im Alltag mit einer Mittelklasse-Limousine mehr als ausreichen dürften, zeigt der i4 M50 natürlich, was alles möglich ist: Die volle Leistung von 400 kW im „Sport Boost“-Modus liegt zwar jeweils nur für maximal 20 Sekunden am Stück an (was dem Fahrer per Anzeige im digitalen Cockpit signalisiert wird), aber dann kann die Limousine in 3,9 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h beschleunigen, Schluss ist erst bei 225 km/h. Auf die Zehntelsekunde nachgemessen haben wir bei der ersten Testfahrt die Werksangabe bei der Beschleunigung nicht, aber können festhalten, dass der i4 auch mehrere Launch-Control-Starts hintereinander bewältigen kann, ohne spürbar Leistung abzuregeln. Und die 795 Nm Drehmoment fühlen sich gewaltig an.
Der i4 verfügt wie der iX über die adaptive Rekuperation, bei der das Auto die jeweils in der Fahrsituation angebrachte Rekuperationsstärke selbst festlegt. Während das wie im iX-Fahrbericht beschrieben in den allermeisten Fällen bei normaler Fahrt sehr gut funktioniert, haben wir bei sportlicher Fahrt im i4 eine konstante, aber milde Rekuperation bevorzugt. Damit ist das Verhalten beim Anbremsen vorhersehbarer, wenn man sich der Kurve schnell nähert. Das Bremsen selbst ist sehr gefühlvoll und präzise, den Übergang zwischen Rekuperation und hydraulischen Scheibenbremsen spürt man als Fahrer kaum. Der i4 verfügt über eine neue „integrierte Bremse“, für die BMW zahlreiche Komponenten des Bremssystems in ein kompaktes Modul zusammengefasst hat – das soll ein besseres Bremsgefühl ergeben.
Mal Brachial-Boost mit 400 kW, mal manierliches Reiseauto
Auch wenn wir sonst eher die Stille beim Fahren eines Elektroautos schätzen, liefert der von Hollywood-Komponist entwickelte „Iconic Sound“ im Sportmodus ein angenehmes akustisches Feedback. Im Eco-Modus lässt sich ein weiterer, auf das entspannte Fahren abgestimmter „Iconic Sound“ aktivieren – diesen haben wir aber schnell abgeschaltet.
A propos Eco-Modus: Hier zeigt der i4 M50 ein gänzlich anderes Verhalten. Trotz der Leistung, die natürlich mit einem Druck aufs Fahrpedal in kürzester Zeit abgerufen werden kann, reagiert das Auto hier viel sanfter auf die Vorgaben des Fahrers. Das Lenkverhalten vermittelt immer noch Fahrspaß, der Antrieb schaltet aber sehr fein abgestimmt mehr als eine Stufe herunter. Auf einem betont entspannt gefahrenen Landstraßen-Abschnitt sank der Verbrauch laut Bordcomputer auf bis zu 13,9 kWh/100km.
Diese Spanne zeigt der i4 nicht nur beim Antrieb, sondern auch beim Fahrwerk: Sogar mit den optionalen 20-Zoll-Felgen im M-Design rollt der i4 für eine Sport-Limousine relativ komfortabel ab. Im Sport-Modus fällt die Abstimmung natürlich straffer und direkter aus, ohne aber über das extrem harte Federverhalten der Verbrenner-Modelle mit „M Performance“-Label oder der „vollwertigen“ M-Modelle zu verfügen. Dennoch sind Grip und Rückmeldung sehr gut, der i4 lässt sich sehr präzise lenken – 2,29 Tonnen Leergewicht zum Trotz. Das hohe Grip-Niveau dürfte aber nicht nur auf das Fahrwerk zurückzuführen sein: Der Testwagen war mit den 20-Zoll-Felgen „LMR Doppelspeiche 868 M Bicolor“ samt der dazugehörigen Sportreifen ausgestattet. Gut für die Haftung, schlecht für die Reichweite – und macht das Konto des Eigentümers um 2.600 Euro leichter.
Stichwort Reichweite: Der WLTP-Wert aus der Werbung von bis zu 590 Kilometern ist nur mit dem Heckantriebs-Modell möglich. Beim i4 M50 ist die Spanne von 416 bis 521 Kilometern sehr groß, weil das Fahrzeug in zahlreichen Konfigurationen verfügbar ist: Die einfachste Variante für 69.900 Euro verfügt über aerodynamisch optimierte 18-Zoll-Felgen, bei den 20-Zöllern mit Sportreifen unseres Testwagens stand die Performance im Vordergrund – daher dürfte sich unser Testwagen eher am unteren Ende der WLTP-Reichweite einordnen. Mit allerhand Carbon-Anbauten aus dem „M Performance“-Katalog lässt sich die Reichweite weiter beeinflussen.
Dennoch kann sich der Verbrauch nach unserer ersten Testfahrt sehen lassen: Neben den erwähnten 13,9 kWh/100km im Eco-Modus auf der Landstraße hatten wir auf einem Autobahn-Abschnitt mit je nach Tempolimit 100 bis 130 km/h einen Verbrauch von etwas über 20 kWh/100km auf der Anzeige. Am Ende der ersten Ausfahrt über 166 Kilometer lag der Wert bei rund 24 kWh/100km. Sonderlich aussagekräftig ist dieser Wert aber nicht, da wir auf der Testfahrt versucht haben, möglichst viele Funktionen auszuprobieren – vom Eco-Modus über die wiederholten Launch-Control-Starts im „Sport Boost“. Grobe Einschätzung: Im Alltag dürfte ein Wert unter oder um die 20 kWh/100km gut möglich sein. Bei sportlichen Fahrzeugen gilt aber egal ob Verbrenner oder Elektro: Nach oben kann der Verbrauch immer abweichen.
i4 prägt auch das 4er Gran Coupé
Zur Reichweite noch: Als wir unseren Testwagen mit 99 Prozent Ladestand übernommen haben, schätzte der Bordcomputer die Reichweite auf 383 Kilometer. Mit der betont sparsamen Fahrweise auf den ersten 30 Kilometern bis zur Autobahn haben wir es aber geschafft, dass die Schätzung bis auf 440 Kilometer gestiegen ist. Nach den erwähnten 166 Kilometern waren noch 57 Prozent im Akku, die Anzeige stand bei 290 Kilometern. Wenn wir für 166 Kilometer 42 Prozent Ladestand verbraucht haben, wären also rund 395 Kilometer möglich gewesen. Allerdings war auch nur eine Person und leichtes Gepäck im Auto. Bei voller Beladung (zulässig sind maximal 520 Kilo, im i4 eDrive 40 sogar 555 Kilo) oder gar mit Anhänger (beide Motorisierungen dürfen bis zu 1.600 Kilo ziehen) sieht das vermutlich anders aus. Detaillierte Daten können wir aber erst nach einem ausführlicheren Test des i4 liefern.
Solche Praxis-Reichweiten für ein 400 kW starkes Auto oder die Normreichweite von bis zu 590 Kilometern für den Hecktriebler zu erreichen, war in der Entwicklung keine einfache Aufgabe, wie der für die gesamte 4er-Reihe zuständige Baureihenleiter David Alfredo Ferrufino erklärt. „Um unseren Kunden die passende Reichweite zu bieten, war klar, dass die Batterie mehr als 80 kWh groß sein muss“, so Ferrufino. „Nachdem wir die großen Batteriemodule im Unterboden verbaut haben, lagen wir aber noch ein Stück von dieser Marke entfernt. Also haben wir noch einige kleinere Module aus jeweils zwölf Zellen im Kardantunnel und unter der Rückbank platziert.“ Das hat gerade so gereicht: Mit 80,7 kWh netto und 83,9 kWh brutto erfüllt die Batterie die Vorgaben des Baureihenleiters.
Die Herausforderung: Anders als der iX oder Konkurrenzmodelle wie das Tesla Model 3 basiert der i4 nicht auf einer Elektro-Plattform, sondern teilt sich weite Teile der Technik mit den Verbrenner-Modellen der 4er Reihe, konkret mit dem 4er Gran Coupé. Nettes Detail am Rande: Auch das 4er Gran Coupé trägt umgekehrt Einflüsse des i4. Weil bei dem Elektromodell die Aerodynamik für die Reichweite wichtig ist, haben sowohl der i4 als auch das 4er Gran Coupé flächenbündige Klapp-Türgriffe. Die reinen Verbrenner 4er Coupé und Cabrio haben hingegen Bügel-Türgriffe.
Großes Auto, aber keine überragenden Platzverhältnisse
„Wir wollten ein möglichst fahraktives Elektromodell entwickeln. Da hat die Basis des 4er mit seinen klassischen Proportionen besser gepasst als eine Elektro-Plattform mit extrem langem Radstand“, so Ferrufino. Bei drei Metern Radstand hätten die Batterie möglicherweise flach in den Boden gepasst und der Mitteltunnel im Fußraum hinten wäre nicht nötig gewesen – es hätte für den BMW-Entwickler die Agilität gelitten. Aber: Mit 4,78 Metern Länge und 2,85 Metern Radstand ist der i4 wahrlich kein kompaktes Auto. Angenehmer Nebeneffekt der Größe: Es passen zwischen 470 und 1.290 Liter Gepäck in den i4.
Größere Zellen im Fahrzeugboden waren auch keine Option. Entwicklungsvorstand Frank Weber, selbst weit über 1,90 Meter groß, zeigte sich am Rande der Fahrveranstaltung stolz über die Platzverhältnisse auf der Rückbank. „Da unsere Batterie so flach ist, ist der Abstand zwischen Fußraum und Sitzfläche größer, womit auch Erwachsene einen sehr viel angenehmeren Kniewinkel haben“, so Weber. Insgesamt spürt man auf allen Sitzplätzen aber, dass der i4 auf einer Misch-Plattform basiert. In Modellen auf reinen Elektro-Plattformen geht es bei einem Fahrzeug dieser Größe luftiger zu. Anhänger von solchen Purpose-Design-BEV werden beim i4 kritisieren, dass die lange Front Platz im Innenraum kostet und der Mitteltunnel stört. Fahrer eines 3er oder 4er BMW werden aber den Aufbau des Cockpits schätzen, das sich sportlich um den Fahrersitz schmiegt. Es gibt immer zwei Seiten einer Medaille.
Die Ladeleistung des i4 – bei beiden Motorisierungen sind bis zu 200 kW DC möglich – konnten wir auf der kurzen Probefahrt noch nicht testen – mit 57 Prozent Ladestand bei Rückgabe war die Batterie noch nicht ansatzweise leer genug, um die Ladeleistung voll auszutesten. Immerhin hat BMW im Gegensatz zu anderen Herstellern eine offizielle Ladekurve veröffentlicht: Demnach hätte unser Testwagen mit 57 Prozent Ladestand mit grob 100 kW geladen. Laut Baureihenleiter Ferrufino gibt es Überlegungen, die Ladekurve in eine Anzeige im Auto zu integrieren – und so dem Kunden genau dieses Rätsel zu nehmen, wie schnell das Auto bei welchem Ladestand laden wird oder ab wann es sich auf der Langstreckenfahrt nicht mehr lohnt weiter zu laden. Wir sind gespannt, ob diese Funktion irgendwann per Update kommt.
Einen Unterschied gibt es noch zwischen dem i4 und den konventionell angetriebenen 4ern: Das Elektromodell verfügt wie der iX über das neue Betriebssystem BMW OS8. Die Bedienung mit der Mischung aus Touchscreen und dem iDrive-Controller fällt Fahrern anderer BMW-Modelle leicht, für Nutzer, die andere Systeme gewohnt sind, dürfte der Touchscreen die einfachere Option sein. Allerdings ist der i4 in einer Hinsicht trotz BMW OS8 etwas konventioneller als der iX: Rund um den iDrive-Controller sind noch die klassischen Tasten verbaut, nicht die bündig integrierten Schaltflächen. Auch das Lenkrad verfügt noch über die bekannten Tasten, während BMW für den iX die Lenkrad-Bedienung etwas umgestaltet hat.
Fazit
Wenn der iX und i4 im November auf den Markt kommen, hat BMW vier rein elektrische Modelle im Angebot – zwei auf reinen Elektro-Plattformen (i3 und iX), zwei auf Verbrenner-Basis (iX3 und i4). Die Auswahl steigt, nun auch in der Mittelklasse. Der i4 überzeugt mit seinem sportlichen, aber nicht zu harten Fahrverhalten, (auf dem Papier) guter Ladeleistung und Reichweite. Die Verbrenner-Karosserie wird nicht für jeden Einsatz passen, gerade im Innenraum sind andere E-Limousinen luftiger. Der große Kofferraum und die hohe Anhängelast erhöhen aber den Nutzwert. Wer über Punkte wie den Mitteltunnel und den fehlenden Frunk hinwegsehen kann, bekommt mit dem i4 eine gute und dynamische Elektro-Limousine. Den positiven Eindruck der ersten Ausfahrt trübt aber ein wenig der Blick auf die Preisliste: Viele Funktionen, die einen Neuwagen des Modelljahrgangs 2022 ausmachen, kosten weiterhin Aufpreis.
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