Wie die Umgestaltung der Mobilität im Betrieb gelingt
Jede Firma kann ihre betriebliche Mobilität verbessern, so die Initiatoren des Projekts „Eco Fleet Services“. In vier Jahren Forschung und Praxiserprobung haben die Wissenschaftler Werkzeuge entwickelt, mit denen sich „die Umgestaltung der betrieblichen Mobilität erfolgreich meistern lässt“. E-Mobilität spielt dabei natürlich eine große Rolle. Wir haben uns den von den Forschern entwickelten Leitfaden genauer angeschaut.
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Was ist eigentlich betriebliche Mobilität? Diese Frage klären die Projektverantwortlichen vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in einem Satz: „Das sind alle Dienstreisen sowie Dienstgänge der Mitarbeitenden“, den Warenverkehr klammern die Wissenschaftler dabei aus. Das Projektteam hat sich ausschließlich damit befasst, wie Arbeitswege, Dienstgänge und Dienstreisen wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer gestaltet werden können und sowohl Analyse- als auch Betriebstools entwickelt, die Unternehmen unterschiedlicher Brachen und Größen nun auf ihren speziellen Use Case anwenden oder adaptieren können.
Als Haupterrungenschaften stellt das Projektteam aus dem Anwendungszentrum KEIM des Fraunhofer IAO sowie Partner der Hochschule Esslingen und der Universität Hohenheim drei Werkzeuge heraus, die sich im Laufe des Projekts bewährt haben: Eine digitale Mobilitätsplattform, die hauptsächlich, aber nicht nur der Buchung und dem Monitoring von Mobilitätsangeboten dient, ein Reifegradmodell zum systematischen Ausbau betrieblicher Mobilität und eine sogenannte Middleware, um externe Mobilitätsdienste quasi nah ans Unternehmen zu rücken. Alle drei hat das Team auch selbst in einem Praxis-Anwenderfall erprobt, und zwar am Verwaltungssitz der Stadt Heidelberg. Dazu gleich mehr.
Zunächst zur Rolle, die die Elektromobilität für die Projektverantwortlichen zur Verbesserung der gesamtbetrieblichen Mobilität einnimmt. Konkret räumen sie dem Einsatz von Elektrofahrzeugen eine hohe Hebelkraft zur wirtschaftlicheren und nachhaltigeren Gestaltung der Betriebsmobilität ein. Die Flottenumstellung auf E-Antriebe reiht sich aber explizit in eine lange Liste möglicher Aktionen ein.
Kein Sonderstatus also für die E-Mobilität? Doch, zumindest ein bisschen. Das geht aus folgendem Statement des Projektteams hervor: „Sind die Ressourcen für die Umgestaltung mehrerer Bereiche nicht vorhanden, ist es sinnvoll, sich zunächst nur auf die Elektrifizierung des Fuhrparks sowie den Auf- oder Ausbau Ihrer Ladeinfrastruktur zu fokussieren.“ Hintergrund ist, dass die Initiatoren den Aufbau von Ladeinfrastruktur zu den Maßnahmen mit sehr hohem Aufwand zählt. Ist klar, die Einführung eines Jobtickets ist dagegen ungleich schneller bewerkstelligt.
Wie sollten Unternehmen nun also vorgehen? Unabdingbar ist dem Leitfaden zufolge die obligatorische Analyse des Ist-Zustands. Dazu zählt ein genauer Blick auf Streckenprofile, Nutzungsprofile, die Auslastung des Fuhrparks und die meist genutzten Verkehrsmittel der Mitarbeiter.
Im nächsten Schritt kommt das im Projekt entwickelte Reifegradmodell zum Einsatz, anhand dessen Betriebe und Kommunen ihr Mobilitätsmanagement bewerten, Potenziale heben und Maßnahmen planen können. Konkret geht es hier um das Mobilitätsverhalten der Mitarbeitenden sowie deren Bedürfnisse und Wünsche, die aktuellen Mobilitätsressourcen im Unternehmen, die verfügbaren externen und internen Mobilitätsangebote sowie das übergeordnete Management der betrieblichen Mobilität.
Machen wir’s konkret: Unter Mobilitätsressourcen subsumiert der Leitfaden den eventuell verborgenen Fundus zur Verbesserung des Status Quo. Ganz oben: Die potenzielle Elektrifizierung des Fuhrparks in ihrer ganzen Komplexität (einen Fragebogen zur LIS-Bedarfsanalyse findet sich auf Seite 8), eine etwaige Fuhrparkverkleinerung durch die Einbindung alternativer Angebote wie Carsharing oder Mietwagen sowie die Schaffung von Anreizen durch Betriebsfahrräder, -pedelecs. „Diese eignen sich insbesondere für Dienstgänge mit Entfernungen bis zu 5 bzw. 15 Kilometern. Bestenfalls können dadurch Kleinkrafträder oder Kleinstwagen ersetzt werden. Je nach Bedarf können Lastenräder eine sinnvolle Ergänzung sein“, führt das Projektteam aus.
Als Beispiel für einen negativen Ressourcen-Anreiz schlägt der Leifaden zudem eine Verkleinerung des Parkraums oder die Einführung von Parkgebühren für unternehmenseigene Stellplätze vor, um „die Nutzung des Pkw für den Arbeitsweg weniger attraktiv zu machen“. Für besonders flexible Unternehmen könnte zudem Corporate Carsharing etwas sein. Dabei wird der unternehmenseigene Fuhrpark mit benachbarten Unternehmen und Mitarbeitenden geteilt. Fast schon als selbstverständlich dürfte dagegen gelten, dass ein Software-basiertes Buchungs- und Abrechnungssystem für dienstliche Fahrten einer händischen Anwendung in puncto Zeitverlust und Fehleranfälligkeit überlegen ist.
Auf den Mobilitätsressourcen aufbauend können nun Mobilitätsangebote für die Mitarbeiter geschnürt werden. Zu den schnell umsetzbaren Maßnahmen gehören etwa die Einführung von besagtem Jobticket oder eines Mobilitätsbudgets für Mitarbeiter, außerdem beispielsweise das Angebot eines Spritspartrainings für die Belegschaft. Etwas mehr Aufwand beinhaltet die Einführung einer digitalen Mobilitätsplattform, von den Projektpartnern auch Mobility as a Service (MaaS) genannt. Dabei handele es sich um einen relativ neuen Ansatz, „der darauf abzielt, möglichst viele Mobilitätsanbieter auf einer digitalen Plattform zu vereinen. Der klimakritische und ressourcenintensive Individualverkehr soll so durch intermodalen Verkehr, also die effiziente Kombination verschiedener Verkehrsmittel, abgelöst werden“, heißt es im Leitfaden. Eine derartige MaaS-Plattform sollte die Möglichkeit bieten, Dienstreisen direkt über die App zu buchen und zu bezahlen.
Stehen die Angebote, sollten sich Unternehmen noch um das Managment derselben kümmern. Sinnvoll ist dem Leitfaden zufolge, eine klare Mobilitätsstrategie mit kurz- und langfristigen Zielen zu definieren und einen Verantwortlichen für die Umsetzung zu benennen. Auf dieser Basis sollte dann unter anderem eine transparente Richtlinie für die Fuhrpark-Beschaffung aufgelegt werden. „Eine CO2-Obergrenze, Fahrzeuge mit der effizientesten Antriebstechnologie oder eine bestimmte Motorisierung können beispielsweise darin festgelegt werden“, führt das Projektteam aus.
Als weitere Managementwerkzeuge wird ein Anreizsystem vorgeschlagen, um Mitarbeiter zu einem nachhaltigeren Mobilitätsverhalten zu animiert. Grundsätzlich bezeichnen die Initiatoren die Einbindung, die Information und die Teilnahmebereitschaft der Mitarbeitenden als essenziell.
Eher um das technische Management geht es bei der Digitalisierung und dem Monitoring der betrieblichen
Mobilität – allen voran zur Fuhrparkkoordination und -analyse. „Zur Digitalisierung der betrieblichen Mobilität ist die Implementierung eines Fuhrparkmanagementsystems sinnvoll“, heißt es. Auf der Basis dieses digitalen Tools erfolge dann auch das Monitoring. Beides sind auch wieder Anknüpfungspunkte zu einer digitalen Mobilitätsplattform.
Praxiserprobung mit 50 Mitarbeitern in Heidelberg
Einen Teil dieser Handlungsempfehlungen zur Weiterentwicklung und Optimierung der betrieblichen Mobilität haben die Projektteilnehmer auch selbst in der Praxis erprobt. So erhob das Fraunhofer IAO 2018 mittels einer Mobilitätsanalyse für die Stadt Heidelberg den Status Quo der betrieblichen Mobilität und die Mobilitätsressourcen in sechs Verwaltungsämtern. Teil der Analyse war eine Befragung von 330 Mitarbeitenden und die Auswertung von Wegtagebüchern und Fahrten mithilfe von GPS-Datenloggern. Dabei kam heraus, dass bei den genutzten Verkehrsmitteln dienstliche und private Pkw dominierten und dass ein hohes Potenzial für Elektrofahrzeuge vorhanden war.
Als zentrale Neuerung führte das Projektteam in der Heidelberger Verwaltung eine digitale Mobilitätsplattform ein, die in einer Pilotphase insgesamt 18 Monate lang von rund 50 Mitarbeitern, vorwiegend aus dem Amt für Verkehrsmanagement, erprobt wurde. Zum Start erlernten die Pilotteilnehmer im Rahmen eines Workshops den Umgang mit dem neuen Buchungssystem.
Zur Einordnung sei gesagt, dass einer digitalen Mobilitätsplattform eine Software zugrunde liegt, die gewissermaßen als Schnittstelle zwischen den Mitarbeitenden und allen mobilitätsrelevanten Bereichen, vom Flottenmanagement über das Zugangsmanagement bis hin zur Führerscheinverwaltung, dient. Bei vorhandener Ladeinfrastruktur kann zudem ein Lade- und Lastmanagement integriert werden. Die Buchung von Fahrzeugen der eigenen Dienstflotte sowie die Verwaltung und Ausgabe von Schlüsseln kann ebenso Teil einer Mobilitätsplattform sein.
Die vom Fraunhofer IAO entwickelte Mobilitätsplattform, die im Projekt „Eco Fleet Services“ weiterentwickelt und ausgeweitet wurde, trägt den Namen ubstack. Über die Mobilitätsplattform hatten die Heidelberger Mitarbeiter zum einen die Möglichkeit zur Buchung von Fahrzeugen aus der eigenen Fahrzeugflotte, inklusive voll automatisiertem Zugangsmanagement für die Fahrzeuge, und zum anderen die Zugriffsmöglichkeit auf weitere externe Mobilitätsdienste, beispielsweise Car- und Bikesharing. Die Anbindung der externen Mobilitätsdienste erfolgte dabei durch einen „frei verfügbaren Adapter für viele Mobilitätsdienste, der nach einmaliger Entwicklung viel Arbeit ersparen kann“, so die Projektteilnehmer. Im Fachjargon spricht man von Middleware.
Zusammengefasst sind auf der Mobilitätsplattform also Fahrzeuge der internen Unternehmensflotte unmittelbar verfügbar und externe Mobilitätsdienste über die Middleware integriert. Für den Nutzer ist alles auf einem Blick über Endgeräte wie PCs oder Smartphones buchbar. Die Initiatoren schreiben solchen Mobilitätsplattformen ein hohes Potenzial zu und bezeichnen sie als „zentrale Technologie für das nachhaltige Management der betrieblichen Mobilität“.
Nach sechs Monaten wurde in Heidelberg Zwischenbilanz gezogen. „Hierbei zeichnete sich ein sehr positives Bild bezüglich der Funktionsweise der Mobilitätsplattform in Kombination mit einem digitalen Schlüsseltresor ab. Die flexible Verfügbarkeit von Fahrzeugschlüsseln und Abteilungstickets des ÖPNV rund um die Uhr stellte einen großen Vorteil für Mitarbeitende und eine Entlastung für das Sekretariat dar, das zuvor die Ausgabe übernehmen musste. Insbesondere jüngere Teilnehmende begrüßten den Umstieg auf die digitale Mobilitätsplattform sehr und erlernten den Umgang damit schnell“, gibt das Projektteam wieder.
Status Quo der betrieblichen Mobilität in über 100 Kommunen
Um die Studie auf breitere Füße zu stellen, initiierte die Universität Hohenheim übrigens ergänzend eine Übersicht zum Status Quo der betrieblichen Mobilität in über 100 Kommunen. Im Zuge der Untersuchung wurden im Herbst 2018 bundesweit mehr als 100 Kommunen und ihre Mitarbeitenden via Online-Erhebung befragt. Die Ergebnisse der Studie zeigen den Projektteilnehmern zufolge deutlich, dass bei dem Thema nachhaltige betriebliche Mobilität noch ein erheblicher Nachhohlbedarf besteht. In den meisten Fällen fehle ein ganzheitlicher Ansatz, um das Thema Mobilität bestmöglich zu managen und weiterzuentwickeln.
Die Ergebnisse sind ebenso in den Leitfaden eingeflossen wie die Erkenntnisse der Fraunhofer-Gesellschaft zu ihrem eigenen gesellschaftsinternen Lade-Großprojekt „LamA – Laden am Arbeitsplatz“, über das wir bereits an anderer Stelle ausführlich berichtet haben.
Das Fraunhofer IAO und seine Partner sind überzeugt, dass der Weg zu einer nachhaltigen betrieblichen Mobilität viele Betriebe vor Herausforderungen stelle. Um Misserfolge zu vermeiden, so betont Projektleiter Stefan Schick vom Anwendungszentrum KEIM des Fraunhofer IAO, sei es zwingend notwendig, systematisch vorzugehen und die Maßnahmen vorauszuplanen. „Einen Erfolgsfaktor bilden auch immer die Menschen, die solche Maßnahmen in den Betrieben planen und vorantreiben“, so Stefan Schick. „Deshalb ist es wesentlich, Verantwortliche zu bestimmen und die Mitarbeitenden auf dem Weg in Richtung einer nachhaltigeren und effizienteren Mobilität mitzunehmen.“
Das Projekt „Eco Fleet Services“ wurde vom baden-württembergischen Wirtschaftsministerium mit rund einer Million Euro gefördert. „Mit ihrer betrieblichen Mobilität setzen Arbeitgeber Maßstäbe und prägen damit auch das Verhalten ihrer Mitarbeitenden. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung urbaner Herausforderungen, wie der Luftreinhaltung oder der Überlastung des Verkehrs“, äußert Dr. Patrick Rapp, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg.
iao.fraunhofer.de, publica.fraunhofer.de (Leitfaden als PDF)
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