Verhandlungsführer fahren bei COP26 im E-Bus vor

Während die Welt nach Glasgow blickt, um auf dem UN-Klimagipfel COP26 einer Einigung zur Bekämpfung des Klimawandels beizuwohnen, werfen wir einen Blick auf den Wandel vor Ort: die Dekarbonisierung des öffentlichen Verkehrs – ein Bereich, in dem Gastgeber Großbritannien und insbesondere Schottland tatsächlich glänzen können.

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Von Nora Manthey

Zugegeben, die klimafreundliche Fortbewegung in und um Glasgow ist aktuell kein allzu leichtes Unterfangen. E-Fahrzeuge und Ladestationen sind Mangelware. Bereits im Vorfeld des COP26 rief ein Sprecher des Gipfels die Delegierten deshalb dazu auf, so oft wie möglich öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Aktivisten pochten insbesondere darauf, dass die Staatsoberhäupter doch die kostenlosen elektrischen Shuttle-Dienste nutzen sollten.

Was einige hochrangige Beamte dann auch prompt taten. Zum Auftakt des Gipfels stiegen etwa der britische Premierminister Boris Johnson und UN-Generalsekretär António Guterres neben anderen Staatsoberhäuptern und Akteuren des COP26 in elektrische Doppeldecker, die frisch von der ADL-Produktionslinie in Schottland zum UN-Klimagipfel gekommen waren. Die ursprünglich für Stagecoach in London gebauten Busse, die nun kurzzeitig in Glasgow unterwegs sind, fahren im ikonischen Rot der Fahrzeuge von Transport for London vor.

Diese Elektrobusse sind ein herausragendes Beispiel für den Busmarkt in Großbritannien. Die britischen Hersteller haben früh erkannt, dass sie in großen Dimensionen denken müssen und deshalb auch die Entwicklung emissionsfreier Doppeldecker vorangetrieben – der Tatsache zum Trotz, dass dieser Bustyp einst als zu groß galt, um ihn zu elektrifizieren. Mit ADL in Partnerschaft mit BYD und Wrightbus sind nun gleich zwei Hersteller in die Fertigung der doppelstöckigen E-Busse eingestiegen. Das Resultat ihrer Arbeit ist nicht nur in Glasgow zu sehen.

ADL kann bereits seit 2015 auf eine Partnerschaft mit BYD für Batterie-elektrische Busse zurückblicken. Auf unsere Frage nach dem aktuellen Geschäftsverlauf gibt ADL an, bisher 700 Batterie-elektrische Busse ausgeliefert zu haben, von denen etwa 500 in Großbritannien verblieben sind. Das Unternehmen erklärte gegenüber electrive, dass es davon ausgehe, dass mehr als die Hälfte der neuen Busse auf dem britischen Markt in diesem Jahr emissionsfreie Fahrzeuge sein werden und dass ihr Anteil weiterhin „schnell steigen wird“.

Die schottisch-chinesische Partnerschaft ist eine Erfolgsgeschichte, die die britische Regierung in Glasgow nur zu gerne erzählt. Deshalb hat sie ADL eingeladen, seine Lösungen in der Blue Zone auf dem COP26 zu präsentieren. Die Blaue Zone ist nur für offizielle Delegierte zugänglich, im Gegensatz zur Grünen Zone, die auch für Aktivisten der Zivilgesellschaft und Unternehmen offen ist.

Paul Davies, Präsident und Geschäftsführer von ADL, sagt, er betrachte es als „große Ehre für Alexander Dennis, von der britischen Regierung eingeladen worden zu sein, unseren emissionsfreien Bus in der Blauen Zone zu präsentieren und die Verhandlungsführer und die führenden Politiker der Welt daran zu erinnern, dass die Klimaziele ohne Investitionen in saubere öffentliche Verkehrsmittel nicht erreicht werden können“.

Bei ADLs E-Bus vom Typ Enviro400 EV, der aktuell vor Ort zu sehen ist, handelt es sich um eine Leihgabe des britischen Busunternehmens National Express. Das Exemplar – auf dem Veranstaltungsgelände in Glasgow aus Sicherheitsvorschriften zum Stillstand verbannt – gehört zur realen Flotte von National Express, die Berichten zufolge 29 elektrische Doppeldecker umfasst, die seit über einem Jahr in Birmingham, Solihull und Coventry im Einsatz sind.

Apropos: National Express geht in puncto Flotten-Elektrifizierung grundsätzlich mit gutem Beispiel voran. Das Verkehrsunternehmen in den West Midlands hat den Kauf von Dieselbussen im Jahr 2019 komplett eingestellt und strebt innerhalb eines Jahrzehnts eine vollständig umweltfreundliche Stadtbusflotte an, gefolgt von Reisebussen, die bis 2035 ausschließlich emissionsfrei sein sollen. „Wir haben 2019 unseren allerletzten Dieselbus gekauft, und bis 2030 wird unsere gesamte Flotte von 1.600 Bussen in den West Midlands emissionsfrei sein“, bestätigt David Bradford, der Geschäftsführer der Einheit. „Es ist sehr aufregend, dass einer dieser Busse beim COP26 in jenem Raum stehen wird, wo die Entscheidungen getroffen werden, die unser aller Zukunft betreffen.“

Vor gut einem Jahr bestellte das Unternehmen die 29 Doppelstock-Elektrofahrzeuge und erteilte im Oktober 2020 außerdem einen Auftrag über 20 Wasserstoff-betriebene Busse in Zusammenarbeit mit dem Stadtrat von Birmingham.

Der Bussektor bewegt sich

Wenn wir schon bei Wasserstoff-Brennstoffzellenbussen sind, muss Wrightbus erwähnt werden. Das in Nordirland ansässige Unternehmen ist gerade erst wieder auf die Beine gekommen, nachdem Jo Bamford die Firma vor zwei Jahren aus der Insolvenz herausgekauft hatte. Seitdem hat Wrightbus die Zahl der Mitarbeiter von 56 auf über 900 erhöht und innerhalb von zwölf Monaten vier emissionsfreie Busse eingeführt. Dazu gehören Doppeldecker und Eindecker – sowohl als BEV als auch als FCEV, wobei sich Wrightbus vor allem über die Wasserstoffbusse definiert.

Das Unternehmen plant, bis 2024 insgesamt 3.000 seiner Wasserstoffbusse herzustellen und stellt seinen H2-Doppeldecker aktuell in Glasgow in der Green Zone neben Herstellern wie Rolls-Royce, Mini, Polestar oder Switch Mobility aus. Bereits im Vorfeld hat Wrightbus sein COP26-Engagement gekonnt in Szene gesetzt: Ein Wrightbus StreetDeck Hydroliner machte sich schon am 18. Oktober auf den Weg, um die 600 Meilen von London zur Klimakonferenz zu fahren.

Unter dem Titel „Hydrogen Roadshow“ machte der Hydroliner bei mehreren Unternehmen Halt, die an Wasserstoff-bezogenen Lösungen arbeiten. Eines davon war National Express, denn Wrightbus ist Hersteller der bereits erwähnten 20 Brennstoffzellenbusse für Birmingham. Die Busse wurden dieses Jahr im Rahmen des „Clean Air Hydrogen Bus“-Pilotprojekts des Stadtrats angeschafft, mit dem Wasserstoff als praktikabler emissionsfreier Kraftstoff demonstriert werden soll.

Engagement für Schottland

Und was bleibt nach dem Gipfel? Der Betreiber First Bus hat den COP26 zum Anlass genommen, 22 einstöckige E-Busse von ADL-BYD in der Stadt einzuführen, die auch nach der Abreise der Delegierten weiter im Einsatz sein werden. Während des Gipfels verkehren diese Busse als offizielle Delegierten-Shuttles zwischen dem Stadtzentrum von Glasgow und dem Veranstaltungsort des COP26. Für First Bus sind sie nur die Vorhut einer Bestellung von 148 Elektrobussen, die ab März 2023 in voller Flottenstärke für den ÖPNV in Glasgow bereitstehen sollen.

Die erwartete 148-teilige Busflotte hat das Unternehmen auch dazu veranlasst, im Zuge der Umgestaltung des Caledonia-Busdepots die nach eigenen Angaben größte Ladeanlage Großbritanniens zu errichten. Die Arbeiten an dem Glasgower Betriebshof haben bereits im Sommer dieses Jahres begonnen. Der Caledonia-Betriebshof werde so konzipiert, dass dort bis zu 300 Elektrobusse aufgeladen werden können, so das Unternehmen.

Nach der Fertigstellung im Jahr 2022 wird der umgebaute Betriebshof demnach in der Lage sein, 89 Prozent der Elektrobusflotte des Betreibers aufzuladen, wobei eine intelligente Ladesoftware von Heliox zum Einsatz kommt. Der CEO des niederländischen Unternehmens, Michael Colijn, äußert, dass das modulare Ladesystem „sehr anspruchsvolle Busrouten bewältigen und leicht mit dem Schnellladebedarf der Flotte wachsen kann, indem es sicherstellt, dass der Strom zum effizientesten Zeitpunkt genutzt wird“.

Heliox präzisiert gegenüber electrive, dass in den nächsten Jahren insgesamt 80 Ladestationen mit 160 Ladepunkten in Glasgow geplant sind. Die kumulierte Leistung der Stationen solle sich auf 12 MW belaufen. Einen größeren Umfang hat in Europa aktuell nur das Heliox-Depot am Flughafen Schipol in den Niederlanden, wo 100 Busse mit einer kumulierten  Leistung von 13 MW Strom erhalten.

Der Kauf der Busse und die Errichtung der Ladeanlage soll mit einem Investitionsvolumen von 35,6 Millionen Pfund einhergehen, von denen 28,2 Millionen Pfund über das Förderprogramm Scottish Ultra-Low Bus Scheme (SULEB) abgedeckt werden. First Bus hat sich generell verpflichtet, ab Dezember 2022 landesweit nur noch in emissionsfreie Fahrzeuge zu investieren und bis 2035 eine zu 100 Prozent emissionsfreie Flotte aufzubauen. Garry Birmingham, Programmdirektor für die Dekarbonisierung des Unternehmens, lobt vor diesem Hintergrund die Förderprogramme wie SULEB und ScotZeb in Schottland sowie ZEBRA in England – allesamt Töpfe, die speziell für den Umstieg auf emissionsfreie Busse kreiert wurden und interne Geschäftsmodelle „in diesen unsicheren Zeiten schmackhafter machen“.

Er fügt hinzu: „Wir stehen den beiden aktuellen Technologien offen gegenüber. Wir sehen derzeit, dass BEV einfacher zu implementieren sind, da die Batterie-Reichweite mit einer einzigen Ladung und die Gesamtbetriebskosten niedriger sind als bei einem FCEV. Aber wir sind uns bewusst, dass sich der Technologiehorizont ändern kann.“

Gibt es eine Präferenz für BEV- oder FCEV-Technologie?

Dementsprechend ist die Aussicht auf 148 BEV-Bussen in Glasgow nur eine Seite der Medaille. First Bus hat bereits auch erste Wasserstoffbusse im Umlauf – und zwar in Aberdeen. Im Rahmen eines vom Stadtrat von Aberdeen, der Europäischen Union und der schottischen Regierung finanzierten Projekts im Wert von 8,3 Millionen Pfund hat First Aberdeen 15 H2-Doppeldecker von Wrightbus in den Dienst genommen.

ADL will Wrightbus bei der Wasserstoff-Mobilität unterdessen nicht das Feld überlassen. Man werde im nächsten Jahr aktualisierte Wasserstoffoptionen auf den Markt bringen, äußert Stefan Baguette von ADL gegenüber electrive. Und: „Wir verfolgen generell eine Strategie der marktorientierten Entwicklung – und auf dem britischen Markt besteht Interesse an beiden Technologien.“ Die Brennstoffzellentechnologie könnte sich aus seiner Sicht speziell für Doppeldecker als praktikable und ergänzende Option erweisen: „Ein Faktor ist der relativ geringe Platz, der in Doppelstockbussen für den Einbau der Komponenten zur Verfügung steht, sowie Gewichtsbeschränkungen, die die Größe der angebotenen Batterien und damit auch die Reichweite begrenzen werden. Die Wasserstoff-Brennstoffzellentechnologie bietet hier einige potenzielle Vorteile, vor allem in Bezug auf das Gewicht.“

Das im März dieses Jahres ins Leben gerufene ZEBRA-Programm der britischen Regierung unterstützt emissionsfreie Busse jeglicher Art, solange sie in Großbritannien hergestellt werden. Es ist Teil einer drei Milliarden Pfund schweren Neustrukturierung des britischen Bussektors. Übergeordnetes Ziel des Vereinigte Königreichs ist es, seinen Emissionsausstoß bis 2050 auf null zu bringen.

Schottland seinerseits hat 2019 den Klimanotstand ausgerufen und sich verpflichtet, bis spätestens 2045 CO2-neutral zu werden. Das Land ist eines der wenigen, das die Ziele rechtsverbindlich gemacht hat. Zu den Verpflichtungen gehören die schrittweise Abschaffung neuer Benzin- und Dieselautos bis 2032 und die von der Bus Decarbonisation Taskforce forcierte Elektrifizierung des öffentlichen Verkehrs.
alexander-dennis.com (ADL & Stage Coach), alexander-dennis.com (ADL Blue Zone), wrightbus.com (FCEV roadshow), sseenergysolutions.co.uk (BEV roadshow), firstbus.co.uk (Glasgow depot), intelligenttransport.com, gov.scot (Nicola Sturgeon speech), transport.gov.scot (Mission Zero, Scotland)

Übersetzung: Cora Werwitzke

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