Mercedes EQB im Test: Das Mercedes-ABC ist komplett
Der EQB komplettiert das elektrische SUV-ABC von Mercedes-Benz. Statt EQA, EQB und EQC könnte man auch S, M und L sagen, um die E-Autos zu beschreiben. Der EQB ist 22 cm länger als der EQA und 8 cm kürzer als der EQC. Die Besonderheit des neuen Modells: Es gibt ihn optional als Siebensitzer. Dirk Kunde hat den neuen Stromer mit Stern getestet. Hier ist sein Fahrbericht.
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Hierbei werden in der dritten Reihe zwei getrennte Rücklehnen hochgeklappt. Dann haben Menschen bis 1,65 m Körpergröße Platz. Alternativ montiert man zwei Kindersitze per Isofix. Doch Kinderwagen und Wickeltasche passen dann nicht mehr in den Kofferraum. Bei umgeklappter dritter Sitzreihe stehen 465 Liter und mit umgeklappter zweiter Sitzreihe 1.620 Liter Stauraum zur Verfügung. Die Rückenlehnen der zweiten Sitzreihe lassen sich in Stufen nach hinten verstellen. Die Sitzfläche kann man um 14 cm verschieben, was den Passagieren in der dritten Reihe mehr Beinfreiheit verschafft. Bei 1,67 m Fahrzeughöhe bleibt zumindest in der zweiten Reihe ausreichend Kopffreiheit.
Der EQB basiert auf dem GLB (2.829 mm Radstand). Es ist das erste E-Auto, das im ungarischen Kecskemét vom Band läuft. Die Kombi-Plattform MFA2 ermöglicht eine Fertigung von Verbrennern, Hybriden und E-Autos auf einer Produktionslinie. Für den Hersteller ist das effizient, für den Käufer bedeutet es Kompromisse. Der ehemalige Kardantunnel im hinteren Fußraum sowie der fehlende Stauraum unter der Fronthaube sind die offensichtlichen Nachteile. Erst mit den Limousinen EQE und EQS kommt eine reine E-Auto-Plattform (EVA) bei Mercedes zum Einsatz.
Der EQB startet in diesem Jahr mit zwei Allrad-Versionen, eine Version mit Frontmotor folgt später. Der EQB 300 4Matic leistet 168 kW mit 390 Nm Drehmoment. Der Kompakt-SUV beschleunigt in acht Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h. Der EQB 350 4Matic bietet 215 kW Motorleistung, 520 Nm Drehmoment und benötigt 6,2 Sekunden bis 100 km/h. Beide Varianten verfügen über 66,5 kWh nutzbare Energie im Akku und eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h. Antriebe und Akku sind identisch mit den 300er und 350er-Varianten des EQA. Da der „kleine“ SUV 135 kg leichter ist (2.040 statt 2.175 kg) und weniger Stirnfläche hat (2,47 statt 2,53 qm) beschleunigt der EQA einen Hauch schneller und kommt ein paar Kilometer weiter (430 statt 419 km).
Auf der Route vom Mercedes-Benz-Kundencenter in Sindelfingen über Landstraßen nach Immendingen zum Testgelände des Herstellers lasse ich die Assistenten (Level 2) ihre Arbeit verrichten. Zum einen weil in fast jeder Ortschaft ein fest installierter Blitzer steht und die Verkehrsschilderkennung automatisch mein Tempo anpasst. Zum anderen, weil ich mich weniger aufs Fahren konzentrieren muss und mein Blick über die herbstlichen Wälder streifen kann. Durch das zweigeteilte Glas-Panoramadach scheint die Sonne in den Innenraum.
Der 4,68 m lange und 2,02 m breite Wagen ist ein komfortabler Reisebegleiter. Während sich die Nebelschwaden zwischen den Berggipfeln nur langsam auflösen, wärmt mich der Sitz und die Burmester-Lautsprecher klingen wie erwartet – sehr gut. Um den Sprachassistenten zu testen, spiele ich das Geo-Quiz. Dabei fragt die Assistentin nach Hauptstädten oder dazugehörigen Ländern. Das funktioniert wunderbar, zumindest versteht die Assistentin meine Antworten. Das gilt auch für meine Wünsche in Sachen Musikwiedergabe und Navigation.
Rekuperation per Schaltwippen – oder per Auto-Funktion
Am Lenkrad kann ich mit zwei Wippen meine Rekuperation anpassen, doch dazu bin ich zu faul. Sie steht auf D-Auto und passt die Energierückgewinnung automatisch der Fahrsituation an. Dazu nutzt der EQB Navidaten, Verkehrszeichenerkennung sowie Sensordaten. Ich sehe im Fahrerdisplay, wann Energie aus der Batterie entnommen und wann zurück gespeist wird. Zur Routenplanung gehört eine Ladeplanung, die sich Mercedes Electric Intelligence nennt. Das System berechnet die Reichweite auf einer Route anhand des aktuellen Stromverbrauchs, der Topografie, der Außentemperatur, der Verkehrssituation als auch der verfügbaren Ladepunkte entlang der Strecke inklusive ihrer Ladeleistung. Dabei kann ein Fahrer festlegen, mit welcher Mindestladung er oder sie am Ladepunkt ankommen möchte. Ist ein Ladestopp geplant, bringt der Heizkreislauf die Zellen auf die gewünschte Temperatur.
Im mittleren Display sehe ich verfügbare Ladepunkte entlang der Strecke. Farbige Pfeile symbolisieren ihr Ladeleistung. Ein Pfeil steht für Wechselstromladen bis 11 kW, was der EQB natürlich beherrscht. Zwei Pfeile stehen für Schnellladen bis 50 kW und drei für Leistungen über 100 kW. Wobei der EQB auf 100 kW an DC-Anschlüssen ausgelegt ist. Mit 62 Prozent Restenergie steure ich eine HPC-Säule an. Es überrascht kaum, dass ich in der Spitze nur auf 52 kW Ladeleistung komme. Käufer erhalten mit dem EQB eine Mercedes me Charge-Karte, die über 200.000 AC-/DC-Ladepunkte in Europa umfasst. Im ersten Jahr wird keine Monatsgebühr berechnet und bei Ionity lädt man für 0,29 Euro pro kWh.
Die Anzeige der Ladesäulen auf dem mittleren Display umfasst auch deren Verfügbarkeit. Insgesamt sind viele Funktionen der MBUX (Mercedes Benz User Experience) auf den zwei Bildschirmen gut gelungen. Dazu zählt beispielsweise das Ampelbild. Als erster an einer roten Ampel, zeigt die Frontkamera formatfüllend im mittleren Display die Ampel. Während man das Smartphone von der induktiven Ladematte nimmt oder etwas in der mittleren Ablage sucht, sieht man stets die Ampel im Augenwinkel. So bekommt man mit, wenn sie auf Grün springt.
Bei der Navigation nutzt die Darstellung farbige Augmented Reality Elemente. Leider wird das nicht im Head-up-Display wie im VW ID.4 oder Audi Q4 e-tron projiziert, sondern ist im mittleren Display zu sehen. Dann bewegen sich blaue Pfeile über die Straße zur Stelle, an der man abbiegen muss. Hier ist der Straßenname oder die Straßennummer zu sehen. Falsch abzubiegen ist damit quasi unmöglich. Natürlich bietet der Hersteller eine Smartphone-App, mit der die Kontrolle von Ladevorgängen, Routenplanungen und Vorklimatisieren aus der Ferne möglich sind.
Der EQB empfängt Updates der Telemetrie-Funktionen über die Datenverbindung (OTA). Aktualisierungen sicherheitsrelevanter Fahrfunktionen erfolgen noch in der Werkstatt. Zur Inspektion muss der EQB alle 12 Monate oder nach 25.000 km. Preise sind noch nicht offiziell bekannt, doch kann man mit einem Startpreis von ca. 55.000 Euro rechnen. Am Ende meiner Tagestour über die Landstraße zum Testgelände und über die Autobahn zurück, zeigt der Bordcomputer einen Verbrauch von 21,1 kWh auf 100 Kilometer – bei einem WLTP-Wert von 18,1 kWh/100 km.
Trotz des komfortablen Fahrwerks kaum Neigung in Kurven
Insbesondere die kurvigen Landstraßen in Baden-Württemberg verleiten zu kurzen Sprints mit dem Allrad-Fahrzeug. Doch diverse Tempolimits und Lkw bremsen das immer wieder aus. Doch in den kurzen Momenten zeigt der EQB sein Potenzial: Spurtstark und fast keine Neigung der Karosserie in Kurven. Wie sportlich sich der elektrische Kompakt-SUV fährt, wird mir beim Stopp in Immendingen bewusst. Hier steht die neue C-Klasse von Mercedes-Benz für Testfahrten bereit. Nach dem Abbiegen an einer Kreuzung gebe ich Gas und die Sekunden, die der Dieselmotor benötigt, um zu beschleunigen, kommen mir wie eine Ewigkeit vor. Das ist im EQB anders. Ganz zu schweigen von der Geräuschkulisse und den spürbaren Motorvibrationen im Diesel-Fahrzeug. Ich bin für die Verbrennerwelt verloren.
Mercedes-Benz ist in Sachen Elektromobilität mit sieben E-Auto-Modellen bereits gut aufgestellt: EQA, EQB, EQC (SUV), dem kommenden EQT (Mini-Van), EQV (Bus), EQE und EQS (Limousinen). Damit stehen diverse Bauformen mit Elektroantrieb zur Verfügung. Jetzt muss nur noch die Nachfrage mitziehen. Ein Blick auf die Zulassungszahlen in Deutschland zeichnet ein schwaches Bild: Von knapp 184.000 Zulassungen mit Stern auf der Haube waren von Januar bis Oktober nur 9.000 reine E-Autos. Das sind gerade Mal fünf Prozent. Das SUV-ABC soll daran etwas ändern.
Autor: Dirk Kunde
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