Koalitionsvertrag: Ampel-Parteien wollen 15 Millionen E-Autos bis 2030 und verlängern Innovationsprämie
Nach wochenlangen Verhandlungen haben SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Im Bereich der Mobilität gibt es vor allem eine große Überraschung – die Personalie des Verkehrsministers. Auf ein End-Datum für den Verbrenner haben sich die Parteien nicht geeinigt – dafür auf eine vorübergehende Fortführung der Innovationsprämie und eine Reform der E-Auto-Subvention.
„Die Ampel steht“, sagt SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. „Unser Ziel ist das erste Bündnis von Rot, Grün und Gelb auf Bundesebene zu führen. Es geht uns nicht um eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners, sondern der großen Wirkungen.“
In dem Vertrag werden als Ziel für 2030 „mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw“ genannt. Mit „vollelektrisch“ werden Plug-in-Hybride anders als bisher nicht mehr gezählt, es handelt sich dabei nur um Batterie-elektrische Fahrzeuge und Brennstoffzellenautos – die beide rein elektrisch angetrieben werden. „Wir machen Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität, zum Innovationsstandort für autonomes Fahren und beschleunigen massiv den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur“, heißt es.
Wichtiges Ziel bei der Infrastruktur: „Der Ausbau der Ladeinfrastruktur muss dem Bedarf vorausgehen.“ Die Zahl von einer Million öffentlich zugänglichen Ladepunkten bis 2030 bleibt, wird aber um den „Schwerpunkt auf Schnellladeinfrastruktur“ ergänzt. Deren Ausbau soll ressortübergreifend beschleunigt und effizienter gemacht werden. „Wo wettbewerbliche Lösungen nicht greifen, werden wir mit Versorgungsauflagen, wo baulich möglich, die verlässliche Erreichbarkeit von Ladepunkten herstellen“, so die Koalitionäre. Genehmigungsprozesse sollen vereinfacht und Netzanschlussbedingungen abgebaut werden.
„Wir werden bidirektionales Laden ermöglichen, wir sorgen für transparente Strompreise und einen öffentlich einsehbaren Belegungsstatus. Wir werden den Aufbau eines flächendeckenden Netzes an Schnellade-Hubs beschleunigen und die Anzahl der ausgeschriebenen Hubs erhöhen“, heißt es in dem Dokument. „Wir werden den Masterplan Ladeinfrastruktur zügig überarbeiten und darin notwendige Maßnahmen aus den Bereichen Bau, Energie und Verkehr bündeln sowie einen Schwerpunkt auf kommunale Vernetzung der Lösungen legen.“
Um nicht nur die Großkonzerne, sondern auch die KMU in den Automobilregionen bei der Transformation mitzunehmen, soll der Wandel zur Elektromobilität „durch gezielte Clusterförderungen“ vorangetrieben werden. Projekte wie die Europäische Batterieförderung (IPCEI) sollen weiterentwickelt werden.
Neben der Ansiedlung weiterer Zellproduktionsstandorte sind auch Recyclingvorhaben „von zentraler Bedeutung“ – inklusive der Forschung an der nächsten Batterie-Generation. „Wir wollen die auf Bundesebene bestehenden Kooperations- und Dialogformate im Bereich Automobilwirtschaft in einer Strategieplattform ‚Transformation Automobilwirtschaft‘ mit Mobilitätswirtschaft, Umwelt- und Verkehrsverbänden, Sozialpartnern, Wissenschaft, Bundestag, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden mit den zuständigen Bundesressorts bündeln, um das Ziel der Klimaneutralität, die Wertschöpfung sowie Arbeits- und Ausbildungsplätze zu sichern“, heißt es im Abschnitt Mobilität.
Was es im Koalitionsvertrag nicht gibt, ist ein klares Enddatum für den Verbrenner. Hier hatte sich vor allem die FDP dagegen ausgesprochen, die Grünen wollten eigentlich 2030 festschreiben – also rund fünf Jahre, bevor die EU de facto den Verbrenner auslaufen lassen will. „Gemäß den Vorschlägen der Europäischen Kommission werden im Verkehrsbereich in Europa 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen – entsprechend früher wirkt sich dies in Deutschland aus“, heißt es in dem Vertrag. „Außerhalb des bestehenden Systems der Flottengrenzwerte setzen wir uns dafür ein, dass nachweisbar nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen werden können.“
In einem anderen Punkt haben sich SPD und Grüne gegen die FDP, die sich im Wahlkampf mehrmals gegen die Elektroauto-Kaufprämien ausgesprochen hatte, durchgesetzt: „Insbesondere aufgrund bestehender Auslieferungsschwierigkeiten der Hersteller bei bereits bestellten Plug-In-Hybrid-Fahrzeugen werden wir die Innovationsprämie zur Unterstützung der Anschaffung elektrischer Pkw unverändert nach der bisherigen Regelung bis zum 31. Dezember 2022 fortführen.“
Zum Start am 1. Januar 2023 wollen die Parteien die Förderung so reformieren, dass ab dann nur noch Fahrzeuge gefördert werden, „die nachweislich einen positiven Klimaschutzeffekt haben, der nur über einen elektrischen Fahranteil und eine elektrische Mindestreichweite definiert wird“. Das sollen ab dem 1. August 2023 80 Kilometer sein. Ob zum Jahr 2023 auch die Fördersätze angepasst werden sollen, ist nicht klar. Nur: Die Innovationsprämie, mit der der staatliche Anteil am Umweltbonus verdoppelt wird, soll nicht über das Ende des Jahres 2025 hinaus verlängert werden.
Bei den Plug-in-Hybriden soll über eine Änderung in der Dienstwagensteuer der elektrische Fahranteil erhöht werden. Der Plan ist, dass die PHEV nur noch dann „privilegiert“ werden (Stichwort 0,5 statt 1 Prozent), wenn sie zu mehr als 50 Prozent elektrisch fahren. Ist das nicht der Fall, greift die Regelbesteuerung von einem Prozent. Wie genau eine solche Regelung umgesetzt werden soll, geht aus dem Dokument nicht hervor.
Grüner Wasserstoff nicht für alle Felder
Beim Thema Wasserstoff wollen die Ampel-Koalitionäre die Ziele zur Elektrolyseleistung deutlich erhöhen, die Produktion von grünem Wasserstoff soll gefördert werden. Die Mobilität und Brennstoffzellenfahrzeuge werden hier nicht direkt angesprochen, es heißt aber: „Wir wollen den Einsatz von Wasserstoff nicht auf bestimmte Anwendungsfelder begrenzen. Grüner Wasserstoff sollte vorrangig in den Wirtschaftssektoren genutzt werden, in denen es nicht möglich ist, Verfahren und Prozesse durch eine direkte Elektrifizierung auf Treibhausgasneutralität umzustellen.“
Um sowohl die Elektrifizierung als auch die Wasserstoff-Pläne sauber zu gestalten, soll das Erneuerbaren-Ziel auf 80 Prozent des erhöhten Bruttostrombedarfs von 680-750 TWh im Jahr 2030 festgelegt werden. „Schritt für Schritt beenden wir das fossile Zeitalter, auch, indem wir den Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorziehen und die Technologie des Verbrennungsmotors hinter uns lassen.“
Weitere wichtige Mobilitäts-Vorhaben: Der Schienenverkehr soll ausgebaut werden, etwa die Verkehrsleistung im Personenverkehr verdoppelt werden. Digitale Mobilitätsdienste, innovative Mobilitätslösungen und Carsharing sollen in eine langfristige Strategie für autonomes und vernetztes Fahren öffentlicher Verkehre eingebunden werden. Und: Damit alle neuen Busse einschließlich der Infrastrukturen möglichst zeitnah klimaneutral fahren, will der Bund die bestehende Förderung verlängern und mittelstandsfreundlicher ausgestalten.
Der Koalitionsvertrag, der den Titel „Wir wollen mehr Fortschritt wagen“ trägt, sieht insgesamt 17 Ressorts vor. Neu ist etwa, dass das Wirtschaftsministerium künftig auch die Verantwortung für das Klima trägt – als „Ministerium für Wirtschaft & Klima“. Genau wie das für die Mobilität ebenfalls wichtige Umweltministerium liegt es bei den Grünen.
Wird Volker Wissing Verkehrsminister?
Bereits vor der Bundestagswahl im September war erwartet worden, dass die Grünen im Falle einer Regierungsbeteiligung das Verkehrsministerium von der Union übernehmen wollen. Das ist aber nicht der Fall, laut dem Koalitionsvertrag wird die FDP den kommenden Verkehrsminister stellen. In diesem Ressort ist nach wie vor die „Digitale Infrastruktur“ verankert, ein für die Liberalen sehr wichtiges Feld.
Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags wurde zwar noch keine konkrete Liste der Kabinettsmitglieder vorgelegt, für einige Ressorts gelten konkrete Namen als gesetzt. Das Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur soll demnach FDP-Generalsekretär Volker Wissing übernehmen. Das Wirtschafts- und Klimaministerium dürfte übereinstimmenden Medienberichten zufolge an Robert Habeck (Grüne) gehen. Neben Kanzler Olaf Scholz und seinem möglichen Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) wird bei der Umsetzung der Politik auch der potenzielle Finanzminister Christian Lindner (FDP) viel Einfluss haben.
Beschlossen ist der Koalitionsvertrag aber noch nicht: Bei der SPD und FDP muss er jeweils noch durch Parteitage bestätigt werden. Die Grünen haben sich dazu entschlossen, ihre Zustimmung an eine Mitgliederbefragung zu binden. Die Urabstimmung soll am Donnerstag anlaufen und zehn Tage dauern. Dabei sollen die nach Parteiangaben 125.000 Mitglieder nicht nur ihre Zustimmung zu dem Vertragswerk erteilen, sondern auch über die Besetzung der Ministerämter, die der Partei zufallen.
Die Urabstimmung bei den Grünen – digital oder per Brief – läuft somit bis zum 4. Dezember. An diesem Tag will die SPD ihren Parteitag abhalten. Stimmen alle Parteien zu, könnte Olaf Scholz am 6. Dezember zum Bundeskanzler gewählt werden und anschließend sein Kabinett berufen. Laut Informationen des „Spiegel“ soll Scholz frühestens am 6.12., jedoch spätestens am 8.12., gewählt werden.
Quelle: Livestream der Pressekonferenz, spiegel.de, handelsblatt.com, tagesspiegel.de (Koalitionsvertrag als PDF)
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