Niederlande will Rivians Europa-Werk
Schon länger gibt es Gerüchte über ein Europa-Werk des US-Elektrofahrzeug-Herstellers Rivian. Während bisher eine Produktionsanlage in der Nähe von Bristol in England als Favorit galt, bestätigte nun das niederländische Wirtschaftsministerium, dass man mit Rivian Gespräche über einen sehr konkreten Standort im Land führe.
Dabei soll es sich um das Fertigungswerk VDL Nedcar handeln. Rivian könnte dort nicht nur seine Fahrzeuge produzieren, sondern VDL Nedcar komplett übernehmen. Derzeit baut der Auftragsfertiger einige Baureihen für die BMW Group, etwa den BMW X1 sowie drei Mini-Derivate. Allerdings ist bereits bekannt, dass die Verträge für den Mini Countryman und BMW X1 nicht verlängert und somit 2023 auslaufen werden – beide Baureihen sollen bekanntlich künftig gemeinsam im BMW-Werk Leipzig inklusive BEV-Version gebaut werden.
Der Eigentümer des Werks, die VDL Groep – zu der auch der Bushersteller VDL Bus & Coach gehört –, müsste also einen neuen Kunden finden, um die 4.500 Mitarbeiter in der Anlage in der Provinz Limburg weiter zu beschäftigen – oder das Werk verkaufen, worauf die Gerüchte rund um Rivian hindeuten. Laut verschiedenen Berichten will eine Rivian-Delegation bereits im Dezember das Werk in Born besichtigen.
Dazu passt, dass das eMobility-Startup Canoo, dessen Debütmodell wie berichtet ab 2022 in diesem niederländischen Werk gebaut werden sollte, nun gegenüber der US-Börsenaufsicht mitteilt, dass man „aufgrund der Entwicklungen bei VDL Nedcar derzeit nicht davon ausgeht, mit VDL Nedcar eine endgültige Rahmenvereinbarung bzw. Vereinbarung für die Auftragsfertigung abzuschließen“.
Seitens VDL Nedcar heißt es, dass man mit zwei Parteien konkrete Verhandlungen führe. Falls nicht noch ein weiterer, unbekannter Kunde im Rennen ist, gehen die Niederländer wohl anders als Canoo davon aus, dass die Verhandlungen noch laufen. Denn: Die Canoo-Fahrzeuge sollten auf einer komplett neuen Montagelinie montiert werden. Sollte Rivian VDL Nedcar nicht komplett übernehmen, sondern nur die bisher von BMW genutzten Montagelinien, wäre auch eine Fertigung beider US-Startups denkbar. Wo Canoo seine Produktion alternativ ansiedeln könnte, ist noch nicht bekannt.
Bei Rivian ist hingegen eine Alternative bekannt: Der Unternehmenscampus „Gravity“ nahe Bristol. Berichten aus dem August zufolge laufen die Verhandlungen hier seit Sommer – da es allerdings eine komplett neue Anlage wäre, könnte Rivian nicht wie in den Niederlanden ein bestehendes und eingespieltes Werk samt Mitarbeitern übernehmen.
Die britische Regierung hat offenbar das Risiko erkannt und seine Bemühungen um die Ansiedlung erhöht. Wie „Sky News“ schreibt, soll der britische Premierminister Boris Johnson einen Brief an Rivian-CEO RJ Scaringe geschickt haben. Darin versprach Johnson offenbar, dass Regierungsbeamte angewiesen worden seien, ein „maßgeschneidertes Anreizpaket“ auszuarbeiten. Johnson will dabei auf eine „Special Development Order“ (SDO) zurückgreifen, ein sehr selten genutztes Rechtsinstrument, um schnelle Planungsentscheidungen zu ermöglichen. Die Bereitschaft, die SDO zu nutzen, würde „die Bedeutung Ihres Projekts für Großbritannien widerspiegeln“, soll Johnson „Sky News“ zufolge an Scaringe geschrieben haben.
Welche Umfänge und Maßnahmen das Förderpaket für das US-Startup enthalten könnte, geht aus dem Bericht aber nicht hervor. Im Sommer hieß es, Rivian würde bei einer positiven Entscheidung „weit über eine Milliarde Pfund“ (umgerechnet rund 1,17 Milliarden Euro) an dem Standort investieren. Was ein Investment oder die Übernahme in den Niederlanden kosten würde, ist nicht bekannt.
auto-motor-und-sport.de (Rivian-Interesse), sec.gov (Canoo-Mitteilung), sky.com (Johnson-Brief)
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