Polestar 2 Standard Range: Ein echter Tipp für die Flotte
Mit dem Update P1.7 ist der Polestar 2 bei der Software so gut, wie es der Name Android Automotive verspricht. Wir sind ins Basismodell eingestiegen – kleiner Akku, keines der Ausstattungspakete. Dennoch – oder gerade deswegen – kann der Polestar 2 Standard Range Single Motor überzeugen.
* * *
Heute werde ich subjektiv: Ich würde gerne einen Forderungskatalog aufstellen. Batterie-elektrische Autos müssen aus meiner Sicht eine funktionierende Software haben. Das bedeutet zum Beispiel, dass Warnmeldungen nur angezeigt werden, wenn wirklich ein Fehler vorliegt. Das heißt zusätzlich, dass ich alle Daten sehen will, die für die Fahrt wichtig sind: Eine Anzeige des Ladestands der Batterie (abgekürzt SoC für State of Charge) in Prozentpunkten statt in einem diffusen Balken. Einen Wert für die aktuelle Ladeleistung in Kilowatt (kW), wenn ich an der Säule stehe. Beides hat der Polestar 2, letzteres erst seit einem Update in diesem Jahr. Und nach dem Update P1.7 hat der Polestar auch das, was für die Tour auf der Autobahn elementar ist: Einen Routenplaner mit einer Planung für die Ladestopps, eine SoC- und Wartezeitprognose und, wahrscheinlich am wichtigsten, eine automatischen Vorkonditionierung der Batterie. Endlich. Was für eine Erholung.
Dass der Polestar 2 ein starkes Grundkonzept verkörpert, war direkt nach der Vorstellung offensichtlich. Schwedisch-stämmige Gestalt, solide Verarbeitung, hochwertige Materialauswahl. So soll es sein. In Verbindung mit der hohen Verwindungssteifigkeit der Karosserie und der gleichbleibenden Qualität ist hier eine echte Alternative zum Tesla Model 3 entstanden. Ein Rivale, der mich im Februar beim ersten Test etwas ernüchtert zurückließ, weil die Integration von Android Automotive nur rudimentär arbeitete und der Stromverbrauch beim Dual Motor zu hoch war. Jetzt aber hat mir Polestar ein Basismodell hingestellt. Komplett ohne Extras, in Grundausstattung für 36.930 Euro, wenn man die so genannte Innovationsprämie abzieht und die verpflichtende Überführungsgebühr einberechnet.
61 Kilowattstunden von CATL
Der Polestar 2 Standard Range Single Motor, so der volle Name, hat eine Batterie mit Zellen von CATL und einem verfügbaren Energieinhalt von 61 Kilowattstunden (kWh). Die Motorleistung des Fronttrieblers beträgt 165 kW. Das reicht für 7,4 Sekunden im Standardspurt, und weil die Kennlinie des Fahrpedals spitz ist, geht es gefühlt gut voran. Was fehlt, ist der krasse Punch beim Durchtreten, für den Elektroautos seit Tesla bekannt sind. Jeder möge selbst prüfen, ob er das unbedingt braucht.
Es ist erstaunlich, dass Polestar den Heck- statt den Frontmotor gestrichen hat, als der Dual Motor abgespeckt wurde. Der Vorteil dieser Bauweise ist die wegen der dynamischen Lastverteilung sinnvollere Rekuperation an der Vorderachse, deren Leistung bis zu 100 kW beträgt, und außerdem ergibt sich unterm Ladeboden des Kofferraums hinten ein zusätzlicher Hohlraum. Der Nachteil ist die schlechtere Traktion. Ja, hier kann der Polestar nicht mit den Konkurrenten mit Heckantrieb mithalten, aber ebenfalls ja, er ist besser als alle Elektroautos mit Frontantrieb, die ich bisher gefahren bin. In Kurven kommt hinzu, dass die Mehrlenkerhinterachse zu einem agilen Fahrverhalten führt. Tolle Sache. Die 19-Zoll-Felgen sind immer noch sportlich genug, um präzise zu lenken, und zugleich schränken sie den Abrollkomfort weniger ein als die 20-Zoll-Felgen.
Vorkonditionierung? Läuft.
Kurz gesagt: Der Polestar 2 bereitet Fahrspaß. Viel wichtiger für meinen Alltag im Elektroauto ist allerdings, dass der Routenplaner funktioniert. Ich gebe ein Ziel ein, und im Zentraldisplay wird mir die Streckenführung mit diversen Ladestopps vorgeschlagen. Hierbei kann ich nach Anbietern filtern. SoC-Prognose inklusive. So hat es Tesla vorgemacht, und so müsste es aus meiner Sicht selbst im preisgünstigsten Elektroauto sein. Gut überprüfen ließ sich auch die Funktionsfähigkeit der Vorkonditionierung, bei niedrigen Außentemperaturen im Regelfall der Heizung des elektrochemischen Speichers.
Ich fahre also an einem kalten Morgen mit einem SoC von 28 Prozent an eine 150-kW-Säule um mal zu checken, was so geht. Bei 55 kW ist Schluss. Ich stehe ein paar Minuten, um zu prüfen, ob die Ladeleistung steigt. Nichts passiert. Also Abbruch. Am Nachmittag des gleichen Tages gebe ich eine 200 km lange Tour ins Navigationssystem ein. Der erste Ladestopp ist nach 36 km vorgesehen. Ich kann unschwer an der Verbrauchsanzeige erkennen, dass das System gleich nach der Abfahrt vorheizt. Und es funktioniert: Der Polestar 2 erreicht beim Halt sofort die Werksangabe von 116 kW, ackert sich sogar kurzfristig auf 120 kW.
Das heißt zwar nicht unbedingt, dass ich unter allen Umständen und Wetterbedingungen die optimale Ladekurve nachzeichnen kann. Das werden erst die Daily Driver im Jahresverlauf feststellen können. Es beweist aber, dass die Vorkonditionierung prinzipiell funktioniert. Jeder, der mal in einen Tesla eingestiegen ist weiß, wie sehr der Komfort steigt, wenn man sicher sein kann, dass die Routenführung verlässlich arbeitet und die Batterie im Rahmen des Möglichen im richtigen Temperaturfenster ist.
Ich kann es auch umgekehrt sagen: Elektroautos, die das alles nicht machen, sind nicht mehr zeitgemäß und fallen im Wettbewerb zurück. Und davon gibt es leider einige.
1,5 Tonnen Anhängelast
Zurück zum Polestar 2: Es mag nicht für jeden Kunden ausschlaggebend sein. Für mich ist die weit und per Kicksensor oder Schlüssel elektrisch öffnende Kofferraumklappe nützlich. Der Stummeldeckel beim Model 3 wirkt auf mich letztlich wie die Aufforderung, doch bitte das Model Y zu wählen. Das Gleiche gilt für die nicht mehr erhältliche Anhängerkupplung im Model 3. Die ist beim Polestar 2 für 1.150 Euro zu haben und verträgt 1,5 Tonnen Zug- und 75 kg Stützlast.
Eindeutig höher als beim Tesla Model 3 ist weiterhin der Stromverbrauch des Polestar 2. Zufall oder nicht, der Bordcomputer hat bei mir mit 22,1 kWh/100 km exakt (daraus errechnete Reichweite: 276 km, WLTP: 440 km) den gleichen Wert wie beim Kollegen Sebastian Schaal angezeigt, der im Long Range Single Motor unterwegs war. Der Aufpreis für 75 kWh Nettokapazität mit Zellen von LG Chem: 3.000 Euro, die alle investieren sollten, die nicht nur gelegentlich auf der Autobahn fahren.
Polestar hat keine Chipkrise
Leider geizt Polestar bei den Assistenzsystemen in der Basisversion: Einen adaptiven Tempomaten (ACC) gibt es nur im Pilot Paket für 3.500 Euro, das dann auch gleich die 360 Grad-Kamera, nochmals leistungsfähigere LED-Scheinwerfer (auch die serienmäßigen sind ziemlich gut) und mehr bietet. Und die Wärmepumpe, die einige Wattstunden sparen dürfte, ist ans Plus Paket (4.500 Euro) gebunden, das auch ein Panoramadach und ein Soundsystem von Harman Kardon beinhaltet. Ja, so sind sie, die fiesen Vermarktungsstrategen, sie wollen uns zum Kauf provozieren.
Die Pressestelle teilt mit, dass Lagerfahrzeuge in drei Wochen und Bestellfahrzeuge in drei Monaten lieferbar wären und nein, man hätte keine Chipkrise. Was bleibt, ist der Eindruck eines selbst in Basisausstattung hervorragenden Elektroautos, das mittlerweile die Software hat, die es von Beginn an verdient hätte. Der Polestar 2 bereichert den Markt, und Konkurrenz belebt noch immer das Geschäft.
2 Kommentare