Droht in Europa ein Überangebot an Batteriezellen?
In der Branche sorgte vor einigen Wochen ein Artikel für Aufsehen, in dem das Szenario einer sich anbahnenden Überproduktion von Batteriezellen gezeichnet wurde. Heiner Heimes von der RWTH Aachen weist diese Spekulationen zurück. Deutschland könne stattdessen Zentrum der Innovation werden – wenn jetzt konsequent in die Zellproduktion hier vor Ort investiert wird.
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Bis zum Neujahrstag 2030 sind es noch acht Jahre und ein paar Tage. Ein absehbarer und in Industriemaßstäben nicht allzu langer Zeitraum. Bis dahin, so wird es in einem Artikel des „Handelsblatts“ vermutet, werden viele Batteriefabriken aufgebaut werden. Zu viele, so die These, denn Subventionen würden zu einer Überproduktion führen. Jetzt, so wird BMW-Entwicklungsvorstand Frank Weber zitiert, sei „der falsche Zeitpunkt, um in Gigafactories zu investieren“.
Eine Behauptung, die Heiner Heimes nicht nachvollziehen kann. Er ist geschäftsführender Oberingenieur am Lehrstuhl Production Engineering of E-Mobility Components (PEM) der RWTH Aachen und fragt: „Wenn nicht jetzt, wann denn dann?“ Und er ergänzt: „Wenn nicht wir, wer denn dann? Wir haben in Europa endlich die Chance, den Rückstand zu den asiatischen Wettbewerbern aufzuholen. Dafür sollten wir kämpfen.“
Vervierzigfachung der Produktionskapazität
Im vergangenen Jahr wurden in Europa 25 Gigawattstunden (GWh) Batteriekapazität gefertigt. 2030 könnten aber rund 900 GWh gebraucht werden. Die auf Ankündigungen basierenden Prognosen sehen mit etwa 1.000 GWh tatsächlich diese Größenordnung. Das entspricht einer Vervierzigfachung. Der Gewinner des Booms: Deutschland.
Wenn die Vorausschau der Hersteller stimmt, wird Deutschland zum Hotspot der Batterieproduktion: 411 der 1.000 GWh werden hier gebaut werden. In Stichpunkten: CATL baut in Erfurt bis zu 100 GWh. Tesla in Grünheide 200 GWh. Volkswagen und Northvolt in Salzgitter 24 GWh. Ebenfalls 24 GWh planen ACC in Kaiserlautern und SVOLT im saarländischen Überherrn.
EU-Innovationsförderung IPCEI
Ein Teil dieser Vorhaben wird mit Mitteln von IPCEI gefördert. IPCEI ist das Kürzel für „Important Projects of Common European Interest“ und untersteht der EU-Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie und Unternehmertum. Ziel der EU ist es, Innovationen im Bereich der Batteriezellen, des Wasserstoffs, der Mikroelektronik und der Pharmazeutik zu unterstützen.
„Aus industriestrategischer Perspektive ist IPCEI Gold wert“, sagt Heimes und relativiert damit die These des „Handelsblatts“, genau diese Subvention würde zu einer Überförderung mit anschließender Marktbereinigung führen. „Tesla verzichtet auf IPCEI und ist ein gutes Beispiel dafür, dass mit dem Geld angemessen umgegangen wird.“ Im Kern gehe es darum, das Risiko der investierenden Unternehmen abzumildern. Die Fördergelder sind an konkrete Auflagen und Bedingungen geknüpft. Der härteste Wettbewerber, sagt Heimes, sei der asiatische Markt, in dem Staatssubventionen hingegen nicht immer transparent wären.
Starker Maschinen- und Anlagenbau
Wie aber können in Deutschland, wo Energie und Arbeitskräfte vergleichsweise kostspielig sind, Batteriezellen zu wettbewerbsfähigen Preisen produziert werden? Das geht, weil der Maschinen- und Anlagenbau stark ist. Wenn Unternehmen aus Asien in Europa eine Fabrik aufbauen, bringen sie im Regelfall ihre Produktionsprozesse mit, und die sind in den letzten zehn Jahren entstanden. Die Chance ist nun, die modernsten und innovativsten Ansätze zu nutzen. So könnte zum Beispiel die Industrialisierung der Laser- statt der Konvektionstechnik bei der Trocknung große Energiemengen einsparen. Die Automatisierung ist ein wichtiger Punkt.
Heimes vom PEM der RWTH Aachen plädiert für mehr Mut zum Handeln. „Wir müssen die Batteriezelle als Kernkomponente des Elektroautos beherrschen“, sagt er und ergänzt, dass wir vielleicht manchmal zu viel Respekt vor der Konkurrenz aus China, Südkorea und Japan hätten. Und den Verweis mancher Unternehmen, man solle doch auf die Serienreife von Festkörperzellen warten und dann in die Fertigung einsteigen, hält er für eine Ausflucht, um aktuell nicht tätig werden zu müssen.
Verschärfung des CO2-Reduktionsziels
Entscheidend für die 2030 erforderliche Menge an Batteriezellen ist auch der laufende Trilog aus Europäischer Kommission, dem Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament. Der Trilog ist quasi das Vermittlungsverfahren in strittigen Fragen der Gesetzgebung. Derzeit wird diskutiert, wie stark das ursprüngliche CO2-Reduktionsziel von minus 37,5 Prozent im Vergleich zu 2020 weiter verschärft wird.
Je nach Quelle werden stattdessen 55 bis 70 Prozent CO2-Minderung gegenüber dem Jahr 2020 kolportiert. Und das bedeutet, dass die Autoindustrie erheblich mehr Elektroautos produzieren muss, als es das bislang eher konservative Szenario vorgesehen hat. Eine Einigung wird 2022 erwartet. Spätestens dann wird noch klarer, wie viele Batteriezellen nötig sind, um den Klimaschutz voranzubringen. Es wäre klug, wenn die Staaten der Europäischen Union diese Kapazitäten selbst produzieren, statt sich von anderen abhängig zu machen.
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