„electrive.net LIVE“: Wie läuft der Ladeinfrastruktur-Ausbau?
Die Forderung des VDA ist klar: Die Industrie hat inzwischen die E-Autos im Angebot, aber für die gewünschten 15 Millionen E-Autos der Bundesregierung braucht es einen massiven Ladesäulen-Ausbau. Doch wie kommt dieser voran? Der BDEW und die Nationale Leitstelle haben Ideen und Impulse bei unserer Online-Konferenz geteilt. Auch eine rechtliche Einordnung gab es.
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In dem ersten Panel bei der 16. Ausgabe von „electrive.net LIVE“ unter dem Motto „Quo vadis Elektromobilität 2022“ hatten sich in der politischen Diskussion Daniela Kluckert, Parlamentarische Staatssekretärin im Verkehrsministerium und die erste Ladeinfrastruktur-Beauftragte überhaupt, und VDA-Präsidentin Hildegard Müller für einen deutlichen Ausbau der Infrastruktur für E-Fahrzeuge ausgesprochen. Müller verwies auf die 2.000 neuen Ladepunkte, die pro Woche errichtet werden müssten – im Schnitt der vergangenen zwei Monate seien es aber nur 300 Ladepunkte je Woche gewesen. Kluckert mahnte an, die Politik solle sich auf den Nutzer konzentrieren. „Das ist die absolute Basis. Und da geht es natürlich um das Thema Laden.“
Doch was sagt die Energiebranche zu diesen Forderungen, die nicht nur aus der Autoindustrie, sondern auch dem Verkehrsministerium kommen? Um es kurz zu machen: Sie bläst ins selbe Horn. „ Die wahrscheinlich wichtigste Voraussetzung ist das Commitment der Bundesregierung zum Hochlauf der Elektromobilität. Die Energiebranche und Ladepunktbetreiber stehen voll hinter diesem Ziel“, sagt Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des BDEW, in ihrem Video-Grußwort.
Auch sie verweist darauf, dass sich die Ladeinfrastruktur an den Kundenbedürfnissen orientieren müsse. „Neben den Zielen ist vor allem eine positive Kommunikation und Sicherheit notwendig“, so Andreae. Die Energiebranche werde ihren Anteil leisten. „Es wird genügend Strom für 15 Millionen Elektroautos im Jahr 2030 zur Verfügung stehen und die Netzversorger werden die Ladepunkte einbinden können“, sagt die BDEW-Chefin. „Wenn ich die Ziele der Bundesregierung sehe, bin ich sehr zuversichtlich, dass wir auch genügend grünen Strom haben werden.“
Wenn sich alle so einig sind, wo ist dann das Problem? Das wird im Laufe der Diskussion klar: Die Ziele mögen zwar sehr ähnlich sein. Die Vorstellungen, wie dieser Weg dorthin gestaltet werden soll, sind es aber nicht immer. Ein Beispiel: Jan Strobel, Abteilungsleiter Regulierung, Marktkommunikation und Mobilität beim BDEW, kritisiert beim viel diskutierten Deutschlandnetz einige „marktrechtliche No-Gos“, etwa die Preisobergrenze und eine „absolut ungenügende Berücksichtigung des Bestandes“.
BDEW fordert stabilen regulatorischen Rahmen
Johannes Pallasch, Sprecher des Leitungsteam der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur (welche dem BMDV unterstellt ist), kontert: Zum einen gebe es – anders als häufig dargestellt – keine feste Preisobergrenze, sondern einen atmenden Preisrahmen, der etwa bei steigenden oder regional unterschiedlichen Einkaufspreisen für den Strom durchaus Spielraum gebe. Und der aktuelle Bestand sei bei den Ausschreibungen des Deutschlandnetzes sehr wohl berücksichtigt worden. Eine einzelne AC-Säule könne zwar keinen der geplanten HPC-Anlagen ausbremsen, in unmittelbarer Nähe eines bestehenden HPC-Parks soll aber nur dann eine Deutschlandnetz-Anlage entstehen, wenn die prognostizierte Nachfrage eine Auslastung beider Anlagen ergibt.
Nächstes Beispiel: Sowohl Andreae als auch Strobel fordern einen stabilen regulatorischen Rahmen, um die Investitionssicherheit zu garantieren. Diesen Rahmen will Pallasch unter anderem mit dem Deutschlandnetz bieten – verweist aber auch auf den kommenden Masterplan 2.0. Im ersten Panel hatte Johannes Wieczorek, Leiter der Unterabteilung G2 „Klimaschutz in der Mobilität, Umweltschutz“ im BMDV, den Masterplan 2.0 – „oder wie auch immer er dann genau heißen mag“ – für Sommer in Aussicht gestellt.
Es gibt aber auch Punkte, in denen sich der BDEW und die Leitstelle einig sind. Den Vorstoß von Kluckert, dass Bund, Länder und Kommunen eigene Flächen einbringen sollen, begrüßen Pallasch und Strobel. „Der Bund kann nicht von Berlin aus in Süddeutschland ein Konzept für das Quartiersladen vorgeben. Das muss vor Ort geschehen“, so Pallasch. „Die Kommune muss die Verantwortung dafür übernehmen, dass es genügend Ladeinfrastruktur vor Ort gibt. Das geht nicht nur mit dem heutigen Prinzip der Freiwilligkeit, da brauchen wir verbindliche Maßnahmen.“
Während es bei der Ausgestaltung solcher Maßnahmen womöglich wieder Dissens gibt, begrüßt es Strobel „ausdrücklich, wenn der Bund eigene Flächen einbringt – etwa Park&Ride-Parkplätze – und Länder und Kommunen ermutigt, ebenfalls Flächen freizugeben“. „Beim Masterplan 2.0 dürfen wir aber nicht nur auf die Regulatorik schauen, sondern wie man die Kommunen an Bord bekommt“, so der BDEW-Abteilungsleiter. „Es geht hier nicht um Bashing, sondern wie wir ‚Best Practices‘ in die Fläche bekommen.“ Kommunen bräuchten hier oft Unterstützung.
Strobel mahnt auch beschleunigte und schlankere Genehmigungsverfahren an, aber auch bessere Abläufe – etwa vor dem Hintergrund des Deutschlandnetzes. „Die Zahl der Netzanschlussgesuche steigt massiv“, berichtet Strobel. „Wenn im Deutschlandnetz-Bieterverfahren mehrere Unternehmen Gesuche für die Netzanschlusskosten in einem Suchraum stellen, damit sie ihren Businessplan kalkulieren können, muss jedes Gesuch bearbeitet werden. In dieser Zeit bleibt andere Arbeit liegen, das verzögert natürlich den Prozess.“
Neue Regelung auf EU-Ebene kommt – aber wann und wie?
Ein weiterer Punkt beim stabilen Regulierungsrahmen ist die im vergangenen Jahr bei der Novelle der Ladesäulenverordnung eingefühte Pflicht für ein Debit-/Kreditkarten-Terminal. Laut der LSV müssen alle neuen Ladepunkte, die ab Mitte 2023 in betrieb gehen, über eine solche Bezahlmöglichkeit verfügen. „Die Bezahlsysteme erfordern neue Baumusterprüfbescheinugungen und wir hoffen, dass die Hersteller das im Zeitrahmen schaffen“, so Strobel. „Solche Änderungen sind schwierig, wenn wir in der Phase des Markthochlaufs sind und investieren wollen.“
Nur: Wie stabil dieser Rechtsrahmen ist, scheint noch unklar. Darüber berichtet bei seinem Auftritt Christian A. Mayer von der Noerr Partnerschaftsgesellschaft. Der Rechtsanwalt zeigte sich nach eigenen Angaben „überrascht“, dass der Bundesrat die Ladesäulenverordnung in dieser Form beschlossen habe. Mayer blickt aber nach vorne: Die novellierte LSV basiert auf der Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFID) der EU. Diese diskutiert derzeit aber schon den Nachfolger der AFID, AFIR genannt.
Der kleine, aber feine Unterschied: Die AFID ist eine Richtlinie, welche die einzelnen Staaten jeweils – mit etwas Spielraum – in nationale Regelungen umsetzen müssen. Die AFIR ist hingegen eine Verordnung und gilt somit europaweit – einheitlich und ohne Spielraum für nationale Anpassungen. Damit kann die EU-Kommission erstmals verbindlich EU-weite Ausbauziele für die Lade-Infrastruktur festlegen und Mindestanforderungen definieren.
Ladenetze für E-Lkw werden das nächste große Thema
Wie Mayer angibt, wird in den aktuellen Entwürfen auch das Thema Bezahlsysteme behandelt. Derzeit ist dort wie in der LSV die Bezahlmöglichkeit mit Kreditkarte vorgeschrieben – im aktuellen Entwurf aber erst am 50 kW DC. AC-Ladepunkte wären somit ausgenommen. Gerade bei den teilweise vereinzelt in Städten oder an Parkplätzen errichteten und recht günstigen AC-Säulen würde eine Kartenterminal-Pflicht für hohe Mehrkosten sorgen. Für einen HPC-Park „mit räumlich zusammenhängenen Ladepunkten“ reicht auch laut der LSV ein gemeinsam genutztes Kartenterminal aus – was sich bei 16 HPC-Ladepunkten sehr viel besser rechnet als bei 2x22kW.
Wo Rechtsanwalt Mayer ebenfalls Handlungsbedarf sieht, ist das Thema Netzanschluss. Aktuell ist nur bei den Verteilnetzen eine Frist von zwei Monaten für die Reaktion des Verteilnetzbetreibers festgelegt. Bei der Mittelspannung, die für den HPC-Ausbau wichtig ist, gibt es eine solche Frist noch nicht. Wie eine solche Regelung ausgestaltet werden kann, ist offen. „Hier kommt es auf die Sichtweise an, die Netzbetreiber haben eine andere Sicht als die Ladepunktbetreiber“, sagt Mayer.
Geht es nach Lade-Vordenker Pallasch, sollte man nicht nur bei der Mittelspannung für die Zukunft mitdenken, sondern auch direkt für die Hochspannung – Stichwort E-Lkw. „Die Produktionslinien laufen an, 2023/2024 kommen die Modelle in größeren Stückzahlen“, sagt Pallasch. „Dafür brauchen wir ein initiales Ladenetz.“
Nationale Leitstelle rechnet mich Hochspannungs-Anschlüssen für E-Lkw
Vor einigen Tagen haben das BMDV, die NOW und die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur eine Bestandsaufnahme für den Aufbau von öffentlicher Ladeinfrastruktur für schwere Nutzfahrzeuge im Fernverkehr veröffentlicht. Die zuständige Task-Force hat dabei über 30 verschiedene Themen identifiziert, wie ein solches Lkw-Ladenetz aufgebaut werden kann – von Punkten wie den knappen Flächen an den Autobahnen bis hin zum zusätzlichen Strombedarf und die damit verbundene Netzplanung.
„Wenn man hier ernst macht, muss man viele Hochspannungs-Anschlüsse an die Autobahn-Standorte legen“, sagt Pallsch bei electrive.net LIVE. Ein weiterer Punkt der Bestandsaufnahme: Wie beim E-Auto die Verteilung zwischen AC und DC muss sich beim E-Lkw die Verteilung zwischen CCS- und dem schnelleren MCS-Laden erst noch etablieren. Wie viel lädt ein E-Lkw im Depot? Wie viel öffentlich per CCS über Nacht? Und wie viel spontan und möglichst schnell während einer 45-Minuten-Pause? „Wir werden beim Lkw eine bunte Mischung aus E-Lkw mit unterschiedlichem Ladeverhalten und der Brennstoffzelle sehen“, meint Pallasch. „Wichtig ist, dass wir beides ermöglichen.“ Das sieht übrigens auch der VDA so: Präsidentin Müller forderte bei ihrem Auftritt ein „Deutschlandnetz für Lkw“.
Aber nicht nur der VDA hat bei der Online-Konferenz eine Forderung platziert: BDEW-Chefin Kerstin Andreae schlug eine „Konzentrierte Aktion Elektromobilität“ vor. Diese Plattform solle – als eine Art Nachfolger der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität – dazu dienen, „um die drängendsten Fragen konstruktiv zu beantworten“.
Folgt die KAEM auf die NPM?
Während Pallasch dazu rät, mit Gipfeln behutsamer umzugehen und diese hochwertiger zu gestalten (O-Ton: „Wir hatten sehr viele Gipfel“), unterstützt BDEW-Abteilungsleiter Strobel wenig überraschend den Vorstoß seiner Hauptgeschäftsführerin: „Die NPM war eine Möglichkeit, miteinander zu reden als übereinander.“
Ein Punkt, den Strobel gerne diskutieren würde, ist die im Koalitionsvertrag erwähnte Zielmarke von einer Million öffentlichen Ladepunkten bis 2030. „Für den Klimaschutz brauchen wir 15 Millionen E-Autos bis 2030. Aber brauchen wir 2030 für diese Fahrzeuge auch eine feste Zahl von öffentlichen Ladepunkten?“, fragt Strobel und schiebt seine Ansicht hinterher: „Das stumpfe Ladepunkt-Zählen ist nicht mehr zielführend. Durch den aktuellen HPC-Ausbau können an einem Ladepunkt mehr Elektroautos in einer bestimmten Zeit geladen werden.“
Egal ob NPM, KAEM oder electrive.net LIVE: Die Diskussionen über den Ladeausbau werden 2022 unvermindert weiterlaufen. Bei unserer 17. Ausgabe im Februar widmen wir uns ausschließlich dem High Power Charging. Leitstellen-Leiter Pallasch gab zudem an, dass man bei den Deutschlandnetz-Ausschreibungen bald in die Dialogphase treten werde. Es bleibt also spannend.
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