Bundesministerien uneinig bei CO2-Flottengrenzwerten
Das Bundesverkehrsministerium lehnt strengere CO2-Flottengrenzwerte in der EU ab, während das Bundesumweltministerium sich für die vom EU-Parlament geforderte Erhöhung des Zwischenziels von 55 Prozent auf 75 Prozent bis 2030 einsetzt. Der Streit wird wohl in einem Koalitionsausschuss der Ampel-Regierung geklärt werden.
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Wie der „Spiegel“ erfuhr, hatten sich Beamten der deutschen Ministerien für Umwelt und Verkehr zunächst darauf geeinigt, in Brüssel für ehrgeizigere Zwischenziele beim CO2-Ausstoß neu zugelassener Fahrzeuge einzutreten. „Wir benötigen mehr Ambitionen vor 2030“, hieß es laut dem Bericht zunächst in einem Papier beider Häuser. 75 statt 55 Prozent weniger CO2 im Vergleich zu 2021 sollten Neuwagen in Deutschland im Jahr 2030 ausstoßen dürfen.
Diesen wichtigen Satz, der ein Gradmesser für die Bemühungen der Regierung bei den CO2-Einsparmaßnahmen im Verkehrssektor hätte werden können, hat – gemäß den „Spiegel“-Informationen – die Führung des Verkehrsministeriums streichen lassen. Gleiches gelte für die Aussage, es müssten Zwischenziele geschaffen werden. Statt höherer Klimaziele sollen jetzt lediglich „die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Flottenzielwerte ab dem Jahre 2030“ unterstützt werden.
Damit würde das Haus von Bundesverkehrsminister Volker Wissing die eigentlich von der Koalition vereinbaren Klimaziele für Neuwagen abschwächen. Im Koalitionsvertrag hatten die Ampel-Parteien festgehalten, dass „gemäß den Vorschlägen der Europäischen Kommission“ im Verkehrsbereich in Europa 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen werden sollen. „Entsprechend früher wirkt sich dies in Deutschland aus“. Diesen Passus scheint Wissing nun nicht mehr einzuhalten – statt selbst gesteckten strengeren Zielen sollen nur noch die EU-Vorgaben eingehalten werden.
Zudem wurde im Verkehrsministerium ein weiterer wichtiger Satz eingefügt: Ab 2035 sollen auch „nachweislich nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge“ zugelassen werden können. Anfang Januar hatte Wissing sich in einem Interview gegen den Einsatz von E-Fuels im Pkw ausgesprochen und damit die FDP-Parteilinie verlassen. Da gebe es „auch nichts mehr zu diskutieren oder abzuwarten“, sagte der Minister damals über den Kauf eines E-Autos – und riet vom Kauf eines Verbrenner-Autos ab.
Eine weitere, nicht zu vernachlässigende Änderung, die das Verkehrsministerium an dem Schreiben vorgenommen hat, hatte sich – auch vor dem Hintergrund der Äußerungen der Parlamentarischen Staatssekretärin Daniela Kluckert bei ihrem Auftritt bei „electrive.net LIVE“ – angedeutet: Wissings Beamte strichen bei der Zielmarke von 15 Millionen BEV im Jahr 2030 (im Koalitionsvertrag wurden hier noch „vollelektrische Fahrzeuge“ genannt) das Kürzel BEV und fügten stattdessen „Elektrofahrzeuge“ ein. Als solche gelten auch die Plug-in-Hybride, womit das klare, aber ambitionierte Ziel für 2030 ebenfalls massiv abgeschwächt werden würde.
Besonders die Grünen sorgen sich offenbar um die Umsetzung der Koalitions-Ziele im FDP-geführten BMDV. Wie das „Handelsblatt“ inzwischen unter Berufung auf Regierungskreise berichtet, landet der Fall vor einem Koalitionsausschuss. Dieser tagt einmal im Monat – wann genau, ist offen.
Vor der nächsten Verhandlungsrunde der Umweltgruppe des Europäischen Rats im März soll Deutschland zu einer einheitlichen Position kommen – im Koalitionsausschuss. Bei der ersten Verhandlungsrunde im Februar konnte sich Deutschland aufgrund der Meinungsverschiedenheiten der Ministerien noch nicht positionieren.
Update 16.02.2022: Laut einem weiteren „Spiegel“-Artikel deutet sich in dem Streit zwischen den Ministerien eine Lösung an. Kanzler Olaf Scholz (SPD) soll sich laut Regierungskreisen auf die Seite von FDP-Verkehrsminister Volker Wissing geschlagen haben und lehnt somit strengere CO2-Vorgaben in Deutschland ab. Mit der Entscheidung von Scholz soll das Thema nicht mehr im Koalitionsauschuss gelöst werden, so der Bericht.
In dem „Fit for 55“-Programm der EU ist das Ziel formuliert, bis 2030 den CO2-Ausstoß von neuen Pkw und Lieferwagen gegenüber 2021 um 55 Prozent zu senken. Das von den Grünen geleitete Umweltministerium hatte für Deutschland eine Reduktion um 75 Prozent angepeilt.
Dass Scholz nun nur die EU-Vorgabe von 55 Prozent umsetzen will, sorgt bei den Grünen und Umweltgruppen für Kritik. „Die bisherigen EU-Ziele reichen nicht, um die hohen CO₂-Emissionen im Verkehr schnell genug zu senken“, sagte Greenpeace-Experte Tobias Austrup dem „Spiegel“. „Für einen selbst ernannten Klimakanzler ist die Entscheidung von Olaf Scholz gegen ambitionierte Flottengrenzwerte in der EU ein Armutszeugnis.“
Update 17.02.2022: Inzwischen hat sich auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke in der Sache zu Wort gemeldet. Sie verweist darauf, dass sich die CO2-Flottengrenzwerte als „wirksames Mittel für mehr Klimaschutz im Verkehr bewährt“ hätten. „Tatsächlich hätte ich mir noch höhere CO2-Grenzwerte vor und für 2030 gewünscht“, so Lemke. „Die Autohersteller senden uns ja seit Monaten entsprechende Signale, wenn sie ankündigen, schon in wenigen Jahren nur noch vollelektrische Fahrzeuge in Verkehr zu bringen, während die Grenzwerte über die nächsten acht Jahre weitgehend unverändert bleiben sollen.“
Zudem vermeldet die Umweltministerin, dass der Einsatz von E-Fuels auch künftig nicht auf die CO2-Flottengrenzwerte angerechnet werden soll. „Das bedeutet insgesamt: Die allermeisten Fahrzeuge im Straßenverkehr werden auf wirklich emissionsfreie Antriebe umsteigen. Damit findet eine langwierige Debatte in der Bundesregierung ein Ende“, sagt die Grünen-Politikerin. „Denn schon lange ist klar: Im Straßenverkehr ist die Elektromobilität die effizienteste, kostengünstigste Alternative für mehr Klimaschutz.“ Strombasierte Kraftstoffe sollen dort eingesetzt werden, wo es keine klimafreundliche Alternative gibt, „vor allem im Luft- und Seeverkehr“.
spiegel.de, handelsblatt.com, spiegel.de (Update I), bmuv.de (Update II)
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