Scania feilt an BEV-Schwertransportern mit über 60 Tonnen
Scania befasst sich mit Batterie-elektrischen Lkw in Überlänge und Gewichtsklassen jenseits der 60 Tonnen. Die Entwicklung der Sonderanfertigungen erfolgt zusammen mit drei Kunden in Schweden. Das erste Exemplar verrichtet seinen Dienst bereits bei der Firma Wibax, zwei weitere E-Lkw-Kolosse werden im Laufe des Jahres an SCA und Jula Logistics ausgeliefert. Wir haben die Details dazu.
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Laut Straßenverkehrsordnung ist in Deutschland bei einem zulässigen Gesamtgewicht von 44 Tonnen Schluss. Es gibt jedoch Sonderlösungen – und Scania ist dabei, Lkw jenseits der 60 Tonnen für besondere Aufgaben im Auftrag von drei schwedischen Kunden mit Batterie-elektrischen Antrieben auszuliefern. Der zu Traton gehörende Hersteller betont, dass es sich um Einzelstücke handelt, die „gemeinsam mit verschiedenen Partnern und durch tiefgreifende Analysen realisiert werden“. Anders als etwa im Pkw-Sektor üblich erfolge die Entwicklung explizit in sehr enger Abstimmung mit den Kunden: „Wir simulieren die Transportströme und liefern die Lkw mit einer für den jeweiligen Transportauftrag am besten geeigneten Kombination von Komponenten – sowohl was das Fahrzeug als auch die Ladung betrifft. Wir sehen die Fahrzeuge wirklich als eine Komplettlösung an“, heißt es auf Anfrage von electrive.net aus der schwedischen Firmenzentrale.
Bereits übergeben hat Scania einen Batterie-elektrischen 64-Tonner – und zwar an den schwedischen Chemielieferanten Wibax. Zum Einsatz kommt die dreiachsige Zugmaschine mit Anhänger in Nordschweden, genau genommen auf einer 80 Kilometer langen Strecke zwischen Piteå und Skellefteå. Gegenüber electrive.net präzisiert Scania, dass das Fahrzeug selbst 10,8 Tonnen – und damit rund 1,5 Tonnen mehr als sein Diesel-Pendant – wiegt. Das liegt unter anderem an neun verbauten Batteriepaketen, die insgesamt etwa 300 kWh Energiegehalt aufweisen. Geladen wird das Fahrzeug an einem 150-kW-Ladegerät – bereitgestellt von Projektpartner Skellefteå Kraft. Mit weiteren technischen Daten hält sich Scania bedeckt, verweist jedoch drauf, dass das Fahrzeug in vielerlei Hinsicht „auf der von Scania in der BEV-Serie hergestellten E-Truck-Lösung“ basiere. Also auf dem seit Kurzem im Handel erhältlichen elektrischen Serien-Lkw. Dazu unten mehr.
Wibax und Scania haben unterdessen vereinbart, dass sie langfristig zusammenarbeiten wollen, um die Nutzung des elektrischen 64-Tonners im Laufe der Zeit zu optimieren – und zwar einschließlich des Ladevorgangs, der Batterielebensdauer und der Routenplanung. Wibax erhofft sich davon wertvolle Erkenntnisse zur weiteren Flotten-Elektrifizierung: „Seit unserer Gründung im Jahr 1986 bemühen wir uns nach Kräften um Nachhaltigkeit, und da wir die Transporte als unsere größte Umweltbelastung identifiziert haben, ist dieser Elektro-Lkw ein Schritt, der sicherstellt, dass wir unseren Betrieb mit Rücksicht auf das Klima fortführen können. Während der Lebensdauer dieses Lkw wird Wibax die CO2-Emissionen um bis zu 1.400 Tonnen reduzieren, was ihn zu einem echten Game Changer macht“, führt Jonas Wiklund, CEO der Wibax Group, aus.
Für Scania ist es der erste vollelektrische 64-Tonner, der im Kundenbetrieb den Dienst aufnimmt. „Der Schlüssel zum Erreichen von Null-Emissionen im Verkehr ist die Elektrifizierung, und wir werden dieses Ziel gemeinsam mit Kunden und anderen Interessengruppen, die unsere Werte teilen, erreichen“, sagt Fredrik Allard, Head of E-Mobility bei Scania. „Partnerschaften wie diese, bei der wir frühzeitig zeigen, was möglich ist, sind ein klares Zeichen für den Tempowechsel, den wir brauchen, um fossilfrei zu werden und die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen.“
Das E-Lkw-Koloss bei Wibax mag der erste Ü60-Tonner mit Elektroantrieb von Scania in Schwedens sein, ein Einzelgänger bleibt er nicht: Der Hersteller kündigt für dieses Jahr bereits die Auslieferung zweier weiterer Sonderanfertigungen an – und zwar an den Holzkonzern SCA und das Transportunternehmen Jula Logistics.
Zusammen mit SCA und dem Forschungsinstitut Skogforsk feilt Scania an einem elektrischen Holztransporter, der auf öffentlichen Straßen ein zulässiges Gesamtgewicht von bis zu 64 Tonnen und auf privaten Straßen sogar von bis zu 80 Tonnen gewährleistet. Das Fahrzeug soll noch in diesem Jahr in der schwedischen Region Västerbotten ankommen und dort Holz zwischen dem SCA-Terminal in Gimonäs und der Papierfabrik in Obbola bei Umeå transportieren.
Bei SCA handelt es sich laut einer begleitenden Pressemitteilung um Europas größten privaten Waldbesitzer und Hersteller von Schnittholzprodukten, Verpackungsmaterialien und Zellstoff. Jedes Jahr transportiert der Konzern nach eigenen Angaben etwa 8,5 Millionen Kubikmeter Holz an die Industrie und setzt dabei 265 Holzlaster in Zusammenarbeit mit 87 Spediteuren ein.
„Die Zusammenarbeit mit Scania ist für uns ein wichtiger Weg, um gemeinsam innovative Lösungen für einen nachhaltigen Transport zu finden. Elektrische Holzlaster werden einen wichtigen Beitrag zur Arbeit von SCA im Bereich Nachhaltigkeit leisten (…)“, sagt Hans Djurberg, Leiter der Abteilung Nachhaltigkeit bei SCA. „Wenn wir nur einen einzigen Elektro-Lkw zwischen Gimonäs und Obbola einsetzen, können wir unsere Kohlenstoffemissionen um etwa 55.000 Kilogramm pro Jahr reduzieren.“
Scania-Manager Allard ergänzt, dass speziell der Holztransport stets als ein Sektor bezeichnet worden sei, den man vielleicht nie elektrifizieren könne. „Die Entwicklungen der letzten Jahre und das, was wir jetzt mit SCA präsentieren, zeigen, wie schnell die Dinge sowohl bei den Fahrzeugen als auch bei den Batterien voranschreiten.“ Allerdings verweisen die Partner darauf, dass ein wachsender Bedarf an Ladeinfrastruktur für schwere Fahrzeuge bestehe. „SCA kann seinen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels weiter erhöhen, aber es müssen ernsthafte Anstrengungen zum Aufbau der Ladeinfrastruktur unternommen werden. Diese Verantwortung liegt letztlich bei der Regierung“, heißt es aus der SCA-Zentrale.
Dritter Scania-Kunde mit einem bald eintreffenden E-Megatruck im Bunde ist Jula Logistics. Das schwedische Unternehmen verweist darauf, dass europäische Lkw maximal einen 12-Meter-Container transportieren dürften, man seit 2015 jedoch ein Fahrzeug einsetze, das doppelt so lang ist – also bei 32 Meter Gesamtlänge zwei Container transportiert. Dieser Lkw soll künftig allein mit Strom betrieben werden und noch in der ersten Hälfte des Jahres 2022 in Betrieb genommen werden. Das zulässige Gesamtgewicht dieser Sonderanfertigung beziffert Scania ebenfalls auf 64 Tonnen, einschließlich Ladung und Anhänger.
„Wir nutzen den Kombinierten Verkehr, bei dem unsere Fracht mit dem Schiff im Hafen von Göteborg ankommt und auf einen Zug verladen wird, der nach Falköping fährt. Von dort aus wird die Ladung per Lkw das letzte Stück bis zu unserem Lager in Skara transportiert. Diese Transportkette noch nachhaltiger zu gestalten, indem wir einen Lkw einsetzen, der mit Strom aus Solarzellen betrieben wird, die wir auf dem Dach unseres Lagers errichten werden, ist einfach fantastisch“, sagt Lennart Karlsson, CEO von Jula Logistics.
Das besonders lange Fahrzeug soll die 60-Kilometer-Strecke von der Zughaltestelle in Falköping bis zum Lager in Skara mehrmals am Tag abfahren. „Der neue, extrem lange und schwere Elektro-Lkw ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein enger Dialog mit den Kunden es uns ermöglicht, ein einzigartiges Fahrzeug zu bauen, das die Anforderungen des jeweiligen Kunden schon in einem sehr frühen Stadium erfüllt. Auch bei einem Modell, das nicht in Serie produziert wird“, unterstreicht Allard.
Apropos Serie: Im Handel hat Scania bisher einen BEV- und einen PHEV-Lkw für den städtischen Verteilverkehr. Zur BEV-Variante machte Scania im September folgende Präzisionen: Der E-Lkw hat ein zulässiges Gesamtgewicht von bis zu 29 Tonnen und fährt wahlweise mit den Radkonfigurationen 4×2, 6×2, 6×2*4 und einem Achsstand zwischen 3.950 und 5.750 mm vor. Das Modell leistet 230 kW und wird mit Batteriekapazitäten von 165 und 300 kWh für Reichweiten von bis zu 250 Kilometer angeboten. Die Ladeleistung beläuft sich auf bis zu 130 kW. Für die kleine Batterie (fünf Module, 165 kWh) ergibt sich eine Ladezeit von 55 Minuten, bei dem großen Akku (neun Module, 300 kWh) sind es 100 Minuten. Und: Weitere Verbraucher werden nicht an die Schnittstelle, die üblicherweise am Motor oder Getriebe sitzt, angeschlossen. Hierfür gibt es bei Scanias BEV-Lkw eine am Chassis montierte DC-Box, die etwa für Kühlaggregate oder einen kleinen Ladekran bis zu 60 kW zur Verfügung stellt.
Neben BEV und PHEV (der auf 60 Kilometer E-Reichweite kommen soll) hat Scania übrigens noch eine weitere elektrifizierte Lkw-Variante im Angebot – allerdings nicht im freien Verkauf. Die Schweden sind Partner der deutschen eHighway-Testerprobungen und stellen als dieser die 15 umgerüsteten Lkw mit Pantografen für die drei Teststrecken in Hessen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg zur Verfügung.
Die Schweden stellen neben Lkw auch Busse, Industrie- und Marinemotoren her. Die Forschung und Entwicklung befinden sich in Schweden, Brasilien und Indien, die Produktion findet in Europa, Lateinamerika und Asien statt. Weltweit beschäftigt der OEM etwa 51.000 Mitarbeiter. 2020 verzeichnete Scania Deutschland 4.818 neu zugelassene Scania-Lkw und damit hierzulande einen Marktanteil von 10,5 Prozent. In Österreich waren es 1.086 neu zugelassene Exemplare und somit ein Marktanteil von 19,9 Prozent.
Die Markteinführung eines BEV- und einer PHEV-Lkw für den städtischen Verteilverkehr bezeichnete Scania-CEO Henrik Henriksson Ende vergangenen Jahres als „Auftakt unseres Engagements für eine langfristige Elektrifizierung“. In den nächsten Jahren werde man jährlich neue Elektrofahrzeuge für das gesamte Produktangebot auf den Markt bringen. „Dabei ist es von besonderer Bedeutung, dass wir in wenigen Jahren auch Elektro-Lkw für den Fernverkehr einführen werden, die auf eine Schnellladung während der vorgeschriebenen 45-minütigen Ruhezeiten der Fahrer ausgelegt sind.“ Eine Jahreszahl für den Launch eines solchen Modells nannte Henriksson allerdings nicht.
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