„electrive.net LIVE“: HPC als Milliardenmarkt der Zukunft
Autohersteller, Energiewirtschaft, Politik, Verbraucher – von allen Seiten wird ein zügiger Ausbau der Ladeinfrastruktur gefordert. Dem High Power Charging kommt dabei eine ganz besondere Bedeutung zu – auf Langstrecken sowie in dichten Innenstädten. Doch was plant die Branche und wo hakt es beim Ausbau? Antworten gab es bei unserer 17. Online-Konferenz zum HPC-Roll-out.
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Nicht nur bei der 16. Ausgabe unserer Online-Konferenz im Januar wurde klar: Der weitere Hochlauf der Elektromobilität hängt nicht mehr nur von den geeigneten Fahrzeugen ab, die in immer mehr Segmenten den Endkunden eine elektrische Alternative bieten. Eine wichtige Rolle kommt der Ladeinfrastruktur zu – bis 2030 plant die Politik eine Million öffentlich zugängliche Ladepunkte.
Auf der Langstrecke und für die Laternenparker in den Städten ohne eigene Wallbox sind öffentliche Schnelllader wichtig. Während hier die Planungen laufen – von der Bundesregierung etwa über das viel diskutierte Deutschlandnetz vorangetrieben –, nimmt inzwischen auch die Elektrifizierung der schweren Nutzfahrzeuge immer konkretere Formen an. VDA-Präsidentin Hildegard Müller forderte zuletzt gar ein „Deutschlandnetz für E-Lkw“.
Doch was planen die Unternehmen, die High Power Charger bauen und betreiben? Welche Herausforderungen bringt die aktuelle Marktdynamik? Wie groß ist das Marktpotenzial, wie sieht es mit der technischen Umsetzbarkeit des schnellen Ausbaus aus? Lohnt sich die Investition in einen schnellen, aber teuren HPC eher als in einen günstigeren, aber langasmeren DC-Lader? Wo hat es in der Vergangenheit gehakt, wo muss es künftig besser werden? Werden beim Kampf um die attraktiven Standorte immer die großen Player gewinnen?
Erste Antworten gibt Ionity-CEO Michael Hajesch als erster Speaker der Konferenz in seinem Vortag. Mit der jüngsten Millionen-Investition der beteiligten Autobauer und erstmals auch des Finanzinvestors Blackrock zählt Ionity auf alle Fälle zu den solventeren Teilnehmern am HPC-Markt.
Aktuell hat Ionity 406 HPC-Standorte in 24 Ländern in Betrieb, 26 weitere Standorte sind aktuell im Bau. Dass es in Spitzenzeiten an einigen besonders nachgefragten Standorten bereits zu Warteschlangen kam, wertet Hajesch als Zeichen, dass wir „im Tipping Point mittendrin“ sind. Um Warteschlangen zu vermeiden und den Bedarf auch jenseits des Tipping Points zu bedienen, hat Ionity bereits im November 2021 seinen Plan für die nahe Zukunft vorgestellt: Bis 2025 sollen 7.000 Ladepunkte an 1.000 Standorten in Betrieb sein. Und das in den aktuellen 24 Ländern, eine Expansion darüber hinaus sei derzeit nicht geplant, wie Hajesch bekräftigt.
Prognosen sehen deutlich höheren HPC-Bedarf als vor einem Jahr
Doch wird das 2025 genug sein? Hajesch verweist selbst auf Marktforschungen, die innerhalb eines Jahres massiv geändert wurden: So gingen die vom Ionity-CEO zitierten Studien im Jahr 2020 noch von einem Bedarf von 22.000 HPC-Ladepunkten aller Anbieter in ganz Europa aus. Nur ein Jahr später wurde für das selbe Zieljahr 2025 jedoch schon ein Bedarf von 89.000 HPC-Ladepunkten prognostiziert. Neben den deutlich nach oben korrigierten Prognosen sieht Hajesch in den Vorlaufzeiten eine weitere Herausforderung. Aktuell dauert es nach seinen Angaben sechs bis neun Monate, bis ein Ladepark steht.
„Wenn wir die Vorlaufzeiten und Prognosen sehen, muss man heute in diesen Markt investieren, um morgen für die Nachfrage bereit zu sein“, sagt Hajesch. „Wenn die Prognosen innerhalb von zwölf Monaten um 75.000 HPC erhöht werden, müssen wir aber auch beachten, dass nicht jeder Ladesäulen-Anbieter seine Produktion so schnell in diesem Maß skalieren kann. Der Absicherung der Lieferkette kommt eine große Bedeutung zu.“
Für den weiteren Ausbau sind aber nicht nur schnelle Ladepunkte an den richtigen Standorten wichtig, künftig kommen auch weitere Anforderungen hinzu – etwa ein Dach über der Ladestation, eine Durchfahrts-Lösung, Automaten zur Verpflegung oder gleich eine eigene Lounge für die Ladepause. „Das erhöht natürlich auch den Flächen-Bedarf und ist sehr kapitalintensiv“, sagt Hajesch. Es werden aber immer mehr Anbieter bereit sein, hierfür Geld auszugeben – damit der Endkunde diesen Standort einem anderen HPC entlang seiner Route vorzieht, weil die Aufenthaltsqualität höher ist. In den kommenden Wochen und Monaten sollen laut Hajesch die ersten Architektur-Projekte in dieser Richtung abgeschlossen werden.
Kann Batterie-gepuffertes Schnellladen die Netze entlasten?
Bei der Vorstellung der neuen Ionity-Strategie hatte das Lade-Joint-Venture noch angekündigt, künftig nicht nur an Fernstraßen, sondern auch in Städten bauen zu wollen. Hierzu präzisierte Hajesch bei electrive.net LIVE, dass der Fokus weiterhin auf der Langstrecke liegen werde. „In Städten werden wir eher opportunitätsgetrieben sein: Wenn sich eine Möglichkeit ergibt, greifen wir zu“, so der Ionity-Chef. „Dabei schauen wir aber auf wichtige Ausfall- und Ringstraßen, in der historischen Altstadt von Rom werden wir eher keine Station bauen.“
Einen ganz anderen Bereich des HPC-Markts als Ionity deckt das Unternehmen ADS-TEC Energy aus Nürtingen bei Stuttgart ab: Das inzwischen per SPAC-Fusion an der Nasdaq gelistete Unternehmen sieht sich als Komplettanbieter von Batterie-gestützten Schnellladern mit bis zu 320 kW. Hardware, Software und Service werden inhouse abgewickelt.
Mit seinen Lösungen will Thomas Speidel, Geschäftsführer der ADS-TEC Gruppe und Managing Director bei ADS-TEC Energy, Schnellladen auch dort ermöglichen, wo der Netzanschluss eine höhere Ladeleistung nicht zulässt. „Die Erfahrungen von Ladeanbietern zeigen: Wenn die Kunden die Wahl haben, entscheiden sie sich für die maximal mögliche Ladeleistung, die ihr Auto nutzen kann“, berichtet Speidel. „Das Limit darf nicht von der Ladestation oder dem Netz kommen.“
320 kW Ladeleistung bei 50-kW-Netzanschluss
Dafür hat ADS-TEC Energy die sogenannte ChargeBox entwickelt – in dem Würfel mit etwas über einem Meter Kantenlänge ist ein Speicher von 140 kWh verbaut. Dieser wird vom Netzanschluss mit weniger als 50 kW bis zu 110 kW nachgeladen. Aus der ChargeBox kann die Ladesäule mit bis zu 320 kW betrieben werden.
In seiner Präsentation rechnet Speidel zwei Beispiele durch, die auf die Ladekurve eines Tesla zurückgreifen – mit rund 190 kW im Peak und dann stetig sinkender Ladeleistung. Einmal ist die Batterie-gepufferte Ladestation mit 100 kW ans Netz angeschlossen, das andere Mal mit 50 kW. Wichtig: Dabei wird das Fahrzeug nicht ausschließlich mit dem in der ChargeBox gespeicherten Energie geladen – die ChargeBox stellt nur jene seitens des Fahrzeugs benötge Leistung, die über den Netzanschluss hinausgeht.
ADS-TEC Energy kündigt neues Produkt an
Bei seinem Auftritt kündigte Speidel zudem ein neues Produkt an: Während bei der ChargeBox die Batterie-Einheit und der eigentliche Ladepunkt getrennt sind – sie können je nach Standort bis zu 50 Meter auseinander platziert werden –, soll das bei dem neuen Modell ChargePost anders sein: Hier sind zwei Ladepunkte direkt in einer Einheit mit der Puffer-Batterie kombiniert. Die Größe der Einheit entspricht ungefähr der Batterie-gestützten Ladelösung, die VW und E.On gemeinsam entwickelt haben. Ein Unterschied: ADS-TEC Energy verbaut einen Bildschirm über fast die komplette Seitenwand, die für Werbeanzeigen genutzt werden kann – um zusätzliche Einnahmen zu generieren.
Egal ob ChargeBox oder ChargePost: Derartige Ladelösungen mit Pufferspeicher können laut Speidel das Schnellladen nicht nur an Standorten mit überschaubarem Netzanschluss attraktiv machen, sondern auch die Kosten beim Netzausbau gesenkt werden. Um einen HPC mit 300 kW zu betrieben, muss auch der Netzanschluss auf 300 kW ausgelegt werden. Aber: „Viele Autos können die maximale Leistung, auf die das Netz ausgelegt werden muss, nur kurz halten“, sagt Speidel.“ Dafür muss ich nicht das Netz ausbauen, sondern den kurzzeitigen Bedarf kann ich aus Puffer-Batterien boosten. Damit können wir enorme Über-Investitionen vermeiden.“
Die dritte Speakerin, Johanna Heckmann, Head of Charging Infrastructure bei P3 Automotive, hält die Batterie-gestützen Ladestationen in einigen Fällen für attraktiv – aber nicht als Allheilmittel, um den Netzausbau zu verringern. „Speicher ergeben Sinn an Standorten mit geringen Anzahl von Ladepunkten“, sagt Heckmann. „Wenn wir aber planen, einen Standort von heute vier bis sechs Ladepunkten später auf 20 skalieren zu wollen, ist der Netzausbau die ressoucenschonendere Variante.“
P3: Pläne der Autobauer übertreffen politische Ziele
In ihrem Vortrag geht die auf eMobility spezialisierte Unternehmensberaterin nochmals auf die P3-eigenen Prognosen zum HPC-Hochlauf ein. Bereits seit 2021 ist das High Power Charging laut der P3-Erhebung übrigens ein Milliardenmarkt, bis 2030 wird das Marktvolumen demnach auf knapp 15 Milliarden Euro steigen.
Wie viele (HPC-)Ladepunkte es aber 2030 geben wird – nicht zu vergleichen mit den von Hajesch für 2025 genannten Zahlen – hängt aber stark vom gewählten Szenario ab. Bisher war bei P3 für die Marktentwicklung immer der Rahmen der CO2-Regulation der Maßstab. Das würde in 2030 einen Bedarf von 34 Millionen Ladepunkten in ganz Europa ergeben, der überwiegende Teil davon als private Ladepunkte. Für die HPC-Ladepunkte geht P3 in diesem Fall von 140.000 Exemplaren aus.
Aber: Inzwischen gibt es ein zweites Szenario: Bisher war der Stand, dass die Autobauer nur die CO2-Vorgaben erfüllen werden, weshalb die oben beschriebene Betrachtung ausreichte. Für das sogenannte „OEM-Szenario“ hat P3 aber die eMobility-Strategien der Hersteller und die Plattform-Ankündigungen als Grundlage für den Markthochlauf bis 2030 genommen. Dann liegt der Bedarf plötzlich bei 44 Millionen Ladepunkten, davon 180.000 HPC.
Für das schnelle Laden unterwegs teilt Heckmann die Einschätzung von Thomas Speidel: „Selbst Kompaktautos können mit bis zu 100 kW laden. Und wenn das Auto das kann, will der Kunde das auch nutzen“, sagt die Lade-Expertin. HPC ist aber nicht nur aus Kundensicht einem langsameren DC-Lader zu bevorzugen, sondern auch aus Betreibersicht. „Der Investitionseinsatz ist bei HPC effizienter. Aus Betreibersicht haben wir im HPC-Bereich die Möglichkeit, profitabel zu arbeiten und ein Geschäftsmodell aufzubauen“, sagt Heckmann. „Der Break-Even liegt dann schon bei 15 Prozent Auslastung. Bei einem DC-Lader mit 50 kW benötige ich schon 20 Prozent Auslastung, um überhaupt den Break-Even zu erreichen – und danach bin ich weniger profitabel.“
HPC ist teurer, aber profitabler als langsamere DC-Lader
Bei den 15 Prozent zeitlicher Auslastung – also über einen Tag verteilt müsste der HPC rund 3,5 Stunden belegt sein – handelt es sich allerdings nur um einen Durchschnittswert. Laut Heckmann ist der Betrieb von HPC ein sehr lokal geprägtes Geschäftsmodell. „Die Kosten für den Bau und den Netzanschluss, aber auch die Attraktivität und das Erlöspotenzial hängen stark vom jeweiligen Standort ab“, sagt die Expertin. „Wir sind nicht wie bei Software in einem Plattform-Modell, das sich ab einem gewissen Punkt einfach skalieren lässt.“
Das hat auch der Bund erkannt, wie Sebastian Lahmann, Leiter Team Umsetzen der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur, im folgenden Paneltalk der Online-Konferenz berichtet. Ein Beispiel: „Teilweise ist an Supermärkten mit HPC-Säulen auf dem Parkplatz das Laden nur in den Geschäftszeiten möglich, weil lokale Vorgaben – sei es wegen Lärm oder einer nicht erlaubten Ausweitung der Geschäftszeiten – das verhindern“, sagt Lahmann. „Hier brauchen wir womöglich neue Regelungen.“
Dabei will die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur nicht gegen, sondern mit den Gemeinden arbeiten. „Kommunen müssen stärker befähigt und eingebunden werden, da sie die Gegebenheiten vor Ort am besten kennen“, sagt Lahmann.
„Wir müssen wir jetzt den Ausbau starten“
Auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit des politischen Ziels der einen Million öffentlichen Ladepunkten bis 2030 antwortet Lahmann moderierend. „Aufgrund der Vorlaufzeiten müssen wir jetzt den Ausbau starten“, sagt der Lade-Planer und ergänzt direkt: „Wir dürfen aber natürlich nicht bis 2030 blind ausbauen und dann feststellen, dass wir über das Ziel hinausgeschossen sind.“
Zu Beginn des zweiten Panels stellt Marcus Bücken, Head of Sales eCar Charging Germany bei Siemens, die Ladelösung vor, mit der Siemens auf dem HPC-Markt punkten will: die Sicharge D. „High-Power-Charger müssen nicht nur auf die heutigen Anforderungen ausgelegt werden, sondern auch auf die künftigen“, sagt Bücken.
Dafür hat Siemens vier Bereiche definiert: Ein großes und anpassbares Display, eine skalierbare Ladeleistung (auch nachrüstbar), eine skalierbare Anzahl an Ladepunkten über sogenannte Dispenser sowie das dynamische Lastmanagement. Für sämtliche Details verweisen wir auf das später erscheinende Video seines Vortrags.
Eine HPC-Säule, fünf Ladepunkte
Mit nachrüstbaren Leistungsmodulen, um die Ladeleistung der Säule im Nachhinein zu erhöhen, ist die Sicharge D nicht alleine. Beim derzeit beliebten Hypercharger von Alpitronic können die Module in 75-kW-Schritten nachgerüstet werden. Sofern das große Gehäuse bestellt wird, kann hier später von 150 auf 300 kW ausgebaut werden. Ganz ähnlich ist es bei der Sicharge D, die von 160 auf 300 kW skaliert werden kann. „Wir glauben, dass heute viele Standorte mit 160 kW auskommen. Aber das wird nicht immer so bleiben, der Bedarf wird sich aber lokal unterschiedlich entwickeln“, sagt Bücken.
Der große Unterschied: Eine Sicharge D kann bis zu fünf Ladepunkte bieten. An der Säule selbst sind zwei DC-Kabel und optional eine AC-Buchse mit 22 kW verbaut. Neu sind die erwähnten „Dispenser“. Dabei handelt es sich um weitere Lade-Einheiten, die – per unterirdischem DC-Kabel verbunden – bis zu 30 Meter von der Sicharge D entfernt aufgebaut werden können. Bis zu zwei Dispenser teilen sich dann die Lade-Elektronik und Leistung mit der Säule. „Bei voller Auslastung fällt zwar die Ladeleistung der vier Ladepunkte, aber auch das Investment sinkt enorm“, sagt Bücken. „Das ist ein guter Business Case für Standorte, wo es aufgrund der Verweildauer – etwa an Restaurants – nicht um die maximale Ladeleistung geht.“
Die Sicharge D ist erst seit einem Jahr auf dem Markt, Siemens liegen aber schon 300 Aufträge vor – aus Deutschland, Frankreich, Tschechien, dem kalten Norwegen und dem heißen Abu Dhabi. Bald könnten noch zahlreiche Aufträge hinzukommen, wenn das Deutschlandnetz in die aktive Aufbauphase geht.
Siemens bringt eigene Ladesäulen-Version für Deutschlandnetz
Hierfür kündigte Bücken bei „electrive.net LIVE“ eine eigene Deutschlandnetz-Version der Sicharge D an. Das Gehäuse bleibt zwar gleich, die Leistungsmodule werden aber umgebaut. Hintergrund ist die Deutschlandnetz-Anforderung, dass 200 kW pro Ladepunkt angeboten werden müssen. Sind die Leistungsmodule für maximal 300 kW verbaut, ergibt das aber nur 150 kW je Ladepunkt. Die Roadmap für dieses Produkt und eine Preisindikation wollte Bücken bei der Konferenz noch nicht nennen – sein Team werde aber Anfragen beantworten.
Als weiteren Ausblick in die Zukunft plant Siemens eine kamerabasierte Kontrolle der Stellplätze. Diese soll DSGVO-konform lokal und ohne Speicherung von Kennzeichen oder Daten erfolgen – an das Backend meldet die Ladesäule nur, ob der Stellplatz frei ist oder nicht. „Das Laden bewegt sich von der reinen Basis-Funktion hin zu smarten Diensten“, sagt Bücken. Heute muss es klar sein, ob ich an einem frei angezeigten Ladepunkt laden kann oder nicht. Solche Funktionen sind genauso wichtig wie die Basis-Funktion selbst.“
Eine Parkplatz-Erkennung ist dann womöglich ein Hersteller-spezifisches Feature. Aber wie bindet man andere intelligente Funktionen wie bidirektionales Laden oder ein smartes Lastmanagement in einen Standard ein? Hierfür hat Michael Keller in seiner Funktion als Member of the Board des CharIN e.V. auf unserer Konferenz gesprochen. Hauptberuflich ist Keller bei der VW-Tochter Elli aktiv. „Elektromobilität macht nur dann Sinn, wenn wir die erneuerbare Energie in die Fahrzeuge bekommen – nicht nur in Pkw“, sagt Keller. „Dafür brauche ich das entsprechende Ladesystem dazwischen. Das geht aber über den reinen Ladestecker – wofür die CharIN einst gegründet wurde – weit hinaus.“
ISO 15118-20 kommt im ersten Quartal
Es müsse nicht nur das Fahrzeug mit der Ladesäule sprechen, was heute schon gut etabliert sei. „Es müssen alle Player entlang der Wirkkette kommunizieren“, sagt Keller. „Dafür müssen verschiedene Mechanismen ineinandergreifen, damit das Gesamtsystem funktioniert. In dem komplexen und flexiblen System gibt es aber sehr viele Variablen.“
Noch im ersten Quartal soll die Norm ISO 15118-20 vorgestellt werden, die dann nicht nur Funktionen wie das bekannte Plug&Charge umfasst, sondern eben auch bidirektionales Laden oder gar künftige automatisierte Ladesysteme abdeckt. „Das heißt nicht, dass jeder Ladepunkt all diese Funktionen auch bieten muss, wir müssen aber die Möglichkeit dafür schaffen“, sagt der CharIN-Experte.
Eine weitere, wichtige Einigung für den Aufbau der entsprechenden Lkw-Ladeinfrastruktur hat die Industrie laut Keller inzwischen erzielt – die Position des Ladeports an den Fahrzeugen. Anders als bei den Pkw wird diese vereinheitlicht, um den Aufbau der Ladesäulen zu vereinfachen: Der Ladeport wird an der linken Fahrzeugseite sein, in einem Bereich zwischen zwei und 4,80 Metern hinter der Stoßstange. Dort soll er ungefähr auf Hüfthöhe liegen.
Tiefbau als Bottleneck beim Lade-Ausbau?
Während der MCS-Standard für E-Lkw noch in Vorbereitung ist – die drei entsprechenden Normen für die Fahrzeuge, den Stecker und die Infrastruktur werden zwischen 2023 und 2025 veröffentlicht – wird beim CCS-Laden die Leistung künftig auf bis zu 450 kW steigen. „Im Massenmarkt werden die Fahrzeuge bei 500 bis 600 Kilometern Reichweite bleiben“, sagt Keller. „Stattdessen wird es über die Ladeleistung gehen, wo wir künftig mehr als 400 kW im Pkw sehen, allerdings nur im Top-Segment. Das mittlere Segment wird sich bei 150 bis 350 kW einpendeln, kleinere Autos von 120 bis 250 kW.“
An die Lkw-Ladestationen muss Adrian Zierer noch gar nicht denken. Sein Unternehmen, die 2020 gegründete Charge Construct GmbH, ist aktuell gut ausgelastet. Charge Construct macht das, was der Name sagt: Zierer und sein Geschäftspartner Tim Schwenk bauen mit über 50 Angestellten Ladeparks – auf Wunsch von der Standort-Akquise bis zur „steckerfertigen“ Anlage.
Wie auch schon in einem früheren Gespräch mit electrive.net beschreibt Zierer bei seinem Konferenz-Auftritt die Standorte als einen Flaschenhals. Wie wichtig deren Attraktivität ist, hat Johanna Heckmann bereits beschrieben. Zierer nennt aber auch die Tiefbau-Kapazitäten als nächsten Punkt. „Manche Tiefbauer sind auf die kommenden zwei Jahre ausgebucht“, sagt der Charge-Construct-CEO. „Da kann ich keinen Auftrag für den Bau eines Ladeparks in zwei Monaten platzieren.“
Zu den Gesellschaftern der GmbH gehört bereits ein Tiefbau-Unternehmen. Doch das war nicht genug, inzwischen bauen Zierer und Schwenk noch eine eigene Baufirma auf. „Wir haben früh festgestellt, dass reine Aufträge an Partnerfirmen nicht ausreichen werden oder in den Umfängen gar nicht möglich sind“, sagt Zierer.
Nicht nur Chips sind knapp, sondern auch Kabel
Seine Liste an Herausforderungen beim HPC-Ausbau ist lang – im Großen wie im Kleinen. Zierer berichtet von langen Genehmigungsverfahren, was sich in der Branche natürlich längst rumgesprochen hat. Oder von den Verhandlungen mit über 800 deutschen Verteilnetzbetreibern, die teilweise gerne selbst den Trafo am Netzanschluss bauen würden. Manche Lade-Betreiber wie EnBW bringen aber lieber ihre eigenen Trafos mit, was wieder den Koordinationsaufwand erhöht und das Projekt in die Länge zieht.
Es sind aber auch die anderen Themen, von denen Zierer aus der Praxis schildert. Bei den Rohstoffen sind nicht nur die Chips knapp, sondern auch Kupfer für die Kabel. „Teilweise müssen wir Wochen auf die einfachsten Kabel warten“, sagt der Unternehmer. „Amazon Prime ist nicht. Man muss früh in die Materialbeschaffung gehen und laufend überprüfen, welche Materialien bereits geliefert wurden.“
Um Verzögerungen zu minimieren, arbeitet das Unternehmen auch mit teils ungewöhnlichen Mitteln. Bei der Begehung der Standorte (Zitat: „Jeder Standort ist anders“) nimmt Charge Construct ein Drohnenvideo auf. So können nicht nur die Baupläne mit dem tatsächlichen Grundstück abgeglichen werden, sondern auch die Mitarbeiter im Büro einen besseren Eindruck von der Anlage bekommen – und Dinge erkennen und lösen, die auf dem Papier nicht klar geworden wären. In der Bauphase gibt es Whatsapp-Gruppen mit allen verantwortlichen Personen. „Damit haben wir ultrakurze Kommunikationswege für Feedback, Entscheidungen und Freigaben“, sagt Zierer.
Wer seinem Vortrag folgt, könnte den Eindruck bekommen, dass die Ziele für den HPC-Ausbau vollkommen unrealistisch sind. In der anschließenden Panel-Diskussion zeigt sich Leitstellen-Manager Lahmann aber beruhigt: „Es sind keine neuen Punkte hinzugekommen, diese Hürden sind schon bekannt.“ Siemens-Vertreter Bücken gibt noch an, dass die Lieferzeit für seine HPC-Stationen derzeit bei 16 Wochen nach Auftragseingang liege, wofür er von Zierer einen Daumen nach oben bekommt. „Für einen Ladepark ist das aber natürlich nicht die einzige Komponente, wenn am Ende etwa der Trafo fehlt“, sagt Bücken. „Aber wir sind sehr bemüht, für unseren Teil diese Lieferzeiten zu halten.“
Alles in allem wurde bei der 17. Online-Konferenz deutlich, dass die Branche beim schnellen HPC-Roll-out die Ärmel hochkrempeln muss. Der vom VDA gewünschte Vorlauf beim Aufbau der Ladestationen gegenüber der Elektroauto-Produktion erfordert letztlich noch einen weiteren Vorlauf – nämlich beim Stromnetzausbau. Wo morgen reihenweise unbewirtschaftete Autobahn-Parkplätze mit HPC-Ladern ausgestattet werden sollen, müsste heute geplant werdne, wie dort der Strom hinkommt. Der Ruf nach einer gemeinsamen Abstimmung aller beteiligten Player wurde mehrfach geäußert. Ein Lade-Gipfel der Bundesregierung könnte dafür ein erster Schritt sein.
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