Masterplan Ladeinfrastruktur II: 74 Maßnahmen für mehr Ladepunkte

Bild: Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur

Bis Sommer will das Bundesverkehrsministerium die Neuauflage des Masterplans Ladeinfrastruktur vorstellen. Derzeit ist der Referentenentwurf, der uns vorliegt, zwischen den beteiligten Ministerien in der Ressortabstimmung. Die Intention des BMDV ist klar, die Wege dahin sind aber wohl umstritten.

Der erste „Masterplan Ladeinfrastruktur“ datiert auf das Jahr 2019 und wurde unter dem damaligen CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer erarbeitet – deutlich vor Ausbruch der Corona-Pandemie und der Erhöhung des Umweltbonus samt Innovationsprämie als Teil des Corona-Konjunkturpakets, welches die Nachfrage nach Elektroautos im Jahr 2020 deutlich beschleunigt hat. Einige Teile des damaligen Masterplans prägen aber noch heute: Eine der Maßnahmen war die Gründung der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur, um die politischen Vorhaben zu koordinieren und den Ausbau zu beschleunigen.

Der Referentenentwurf des Masterplans II trägt nun aber nicht mehr die Handschrift der Union oder der Großen Koalition, sondern des FPD-Verkehrsministers Volker Wissing und der Ampel-Koalition. Der Entwurf ist in Wissings BMDV entstanden und darf daher eher als eine politische Absichtserklärung als eine konkrete Maßnahmenliste verstanden werden. Viele der Vorschläge aus dem Verkehrsministerium dürften in der Abstimmung mit den anderen Ministerien – etwa für Wirtschaft und Klimaschutz, Finanzen oder Justiz (bei datenschutzrechtlichen Fragen) – abgeändert werden. Andere Maßnahmen sehen hingegen nur vor, dass sich das BMDV und die Leitstelle enger mit den Ladepunktbetreibern (CPO) und den Autobauern austauschen wollen.

Der Entwurf, der electrive.net vorliegt, umfasst insgesamt 74 Maßnahmen. Einige bemerkenswerte Punkte fallen aber schon in der Einleitung auf, die Ziele und Motivation des Masterplans umschreibt: Zum einen wiederholt das BMDV das Ziel von 15 Millionen Elektroautos (diese Bezeichnung wird wörtlich verwendet) im Jahr 2030, zudem wird der Wunsch nach einer Million öffentlich zugänglicher Ladepunkte im Jahr 2030 wiederholt. Beide Punkte stehen auch so im Koalitionsvertrag, besonders aus der FDP war aber wiederholt zu hören, dass man vor allem das Zulassungs-Ziel nicht so verbindlich sieht wie die Koalitionspartner.

„Vorauslaufendener“ Ausbau der Ladeinfrastruktur

Zurück zum Inhalt: Als Leitgedanken formuliert das Verkehrsministerium, dass sich die Gesamtstrategie „konsequent“ an den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer orientieren müsse. „ Sie müssen mittlere und lange Strecken verlässlich fahren können, ohne Umwege und Wartezeiten für das Laden in Kauf nehmen zu müssen. Für alle Nutzerinnen und Nutzer ohne eigenen Stellplatz muss eine öffentliche Ladeinfrastruktur auch in dicht besiedelten Gebieten verfügbar sein. Das gleiche gilt für die nicht öffentliche Ladeinfrastruktur an Wohngebäuden, am Arbeitsplatz sowie für betrieblich genutzte Flottenfahrzeuge.“ Und: Der neue Masterplan umfasst nicht nur elektrische Pkw und leichte Nutzfahrzeuge, sondern auch schwere Nutzfahrzeuge inklusive Fernbusse. Für alle Anwendungsfälle sei entscheidend, „dass die Kapazität der Ladeinfrastruktur mit der Zahl der Fahrzeuge vorauslaufend und verlässlich mitwächst“.

Das Schlüsselwort ist hier „vorauslaufend“ – aber dazu gleich mehr.

Das Zielbild des BMDV umfasst drei Ebenen: Den Nutzerfokus auf die Ladeorte, den Nutzerfokus auf das Ladeerlebnis sowie den Flächen- und Betreiberfokus auf die Rahmenbedingungen. Alle Ebenen werden durch die Digitalisierung verknüpft, um die Ladeinfrastruktur in ein „digitales Stromnetz und Ökosysteme“ zu integrieren. Die Überlegungen sind klar: Die Ladeorte müssen sich „nahtlos in den Alltag bzw. die Logistikabläufe“ integrieren – dazu werde die Regierung aktiv die Voraussetzungen schaffen, „damit die Zahl der Lademöglichkeiten für jedes Ladeszenario viel schneller wächst als bisher“. Beim Erlebnis muss das Laden „mindestens so einfach sein wie jetzt das Tanken“. Und nur wenn Betreiber die Errichtung von Ladeinfrastruktur schnell umsetzen können, ohne langwierige Genehmigungsverfahren durchlaufen zu müssen, könne der schnelle Ladeinfrastrukturaufbau gelingen.

BMDV will „interministerielle Arbeitsgruppe“

Doch wie soll das gelingen? Die Motivation an und für sich hat sich wenig geändert – mehr Ladepunkte, der Aufbau soll für die Betreiber erleichtert werden. Neu sind die Ladenetze für die Nutzfahrzeuge, der Fokus auf die Digitalisierung (schließlich ist es jetzt das Bundesministerium für Digitales und Verkehr), aber auch der Blick auf die Stromnetze, deren synchronisierter Ausbau zur Ladeinfrastruktur „eine fundamentale Rolle“ spiele.

Die Maßnahmen hat das BMDV in neun Punkten gegliedert – von der Überwachung und Steuerung des Bedarfs über die Kommunen als Schlüsselakteure, die viel kritisierte Verfügbarkeit der Flächen bis hin zu Anpassungen des Straßen- und Baurechts und Erleichterungen für das Laden an Gebäuden. Um die Maßnahmen innerhalb der Bundesregierung zu koordinieren, will Wissing eine „interministerielle Arbeitsgruppe unter Leitung des BMDV“ gründen. Der ganze Prozess wird von der Nationalen Leitstelle unterstützt und begleitet.

Einige der Maßnahmen, die in dem Referentenentwurf vorgeschlagen werden, sind die logische Weiterentwicklung des aktuellen Kurses: Bis Mitte 2023 soll die Leitstelle eine erweiterte Version des StandortTOOLs entwickeln, damit das zentrale Planungsinstrument up to date bleibt. Auf Basis dieses StandortTOOLs soll eine „Bedarfsanalyse- und Planung für dicht besiedelte Gebiete“ erstellt werden, zudem prüft der Bund bis Dezember 2022, wie er Flächen in seinem Eigentum für den Aufbau von Ladeinfrastruktur zur Verfügung stellen kann – in der Folge soll ein Verfahren zur Ausschreibung solcher Bundesflächen entwickelt werden, Ähnliches gilt für die Länder.

Zudem hatte sich angedeutet, dass der Bund die Kommunen enger einbinden will. Das hatte zumindest Daniela Kluckert, Parlamentarische Staatssekretärin und Beauftragte für Ladeinfrastruktur im Verkehrsministerium, im Januar bei ihrem Auftritt in unserer Online-Konferenz „electrive.net LIVE“ in den Raum gestellt. Das Thema findet sich nun auch in dem Masterplan II wieder: Bis Mitte 2023 sollen 30 regionale Ladeinfrastrukturmanagerinnen und -manager eingestellt werden, die in ausgewählten Regionen die Kommunen vor Ort bei den „multiplen Herausforderungen“ unterstützen.

Weitere Ausschreibungen geplant

Vom Deutschlandnetz bekannt, in dieser Form aber doch neu ist, dass der Bund neben der klassischen Förderung als Investitionszuschuss weiter auf Ausschreibungen als Instrument setzt. So soll nicht nur ein „Ausschreibungsmuster und -leitlinien für Kommunen“ entwickelt werden. Der Bund plant selbst 2023 die Ausschreibung von 5.000 weiteren öffentlichen Schnellladepunkten. Wichtige Unterscheidung: Beim Deutschlandnetz sind 1.000 Standorte geplant, nicht Ladepunkte. Die Folge-Ausschreibung 2023 dürfte in der Summe etwas kleiner sein, wenn im Schnitt 6 Ladepunkte je Standort entstehen.

Noch 2022 soll es eine weitere Ausschreibung geben, dieses mal an den Autobahnen auf bewirtschafteten Rastanlagen. „Die Autobahn GmbH wird 2022 den für 2025 errechneten Bedarf an Ladepunkten auf bewirtschafteten Rastanlagen ausschreiben, sofern die Konzessionäre diesen Bedarf nicht selbstständig und verlässlich nach den Vorgaben des BMDV errichten. Dabei werden die mittel- und langfristigen Ausbaubedarfe inkl. Lkw-Ladeinfrastruktur bei der Standortkonzeption und dem Netzanschluss berücksichtigt“, heißt es in dem Entwurf.

Gratwanderung zwischen „vorausschauenden“ Aufbau und Wirtschaftlichkeit

Hier ist die Einschränkung bemerkenswert, „sofern die Konzessionäre diesen Bedarf nicht selbstständig und verlässlich nach den Vorgaben des BMDV errichten“. Kritiker sehen in derartigen Passagen oder ebenfalls schon im Koalitionsvertrag angekündigten „Versorgungsauflagen, wo keine wettbewerblichen Lösungen“ eine Planwirtschaft. Auf der anderen Seite ist es das legitime Recht des Bundes, einen Bedarf festzulegen, der zum Erreichen der Klimaschutzziele notwendig ist – schließlich überweist der Bund bei Nichteinhaltung die Strafzahlungen nach Brüssel. Wenn der Markt das regelt und den prognostizierten Bedarf von sich aus erfüllt, ist die Ausschreibung hinfällig und der Bund greift nicht ein.

Die große Frage ist dann natürlich, wie die Gratwanderung zwischen dem „vorausschauenden“ Aufbau und der Wirtschaftlichkeit in der Praxis ausgestaltet wird. Der Bund will sicherstellen, dass es dann genügend Ladepunkte gibt, wenn neue Modelle in entsprechenden Stückzahlen auf den Markt kommen – dazu soll es alle zwei Jahre anonymisierte „Cleanroom“-Gespräche mit den Auto- und Lkw-Bauern geben, um deren Modellplanung in die Bedarfsanalyse einfließen zu lassen. Ähnliche „Cleanroom“-Gespräche sind laut dem Entwurf auch mit den CPO geplant.

Mit all diesen Daten sollen die diversen Standort-, Flächen und Planungstools so weit verfeinert werden, dass der Markthochlauf sehr viel präziser modelliert werden kann – und der ganze Vorgang des Ladeinfrastrukturaufbaus beschleunigt wird. Anhand der Daten soll zum Beispiel ein Netzbetreiber sehen können, wo genau welcher Bedarf an Netzanschlüssen für Ladeparks im Jahr 2030 entsteht. Dadurch kann er sich entsprechend vorbereiten. Nach dem heutigen Verfahren würde der Netzbetreiber erst reagieren, wenn sich grob geschätzt im Jahr 2027 oder 2028 die Anfragen der CPO für einen Mittelspannungsanschluss in einer Region häufen.

Bei anderen vorgeschlagenen Maßnahmen kommt das BMDV zahlreichen Forderungen der CPO entgegen. So sollen etwa bis Dezember 2022 die technischen Anschlussbedingungen der Netzbetreiber und die technischen Anforderungen an Kundenanlagen vereinheitlicht werden. Damit soll nicht nur das Verfahren des Netzanschlusses beschleunigt werden, sondern CPO können auch vorauslaufend Trafos und andere Anlagen für geplante Standorte bestellen – das hatte etwa die EnBW mehrfach kritisiert.

Bund will neue Wallbox-Förderung mit PV und Speicher

Zudem soll es neue Fristen für den Netzanschluss bei Mittel- und Niederspannung geben. Hier ist aber nicht das BMDV zuständig, sondern das Bundeswirtschaftsministerium. Das Verkehrsministerium, die Netzbetreiber und CPO werden nur als Stakeholder geführt. Ebenfalls in der Verantwortung des BMWK liegen Maßnahmen wie die Ertüchtigung der Messtechnik der Netzbetreiber oder gesetzliche Regelungen zum netzdienlichen und bidirektionalen Laden, die laut dem Entwurf noch in 2022 veröffentlicht werden sollen.

Neben all dem sollen die laufenden Förderprogramme evaluiert und ein Konzept für eine „effiziente“ Unterstützung erarbeitet werden. Als konkrete Fördermaßnahmen sind etwa Zuschüsse zu einem Paket „aus PV-Anlagen, Zwischenspeichern und Wallboxen“ angedacht. Letztere sollen steuerbar sein und das bidirektionale Laden ermöglichen.

Wie die Maßnahmen und das Leitbild nach der Ressortabstimmung und der Verbände-Anhörung aussehen werden, ist offen. Aber der Anfang für den Masterplan Ladeinfrastruktur II ist gemacht.

0 Kommentare

zu „Masterplan Ladeinfrastruktur II: 74 Maßnahmen für mehr Ladepunkte“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Lesen Sie auch