Tesla erwägt 800-Volt-System im Semi: Was bringen 800 Volt im E-Lkw?

Elektro-Lkw sind im Kommen. Etablierte Hersteller rüsten ihre Modelle auf Elektroantriebe um – und greifen dabei auf möglichst bewährte Komponenten zurück. Nun hat Tesla mit der Ankündigung überrascht, dass der E-Lkw Semi womöglich mit einem 800-Volt-System ausgerüstet wird. Wäre Tesla damit der Konkurrenz im Lkw einen Schritt voraus?

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Zumindest der Zeitpunkt der Ankündigung überrascht: Während erste Prototypen des Semi bereits im Testeinsatz bei Kunden sind und die Vorbereitungen für den Serienanlauf in der jüngst eröffneten Giga Texas auf Hochtouren laufen, verkündet Drew Baglino, Senior Vice President Powertrain an Energy Engineering, im Call nach der Bekanntgabe der Quartalszahlen Beachtliches.

So hat Tesla bei einer zentralen Komponente noch keine finale Entscheidung getroffen – rund ein Jahr vor Produktionsstart. Und zwar bei der Batteriespannung. Eigentlich antwortete Baglino auf die Frage, wann Tesla angesichts der wachsenden Zahl an 800-Volt-Elektroautos die Technologie bei seinen E-Pkw einführen werde. Für die Plattform des Model 3 und Model Y seien die Vorteile „fragwürdig“. „Es gibt ein bisschen mehr Halbleiter- und tatsächliche Leitereinsparungen, wenn wir auf die höhere Spannung gehen. Und so ziehen wir das für Semi und Cybertruck in Betracht“, so Baglino. Bei Fahrzeugen, die eine höhere Ladeleistung oder mehr Drehmoment benötigen, gebe es mehr Vor- als Nachteile.

Was aber bedeutet das? Zunächst einmal das Gleiche wie im Elektroauto, denn die Physik lässt sich nicht aushebeln: Leistung ist gleich Spannung mal Stromstärke, oder P = U * I. Steigt also die Spannung von 400 auf 800 Volt, ist nur noch die halbe Stromstärke nötig, um die gleiche Leistung zu übertragen. Mit einer geringeren Stromstärke können die Leitungen im Fahrzeug dünner und somit leichter werden. Zudem entsteht bei einer geringeren Stromstärke weniger Abwärme, womit das Kühlsystem kleiner, leichter und effizienter werden kann. Oder andersrum: Bleibt die Stromstärke gleich, liegt bei doppelter Spannung die doppelte Leistung an – das ist zum Beispiel wichtig beim Schnellladen.

Bislang hat noch kein Hersteller 800 Volt im Lkw – es ist aber in Arbeit

Auf welche Systemspannung eine Batterie kommt, liegt weniger an der Zelle selbst. Eine heutzutage übliche Lithium-Ionen-Zelle mit Nickel, Mangan und Kobalt (NMC) kommt auf rund 3,7 Volt. Welche Systemspannung damit erreicht werden kann, hängt von der Anzahl der Zellen und der Art und Weise, wie diese miteinander zu dem gesamten Batteriepack verschaltet werden, ab. Auf die Betriebsspannung der Batterie müssen dann andere Bauteile wie das Batteriemanagementsystem, der DC-DC-Wandler für die Bordelektronik, der Inverter für die E-Motoren sowie die Motoren selbst angepasst werden. 800-Volt-Komponenten für Pkw sind immer noch recht selten auf dem Markt. 800-Volt-Komponenten, die auf die Laufleistung und Betriebsstunden für den Einsatz im Lkw optimiert sind, sind noch seltener.

Daher haben die etablierten Lkw-Bauer 800 Volt bislang gemieden. Daimler Truck nennt bei seinem 2021 vorgestellten eActros die Batteriespannung nicht explizit, gibt aber an, dass die Ladeleistung „an einer üblichen DC Schnellladesäule mit 400A Ladestrom“ bei bis zu 160 kW liegt. Daraus lässt sich errechnen, dass die Spannung bei 400 Volt liegt.

Einen leicht anderen Weg hat Volvo Trucks gewählt: Der FL Electric setzt zum Beispiel auf Batterien mit 600 Volt Systemspannung. Bei einer maximalen Ladeleistung von 150 kW ergibt sich so ein Ladestrom von 250 Ampere. Der BEV-Lkw von Scania kann mit bis zu 130 kW laden, gleichzeitig wird eine Stromstärke von 200 Ampere angegeben – was rechnerisch einer Spannung von 650 Volt entspricht.

Der Vorteil der Lösungen von Volvo und Scania: Da die Ladeströme deutlich geringer sind als etwa die 400 Ampere des eActros, wird die Batterie beim Laden weniger belastet und erwärmt sich nicht so stark. Das ist nicht nur gut für die Langlebigkeit, sondern verringert auch den Leistungsbedarf des Kühlsystems. Der Nachteil: Bei dem DC-DC-Wandler für die Bordelektronik von 600 auf 24 Volt im Volvo FL Electric dürfte es sich nicht gerade um ein Volumen-Bauteil vom Zulieferer handeln. Sondern um eine kostspielige Entwicklung für dieses Modell.

Allerdings zeichnet sich bei den Herstellern eine Tendenz ab. „Für künftige Generationen unserer E-Lkw – vor allem auch im Hinblick auf Hochleistungsladen – sehen wir klare Vorteile beim 800-Volt System“, erklärt ein Sprecher von Daimler Truck auf Nachfrage. „Durch die 800 V werden vor allem erheblich höhere Ladeleistungen möglich, das besonders für Nutzfahrzeuge mit großen Batterien sehr relevant ist. Technisch ist die Herausforderung die Sicherstellung der Isolationsfestigkeit.“

Auch das Problem der teuren Komponenten sieht Daimler Truck künftig schwinden: „Aufgrund der Tatsache, dass sich die 800V zum Industriestandard entwickelt, sinken die Kosten – das macht es für uns als Hersteller auch interessanter“, so der Sprecher.

Auch bei der VW-Tochter Traton (zu der der oben erwähnte Hersteller Scania gehört) sieht den Wandel zu höheren Spannungslagen. „Die 800V-Klasse ist schon seit der Einführung von Hybridbussen (vor 2010) die Basis der Entwicklung im Unternehmen, um hier kleine Kabelquerschnitte und eine hohe Effizienz zu realisieren“, sagt ein Traton-Sprecher auf Nachfrage. „Bei den vollelektrischen Fahrzeugen (Lkw und Bus) der Traton-Marken ist es umso mehr ein Muss und generell ein Standard, um hier auch hohe Ladeleistungen und damit kurze Ladezyklen für die Kunden zu ermöglichen.“

In einigen Fällen sind 800 Volt gar nicht nötig

400, 600, 650 oder 800 Volt: Nicht nur an den unterschiedlichen Lösungen in den E-Lkw zeigt sich, dass es die eine Spannungslage für den E-Lkw (noch) nicht gibt. Dazu sind wohl auch die Einsatzzwecke der Lastwagen zu unterschiedlich. Ist ein E-Lkw im lokalen Verteilverkehr unterwegs, fährt er womöglich keine 200 Kilometer am Tag zwischen Kunde und Lager. Das könnten einige Modelle wohl mit einer Ladung schaffen, die Fahrzeuge stehen aber auch regelmäßig zum Be- und Entladen des Transportguts an der Rampe – und können in dieser Zeit mit 150 kW oder weniger geladen werden.

Dazu reichen die 400 Volt mit dem CCS-Kabel und einer von E-Autos bekannten Ladesäule vollkommen aus. Allerdings sind diese HPC-Säulen bereits heute in der Regel auf 900 Volt oder mehr ausgelegt – sollten 800 Volt wie von Daimler Truck angedeutet der Industriestandard werden, könnte natürlich auch ein E-Lkw mit höherer Spannung nur mit 150 kW laden – bei entsprechend niedrigerer Stromstärke.

Andere Einsatzzwecke haben aber andere Anforderungen: Ein Fernverkehrs-Lkw sollte vier Stunden Fahrzeit bei Autobahn-Tempo schaffen – und dann darf der Ladevorgang nicht länger als 45 Minuten dauern.

CCS oder MCS?

Hinzu kommt künftig noch eine ganz andere Frage: Welchen Ladestecker nutzt der Lkw? Derzeit nutzen die E-Lkw den Pkw-Schnellladestandard CCS. Dieser ist auf maximal 500 Ampere Ladestrom ausgelegt. Bei 400 Volt sind damit 200 kW Ladeleistung möglich, bei 600 Volt schon 300 kW und bei 800 Volt wären es rechnerisch 400 kW. Alleine die 200 Kilowatt mit einem 400-Volt-System reichen aus, um bereits heute einen Verteilverkehr-Lkw zu laden oder selbst den Fernverkehrs-Lkw mit der größten Batterie (derzeit sind das 900 kWh bei Futuricum) über Nacht komplett zu laden.

Um aber für die künftigen 45-Minuten-Schnellladungen gerüstet zu sein, wird derzeit das „Megawatt Charging System“ (MCS) entwickelt. Finale Daten zum MCS sind noch nicht bekannt, als gesetzt gilt aber, dass MCS bei Ladespannung und -stromstärke bis zu 1.250 Volt und 3.000 Ampere abdecken wird.

Um zum Beispiel in 45 Minuten 600 kWh nachzuladen, ist eine durchschnittliche Ladeleistung von 800 kW nötig. Bei 400 Volt wären also ganze 2.000 Ampere nötig, um das zu erreichen – das Kabel wäre somit sehr dick und wohl kaum noch für den Fahrer zu handhaben. Nutzt man allerdings die 1.250 Volt aus, sinkt die Stromstärke bei 800 kW auf 640 Ampere – und damit nur knapp über das Niveau, das heute beim CCS üblich und etabliert ist.

Die Frage ist also nicht, ob man auf 800 Volt geht, sondern wie der Lkw eingesetzt werden soll. Für den einen sind 400 Volt mehr als ausreichend. Für den anderen fängt bei 1.000 Volt der sinnvolle Bereich erst an. Die Eigenschaft – in diesem Fall die Batteriespannung – ist nur Mittel zum Zweck.

Redaktionelle Mitarbeit: Domenico Sciurti

3 Kommentare

zu „Tesla erwägt 800-Volt-System im Semi: Was bringen 800 Volt im E-Lkw?“
Dominik Müller
26.04.2022 um 12:14
In der Photovoltaikbranche sind 1.000 resp. 1.500 Volt DC schon längst Standard und haben in Verbindung mit hohen Stückzahlen bedeutend zu einer generellen Preisreduktion der Geräte und Systeme beigetragen.
Matthias
26.04.2022 um 20:22
Mit Auflieger ist ein Sattelzug gute 18 Meter lang, und auch ohne ist eine Zugmaschine nicht gerade kurz. Da kann man auch mehrere normale CCS-Anschlüsse einbauen, insbesondere wenn mehrere Akku-Pakete vorhanden sind, die mehrer Achsen antreiben, oder wenn der Anhänger Akkus und Motoren hat um mitschieben und mitrekuperieren zu können.
Matthias U
17.05.2022 um 08:52
Die Amperezahl des Ladestroms kommt bei den Batterien nicht an! Die einzelne Zelle ist exakt gleich belastet, egal ob sie mit ihren Kumpels zu 400V, 600V oder 800V zusammengeschaltet sind. Die Erwärmung durch viel Strom betrifft lediglich die Komponenten drumherum, also Stecker und Ladekabel / Motoransteuerung und Magnetspulen in den Motoren.

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