Renault Megane E-Tech Electric EV60: Komfortabler ID.3-Konkurrent
E-SUV gibt es zuhauf, bei den Kompaktmodellen in der Golf-Klasse war das Angebot neben dem VW ID.3 bisher dünn – jetzt kommt Renault mit seinem ersten Modell auf der neuen CMF-EV-Plattform. Der Renault Megane E-Tech ist dem ID.3 bei Software und Materialqualität überlegen. Der Haken des kompakten Elektroautos: Der Preis ist klassenüblich zu hoch.
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R16, Espace, Avantime: Obwohl der französische Staat an Renault beteiligt ist, hat der Autohersteller immer wieder innovative Meilensteine bei Konzeption und Design gesetzt. Und in der Welt der Elektromobilität ist mit der Zoe vor bald zehn Jahren einer der beliebtesten Kleinwagen präsentiert worden. Ungefähr zeitgleich mit dem Tesla Model S übrigens, nur in einer ganz anderen Preiskategorie und mit dem populären 22 kW AC-Ladegerät namens Chameleon.
Im Vergleich dazu wirkt der Renault Megane E-Tech konventionell. Er übernimmt den Namen der bekannten Baureihe. Das Design wirkt bullig, weil flach und breit und mit großen Felgen. Er hat Frontantrieb und fast genau die Maße des Golf V: 4,20 Meter Länge, 1,77 Meter Breite und 1,51 Meter Höhe. Ein Kompaktwagen aus dem Bilderbuch. Nur eben elektrisch. Wir haben den Megane zwei Wochen ausprobiert und können sagen: Hier fährt eine echte und empfehlenswerte Alternative zum Volkswagen ID.3 vor.
Wer häufig abseits der eigenen Garage lädt, wird sich besonders über den 22 kW-Lader freuen. Der ist mit Ausnahme der mageren Basisversion im Megane E-Tech serienmäßig. Und er fiept anders als in Twingo und Zoe nicht mehr. Die Traktionsbatterie, deren Nettokapazität bei 60 Kilowattstunden (kWh) liegt, ist an einer AC-Ladesäule ratzfatz wiedererstarkt.
Betriebssystem Google auf Tesla-Niveau
Der Peak bei der DC-Ladeleistung beträgt 130 kW. Viel wichtiger als dieser nominale Wert ist die Qualität der Routenführung: Der Renault Megane E-Tech baut auf das Betriebssystem von Google. Und das funktioniert sehr, sehr gut. Nach der Spracheingabe wird im Mitteldisplay die Route angezeigt, und wenn die Strecke größer als die Reichweite ist, werden die Haltestopps inklusive SOC-Prognose implementiert. Für die jeweiligen Ladepunkte lassen sich diverse Filter wie die Leistung und der Stromanbieter setzen. Und dabei ist die Arbeitsgeschwindigkeit so hoch, dass man sich die Frage stellt, warum das bei VW nicht auch geht. In dieser Hinsicht ist der Renault schlicht besser.
Das gilt auch für die automatische Vorkonditionierung – also dem gezielten Heizen oder Kühlen – des Batteriesystems vor einem DC-Stopp auf der Route. Tesla hat es eingeführt, und jeder, der in den letzten Jahren ein Elektroauto gefahren ist, kennt den gewaltigen Unterschied, den diese Vorkonditionierung macht. Wie gesagt, Tesla hat es vorgemacht, inzwischen sind BMW, Mercedes, Volvo und Polestar nachgezogen. Nur bei Hyundai und Kia sowie dem Volkswagen MEB läuft es (noch) nicht.
Das führt in der Lebenspraxis des Megane zu einer Einfachheit der Bedienung, die eben auch jene Nutzer:innen abholt, für die ein Auto einfach nur ein Gegenstand ist, der den Alltag erleichtern soll. Convenience matters. Danke, Tesla.
Durchschnittsverbrauch 18,5 kWh/100km
Bei 130 km/h auf der Autobahn (Anzeige dabei 132 km/h) waren es 22 kWh/100km. Bei schwerem Stromfuß zeigte der Bordcomputer gut 32 kWh/100km an. Im Überlandbetrieb waren es dagegen nur 14,3 kWh/100km, und es darf als sicher gelten, dass mit den 18- statt den 20-Zollfelgen des Testwagens noch geringere Werte möglich sind.
Im Durchschnitt jedenfalls waren es 18,5 kWh/100km exklusive und 20,9 kWh/100km inklusive Ladeverlusten. Das ist ungefähr das Gleiche, was wir in einem ID.3 gemessen hatten. Kein Wunder bei formal ähnlichen Fahrzeugen.
Der Charakter ist dennoch unterschiedlich. Im Innenraum etwa wirkt der Renault ungleich erwachsener und hochwertiger. Die Materialauswahl ist besser – eine Aussage, die bei diesen beiden Marken über Jahrzehnte nur umgekehrt vorstellbar war.
Ein Mangel am Renault Megane E-Tech ist allerdings die Lenkung. Rückmeldung und Präzision sind überarbeitungsbedürftig, und im Vergleich zum Volkswagen ID.3 (Heckantrieb) ist die Traktion des Frontantriebs schwächer, was beim harten Beschleunigen aus engen Kurven auffällt. Nein, der Renault mag es lieber geschmeidig und fließend, er ist ein Komfortcruiser, auch wenn die schwarzen Radläufe an ein SUV erinnern (was er mit 1,51 Meter Höhe definitiv nicht ist) und die großen Felgen Dynamik suggerieren.
So fährt man französisch-entspannt durch die Gegend, kann den feinen Sound aus der Harman Kardon-Anlage genießen, und alles ist schön. Und natürlich würde es mit 160 kW Motorleistung schnell vorangehen, wenn man den wollen würde.
Gute Assistenzsysteme, mäßige Übersicht
Gelungen sind auch die Fahrassistenzsysteme. Alle Funktionen befinden sich auf einem Niveau, dass nur in höheren Klassen nochmals übertroffen wird. Ein Abstrich, und das gilt für viele Hersteller, sind die intransparenten Marketing-Bezeichnungen in der Preisliste: So dürfte sich hinter dem „Tempopilot mit Geschwindigkeitsbegrenzer“ (zu finden in der Grundausstattung Equilibre) kein Tempomat, sondern lediglich der gesetzlich vorgeschriebene Speedlimiter verbergen. Oder?
Und das Paket namens Augmented Vision & Advanced Driving ist nicht etwa eine ähnliche Projektion ins Sichtfeld wie die Augmented Reality von Volkswagen, sondern eine 360 Grad-Kamera, ein adaptiver Tempomat mit automatischer Übernahme der Geschwindigkeitsbegrenzung sowie ein Innenspiegel, der wahlweise analog oder digital arbeitet. In beiden Fällen ist die Sicht nach hinten mäßig, auch wenn der kleine Wendekreis von 10,4 Meter das Einparken grundsätzlich erleichtert.
Eigentlich könnte nun ein Sermon über die Möglichkeiten folgen, welches Batterieformat (40 oder 60 kWh netto) mit welcher Ausstattung harmoniert. Die Realität der Elektromobilität aber ist bitter. Die Auswahl ist überall eingeschränkt, und vermutlich macht es Renault wie die gesamte Autoindustrie: Die Verfügbarkeit der Top-Versionen ist relativ gut, wenn auch im Sinn exakter Lieferzeiten kaum planbar, und auf magere Basismodelle (Stichwort ID.3 45 kWh) wartet man wohl vergebens.
0,25 Prozentregel beim Megane E-Tech
Auf dem Papier beginnt der Renault Megane E-Tech bei 35.200 Euro. Dafür gibt es die 40 kWh-Batterie und ein einphasiges Ladegerät. Wir fuhren den EV60 optimum charge in der Techno-Ausstattung, für den mindestens 44.700 Euro aufgerufen werden. Beide Preise wären überzogen und zu hoch, wenn es keine Förderung geben würde. Die aber ist weiterhin vorhanden und beläuft sich vorerst auf 9.570 Euro.
Bei einem Bruttolistenpreis von unter 60.000 Euro muss bei Firmenwagen nicht ein Prozent pro Monat für den geldwerten Vorteil der Privatnutzung, sondern nur ein Viertel davon versteuert werden. Eine Offerte, bei der viele Angestellte und Selbstständige kaum widerstehen können.
Wer sich für den Renault Megane E-Tech entscheidet, spürt die Erfahrung von zehn Jahren Elektromobilität. Der kompakte Megane ist ein harter Konkurrent für den Van-artigen VW ID.3. Abseits von Steuervorteilen und Lieferfähigkeit empfehlen wir, sich selbst ein Bild zu machen: Ein Elektroauto ist eben nicht nur ein rationaler Kauf, bei dem betriebswirtschaftliche Argumente zählen. Es muss auch subjektiv zusagen. Uns hat der Renault sehr gut gefallen, er wirkt konzeptionell ausgereift und ist im Alltag ein angenehmer Begleiter.
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