Probefahrt mit dem eActros: Lautloser Laster
Mit dem eActros hat Mercedes seinen ersten schweren Elektro-Lkw auf den Markt gebracht. Dieselmotor und Schaltgetriebe wurden durch eine E-Achse und Batterien ersetzt. Doch welche Auswirkungen hat das auf das Fahrverhalten und den Fahrer? Wir konnten bei einer Mitfahrt erste Eindrücke gewinnen.
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Als der eActros 300 am Brancheninformationscenter am Wörther Standort von Mercedes-Benz losfährt, sind nur Abrollgeräusche zu hören. Kein lauter Motor etwa, wie bei einem Dieselfahrzeug üblich, keine Schaltgeräusche. Vom Parkplatz aus gleitet das Fahrzeug ruhig auf die Straße und begibt sich auf seine Fahrt. Für die Ohren bemerkbar macht sich noch der Kältekompressor für die Klimaanlage, der abhängig von der Außentemperatur anspringt. Mercedes-Benz hatte an einem warmen Tag zu einer Probefahrt mit seinem vollelektrischen Lkw geladen.
Während der Fahrt ist Cesar Goncalves problemlos zu verstehen. Seit 2007 ist er Fahrertrainer bei dem deutschen Hersteller. An diesem Tag sitzt er hinter dem Lenkrad eines von mehreren eActros-Fahrzeugen, die mit Journalisten an Bord in der Umgebung unterwegs sind. Laut Goncalves ist, ganz allgemein gesprochen, ein E-Lkw einfacher zu fahren als ein Lkw mit konventionellem Dieselantrieb.
Immer wieder während der Fahrt schaltet er zur Demonstration zwischen den fünf Rekuperationsstufen hin und her, für diese Fahrt scheint ihm die dritte die richtige. „Wegen der drei Tonnen Last hinten“, sagt er. Goncalves erläutert unter anderem die zweite Generation des Spiegelkamerasystems MirrorCam sowie die Fahrprogramme Range (Leistungsabnahme 70 Prozent, max. 82 km/h), Economy (Leistungsabnahme 85 Prozent, max. 85 km/h) und Power (Leistungsabnahme 100 Prozent, max. 89 km/h), die das Fahrzeug zu bieten hat. Auf einer geraden Strecke nutzt Goncalves die Gelegenheit für die Boost-Funktion, die in den Programmen Economy und Power verfügbar ist: Der Fahrer drückt aufs Pedal, das Fahrzeug beschleunigt stetig, mit merklicher Kraft, zu hören sind Geräusche, die mehr an einen Pkw als an einen Lkw erinnern.
Der eActros ist für den Verteilerverkehr konzipiert, die Strecke, auf der Goncalves fährt, scheint gut zum Profil zu passen. Seit dem vergangenen Oktober werden die Fahrzeugmodelle im Mercedes-Benz-Werk in Wörth bei Karlsruhe in Serie produziert, die erste Auslieferung folgte im Februar. Für die Power im Fahrzeug sorgen zwei in eine Starrachse integrierte Elektromotoren, die eine Dauerleistung von 330 kW sowie eine Spitzenleistung von 400 kW generieren. Kunden können zwischen zwei Varianten des Modells auswählen: der eActros 300 mit einem Gesamtgewicht von 19 Tonnen und mit drei Batteriepaketen sowie der 27 Tonnen (Gesamtgewicht) schwere eActros 400 mit vier Akkus.
Je nach Batterie bis zu 400 Kilometer Reichweite
Jedes Batteriepaket im eActros besteht aus zwei Schichten von sechs Modulen mit jeweils 18 Zellen und bietet eine Kapazität von 112 kWh (nutzbar 97 kWh). Damit ist eine Reichweite von bis 300 bzw. 400 Kilometer möglich. Laden lässt sich der eActros mit bis zu 160 kW: Drei Batteriepakete benötigen an einer üblichen DC-Schnellladesäule mit 400 A Ladestrom etwas mehr als eine Stunde, um von 20 auf 80 Prozent geladen zu werden, so der Hersteller.
Auch Goncalves macht einen kurzen Zwischenstopp an einer Ladestation im Entwicklungs- und Versuchszentrum (EVZ). Docht dient der vornehmlich dazu, den Ladeprozess zu zeigen, geladen wurde nur deshalb nur wenige Sekunden. Angezeigt wird der Ladestand übrigens auf dem im eActros serienmäßigen Multimedia-Cockpit.
Während der eActros in Wörth produziert wird, fertigt und montiert das Unternehmen Komponenten wie e-Achse und Batteriepakete an anderen Standorten: Anfang Oktober des vergangenen Jahres startete das Werk in Mannheim die Montage der Batteriepakete, das Werk in Kassel die Montage der e-Achse und das Werk Gaggenau Getriebekomponenten. In Wörth kommen dann alle Teile zusammen, wie Jean-Marc Diess während eines Pressegesprächs am Vorabend erklärte. „Der High-Voltage-Anschluss von Antrieb und Batterien passiert in einer anderen Halle“, erklärte er.
„Wir können liefern“
Der Head of Region Europe bei Mercedes-Benz Trucks berichtete, dass das Unternehmen nach den ersten Auslieferungen gute Rückmeldungen erhalten hat. Dabei hatte das Unternehmen, wie auch andere, mit Herausforderungen in der Lieferkette zu kämpfen. Viel habe man in den vergangenen zwei Jahren gelernt, so Diss. Die Beschaffung der Batterien sei aber gesichert. „Wir können diese Autos zusammenschrauben. Wir können liefern“, fasste er zusammen. Bis zum Ende des Jahres soll eine dreistellige Zahl an Fahrzeugeinheiten produziert und ausgeliefert werden.
Seine Industrie sieht Diss am Anfang einer neuen Ära stehen. Mercedes-Benz Trucks hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 den Anteil lokal CO2-neutraler Neufahrzeuge in Europa auf über 50 Prozent zu erhöhen. Bei der Batterietechnologie seien noch „gewisse Anpassungen notwendig“, sagte Diss. Einen Schlüsselfaktor für die Zukunft stelle die Ladeinfrastruktur dar. Mit ihren derzeitigen Reichweiten eignen sich Fahrzeuge wie der eActros, aber auch der angekündigte eEconic bereits gut für Ladelösungen im Depot. Der „Kunde, der ins Depot zurückfährt – das funktioniert“, sagte auch Diss. Doch bleiben große Herausforderungen hinsichtlich der Ladeinfrastruktur bestehen. „Wenn wir das nicht lösen, wird das ganze Thema Elektromobilität nichts“, betonte er.
Seine Bemühungen in diesem Bereich treibt das Unternehmen deshalb weiter voran. Beim Depotladen arbeitet Mercedes-Benz Trucks mit Siemens Smart Infrastructure, Engie und EVBox Group zusammen. In Sachen öffentliches Laden für den Fernverkehr haben Daimler Truck, die Traton Group und die Volvo Group eine verbindliche Vereinbarung zur Gründung eines Joint Ventures unterzeichnet. Diese sieht den Aufbau und Betrieb eines öffentlichen Hochleistungs-Ladenetzes für Batterie-elektrische schwere Fernverkehrs-Lkw und Reisebusse in Europa vor. Das Ladenetz der drei Parteien soll Flottenbetreibern in Europa markenunabhängig zur Verfügung stehen.
Daimler Truck beteiligt sich zudem am Projekt „Hochleistungsladen im Lkw-Fernverkehr“ (HoLa), das unter der Schirmherrschaft des VDA steht. Ziel ist die Planung, Errichtung und der Betrieb einer ausgewählten Hochleistungs-Ladeinfrastruktur für den Batterie-elektrischen Lkw-Fernverkehr. Dabei sollen an vier Standorten in Deutschland je zwei Hochleistungsladepunkte mit dem Megawatt Charging System (MCS) aufgebaut und im Praxiseinsatz getestet werden. Am Projekt sind verschiedene Konsortialpartner aus Industrie und Forschung beteiligt.
Weitere eActros-Varianten werden folgen
Nach dem Marktstart des eActros für den schweren Verteilerverkehr treibt Mercedes-Benz Trucks auch die Einführung weiterer Batterie-elektrischer Modelle für dieses und die kommenden Jahre voran. Kürzlich hat das Unternehmen den ersten Prototypen des Batterie-elektrischen Lkw eActros LongHaul gebaut. Einen ersten Ausblick gab das Unternehmen im September 2020. Erste Tests laufen bereits, noch in diesem Jahr soll das Fahrzeug auf öffentlichen Straßen erprobt werden. Der elektrische 40-Tonner ist für das Fernverkehrssegment konzipiert und soll 2024 mit einer Reichweite von etwa 500 Kilometer serienreif sein. Der LongHaul wird erstmals Hochleistungsladen ermöglichen. Laut Diss wird der Autobauer die ersten dieser Fahrzeuge bis zum Anfang des kommenden Jahres zeigen. Zudem kündigte der Lkw-Bauer weitere Varianten des eActros für den Verteilverkehr an.
Trotz weiterer Reichweiten seiner rein elektrisch betriebenen Fahrzeuge hält der Autobauer weiterhin an den Unternehmungen mit Fokus auf dem Wasserstoff als alternative Antriebstechnologie fest, wie ein Pressesprecher mit dem Verweis unter anderem auf Cellcentric, dem Gemeinschaftsunternehmen von Daimler Truck und Volvo, im Gespräch mit Electrive.net betont. Nach einem positiven Bürgerentscheid im baden-württembergischen Weilheim an der Teck ist für das Unternehmen die Voraussetzung für die angekündigte Gigafactory für Brennstoffzellen geschaffen. Wir berichteten.
Für den Entschluss eines Betreibers zu alternativen Antrieben ist letztlich auch der TCO-Case (Total Cost of Ownership) entscheidend. In diesem Zusammenhang sieht Diss bei der Förderungsthematik noch Nachbesserungsbedarf. In Deutschland sei sie zu kompliziert und komplex, ginge teilweise bis auf die Stadtebene runter. Das Wissen über die Förderungen gibt der Hersteller an seine Kunden weiter. Doch: „Jede Woche gibt es Neuigkeiten“, sagt er, und fordert einheitliche Lösungen für ganz Europa.
Bis zu drei Tage Fahrtraining mit dem eActros
Auf seiner Route lenkt Goncalves den eActros 300 teils über die B9, teils über andere, kleinere Straßen, durch verschiedene Ortschaften, Kreisverkehr und über etliche Kreuzungen. Bei Schulungen, so der langjährige Fahrer, werden Lkw-Nutzer, die auf ein Fahrzeug mit elektrischem Antrieb umsteigen wollen, vor allem auch für das vorausschauende Fahren sensibilisiert. Das hilft, die Batterien zu schonen und – unter Zuhilfenahme der Rekuperation-Technik – mehr Reichweite zu erhalten. Trainings für den eActros führt Goncalves seit vergangenem Jahr durch. Es dauert ein bis drei Tage, erläutert er. Theorie und Praxis eingeschlossen. Mercedes-Benz Trucks bietet das Training im Rahmen eines ganzen Ökosystems an Services neben den Fahrzeugen an.
Allzu kompliziert scheint die Strecke nicht, das Fahrzeug muss keine besonders schwierigen Steigungen überwinden, wenn doch an manchen Stellen durch sehr enge Straßen navigieren. Die knapp 50 Kilometer legt der eActros mit Wechselbrückenaufbau der Firma Wecon problemlos zurück.
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