Eichrecht-Patente als Spaßbremse der Ladeinfrastruktur
Für die Hersteller von Ladesäulen ist der Hochlauf der Elektromobilität ein Fest. Das Wachstum ist enorm, die Umsätze steigen rasant. Jetzt bremst ein Streit um Patente beim Eichrecht die Freude – und sorgt für Streit in der Branche. Wird das Thema zum Showstopper beim Ausbau des Ladenetzes?
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Alles begann mit einer Ad-hoc-Mitteilung von Compleo Charging Solutions: Das Unternehmen will künftig zwei Patente für die in Deutschland gesetzlich vorgeschriebene eichrechtskonforme Abrechnung von Ladevorgängen kommerzialisieren – und zwar durch ein Lizenzmodell. Hinter den Kulissen wird um das Thema allerdings schon länger gerungen. Dazu muss man wissen: Beim Eichrecht ist die Branche bisher geschlossen marschiert – und hat als Reaktion auf die Herausforderungen des Eichrechts im Jahr 2019 eine Initiative namens S.A.F.E. (Software Alliance for E-mobility) ins Leben gerufen. Diese hat mit der Bereitstellung einer Transparenzsoftware quasi einen Branchenstandard für den rechtskonformen Betrieb von Ladestationen etabliert. Die Software ermöglicht es Nutzern von Ladestationen, jederzeit die Korrektheit der erfassten Werte zu überprüfen. Nahezu alle Hersteller von Ladestationen verwenden das Verfahren. Und da liegt der Hase im Pfeffer.
Denn diese Transparenzsoftware baut auf ein Verfahren zur Signaturbildung auf, das jene Patente nutzt, die Compleo nun per Lizenz kommerzialisieren will. Erworben hat der Ladeinfrastruktur-Hersteller sie im Zuge der Übernahme von Innogy eMobility Solutions. Sie gelten bis 2031 bzw. 2032 in mehreren europäischen Ländern. Darunter ist auch das entscheidende europäische Patent EP2531368B1, eingereicht bereits im Jahr 2010 noch durch RWE. Die Kollegen waren damals der Zeit voraus. Das Verfahren definiert die wichtige Nutzeridentifikation bei einem Ladevorgang – also die Zuordnung zwischen einem von einer Ladestation erfassten Messwert zu einem Nutzer. RWE und später Innogy haben die Nutzung dieses und eines weiteren Patents in der Phase der Entwicklung und Professionalisierung der Elektromobilität schlicht zugelassen. Die Compleo Charging Solutions als börsennotiertes Unternehmen will das nun anders machen – und wittert mögliche Millionen-Umsätze.
Für die weit über 80 S.A.F.E.-Mitglieder – ironischerweise gehört auch Compleo selbst dazu – wird das zu einem Dilemma. Aktuell bekommt man die begehrte Baumusterprüfbescheinigung praktisch nur, wenn man das Verfahren nutzt. Und das tun nach Aussage von Experten 98 Prozent der Hersteller. S.A.F.E. hat die Tranzparenzsoftware also in die Mitte des Marktes getragen – im Glauben, dass kein beteiligtes Unternehmen aus dem Eichrecht einen Business Case zulasten der anderen macht. Es sollte anders kommen. Der Verein hat deshalb bereits vor dem Bekanntwerden der Compleo-Mitteilung von Patentanwälten ein Gutachten erstellen lassen. Dieses argumentiert, dass besagtes Verfahren zum Zeitpunkt der Anmeldung Stand der Technik war, also keine Neuheit mit erfinderischer Werthaltigkeit, mithin also nicht schutzwürdig. Das Patent, so die Bewertung beteiligter Experten, hätte also gar nicht erteilt werden dürfen. Somit glaubt die S.A.F.E.-Initiative, gute Karten für eine Nichtigkeitsklage in der Hand zu haben. Ob es dazu kommt, soll eine außerordentliche Mitgliederversammlung entscheiden.
Das Problem: Ein solches Klageverfahren kann sich in die Länge ziehen, fünf bis acht Jahre sind nicht unwahrscheinlich. Bis dahin würde der Patentschutz schon fast auslaufen und die Unternehmen müssten über die Dauer des Verfahrens mit anhaltender Rechtsunsicherheit leben. Zudem ist der Streitwert in einem solchen Verfahren sehr hoch. Die Alternative?
Nach Aussage von Checrallah Kachouh, Mitinhaber und Technikchef von Compleo, arbeitet sein Team mit Hochdruck an einem Lizenzmodell für den Markt. Auf die Einnahmen verzichten will das Unternehmen nicht. Kann es auch nicht, argumentiert Kachouh: „Wir haben eine Verpflichtung gegenüber unseren Aktionären.“ Compleo stellt sich nun eine Stücklizenz pro verkauftem eichrechtskonformen Ladepunkt vor. Die Ladestationsbetreiber als Anwender des Verfahrens sollen möglichst nicht belastet werden. Zur Höhe der Lizenzkosten wollte sich Kachouh gegenüber dem Branchendienst electrive.net noch nicht äußern. „Es wird angemessen sein“, so der Compleo-CTO nur. Da das deutsche Verfahren womöglich auch in anderen europäischen Ländern ausgerollt wird, dürfte das mögliche Umsatzvolumen dennoch beträchtlich sein.
Die Mitglieder der S.A.F.E.-Initiative treibt natürlich die Sorge über steigende Kosten um. Zudem wollen sie aber auch vermeiden, dass Compleo als Konkurrent zu viel Wissen über den Wettbewerb erhält. Wenn jeder Hersteller wegen des Lizenzmodells aber seine Verkäufe an Compleo melden muss, wäre dies kaum zu verhindern.
Wird das Thema nun also zum Showstopper des Ladeinfrastruktur-Hochlaufs? Davon ist im Moment nicht auszugehen. Unterlassungsklagen, die den laufenden Betrieb der bestehenden Ladeinfrastruktur einschränken würden, drohen seitens Compleo jedenfalls bis auf Weiteres nicht. Auch wenn Streit in der Luft liegt und ein jahrelanges Gerichtsverfahren vor dem Bundespatentgericht möglich wäre, sprechen beide Seiten gegenüber electrive.net von einer „blöden Situation“ und betonen, den Markt nicht ausbremsen zu wollen. „Wir wollen nichts behindern und werden auch S.A.F.E. weiter unterstützen“, sagte etwa Checrallah Kachouh. Und den anderen Herstellern würden ja auch andere Technologien offenstehen.
Es ist wie so oft: Konkurrenz belebt das Geschäft. Wessen Kassen es in diesem Fall füllt, bleibt abzuwarten.
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