Kia Niro EV: Fast gleicher Antrieb, ganz anderes Ambiente
Mit dem Generationswechsel vom e-Niro zum neuen Niro EV hat Kia den E-Antrieb kaum angerührt. Der zweite Niro zeichnet sich vor allem durch eine komplett neue Karosserie und einen höherwertigen Innenraum aus. Welches Potenzial diese Kombination bietet, zeigt die erste Ausfahrt im neuen Niro EV.
Zu den Eigenschaften, die die derzeitigen e-Niro-Fahrer wohl am meisten schätzen, gehört ganz klar der Verbrauch: In Relation zu seiner Größe und vor allem dem Stauraum kam der seit 2018 angebotene e-Niro mit erstaunlich wenig Strom aus. Und das trotz 150 kW Leistung.
Nach der ersten, kurzen Ausfahrt können wir es zwar noch nicht genau beziffern, aber diese Effizienz scheint Kia auch bei der Generation 2 erhalten zu haben: In die Bordcomputer-Anzeige von 12,7 kWh/100km sollte nicht zu viel interpretiert werden, da die Strecke rund um Frankfurt für eine belastbare Verbrauchs-Angabe viel zu kurz war und so gut wie keinen Autobahn-Anteil enthielt. Aber die Tendenz ist klar: Der Niro EV wird bei angemessener Fahrweise wie sein Vorgänger zu den sparsameren Elektroautos gehören.
Das verwundert natürlich kaum, denn am elektrischen Antriebsstrang wurde nur behutsam Hand angelegt. Die Peak-Leistung liegt nach wie vor bei 150 kW. Neu ist, dass das maximale Drehmoment bei 255 Nm gekappt wird – zuvor waren es 390 Nm. Einen Einfluss auf die Fahrleistungen hat diese Entscheidung der Entwickler nicht, der Niro EV beschleunigt wie sein Vorgänger in 7,8 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h. Was sich geändert hat, ist das Ansprechverhalten: Der Elektroauto-typische Punch ist nicht mehr vorhanden, der Niro EV geht komfortabler und kultivierter ans Fahrpedal. Und die Vorderreifen sollen deutlich länger halten.
Neue Batterie, gleiche Ladeleistung
Neu und dennoch fast gleich ist die Batterie: Der nutzbare Energiegehalt liegt nun bei 64,8 statt glatten 64 kWh, damit sollen bis zu 460 Kilometer nach WLTP möglich sein. Hintergrund ist der Wechsel des Zelllieferanten zu CATL – was in Südkorea für große Verstimmungen bei den Kunden geführt hat. In seinen Eigenschaften ist der neue Akku dem alten aber sehr ähnlich, die maximale DC-Ladeleistung liegt weiterhin bei 75 kW. Wir vermuten: Da sich an den Eigenschaften wenig geändert hat, wird sich der CATL-Deal vermutlich vor allem auf die Einkaufspreise bei Kia auswirken.
Der ebenfalls angebotene Plug-in-Hybrid kommt nun auf eine Systemleistung von 135 kW, davon steuert der E-Motor 62 kW bei. Mit der 11,1 kWh großen Batterie (unter den Rücksitzen verbaut) sind bis zu 65 Kilometer nach WLTP möglich (kombinierter Verbrauch, nicht City-Zyklus), mit den 18-Zoll-Felgen sind es noch 59 Kilometer. Bei der Testfahrt rund um den Feldberg im Taunus zeigte der Bordcomputer nach 61 Kilometern einen Verbrauch von 2,3 Litern auf 100 Kilometer an. Da der Akku bei Abfahrt nicht vollständig geladen war, ist keine Aussage zur reinen E-Reichweite möglich. Zudem haben wir bei der Testfahrt mehrmals zwischen dem Verbrauchs-optimierten Eco-Modus und dem Sport-Modus gewechselt: Im Eco-Modus kann über die Schaltpaddels am Lenkrad die Rekuperation eingestellt werden (bis hin zu einem One-Pedal-Driving), im Sport-Modus wird klassisch geschaltet. Einen reinen E-Modus gibt es aber nicht, da der Eco-Modus (sofern möglich) bereits das elektrische Fahren priorisiert.
Zwei weitere Besonderheiten beim Plug-in-Hybrid: Das Sechs-Gang-Doppelkupplungsgetriebe hat keinen mechanischen Rückwärtsgang mehr. Stattdessen läuft der Elektromotor im ersten Gang rückwärts. Genügend Strom zum Rangieren behält das System immer im Akku – spart 2,3 Kilogramm Gewicht und hat im Alltag keine Nachteile. Punkt 2: Im Gegensatz zu anderen Plug-in-Hybriden von Kia hat der neue Niro erstmals einen PTC-Heizer, damit die Luft im Innenraum auch ohne die Abwärme des Verbrenners erwärmt werden kann. Klingt auf dem Papier nach einer sinnvollen Ergänzung, der erste Test zeigt aber, dass das nur bei wenigen Grad Temperaturdifferenz funktioniert. Stand das Auto also etwa bei zehn Grad über Nacht im Freien, kann der PTC-Heizer alleine den Innenraum nicht in angemessener Zeit auf 20 Grad erwärmen – der Verbrenner springt dann immer noch zum Heizen an, obwohl rein elektrisch gefahren wird. Aber: Ist das Auto an das Stromnetz angeschlossen, kann der Innenraum per App vorgeheizt werden. Bei 11,1 kWh in der Batterie würde ein stärkerer PTC-Heizer wenig Sinn ergeben.
Was bei der ersten Runde mit dem Niro EV und dem Niro PHEV klar ist: Mit dem Generationswechsel auf die aktuelle K3-Plattform hat sich der Fahrkomfort spürbar erhöht. Der Niro federt komfortabler, die Lenkung ist etwas präziser, insgesamt wirkt die Fahrwerksabstimmung deutlich ausgereifter. Zudem wurde bei der Geräuschdämmung nachgebessert.
Ausgereifter geht es auch im Innenraum zu: Während der erste e-Niro noch sehr einfach wirkte (etwa bei den großflächigen Hochglanz-Kunststoff-Elementen und der etwas lieblosen Anordnung mancher Bedienelemente) ist der neue Niro EV ein deutlich moderneres und durchdesigntes Auto. Der Einfluss des größeren EV6 ist fast überall zu spüren, nur alles dem Fahrzeug angepasst etwas kleiner. Die beiden Displays kommen jeweils auf 10,25 statt 12,25 Zoll Diagonale, die durchgängige Designlinie von den Türen über die gesamte Breite des Cockpits sowie die Touch-Leiste mit den Schnellwahl-Tasten erinnern klar an den EV6. Für dessen offene Mittelkonsole hat im kleineren Niro EV zwar der Platz nicht ganz gereicht, es muss ja aber auch keine 1:1-Kopie sein.
Zahlreiche Verbesserungen im Detail
Dafür gibt es im Niro EV nun auch gegen Aufpreis ein Head-up-Display, was ebenfalls zur Aufwertung beiträgt. Dazu passen auch die hochwertigeren Materialien im Innenraum. Natürlich dominiert der Kunststoff, aber es ist alles eine Nummer schicker und angenehmer anzufassen – und mit deutlich höherem Recycling-Anteil, wie Kia betont.
Auch die Sitze sind an den EV6 angelehnt: Ihre Konstruktion ist deutlich dünner, was vor allem die Beinfreiheit in der zweiten Reihe erhöhen soll (gleich dazu mehr). Eine mehrstündige Langstreckenfahrt haben wir noch nicht absolviert, bei der ersten Ausfahrt waren die Sitze dennoch bequem. Ebenfalls von dem größeren E-GMP-Modell übernommen wurde der in die Rückenlehne integrierte USB-C-Anschluss sowie der Kleiderbügel.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Knie- und Kopffreiheit im Niro EV etwas kleiner ausfallen als beim Plug-in-Hybrid und dem ebenfalls erhältlichen Vollhybrid. Wegen der im Unterboden platzierten Batterie ist die Rückbank im BEV 3,8 Zentimeter höher montiert. Das ist im direkten Vergleich zwischen den Varianten natürlich spürbar, aber auch im Niro EV ist der Platz für einen Erwachsenen mit 1,85 Metern Größe auf der Rückbank mehr als ausreichend.
Unterschiede gibt es auch beim Kofferraumvolumen – hier aber zugunsten des Niro EV: Mit 475 Litern fasst das Ladeabteil unter den drei Antriebsarten beim Elektromodell am meisten. Beim Niro EV kann der Kofferraumboden mit einem Handgriff in eine tiefere Position abgesenkt werden. Beim Plug-in-Hybrid ist dort der Tank verbaut, weshalb der Kofferraumboden dort immer in der höheren Position ist. Die Angabe von 348 Litern im PHEV ist somit auch für die BEV-Kunden interessant, falls sie eine ebene Ladefläche bevorzugen und die obere Position des Kofferraumbodens nutzen.
Das Ladekabel kann im Niro EV (im Gegensatz zum alten e-Niro) in einem Frunk unter der Fronthaube verstaut werden. Da der Ladeanschluss beim Niro EV weiterhin an der Front ist, ist der neue Frunk auch sehr praktisch – man muss nach dem Aussteigen nicht erst zum Kofferraum, um dann an der Front das Ladekabel einzustecken. Sofern bestellt findet in dem Frunk auch der Adapter für die Stromentnahme Platz. Kia hat das bisher als „Vehicle2Load“ (V2L) bezeichnete System übrigens inzwischen in „Vehicle2Device“ (V2D) umbenannt. Die Funktion aber bleibt gleich: Der Niro EV kann Geräte mit bis zu 3,0 kW versorgen. Das gibt es nur beim Niro EV, der Plug-in-Hybrid kann das nicht.
Nicht nur beim V2D-System und dem Kofferraum unterscheiden sich die beiden Varianten mit Ladestecker: Der PHEV kann bis zu 1,3 Tonnen an der optionalen Anhängerkupplung ziehen. Beim Niro EV ist im Vergleich zum e-Niro zwar der Fortschritt, dass es überhaupt eine zulässige Anhängelast gibt. Mit 750 Kilogramm fällt diese aber geringer aus als beim PHEV.
Eine Neuerung, die nur die reine Elektro-Version betrifft: Die Batterie kann wie angekündigt vorkonditioniert werden. Liegt die Akku-Temperatur unter 20 Grad, erwärmt ein Heizelement den Hochvolt-Speicher auf die optimale Temperatur von 22 Grad, damit am Schnelllader die maximale Ladeleistung anliegt. Das funktioniert aber nur, wenn eine Ladesäule in der Routenplanung als Ziel angegeben ist – und wenn die Fahrtdauer zur Ladesäule länger ist als die berechnete Zeit, die zum Aufheizen benötigt wird.
Die Begründung von Hyundai-Kia, weshalb die Vorkonditionierung an die Routenplanung gekoppelt ist, klingt zunächst einleuchtend – auf dem Weg zum Massenmarkt will man den Kunden so viel wie möglich abnehmen und hat daher den Vorgang automatisiert. In der Praxis hat das aber einige Haken: Wer etwa aufgrund der besseren Live-Verkehrsdaten die Navigation über Google Maps in Apple CarPlay oder Android Auto laufen lässt, kann die Vorkonditionierung nicht nutzen – das geht nur über das Kia-Navi. Zudem ist die Routenplanung mit automatisch hinzugefügten Ladestopps weiter ausbaufähig – unser Testwagen hat unweit von Frankfurt bei einer Zieleingabe Berlin eine nahegelegene AC-Säule vorgeschlagen, obwohl der Ladestand noch bei 90 Prozent war. Und: In Zeiten des schnellen Ladesäulen-Ausbaus kann das Kia-Navi natürlich nur an jene Ladesäulen navigieren, die im System hinterlegt sind – nicht aber an neue, gerade erst eröffnete Standorte.
Niro EV in Basisausstattung noch nicht bestellbar
Hier bietet Kia zwar die Möglichkeit von Over-the-Air-Updates, die auch für das Kartenmaterial genutzt werden können. Beim Niro sind aber nur zwei OTA-Updates im Kaufpreis enthalten. Die Kia-übliche Garantie für das Kartenmaterial gilt zwar weiterhin, doch das gibt es nur beim Händler mit einem manuellen Update in der Werkstatt. Der Ansatz ist gut und die Technik ist da, gänzlich überzeugen kann die Kombination aus der automatischen Vorkonditionierung und den limitierten OTA-Updates aber nicht.
Kia geht davon aus, dass sich 70 Prozent der Kunden für den Niro EV entscheiden werden – 20 Prozent werden laut der Kalkulation den Plug-in-Hybrid bestellen, nur zehn Prozent den Vollhybrid. Das dürfte (vorerst) auch an den Preisen liegen, denn nach der Förderung ist der HEV mit 30.690 Euro derzeit sogar die teuerste Variante. Der PHEV ist mit 36.990 Euro eingepreist, womit sich bis Ende des Jahres nach Abzug des Umweltbonus 29.512,50 Euro ergeben. Der Niro EV kostet 39.990 Euro vor und 30.420 Euro nach Förderung.
Der Haken: Diesen Basispreis für den Niro EV hat Kia Deutschland bei der Vorstellung des neuen Niro im April genannt. Zum Marktstart ist in der Preisliste allerdings nur der Niro EV in der „Inspiration“-Ausstattung aufgeführt. Und dieser kostet mit all seinen Extras mindestens 47.590 Euro vor bzw. 38.020 Euro nach Abzug der Förderung – mit weiteren Zusatz-Paketen sind das schnell über 50.000 Euro. Damit hat der Kunde die Wahl: Entweder einen voll ausgestatteten Niro EV oder in der gleichen Preisklasse das Basismodell des 800-Volt-Stromers EV6 mit kleiner Batterie, der ab 46.990 Euro in der Liste steht.
Wichtig ist bei allen Preisen natürlich die Zulassung vor dem Jahreswechsel – zum 1. Januar 2023 werden sich die Umweltbonus-Kriterien ändern, auch wenn immer noch nicht final bekannt ist, wie diese aussehen werden. Die Kia-Deutschland-Zentrale in Frankfurt hat sich aber nach eigenen Angaben auf diese Umweltbonus-Unklarheit vorbereitet: Der Deutschland-Importeur hat sich Kia-intern ein größeres Produktionskontingent gesichert als üblich. Sofern sich die Kunden für eines der vorkonfigurierten Fahrzeuge im Produktionsvorlauf entscheiden, stehen die Chancen laut Kia gut, dass sie ihren Niro EV noch in diesem Jahr erhalten, wenn sie zeitnah bestellen. Wer sein individuelles Wunschfahrzeug bestellen will, muss hingegen mit 2023 rechnen. Und beim günstigeren Basismodell wohl auch.
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