P3 Charging Index: Kia EV6 ist neuer Langstrecken-Meister
Sommerzeit = Reisezeit. Doch wie schlagen sich Elektroautos auf der Langstrecke? Bei der dritten Ausgabe des P3 Charging Index hat es einen neuen Sieger gegeben – erstmals kommt das langstreckentauglichste Elektroauto nicht mehr aus Stuttgart, sondern aus Südkorea. Es ist nicht die einzige Änderung in dem Langstreckenvergleich, den die P3 Group in Zusammenarbeit mit dem Branchendienst electrive.net erstellt hat.
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Das Ergebnis der dritten Auflage nach 2019 und 2021: Nicht mehr eines der deutschen Premium-Modelle ist das langstreckentauglichste Elektroauto, sondern der Kia EV6. Mit einem Indexwert von 1,03 kommt der 800-Volt-Stromer aus Südkorea als erstes Fahrzeug überhaupt auf einen Charging Index, der größer als 1 ist.
Zur Erklärung: Das von P3 definierte Ideal für die Autobahn wäre, elektrische Energie für 300 Kilometer (km) Reichweite in 20 Minuten zu laden – der P3 Charging Index setzt also den Verbrauch mit der realen Ladefähigkeit in Relation. Ein Elektroauto, dass diese Vorgabe erreicht, würde von P3 mit einem Charging Index von 1 bewertet werden. Der EV6 schafft sogar minimal mehr, der zweitplatzierte Mercedes EQS kommt immerhin auf einen Wert von 0,92.
Zur Datenbasis: Beim Stromverbrauch handelt es sich für alle Modelle um den ADAC EcoTest, da dieser Test unter den immer gleichen Bedingungen auf dem Prüfstand ermittelt wird und nur so echte Vergleichbarkeit zwischen den Modellen gewährleistet ist. Sämtliche Ladekurven hat P3 selbst gemessen, alle Tests fanden in diesem Frühjahr bei ähnlichen Temperaturen statt. Für die bestmögliche Vergleichbarkeit wurde zudem für alle Fahrzeuge der selbe Ladesäulen-Typ verwendet – mit zwei Ausnahmen: Das Tesla Model 3 und Model Y wurden am Supercharger V3 gemessen, da beide Modelle hier die beste Lade-Performance aufweisen und ihre Spitzenladeleistung von 250 kW erreichen.
Neu in der dritten Ausgabe ist, dass das immer größer werdende Feld an Elektroautos in drei Klassen eingeteilt wurde. Die Abstufung orientiert sich an den Preis-Kategorien des Umweltbonus, jedoch nicht genau: Die Trennung für die untere Klasse wurde bei 35.000 statt 40.000 Euro festgelegt. Somit fallen Modelle wie etwa der VW ID.4 oder Hyundai Ioniq 5, die mit einem Nettolistenpreis von weniger als 40.000 Euro voll förderfähig sind, nicht in die untere, sondern in die mittlere Klasse. Mit dieser Einstufung sind sie in einer Kategorie mit vergleichbaren Fahrzeugen wie dem Tesla Model Y und BMW iX3 gelistet und nicht in der Kompaktklasse mit einem Fiat 500e oder Dacia Spring.
Schauen wir in die einzelnen Klassen: In der Top-Klasse für die Fahrzeuge über 65.000 Euro hat sich der Mercedes EQS 450+ durchgesetzt. Mit einem Charging Index von 0,92 liegt das Elektro-Flaggschiff von Mercedes hauchdünn vor dem BMW iX xDrive50 (0,91) und dem Porsche Taycan GTS (0,90). Nach 20 Minuten hat der EQS 450+ im Idealfall Strom für 275 Kilometer nachgeladen, beim iX sind es 273 Kilometer, beim Taycan 271 Kilometer. Interessant ist, dass alle drei Modelle auf unterschiedliche Art und Weise zu ihrem am Ende sehr ähnlichen Ergebnis kommen: Denn den Klassensieg holt sich der auf aerodynamisch optimierte EQS nicht über den Verbrauch, sondern seine etwas bessere Ladeleistung im Vergleich zum iX. Obwohl der EQS in der WLTP-Norm deutlich sparsamer ist (16,1 zu 20,0 kWh/100km), hat der ADAC im EcoTest für den BMW iX xDrive50 einen niedrigeren Verbrauch ermittelt: Hier hat das E-SUV der Münchner mit 20,4 kWh/100km die Nase vor dem EQS 450+ mit 21,5 kWh/100km.
Sowohl der EQS als auch der iX profitieren dabei von ihrer großen Batterie, die jeweils mehr als 105 kWh nutzbaren Energiegehalt bietet. Obwohl die Peak-Ladeleistung bei den 400-Volt-Modellen bei den mit 500 Ampere maximal möglichen 200 kW liegt, müssen sie dank der großen Reserven während des Ladevorgangs die Leistung nicht so stark abregeln. Der Taycan GTS bietet im Vergleich zu den bisher im P3 Charging Index bewerteten Taycan-Versionen eine verbesserte Ladekurve und auch einen geringeren Verbrauch, dennoch liegt er im Index ganz knapp hinter den beiden genannten Modellen. Mit 276 kW in der Spitze und 227 kW im Schnitt von 10 auf 80 Prozent kann der Taycan zwar die Vorzüge seines 800-Volt-Systems ausspielen, muss aber die Leistung (auch wegen der mit 83,7 kWh netto kleineren Batterie) stärker abregeln. Zudem liegt der EcoTest-Verbrauch mit 23,2 kWh/100km etwas über den Werten des Mercedes und BMW, dennoch zeigen die Verbesserungen bei Verbrauch und Ladekurve die Entwicklung des Modells seit dem Marktstart.
Kurze Erwähnung am Rande: Der Audi e-tron 55 quattro bietet immer noch eine auf diesem Niveau einzigartige Ladekurve, oberhalb von 75 Prozent SoC (State of Charge, Ladestand) ist er das beste Modell der Klasse und liegt noch vor den 800-Volt-Modellen Taycan GTS und Audi e-tron GT. Letzterer bietet übrigens eine minimal schlechtere Lade-Performance als der Taycan, wird mit einem Charging Index von 0,79 aber durch seinen hohen Verbrauch im ADAC EcoTest zurückgeworfen.
In der mittleren Klasse hat sich der Kia EV6 durchgesetzt, der mit einem Charging Index von 1,03 auch wie erwähnt Gesamtsieger ist – nach 20 Minuten hat er Strom für 309 Kilometer nachgeladen. Dass er sich so deutlich von seinem Technik-Bruder Hyundai Ioniq 5 (0,91, 272 Kilometer nach 20min) absetzen kann, hat zwei Gründe: Im Test ist noch der Ioniq 5 mit der 72,6 kWh großen Batterie enthalten, während der EV6 bereits seit dem Start über die Variante mit 77,4 kWh verfügt – das macht sich in der Ladeleistung bemerkbar, wobei der EV6 mit 203 kW im Schnitt und der Ioniq 5 mit 192 kW die Konkurrenz weit hinter sich lassen. Punkt 2: Mit einem EcoTest-Verbrauch von 18,6 kWh/100km hat der EV6 das zweitbeste Ergebnis der Klasse erzielt, nur der Polestar 2 Long Range Single Motor war mit 18,5 kWh/100km minimal besser. Der Ioniq 5 hingegen landet mit 20,9 kWh/100km nur im Mittelfeld. Wir sind gespannt, wie sich der Ioniq 5 im neuen Modelljahrgang mit der ebenfalls 77,4 kWh großen Batterie schlagen wird – und auch der aerodynamische Ioniq 6, der nochmals 100 Kilometer mehr WLTP-Reichweite verspricht. Es bleibt auch für kommende Ausgaben spannend!
Das Modell mit der höchsten Peak-Ladeleistung in dieser Klasse ist jedoch das Tesla Model 3, das die 250 kW im relevanten Bereich von 10 bis 80 Prozent aber nur sehr kurz halten kann. Wie auch das Model Y muss das Model 3 Long Range früh Leistung zurücknehmen und liegt oberhalb von 50 Prozent SoC auf dem Niveau eines BMW i4 eDrive40 oder iX3. Von 10 bis 80 Prozent macht das beim Model 3 146 kW im Schnitt – und damit am Supercharger V3 um 4 kW besser als an dem Ladestations-Typ, an dem alle anderen Fahrzeuge getestet wurden. Da der i4 mit seinem 400-Volt-System ebenfalls kurz über den 200 kW liegt und auf 136 kW im Schnitt kommt, kann sich die E-Limousine aus München dank des geringeren EcoTest-Verbrauchs im Charging Index knapp vor den Tesla schieben – der i4 kommt auf 0,78, der Tesla auf 0,74.
In dieser Klasse ebenfalls erwähnenswert sind der Polestar 2, der sich ohne den ineffizienten Allradantrieb und mit verbesserter Ladekurve nahe an das Model 3 heranschiebt (0,73) – allerdings bietet das Model 3 Long Range mit seinem Allrad deutlich mehr Leistung als der Polestar mit Frontantrieb. Das Model Y fällt im Vergleich zum Model 3 mit schlechterer Ladeleistung und höherem Verbrauch zurück. Der neue Renault Mégane E-Tech EV60 hat zwar den drittbesten Verbrauch in der Klasse, mit nur 88 kW im Schnitt aber auch die schlechteste Ladekurve. Obwohl die Peak-Leistung höher ist als etwa beim Mercedes EQA250, muss dann noch stärker und früher abgeregelt werden. Das kostet Langstrecken-Performance! Ein Hinweis noch zum VW ID.4: Bei dem Fahrzeug im aktuellen Charging Index handelt es sich noch um die Software-Version 2.3. Wir konnten zwar bereits die deutlich verbesserte Ladekurve der Software 3.0 messen, es liegt für das Modell aber noch kein aktueller EcoTest mit 3.0-Software vor – wir reichen den ID.4 mit verbesserter Leistung in der nächsten Ausgabe nach.
In den ersten beiden Ausgaben des P3 Charging Index wurden Fahrzeuge mit einem Ergebnis von weniger als 0,5 gar nicht aufgeführt, da sie als nicht langstreckentauglich galten. Allerdings ist das Segment der elektrischen Kompakt- und Kleinwagen seitdem gewachsen. Und der Blick in die KBA-Statistik zeigt, dass Modelle wie der Hyundai Kona Elektro, der Fiat 500e oder auch die eCMP-Modelle aus dem Stellantis-Konzern immer wieder auf den vordersten Plätzen auftauchen. Auch Kunden dieser Fahrzeuge fragen sich, welches Modell für die Langstrecke am besten geeignet ist. Da ein Mini Cooper SE nicht mit einem Kia EV6 verglichen werden soll, wurden die Fahrzeuge bis 35.000 Euro in einer eigenen Klasse zusammengefasst.
Mit einem Charging Index von 0,51 setzt sich hier der VW ID.3 mit der 58 kWh großen Batterie durch – in früheren Ausgaben des Charging Index war immer der ID.3 Pro S mit 77 kWh als langstreckentauglichste Variante enthalten. Der ebenfalls mit der 2.3-Software gemessene ID.3 hat nach 20 Minuten am Schnelllader Strom für 153 Kilometer nachgeladen. Dabei wird der MEB-Kompaktwagen von seiner Ladeleistung mit 104 kW im Peak und 81 kW im Schnitt gerettet – denn mit 19,3 kWh/100km hat der VW den höchsten Verbrauch der Klasse. Mit einer ordentlichen, aber nicht überragenden Ladeleistung (65 kW im Schnitt von 10 auf 80 Prozent) holt sich der Kona Elektro dank des klassenbesten Verbrauchs von 16,7 kWh/100km den zweiten Platz – mit einem Index von 0,48.
Bei der Peak-Ladeleistung kann in der Klasse nur der Peugeot e-208 GT (stellvertretend für Modelle wie etwa den Opel Corsa-e) mit dem ID.3 mithalten. Da die Leistung stärker abgeregelt wird und ab rund 50 Prozent SoC auch hinter den Kona zurückfällt, ist in Kombination mit dem zweithöchsten Verbrauch nur Platz 3 mit 0,43 Indexpunkten drin. Der Fiat 500e ist zwar effizient und fängt an, sehr schnell zu laden, muss dann aber auch Leistung zurücknehmen – macht mit 0,41 Platz 4.
Die vier bestplatzierten Klein- und Kompaktwagen haben nach den 20 Minuten Ladevorgang immerhin zwischen 123 und 153 Kilometer nachgeladen. Der fünftplatzierte Mini Cooper SE (87km, Index-Wert 0,29) und der Dacia Spring (59km, 0,20) fallen selbst in dieser Klasse deutlich ab – hier wäre ein ungleich längerer Ladestopp nötig. Übrigens: Es wurden nur Modelle mit dem an Autobahnen verbreiteten CCS-Anschluss berücksichtigt – der Renault Twingo und die Smart-EQ-Modelle wurden daher nicht untersucht.
Fazit
Viele Ladekurven und Zahlen – doch was sagen sie eigentlich aus?
Learning 1: Wie der Gesamtsieg des Kia EV6 belegt, ist eine größtmögliche Batterie und eine WLTP-Reichweite von über 780 Kilometern wie im EQS 450+ nicht das entscheidende Kriterium. Es kommt ganz klar auf die Mischung aus Batteriegröße, Verbrauch und Ladeleistung an. Bestes Beispiel: Mit der Effizienz der aktuellen BMW-Antriebe kann auch ein E-SUV wie der iX auf einen geringen Verbrauch kommen.
Learning 2: 800 Volt sind kein Allheilmittel. Zwar bieten alle vier getesteten 800-Volt-Modelle mit Werten zwischen 227 und 192 kW die beste Ladekurve (bester 400-Volt-Stromer ist der EQS mit 167 kW im Schnitt), ohne den entsprechend niedrigen Verbrauch hilft auf der Langstrecke aber auch die hohe Ladeleistung wenig – wie etwa die Platzierung des Audi e-tron GT zeigt. Und andersrum: Ein effizientes Auto mit niedrigem Verbrauch liegt in seiner Klasse nicht automatisch vorne, wenn Batteriegröße und Ladekurve nicht stimmen – siehe Renault Mégane. Aber: Um bei 400-Volt-Modellen die Ladeperformance mit den maximal möglichen 200 kW auszunutzen, sind große Batterien nötig.
Learning 3: Das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht. Die Hersteller entwickeln nicht nur von Grund auf neue Elektroautos und -Plattformen, sondern auch die bestehenden Modelle kontinuierlich weiter. Das betrifft vor allem die Software, wie Tesla es mit zahlreichen Updates vorgemacht hat. Per Update steigt nicht nur die Ladeleistung, sondern dank verbesserter Ansteuerung der Inverter und Motoren oder effizienteren Antriebsstrategien (vor allem bei Allrad-Modellen mit zwei Motoren) kann der Verbrauch sinken. Wir sind gespannt, wie sich hier die 3.0-Software bei den MEB-Modellen des VW-Konzerns oder zum Beispiel auch Updates bei der noch jungen Plattform E-GMP von Hyundai-Kia in Zukunft auswirken werden.
Und nicht zu guter letzt Learning 4: Nicht nur die Technik ist wichtig, sondern auch der Faktor Mensch. Für die Vergleichbarkeit wurde zwar der ADAC EcoTest als Verbrauchs-Grundlage definiert. Geht es aber so eng zu wie zwischen Mercedes EQS, BMW iX und Porsche Taycan GTS, kann der Mensch am Steuer in der Praxis den Verbrauch entscheidend beeinflussen!
Den kompletten P3 Charging Index mit allen Details zur Methodik finden Sie hier >>
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