VW: Diess geht zum September, Blume übernimmt im Konzern
Paukenschlag in Wolfsburg: Volkswagen hat am Freitagabend einen überraschenden Chefwechsel verkündet: Der Vorstandsvorsitzende Herbert Diess verlässt den Konzern Ende August. Zum 1. September übernimmt Porsche-Chef Oliver Blume, der den Sportwagenbauer parallel leiten wird.
Zwar hatte es in den vergangenen Jahren wiederholt Berichte über einen möglichen Abgang oder Rauswurf von Diess gegeben, zuletzt musste der Österreicher im Dezember 2021 um seinen Job bangen – nach einem Konflikt mit dem mächtigen Betriebsrat. Die Ankündigung des tatsächlichen Abgangs am Freitagabend nach Börsenschluss kam dennoch überraschend – noch am Nachmittag hatte sich Diess in einem LinkedIn-Post in den Sommerurlaub verabschiedet.
Zu den Hintergründen des Abgangs gibt es keine offiziellen Angaben. In der Mitteilung des Konzerns heißt es, Diess scheide „im gegenseitigen Einvernehmen“ als Vorstandsvorsitzender aus, es ist auch von einem Generationswechsel die Rede.
„Herbert Diess hat sowohl in seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender der Marke Volkswagen als auch des Konzerns die Transformation des Unternehmens maßgeblich vorangetrieben“, sagt VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch. „Der Konzern und seine Marken sind zukunftsfähig aufgestellt, die Innovations- und Ertragskraft gestärkt. Herr Diess hat eindrucksvoll bewiesen, mit welchem Tempo und mit welcher Konsequenz er tiefgreifende Transformationsprozesse umsetzen kann.“
Bericht: Familie Porsche-Piëch entzieht Diess Vertrauen
Bei dieser Transformation und den zahlreichen Querelen hatte Diess immer die Unterstützung der Familie Porsche-Piëch. Das ist nun nicht mehr so: Wie das „Handelsblatt“ unter Berufung auf Konzernkreise schreibt, habe die Eigentümerfamilie den Abgang nicht nur gebilligt, es soll sogar „die Initiative zum Hinauswurf“ von den Porsches und Piëchs gekommen sein. „Der letzte Anstoß“ sei in erster Linie der Streit um die Ausrichtung der Software-Tochter Cariad gewesen, bei der Diess den Aufsichtsratsvorsitz vor einiger Zeit von Audi-Chef Markus Duesmann übernommen hatte. Für die Verzögerungen, die wie berichtet Einfluss auf wichtige E-Modellanläufe hat, ist Diess also mit verantwortlich.
Diess war einst von BMW zu Volkswagen gewechselt, als er bei den Münchnern im Zweikampf um die Nachfolge Norbert Reithofers seinem damaligen Vorstandskollegen Harald Krüger unterlegen war. Diess wurde im Frühjahr 2015 zunächst Markenchef von Volkswagen, Vorstandsvorsitzender war Martin Winterkorn. Nach dem Bekanntwerden des Dieselskandals, in dem Diess zwischenzeitlich auch belastet wurde, musste Winterkorn gehen und der damalige Porsche-Chef Matthias Müller übernahm – Diess konnte aber Markenchef bleiben. Im Jahr 2018 nahm Müller dann seinen Hut und Diess wurde – in Personalunion – Marken- und Konzernchef in Wolfsburg.
In der Folge – auch unter dem Eindruck des Dieselskandals – baute Diess Volkswagen um. Wie kein anderer Volumenhersteller zu dieser Zeit setzte VW auf den Wandel zur Elektromobilität. Statt eines e-Golfs mit nachgerüstetem E-Antrieb setzte Diess früh auf eine eigene Elektro-Plattform, den MEB. Auch die weiteren Konzernmarken folgten der Elektro-Strategie. Und: Diess hat die Grundlagen dafür gelegt, dass der VW-Konzern künftig Batteriezellen selbst baut – sein Vorgänger Müller hatte das noch als „Schwachsinn“ bezeichnet. Wie auch Chefaufseher Pötsch angibt, hat Diess das Unternehmen „nicht nur durch extrem schwieriges Fahrwasser gesteuert, sondern auch strategisch grundlegend neu ausgerichtet“.
Ob diese strategische Neuausrichtung eine weitere Neuausrichtung erhält, wird sich zeigen. Im September übernimmt Porsche-Chef Oliver Blume in Wolfsburg, der 2015 seinerseits auf den nach Wolfsburg abberufenen Müller gefolgt war. Unter den Premium- und Sportwagenmarken hat Porsche eine der schärfsten E-Strategien. Im Jahr 2030 sollen – mit Ausnahme des 911ers – alle Baureihen der Zuffenhausener elektrisch sein. Der Anfang ist gemacht: War der Taycan als erster Elektro-Porsche noch ein neues Modell, werden die neuen Generationen des Macan und der Mittelmotor-Sportwagen 718 Boxster und Cayman nur noch elektrisch sein – was beim E-Macan noch fehlt, ist die Cariad-Software.
Gerade die Tatsache, dass nicht nur SUV und Limousinen auf E-Antriebe umgestellt werden, sondern auch der 718, ist eigentlich ein Zeichen, wie ernst es Porsche und Blume mit der Elektromobilität meinen. Aber: Anders als Diess setzt Blume parallel auf E-Fuels, um auch den 911er mit Verbrennungsmotor und die zahlreichen noch zugelassenen Porsche-Oldtimer bilanziell CO2-neutral betreiben zu können. Doch die E-Fuels sind wegen ihres hohen Primärenergiebedarfs und der Kosten umstritten.
Welche Pläne hat Blume mit E-Fuels?
Ob Blume die E-Fuels nur in teuren Sportwagen für die entsprechend zahlungskräftige Kundschaft sieht oder ob die Verbrennungsmotoren mit synthetischen Kraftstoffen auch in Volumenmodellen des Konzerns noch etwas länger am Leben erhalten werden sollen, ist derzeit noch offen. In den Mitteilungen des VW-Konzerns und von Porsche gibt es – zu diesem Zeitpunkt wenig überraschend – keine Aussagen dazu.
Wie es in dem „Handelsblatt“-Artikel heißt, ging es bei der Führungsfrage im Konzern weniger um Antriebe und Technologie-Strategien, sondern die Führung an sich. Mit seinen Alleingängen – als Diess etwa im Aufsichtsrat überraschend 30.000 Arbeitsplätze im Stammwerk infrage stellte – und dem provokanten Führungsstil habe Diess laut einem Insider den Zusammenhalt im Konzern gefährdet. Es brauche einen Vorstandsvorsitzenden, der von seinen Führungskräften ernst genommen werde. „Es gab kaum noch die Basis für eine ordentliche Zusammenarbeit“, so der Insider. „In Wahrheit ist es ein glatter Rausschmiss, damit der Konzern wieder arbeitsfähig wird.“
Das traut der Aufsichtsrat dem gebürtigen Braunschweiger Blume zu, der als ausgesprochen teamfähig gilt. Aus Zuffenhausen sind zumindest nach außen keine Alleingänge des CEO bekannt, der Vorstand tritt stets geschlossen auf. Das gibt der Aufsichtsrat auch Blume mehr oder weniger direkt mit: „Blume soll zudem mit dem gesamten Vorstand die Transformation weiter vorantreiben – mit einer Führungskultur, die den Teamgedanken in den Mittelpunkt stellt“, heißt es in der Mitteilung des Konzerns.
In der Porsche-Mitteilung geht der neue VW-Chef indirekt darauf ein: „Ich freue mich sehr, die Porsche AG und den Volkswagen Konzern gemeinsam zu führen. Mein Fokus liegt auf den Kunden, Marken und Produkten. Der Mensch steht für mich immer im Mittelpunkt“, sagt Blume zu der neuen Aufgabe. „Das Porsche Team kann sich darauf verlassen, dass ich das Unternehmen langfristig führen werde – auch nach einem möglichen Börsengang. Wir haben Porsche technologisch, wirtschaftlich und kulturell erfolgreich aufgestellt – und sehen uns als einen Vorreiter nachhaltiger Mobilität.“
„Oliver Blume hat in verschiedenen Funktionen im Konzern und mehreren Marken seine operativen und strategischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt und führt die Porsche AG seit sieben Jahren wirtschaftlich, technologisch und kulturell mit großem Erfolg“, sagt VW-Aufsichtsratschef Pötsch. „Er ist aus Sicht des gesamten Aufsichtsrates jetzt die richtige Person an der Spitze, um die Kundenorientierung sowie die Positionierung der Marken und Produkte weiter zu schärfen.“
volkswagen-newsroom.com, porsche.de, handelsblatt.com
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