Mercedes feilt an Batterie-Lkw für die Baustelle
Etwa jeder fünfte in Europa verkaufte Mercedes-Benz-Lkw entfällt auf das Baustellen-Segment. Die Stuttgarter wenden sich bei der Fahrzeugentwicklung für dieses energieintensive Geschäft nun ebenfalls der E-Mobilität zu: in Form von speziell präparierten Prototypen des eActros LongHaul und des Arocs sowie anhand eines eActros mit elektrifiziertem Abrollkipper.
Alle drei Fahrzeuge zeigt Mercedes-Benz Trucks auf der gestern gestarteten Baumesse Bauma in München. Den Batterie-elektrischen Fernstrecken-Lkw eActros LongHaul hatte der Hersteller gerade erst auf der IAA Transportation in Hannover enthüllt. Weiter im Süden rückt Mercedes-Benz Trucks nun einen Konzept-Prototypen des Modells mit elektrischer Schnittstelle für Auflieger ins Rampenlicht.
Über den Nebenabtrieb wird es möglich, hydraulische Arbeitsausrüstungen rund um Baustelleneinsätze – etwa Kippsattel- oder Schubbodenauflieger – zu betreiben. Das für den eActros LongHaul entwickelte und auf der Bauma als Prototyp vorgestellte System hat eine Dauerleistung von 58 kW und ein Drehmoment von 300 Nm. In der Serie soll der elektrische Nebenabtrieb eine deutlich höhere Leistung generieren. An der entsprechenden Technologie für den Fernverkehr-Lkw arbeitet Mercedes-Benz Trucks zusammen mit dem Münchner Kipperhersteller Meiller. Das gemeinsam entwickelte System vereint den Wechselrichter, die E-Maschine, die Steuereinheit sowie die gewohnte Kippsattelhydraulik in einer auf das Fahrzeug zugeschnittenen Konstruktion hinter dem Fahrerhaus.
Und so funktioniert’s: Der elektrische Nebenabtrieb wandelt mittels des Wechselrichters den Gleichstrom des Hochvoltnetzes in Wechselstrom und versorgt damit einen zusätzlichen Elektromotor. Dieser treibt eine Pumpe an, die die hydraulische Leistung zur Bedienung des Aufliegers bereitstellt. Im Gegensatz zu den bis dato geläufigen Diesel-basierten Geräten „erreichen wir mit dem elektrischen Nebenabtrieb vollständige lokale CO2-Neutralität sowie eine stark reduzierte Geräuschbildung“, teilt der Nutzfahrzeugbauer mit.
Und wichtig: Der eActros LongHaul kann „durch die kompakte Bauweise des Systems“ mit Standardaufliegern ausgestattet werden. Im Ausstellungslicht der Bauma schultert er etwa einen konventionellen Kippsattel. Der Hersteller resümiert: „Somit eignet sich der E-Lkw für den Zulieferverkehr von Baustellen und kann bisherige Lösungen auf Basis des Dieselantriebs sowohl in Sachen Transport als auch bei der Schnittstelle ersetzen.“ Dabei ist ausdrücklich von straßenorientierten Einsätzen die Rede. Für den Baustellen-Matsch ist eher der neue E-Arocs ausgelegt. Gleich mehr dazu.
Die bisher bekannten Leistungsdaten des eActros LongHaul haben wir bereits an anderer Stelle ausführlich aufgearbeitet. Das Modell wird eine Reichweite von rund 500 Kilometern ermöglichen und soll sich laut Hersteller mit den Anforderungen an die Dauerhaltbarkeit mit vergleichbaren Diesel-Lkw messen können. So gibt Mercedes-Benz Trucks an, ihn für 1,2 Millionen Kilometer Laufleistung in zehn Betriebsjahren ausgelegt zu haben. Noch in diesem Jahr soll der eActros LongHaul erstmals auf öffentlichen Straßen getestet werden. Für 2023 ist dann die Kundenerprobung mit seriennahen Prototypen vorgesehen, für 2024 der Marktstart.
Doch zurück zum Baustellen-Fokus der Stuttgarter: Das zweite Batterie-elektrische Highlight am Mercedes-Benz-Stand auf der Bauma ist ein BEV-Prototyp des Baustellen-Lkw Arocs als Fahrmischer. Mercedes-Benz Trucks bestätigt vor diesem Hintergrund: „Den Arocs – unser besonders robuster und widerstandsfähiger Baustellen-Lkw – wird es zukünftig auch als Batterie-elektrisches Fahrzeug geben.“ Und zwar anfänglich in Form einer Umrüstlösung in Zusammenarbeit mit der Paul Group.
Konkret stattet das Passauer Unternehmen die von Mercedes aus dem Werk Wörth gelieferten Lkw mit einem E-Antriebsstrang aus. Dabei greift Paul zu einer elektrifizierten Zentralmotorlösung. Die Idee dahinter ist, dass die Außenplanetenachsen des konventionellen Arocs weiter genutzt werden können, um auch in den E-Modellen die für den Baustelleneinsatz benötigte Bodenfreiheit und Geländegängigkeit zu bieten.
Der auf der Bauma in München gezeigte Prototyp des „Battery-Electric Arocs“ ist dabei mit einem elektrischen Fahrmischer-Aufbau von Liebherr-Mischtechnik ausgestattet, der seine Energie über eine Schnittstelle aus den Batterien des Arocs bezieht und über ein Nennvolumen von neun Kubikmetern verfügt.
Die vorläufigen Leistungsdaten lesen sich wie folgt: Der elektrische Antriebsstrang des Fahrzeugs liefert eine Dauerleistung von mehr als 300 kW und eine Spitzenleistung von gut 400 kW. Die hinter dem Fahrerhaus und im Fahrgestell untergebrachte Batterie kann aus wahlweise sechs oder sieben Paketen mit jeweils 60 kWh nutzbarer Energie zusammengestellt werden. Der Energiegehalt der Gesamtbatterie beläuft sich also auf 360 oder 420 kWh. Damit sind laut der Paul Group „Reichweiten von deutlich mehr als 200 Kilometern möglich“. Außerdem verfügt der Prototyp über ein 800-Volt-Bordnetz und kann nach Angaben des Umrüsters in der Konfiguration mit sechs Batteriepaketen an einer Ladesäule mit 150 kW innerhalb von ca. 1,5 Stunden von 20 auf 80 Prozent aufgeladen werden. AC-Laden ist ebenfalls möglich.
Den Partnern zufolge wird es Ende 2023 eine Kleinserie des Batterie-Arocs geben. Modelle können zunächst ausschließlich innerhalb Deutschlands als 4- und 3-Achser für Liebherr-Fahrmischer, Pritschen- und Kippanwendungen bestellt werden, heißt es. Der Hauptvertrieb liegt dabei bei Paul, die Unternehmensgruppe übernimmt auch alle Service- und Wartungsarbeiten für die Lkw.
Als Dritten im Bunde zeigt Mercedes-Benz Trucks den bereits im Markt eingeführten eActros 300 in einer Variante für straßenorientierte Bauanwendungen. Der in diesem Modell zum Einsatz kommende elektrische Nebenabtrieb stammt von ZF. Auf der Bauma ist er in Kombination mit dem Abrollkipper von Meiller (und am Palfinger-Stand zudem mit deren Absetzkipper) zu sehen. Über den eWorX-Nebenabtrieb hatten wir bereits vergangenes Jahr ausführlich berichtet. Auch bei diesem handelt es sich um eine One-Box-Lösung, die Komponenten wie E-Motor, Wechselrichter, elektronische Steuereinheit sowie anwendungsspezifische Softwaremodule integriert.
Übrigens: Auch die Daimler-Truck-Tochter Fuso hat auf der Bauma eine für die Baubranche optimierte Version ihres E-Lkw eCanter dabei. Der vollelektrische Lkw mit bis zu 8,55 Tonnen wird künftig auf Wunsch mit Baustellen-tauglichen Aufbauten angeboten – etwa mit einem Abrollkipper von Unsinn, einem Kipper von Meiller und einem Kran von Atlas. Hier die Details dazu.
Mercedes-Benz Trucks sieht im Baustellen-Segment großes Potenzial. Etwa jeder fünfte in Europa verkaufte Lkw der Stuttgarter tritt seinen Dienst im Baustellen-Zulieferverkehr an. Damit ist dieser Bereich nach dem Fernverkehr das zweitwichtigste Segment für den Hersteller. Um – wie von Daimler Truck angekündigt – bis 2030 zu 60 Prozent im Fahrbetrieb CO2-neutrale Nutzfahrzeuge in den EU30-Märkten zu verkaufen, ist eine Elektrifizierung von Baustellen-Fahrzeugen für den Hersteller unumgänglich. Auch andere Hersteller wie Renault Trucks und Volvo Trucks sind an dem Thema dran.
“Wir arbeiten an einem vollständig CO2-neutralen Portfolio – einschließlich des anspruchsvollen Bau-Segments“, betont Karin Rådström, CEO Mercedes-Benz Trucks. „Hier sind besonders vielseitige, robuste und leistungsfähige Lkw gefragt. Es handelt sich zudem aufgrund unterschiedlichster Einsatzzwecke um einen äußerst komplexen Bereich für die Elektrifizierung. Ganz entscheidend sind daher Partnerschaften zwischen Fahrzeug- und Aufbauherstellern, um unseren Kunden geeignete Lösungen anzubieten.“
Als energieintensives Segment ist im Baustellen-Sektor natürlich auch das CO2-Einsparpotenziel hoch: „Baustellen-Lkw wie Beton-Fahrmischer zählen zu den energieintensiven Anwendungen – sowohl durch den Materialtransport als auch den Betrieb der Aufbauten“, ergänzt Stina Fagerman, Leiterin Marketing, Vertrieb und Services MercedesBenz Trucks. Durch die vollständige Elektrifizierung könne somit viel CO2 eingespart werden. Zugleich könnten geräuscharme E-Fahrzeuge gerade auch auf Baustellen im urbanen Bereich deutlich zur Lärmreduktion beitragen. „Der gesellschaftliche und politische Druck auf unsere Kunden ist groß. Wir wollen für sie ein verlässlicher Partner bei der
Transformation sein.“
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