Mercedes EQS im Fahrbericht: Geht die Luxus-Strategie von Mercedes auf?
Weniger A-Klasse, mehr S-Klasse: So könnte man in Kurzform die Luxus-Strategie von Mercedes-Chef Ola Källenius umschreiben. Oder auf die Elektro-Welt übertragen natürlich mehr EQS und weniger EQA. Die Testfahrt im Elektro-Flaggschiff EQS 580 4MATIC gibt erste Hinweise darauf, wo diese Strategie aufgeht – und wo die Stuttgarter in künftigen Modellen nachlegen müssen.
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Dass ein echter Benz ein paar Mark teurer ist als ein vergleichbarer Audi oder BMW hat schon fast Tradition. In der Verbrenner-Welt konnten sich die Stuttgarter lange Zeit mit ihrer höheren Fertigungstiefe rühmen, schließlich baute man mehr Komponenten selbst. Die Getriebe etwa, die man nicht einfach vom Zulieferer einkauft (wie BMW) oder von der Konzernmutter bezieht (wie Audi bei einigen Modellen). Doch inzwischen hat die Preispolitik bei der Marke mit dem Stern ganz andere Gründe: Mercedes-CEO Ola Källenius hat dem Hersteller bekanntlich die „Economics of Desire“ verschrieben. Ein Mercedes soll begehrlich sein – und damit stets preislich am oberen Ende des Segments angesiedelt werden. Weniger Volumen, aber mehr Umsatz und Gewinn, so die Devise.
Während sich erste Auswirkungen dieser Strategie für das Modellangebot bereits abzeichnen – so wird etwa im Kompakt-Segment die unter Källenius’ Vorgänger Dieter Zetsche eingeführte Modellvielfalt direkt wieder ausgedünnt –, andere Auswirkungen wie etwa auf die 190.000 Beschäftigten noch unklar sind, stellt sich natürlich die Frage, ob die Produkte mit diesem neuen Anspruch Schritt halten können. Denn klar ist: Was jetzt auf den Markt kommt bzw. gerade auf den Markt gekommen ist, wurde vor einigen Jahren entwickelt – und das teilweise mit einem ganz anderen Anspruch.
Mit dem EQS 580 4MATIC steht genau so ein Beispiel vor uns. Mercedes hat zwar noch unter Zetsche früh die Entscheidung getroffen, dass künftige Elektroautos ab der E-Klasse auf einer eigenen Elektro-Plattform entstehen sollen – der EQS soll also keine elektrische S-Klasse werden, sondern ein eigenständiges Modell auf gleichem Niveau. Aber mit Unterschieden, um sowohl der Technologie, als auch den doch leicht unterschiedlichen Zielgruppen gerecht zu werden.
EQS 580 4MATIC sticht gleich starke S-Klasse aus
Blicken wir dabei zunächst auf den Antrieb: Mit zwei Elektromotoren bietet der EQS 580 4MATIC einen 385 kW starken Allradantrieb. Damit liegt er exakt auf dem Niveau des S 580 4MATIC (370 kW vom V8-Verbrenner und bis zu 15 kW elektrisch) und auch auf dem Niveau des Plug-in-Hybriden S 580 e, der einen drei Liter großen Reihensechszylinder mit einem 110 kW starken Elektromotor zu 375 kW Systemleistung kombiniert. Mit 855 Nm Drehmoment lässt der EQS die beiden S-Klasse-Antriebe hinter sich, mit 4,3 Sekunden auf 100 km/h ist er trotz des Mehrgewichts (2.585 Kilogramm leer, also knapp 300 kg mehr als der Benziner und 165 kg mehr als der PHEV) besser in der Beschleunigung.
Doch in der Luxusklasse geht der Anspruch natürlich über ein paar Eckdaten aus dem Auto-Quartett hinaus. Es kommt auch auf das Erlebnis an, welches ein Fahrzeug in dieser Preisklasse vermittelt. An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich persönlich noch kein Exemplar der S-Klasse Baureihe 223 gefahren bin – beim Vorgänger 222 konnte ich aber viele Kilometer mit dem damaligen 4,6-Liter-V8 zurücklegen. Laufruhig, vibrationsarm und dennoch durchzugsstark, aber auch mit dem entsprechenden Verbrauch und CO2-Ausstoß. Da es sich auch bei dem Verbrenner um eine andere Motoren-Generation handelt, hinkt der Vergleich natürlich.
Auch wenn es sich bei dem aktuellen V8 um eine sicher nochmals verbesserte Konstruktion handelt: So leise und komfortabel wie im EQS ist der Verbrenner nicht und will es auch nicht sein – daher hat sich Mercedes ja für zwei Luxuslimousinen entschieden. Nur im E-Modus kann der Plug-in-Hybrid vermutlich mithalten. Doch bei den 110 kW fehlt der enorme Durchzug – zum Cruisen reicht es aber.
Genau das ist der Punkt, der im EQS 580 4MATIC überrascht: Er kann im Comfort-Modus ruhiger dahingleiten als jede S-Klasse und einen Tastendruck später im Sport-Modus beim Beschleunigen so manchen Sportwagen alt aussehen lassen. Im Alltag natürlich vollkommen nachrangig, aber wenn man Familie oder Bekannte mit dem neuen Elektro-Mercedes beeindrucken will (auch darum geht es mitunter im Luxussegment), ist der starke Allradantrieb eine gute Argumentationshilfe.
In derartigen Gesprächen mit Freunden und Verwandten wird es natürlich früher oder später auch um die Themen Reichweite und Laden gehen. Die Eckdaten aus dem Auto-Quartett sind auch hier längst bekannt: Der EQS nutzt eine 107,8 kWh große Batterie (die zwischenzeitlich angebotene 90,6-kWh-Batterie im EQS 350 ist derzeit nicht bestellbar), was im Hecktriebler EQS 450+ für bis zu 782 Kilometer WLTP-Reichweite sorgt. Beim von uns getesteten 580 4MATIC sind es je nach Ausstattung zwischen 582 und 679 Kilometer.
In der Praxis dürften es je nach Wetter und Fahrprofil grob gesagt zwischen 400 und 500 Kilometer sein. Unser Test fand noch bei höheren Temperaturen als im November statt. Auf einer entspannt gefahrenen Autobahn-Etappe über 423 Kilometer zeigte der Bordcomputer respektable 21,1 kWh/100km an – was hochgerechnet mit unserem Realverbrauch 511 Kilometer ergibt. Fährt man etwas schneller und das bei widrigeren Bedingungen, sinkt die Reichweite entsprechend. Auf unserer sparsam gefahrenen Landstraßen-Runde waren es laut Anzeige 17,4 kWh/100km oder hochgerechnet 619 Kilometer Reichweite – unter nahezu optimalen Umständen wohlgemerkt. Aber egal ob WLTP-Wert, optimaler Realverbrauch oder die etwas pessimistischere Winter-Schätzung: Bei der Reichweite kann der EQS mit der S-Klasse nicht mithalten.
Platz 2 im P3 Charging Index – trotz oder wegen 400-Volt-System?
Dass er bei der Langstreckentauglichkeit dennoch zu den besten Elektroautos gehört, hat in diesem Sommer der P3 Charging Index gezeigt, den die eMobility-Beratung P3 gemeinsam mit electrive.net erstellt hat. Der EQS (genau genommen die reichweitenstärkste Variante 450+) kam mit einem Indexwert von 0,92 auf Gesamtrang 2. In 20 Minuten kann der EQS 450+ Strom für 275 Kilometer nachladen. Die von P3 ermittelte Ladekurve des EQS (unser getesteter 580 4MATIC nutzt die gleiche Batterie-Konfiguration) konnten wir in unserem Test nachvollziehen – sofern mit „Electric Intelligence“ die Batterie vorkonditioniert wurde. Bei einem anderen Ladevorgang ohne Vorkonditionierung konnten wir die ideale Ladekurve nicht treffen – anstelle des gleichmäßigen Absinkens der Ladeleistung ab rund 35 Prozent Ladestand gab es bei diesem Ladevorgang zwei Einbrüche auf bis zu 60 kW, die einige Minuten andauerten. Später wurde aber wieder mit mehr als 135 kW geladen, selbst bei 80 Prozent lagen noch 111 kW an. Den Ladevorgang von zehn auf 80 Prozent hat das natürlich etwas über die angegebenen 31 Minuten hinaus verzögert – in unserem Fall waren es zum Beispiel 35 Minuten auf 81 Prozent. Aber: Auf einer Langstrecke fallen diese vier Minuten kaum ins Gewicht, ein kleiner Stau oder eine Baustelle sind da auf der Strecke relevanter.
Den wichtigen Verbrauch hat man hinter dem Steuer natürlich selbst in der Hand bzw. im Fuß. Auch mit dem 385 kW starken Allradler sind erstaunlich niedrige Verbräuche möglich. Beim EQS fiel aber auf, dass die Verbrauchsunterschiede zwischen Stadt, Land und (mit Richtgeschwindigkeit gefahrener) Autobahn relativ gering sind. Ob es an der guten Aerodynamik liegt, dass der Verbrauch auf der Autobahn weniger stark ansteigt oder die Antriebseffizienz allgemein hoch ist, können wir an dieser Stelle mangels genauer Messungen nicht belegen. Dennoch sind die Schwankungen erstaunlich klein, das kann gesagt werden.
Doch das Abschneiden des EQS im P3 Charging Index kann nicht nur für den EQS verwendet werden, sondern auch gegen ihn. Denn geschlagen wird der Luxus-Mercedes von einem Kia, der weniger als halb so viel kostet, aber schneller laden kann als der Benz – für den Kia stehen nach 20 Minuten 309 nachgeladene Kilometer in der Auswertung. Der Kia EV6 setzt bekanntlich auf ein 800-Volt-System und kann so eine höhere Ladeleistung realisieren. Der EQS setzt auf 400 Volt Batteriespannung. Da die CCS-Ladestecker auf 500 Ampere limitiert sind, ergibt sich so eine maximale Ladeleistung von 200 kW.
Eine hohe Spitzenladeleistung ist kein Selbstzweck, es kommt bekanntlich auch darauf an, wie lange die Leistung gehalten werden kann und wie schnell sie dann (aufgrund der sich erwärmenden Batterie) abgeregelt werden muss. Ein langes Plateau bei 200 kW kann also besser sein als ein kurzer Peak bei 250 kW. Doch der P3 Charging Index hat auch gezeigt, dass 800-Volt-Modelle von Hyundai-Kia und Porsche/Audi ihre hohen Leistungen jenseits der 200 kW lange halten können. Nur die große Batterie und sehr gute Effizienz haben den EQS auf Platz 2 gehalten. Und dennoch ist es dem Premium-Gefühl der Mercedes-Kundschaft nicht gerade zuträglich, wenn ein Kia später an der Ladesäule ankommt und früher wieder wegfährt. Das tut weh.
Reichen 200 kW Ladeleistung im Luxus-Wettbewerb künftig aus?
Soll heißen: Für kommende Modelle muss es sich Mercedes genau überlegen, ob man bei der 400-Volt-Beschränkung mit 200 kW bleiben will. Im Gespräch mit electrive.net hatten Mercedes-Vertreter betont, dass man eine neue Technologie nur erwäge, wenn sie dem Kunden echte Vorteile bringen würde – mit der implizierten Antwort, dass das aus Mercedes-Sicht bei 800 Volt noch nicht der Fall ist. Bleibt also abzuwarten, ob hier bei einer der kommenden Elektro-Plattformen der Stuttgarter der Umstieg kommt oder nicht. Zieht man die jüngste Technologie-Studie Vision EQXX zur Argumentation heran, scheint man in Stuttgart eher die Effizienz erhöhen zu wollen. Dann könnte für eine vergleichbare Reichweite die Batterie kleiner werden – und diese kleinere Batterie wäre dann auch mit 200 kW in der Spitze schneller geladen als jene Riesen-Batterie in unserem EQS.
Positiv beim Thema Laden ist auf alle Fälle die Art und Weise, wie der EQS mit den Insassen kommuniziert. Bei einigen E-Autos ist es schwierig, im Fahrzeug (egal ob im Instrumenten-Display oder dem Infotainment) verlässliche und auch verständliche Informationen über den Ladevorgang zu erhalten. Der eine zeigt nur die (oft irrelevante) Ladedauer auf 100 Prozent an, der andere gibt Spannungslage und Stromstärke aus – die Leistung darf sich der Kunde aber selber ausrechnen. Im EQS gibt es für Einsteiger die Basis-Infos im Fahrer-Display und auf Wunsch tiefergehende Infos über das Infotainment. Wird dort das Ladelimit verschoben (etwa auf 80 Prozent) passt sich in wenigen Sekunden auch die restliche Ladezeit an. Und vor dem Ladevorgang kann der EQS auch anzeigen, mit welcher Ladeleistung bei aktuellem Ladestand und Batterietemperatur zu rechnen ist. Dem Elektro-Neuling wird so einfach und verständlich näher gebracht, dass er nicht bei 70 Prozent Ladestand mit den im Prospekt angegebenen 200 kW rechnen muss. Gut und verständlich gelöst!
Zum Abschluss des Lade-Abschnitts sei noch ein anderer Punkt erwähnt: Beim EQS ist der Ladeanschluss über dem rechten Hinterrad platziert. Wenn man unterstellt, dass der durchschnittliche EQS-Eigentümer wohl eine Garage mit Wallbox oder einen Ladepunkt am Arbeitsplatz hat, ist die Platzierung auf der Beifahrerseite nicht ganz ideal – schließlich muss man nach dem Aussteigen ums komplette Auto herum, um das Ladekabel einzustecken. Ein (zusätzlicher) Port auf der Fahrerseite wäre da praktischer. Beim öffentlichen Schnellladen ist es auch nicht ganz ideal bzw. kommt auf die Positionierung der Ladesäule und die Länge der verbauten Ladekabel an. Ein Ladeport in einer der Ecken des Fahrzeuge – egal ob nahe des Rücklichts oder einem der Scheinwerfer – bietet mehr Flexibilität. Dass die interne Verkabelung damit etwas aufwändiger wird, sollte vielleicht bei einem preissensiblen Kleinwagen ein Argument sein, nicht aber beim EQS.
Nicht gespart wurde hingegen bei den Abstimmungsarbeiten: Egal in welchem Fahrmodus, Antrieb und Fahrwerk sind sehr harmonisch abgestimmt. Wie viele Systeme dort genau zusammenspielen von der Leistungselektronik des Antriebs über die Luftfederung oder die im EQS serienmäßige Hinterachslenkung, all das bekommt man an Bord nicht mit – und so muss es in dieser Preisklasse auch sein!
Da wir gerade die Hinterachslenkung erwähnt haben: Das ist eines dieser Systeme, das die meiste Zeit vollkommen unauffällig im Hintergrund mitarbeitet und zum Beispiel zur Stabilität und zum souveränen Geradeauslauf des EQS auf der Autobahn beiträgt. Wirklich sichtbar werden die Vorzüge aber am anderen Ende der Tacho-Skala: beim Rangieren. Mit den optionalen zehn Grad Lenkwinkel schrumpft der Wendekreis der 5,22 Meter langen Limousine auf 10,9 Meter und damit auf Kompaktwagen-Niveau. Es ist wirklich enorm, auf welchem Raum der EQS trotz 3,21 Metern Radstand rangieren kann. Eine Einschränkung kann aber auch die formidable Hinterachslenkung nicht kaschieren: Die 1,93 Meter Breite (ohne Spiegel) sind für die ein oder anderen Garagen oder Parkhäuser zu viel – unabhängig vom Wendekreis.
Die Hinterachslenkung ist aber auch Bestandteil eines eher fragwürdigen Experiments: 4,5 Grad für 11,9 Meter Wendekreis sind im EQS Serie. Wer die zehn Grad nutzen will, kann diese Funktion im Abo für 489 Euro für ein Jahr oder 1.169 Euro für drei Jahre freischalten. Nicht, dass es den Kunden in dieser Preisklasse auf diese zusätzlichen Ausgaben ankommt. Abos wären aber eher für reine Software- und Connectivity-Funktionen wie etwa spezielle Streaming-Dienste angebracht und weniger für derartige Fahrfunktionen.
Hochwertige Materialien innen – und auch einige Schwachstellen
Trotz der 21-Zoll-Felgen des Testwagens war der Abrollkomfort enorm, auch kurze Stöße wurden gut weggefedert bzw. so weit abgemildert, dass es nie unangenehm wurde. Im Sport-Modus wird die Abstimmung zwar spürbar straffer und das Gefühl für den Fahrer etwas direkter, lässt aber gleichzeitig noch genügend Luft zu der sportlicher positionierten AMG-Variante.
Komfort und Luxus setzen sich auch im Innenraum fort. Das dort verarbeitete Leder ist durchweg hochwertig, der Sitzkomfort ist hervorragend – und deren Massagefunktion ist nicht nur ein nettes Gimmick, sondern kann in dieser Form tatsächlich zur Entspannung beitragen. Auch das offenporige Holz im Testwagen macht einen sehr guten Eindruck – in der Mittelkonsole passt die Maserung des Holzes auf dem Deckel des Ablagefachs exakt zu dem umliegenden Material, sodass bei geschlossener Ablage der Eindruck entsteht, dass es aus einem Stück gefertigt wurde. So stellt man sich das in einer Luxuslimousine vor!
Aber: Öffnet man diese Ablage, zeigen sich nicht vollständig durchdachte Details. Die induktive Ladeschale für Smartphones ist sehr weit vorne angebracht, womit es nicht gerade intuitiv ist, sein Smartphone dort abzulegen. Und ist der Rest des Ablagefachs gefüllt (etwa mit einer Sonnenbrille oder Wasserflasche) kommt man kaum noch an die Ladeschale dran. Und bei den Cupholdern für Heiß- oder Kaltgetränke handelt es sich nicht um die hochwertigen Exemplare aus anderen Modellen, sondern ausfahrbare Plastikteile, die nur eine vorgegebene Größe haben – und nicht mittels federnder Elemente unterschiedlich große Behältnisse sicher an Ort und Stelle halten. Soll heißen: Eine Halbliter-Flasche kippelt in dem Cupholder hin und her. Der Coffee-to-go-Becher je nach Größe auch. Da hat Mercedes definitiv bessere Teile im Regal – auch wenn das Ablagefach dann nicht so flexibel nutzbar wäre. Ich persönlich hätte mir an dieser Stelle einen hochwertigen Cupholder gewünscht, in dem auch mal fix eine Sonnenbrille oder der Fahrzeugschlüssel abgelegt werden kann – die Getränke aber sauber fixiert werden.
Der 580er Allradler des EQS ist ab Werk mit dem Hyperscreen ausgestattet. Die Display- und Glasfläche ist beeindruckend groß, keine Frage. Dennoch ist diese Innovation nicht über jeden Zweifel erhaben: Die Glasfläche über den Displays und schwarzen Bereichen dazwischen ist aller Entspiegelung zum Trotz nicht ganz frei von Reflexionen. Und nicht nur das Touchscreen-übliche Problem mit den Fingerabdrücken erschwert je nach Einfallswinkel die Sicht auf den Bildschirm, das Glas wirkt zum Teil wie ein großer Staubmagnet. Das gilt auch für die kleine Bedieneinheit auf der Mittelkonsole und auch die schwarzen Touch-Flächen am Lenkrad. Dort ist die Reinigung besonders aufwändig, da es nicht eine ebene Fläche, sondern ein dreidimensional geformtes Teil ist. Eine kleine Übersicht gibt diese Mini-Galerie:
Wer den Durchblick behalten will, sollte stets ein Mikrofaser-Tuch in der Mittelkonsole haben – vielleicht wackelt dann die Wasserflasche auch nicht mehr. Und da ich den kleineren EQE bereits mit und ohne Hyperscreen gefahren bin, an dieser Stelle eine persönliche Aussage: Mit dem Holz und Ambientelicht auf der Beifahrerseite wirkt der Innenraum hochwertiger als mit dem Glas – und auch der Standard-Touchscreen ist groß genug.
Bei den Touch-Flächen am Lenkrad ist übrigens nicht nur die Sauberkeit und Hygiene ein Kritikpunkt. Es kann beim Lenken durchaus dazu kommen, dass der Handballen unbeabsichtigt eine der Touch-Flächen berührt und aus Versehen bedient. Auf der rechten Lenkrad-Seite ist das nur ein kleines Problem, hier ist die Infotainment-Steuerung. Links ist aber der Tempomat, also eine für die Fahrt relevante Funktion! Aber auch beim Infotainment ist es nur schwer möglich, mit dem Slider die Lautstärke gezielt zu verändern – was mit einem alten Drehrädchen blind möglich ist.
Bei den Funktionen des MBUX-Systems ergeben sich eigentlich kaum Rätsel. Mit etwas Eingewöhnung sind die wichtigsten Funktionen einfach zu bedienen, auch wenn persönliche Vorlieben natürlich abweichen können und für einzelne Schritte (etwa die Massage-Funktion der Vordersitze) ein direkterer Weg wünschenswert sein könnte. Aber: Die Touch-Flächen sind groß genug, dass sie zielsicher bedient werden können. Und sollte man eine bestimmte Funktion nicht finden, kann die immer besser werdende Sprachsteuerung Abhilfe schaffen. Ein Beispiel: Als uns der Testwagen übergeben wurde, war das Augmented-Reality-Head-up-Display deaktiviert. Statt der Suche im Menü habe ich es mit „Hey Mercedes, schalte das Head-up-Display ein“ versucht – und schon wurde das System aktiviert. Genaue Befehle für die Sprachsteuerung muss man nicht mehr auswendig lernen.
Bei der reinen Rechenleistung des MBUX-Systems haben wir zwiespältige Beobachtungen gemacht. Einerseits kann das System auf Basis der Kamerabilder eine sehr hochauflösende und ruckelfreie 3D-Ansicht des Autos animieren – und das nicht nur aus vorgegebenen Blickwinkeln, sondern frei positionierbar. Damit kann man das Auto wirklich zentimetergenau an den Bordstein parken. Auf der anderen Seite die Überraschung, dass das System doch ruckeln kann: Bei einem der Entspannungsprogramme, welches Massagefunktion, Musik und Animationen über die Displays synchronisiert (etwa während der Ladepause), hat die Animation immer wieder gehakt. Und das bei einer Darstellung, die Mercedes selbst in der Hand hat – verwunderlich.
Keine Luxus-Einzelsitze im Fond
Auch an einer anderen Stelle verwundert die Auslegung des EQS: auf der Rückbank. Dort gibt es zwar auch reichlich Platz und Annehmlichkeiten wie elektrisch verstellbare und kühlbare Sitze oder extra-weiche Komfort-Kopfstützen. Doch es gibt den EQS nur mit einer klassischen Rückbank. Eine „Executive“-Ausstattung mit zwei opulenten Einzelsitzen wie in der S-Klasse gibt es selbst gegen Aufpreis nicht. Da in derartigen Luxus-Limousinen die wichtigste Person oft hinten rechts und nicht vorne links sitzt, eine nicht besonders nachvollziehbare Entscheidung. Dass die chauffierte Person nicht in den Genuss eines Massagesitzes kommen kann, ist in einer Flaggschiff-Limousine eines Herstellers mit derartigen Luxus-Ansprüchen eher unüblich. Von einem Hyperscreen-artigen Rear Seat Entertainment – wie es etwa der BMW i7 mit seinem 31 Zoll großen Theatre Screen bietet – ganz zu schweigen.
Derzeit steht der EQS 580 4MATIC mit einem Basispreis von 141.705,20 Euro in der Liste. Von dem üppigen Aufpreis zum 330 kW starken EQS 500 4MATIC (125.378,40 Euro) darf man sich nicht blenden lassen, beim 580er ist wie erwähnt unter anderem der Hyperscreen Serie – beim 500er kostet er 8.568 Euro Aufpreis.
Egal ob 125.000 oder 141.000 Euro – oder auch 109.551,40 Euro für das Basismodell EQS 450+: Es ist verdammt viel Geld. Man muss aber auch sagen, dass man ein sehr hochwertiges, wenn auch nicht perfektes Luxus-Erlebnis bekommt. Man kann verstehen, warum so viel Geld für ein Fahrzeug gut angelegt sein kann – man kommt entspannt und ausgeruht am Ziel an, egal ob nach dem täglichen Berufsverkehr auf dem Weg ins Büro oder nach langen Fahrten zu wichtigen Terminen. Ob es dann ein EQS 580 4MATIC sein muss oder man lieber in zusätzliche Ausstattung eines kleineren EQE investiert, muss dann wohl das Konto entscheiden – entweder das eigene oder das der Firma.
Fazit
Beim Antrieb und Fahrkomfort ist der EQS 580 4MATIC über jeden Zweifel erhaben. Den Spagat zwischen lautlosem Dahingleiten und enormen Punch (für das Image) schafft er beeindruckend – und wohl besser als ähnlich starke Verbrenner. Die Verarbeitung und Materialauswahl wird ebenfalls dem Luxus-Anspruch gerecht. Von einigen Detail-Lösungen (siehe Cupholder) oder Ausstattungs-Entscheidungen (wie den fehlenden Einzelsitzen hinten) sind wir aber nicht restlos überzeugt.
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