Compleo-CEO Lohr: „Um zu skalieren, müssen wir die Produkte vereinheitlichen“

Seit Anfang November ist Jörg Lohr neuer CEO bei Ladeinfrastrukturhersteller Compleo – dabei ist er erst im September überhaupt in die Geschäftsführung des Dortmunder Unternehmens berufen worden. Was diesen großen Umbruch bei Compleo ausgelöst hat, welche Strategie er verfolgt und vor allem warum das Produktportfolio massiv ausgedünnt werden soll, erklärt Lohr im Interview.

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Es war eine eMobility-Erfolgsstory aus dem deutschen Mittelstand: Unter dem Dach der EBG-Gruppe aufgebaut, ist der Ladeinfrastrukturhersteller Compleo im Jahr 2020 an die Börse gegangen – und hat auf diese Weise viel Geld eingenommen. Das Geld wurde unter anderem in Übernahmen investiert, so hat das mittelständisch geprägte Compleo nicht nur das Startup Wallbe, sondern auch das große innogy eMobility Solutions übernommen.

Doch in diesem Jahr machte Compleo nicht nur positive Schlagzeilen: Die beiden Wallbe-Werke werden geschlossen, die gesamte Lade-Branche hat man mit dem Vorstoß aufgebracht, zwei von innogy übernommene Patente per Lizenz kommerzialisieren zu wollen – Patente, die bisher jeder stillschweigend nutzen konnte. Zudem gab es mehrere Wechsel im Vorstand, inklusive des langjährigen CTO Checrallah Kachouh.

Der neue starke Mann in Dortmund ist Jörg Lohr. Eigentlich war der erfahrene eMobility-Manager zu Compleo geholt worden, um das Software-Geschäft auf- und auszubauen. Mit seinen Stationen bei RWE, Allego, Ionity und einer Station bei Amazon, wo er die Elektrifizierung der Zustellflotte begleitet hat, kennt Lohr die verschiedenen Blickwinkel der beteiligten Unternehmen auf die Branche – vom Versorger über den HPC-Betreiber bis hin zum Flottenkunden, der seine Depots elektrifizieren will.

Herr Lohr, 2022 war recht turbulent für Compleo. Hätten Sie Anfang des Jahres gedacht, dass wir im November ein Interview mit Jörg Lohr als CEO von Compleo führen?

Definitiv nicht. Ich wurde geholt, um die Software-Sparte zu bündeln und das Thema Software bei Compleo überhaupt separat aufzustellen. Das Backend-Geschäft war über vier Einheiten verteilt. Um da ein Geschäftsmodell daraus zu machen, musste das zusammengefasst und weiterentwickelt werden. Das Backend hat so viel Potenzial! Das war ein umfangreicher Auftrag, mit dem ich sicher noch einige Jahre beschäftigt und ausgefüllt wäre – wenn es da nicht Handlungsdruck bei der Mutter-Gesellschaft gegeben hätte.

Trotz des Wachstums der vergangenen Jahre war die Führungsmannschaft von Compleo recht konstant mit Checrallah Kachouh und Georg Griesemann im Zentrum. Jetzt haben beide innerhalb weniger Wochen das Unternehmen verlassen. Da stellt sich von außen natürlich die Frage: Was ist da los?

In jedem Unternehmen bis hin zum Großkonzern gibt es Wechsel in der Führung, die bestimmten Szenarien folgen. Für bestimmte Zeiträume sind bestimmte Charaktere als Führungskraft notwendig. Für die Compleo war es in der ersten Phase wichtig, sich als Technologieanbieter zu etablieren – da hat kein Weg an Checrallah vorbeigeführt. Das habe ich bei meinem damaligen Arbeitgeber auch als Kunde der Compleo erlebt: Wenn man ein Problem mit Normierung, Steckern oder Technologie hatte, hat man Checrallah angerufen! Er hat extrem viel zur Standardisierung und Normierung in der Elektromobilität beigetragen. Mit dem zu starken Wachstum konnte die EBG-Gruppe das Unternehmen nicht mehr aus eigener Tasche finanzieren, also wurde der Börsengang geplant – und Georg Griesemann und Jens Stolze als Finanzexperten und Dealmaker geholt. Das war zu dieser Zeit genau der richtige Vorstand und hat Compleo enorm viel Kapital beschafft. Die Wachstums-Story wurde gut verkauft, was auch zu den Zukäufen der Wallbe und innogy eMobility Solutions geführt hat – letzteres war sicher eine Sensation am Markt. So habe ich es zumindest damals von außen wahrgenommen.

Aber?

Man hat dann gemerkt, dass man parallel zu dem Wachstum auch ein Unternehmen operativ führen musste. Der Umsatz ist natürlich gestiegen, schließlich wurden zwei Firmen übernommen – das machen auch andere. Ein operatives Unternehmen zu führen, bedeutet zum Beispiel, Produktionskapazitäten zu steuern, Menschen zu führen, die Entwicklung abstecken und schauen, dass ich mit meinen Produkten rentabel bin. Dass ich in den jeweiligen Märkten, in denen ich aktiv bin, die passenden Produkte habe. Kurzum: Ich brauche eine operative Strategie, damit das Unternehmen auch operativ und nicht nur bei den Bilanzzahlen wachsen kann.

Daraus höre ich heraus: Das ist bislang nicht erfolgt?

Die Compleo ist in eine Situation gekommen, in der wir immer noch drei Unternehmen in einem haben – die Startup-Strukturen von Wallbe, die auf Checrallah ausgerichteten Strukturen von Compleo und die konzerngeprägte innogy eMobility Solutions. Alle drei Teile haben ihre eigenen Strategien und Produkte, ihre eigene Philosophie, eine eigene Ausrichtung. Ein Beispiel dazu: Mit innogy haben wir den Roaming-Erfinder und Shareholder von Hubject im Haus – und gleichzeitig Wallbe als krasses Gegenteil, die auf Direct Payment setzen und Roaming abschaffen wollen. Das ist jetzt ein gemeinsames Unternehmen. Um die eigentliche Frage zu beantworten, was da los war: Da die drei Vorstände aus den Richtungen kamen, aus den sie nunmal kamen, wurde das Unternehmen operativ nicht vereinigt. Der Aufsichtsrat ist dann zu dem Schluss gekommen, dass man einen Neustart braucht. Und den macht man nicht mit der alten Mannschaft.

Jetzt liegt es also an Ihnen, die drei Teile zu vereinen?

Und vor allem, dem Unternehmen eine Strategie zu geben. Das war schon der Hintergrund, als mich der Aufsichtsrat zum Chief Commercial Officer gemacht hat: Eine neue Strategie für die gesamte Compleo Gruppe zu erarbeiten. Der Aufsichtsrat hat sich dann für die neue Strategie entschieden, und es kam zur Trennung von den restlichen Vorstandsmitgliedern – es gab aber keinerlei böses Blut und alle drei Ex-Vorstände unterstützen mich bei Bedarf auch heute noch mit Rat und Tat.

Kam die fehlende Strategie auch schon bei den beiden großen Übernahmen zum Tragen? Jede der Firmen hatte zweifelsohne ihre Stärken, aber zum Beispiel auch eigene Produktlinien, die sich mit den bestehenden Produkten der Compleo massiv überschnitten haben. Für einen Interessenten wird ja kaum klar, was jetzt Ex-innogy, was Compleo ist und was im Hintergrund doch schon gemeinsam läuft.

Genau das ist der Punkt. Bis ich zum 1. September von der Software zu Compleo selbst gewechselt bin, war ich noch nicht in das operative Geschäft eingebunden. Dann habe ich eine Aufstellung machen lassen: Wir hatten in einem Unternehmen mit rund 600 Mitarbeitern 347 aktive Artikelnummern. Für jedes Produkt muss man ein Schulungs-Konzept haben, eine Produktion, ein Service-Konzept erarbeiten. Das gab es leider nicht. Man hat Produkte entwickelt und auf den Markt gebracht – davon waren sicher nicht alle schlecht! Aber dass es oft kein Service- und Ersatzteil-Konzept gab, hatte schon negative Auswirkungen auf den Ruf der Compleo Gruppe.

Der Plan ist also, deutlich zu entrümpeln?

Wir haben alle Produkt-Eigenschaften aufgelistet, verglichen und gruppiert. Herausgekommen ist ein Konzept, das wir intern „Big Five“ nennen – fünf Produktlinien mit jeweils fünf Varianten. Wir kommen also von 347 Produkten auf 25. Es wird dabei keinen harten Cut geben, sondern einen Übergang: Wer heute ein Compleo-Produkt kauft, bekommt den Betrieb auf acht Jahre garantiert. Wir haben auch noch aus laufenden Bestellungen vertragliche Verpflichtungen, die wir auch erfüllen werden. Nach und nach wird aber verschlankt, bis wir bei den 25 Varianten angekommen sind. Das heißt auch, dass wir Sonderwünsche einzelner Kunden nicht mehr erfüllen werden. Um zu skalieren, müssen wir die Produkte vereinheitlichen. Wir sind uns aber sicher, dass wir im Beratungsgespräch ein passendes Modell für den Kunden finden. Auf Wunsch platzierte zweite Displays oder besonders positionierte Spiralkabel anstelle der Standard-Lösung werden wir aber nicht mehr bieten können.

Bei 25 Produkten wird auch die Produktion einfacher.

Und das Ersatzteil-Konzept! Wenn ich Ladesäulen nach Frankreich verkaufe, muss ich auch sicherstellen, dass der CPO an benötigte Teile kommt. Ich habe früher selbst bei einem Betreiber gearbeitet. Jeder Tag, den eine Säule nicht online war, bedeutet Umsatzausfälle! CPO denken nicht mehr in technischen Killer-Features, sondern in kommerziellen Ansprüchen. Der Kunde zahlt auch nicht mehr für technische Spezifikationen, sondern für seine Use-Cases. Daran haben wir auch unsere technische Entwicklung angepasst.

Wenn wir bei den Produkten sind: Welche Rolle werden privates AC-Laden, öffentliches AC-Laden und DC-Laden in der Produktplanung von Compleo spielen? Wo sind Innovationen möglich? Und wo stecken als Hardware-Hersteller die großen Margen? Und welche Rolle spielt die Software?

Als ich Anfang des Jahres zu Compleo gekommen bin, haben wir die klare Entscheidung getroffen, das Backend-Geschäft vom Hardware-Geschäft zu trennen. Wir verkaufen Ladestationen, bieten aber auch ein neutrales und herstelleroffenes Backend. Das ist in Tests sehr gut angekommen! Das werden wir separat am Markt positionieren. Im Hardware-Bereich haben wir uns angeschaut, wofür Compleo bekannt ist. Und dann ist man sehr schnell beim öffentlichen Laden. Wir werden nicht günstige, nicht vernetze Wallboxen bauen und zu Hunderttausenden an einen OEM oder Privatkunden verkaufen. Kunden schätzen bei Compleo die Angebote und Lösungen für das öffentliche Laden – im Fokus stehen hier Bezahlmethoden und Eichrechtskonformität. Und selbst wenn ich eine etwas komplexere Wallbox für zu Hause haben will, um das Privatauto zu laden und die Stromkosten für den Dienstwagen mit dem Arbeitgeber abzurechnen, bin ich im Bereich des Eichrechts. Da sind unsere Stärken.

Rein AC?

Nein, auch DC: Unser HPC-Lader ist fertig entwickelt und wird bald vorgestellt. Das Modell ist ein Post-Prototype, 2023 läuft die Produktion an. Die Markteinführung planen wir für Frühjahr 2023. Wir haben den HPC nochmals einem harten Review unterzogen. Bei dem Stand vor neun Monaten hatte man sich selbst technisch etwas verwirklicht, aber am Kunden vorbei entwickelt. Das haben wir korrigiert. Die Entwicklung ist abgeschlossen, wir optimieren nur noch. Das Produkt ist sehr gut geworden, hier können wir uns differenzieren und in diesem Bereich positionieren. Von der Deutsche Telekom-Tochter Comfort Charge haben wir sogar erste Bestellungen erhalten.

Mit der Lizenzierung zweier Eichrechtpatente, die Compleo mit innogy eMobility Solutions erworben hat, haben Sie sich in der Branche nicht nur Freunde gemacht. Kommt dieser Konfrontationskurs zum unpassenden Zeitpunkt?

Die Gespräche mit den Marktteilnehmern führen wir ja bereits länger hierzu. Der Gegenwind kam also nicht ganz unerwartet. Wir bedauern aber das rechtliche Vorgehen einiger S.A.F.E.-Mitglieder, weil es für sie und ihre Kunden auf Jahre Rechtsunsicherheit bedeutet. Marktteilnehmer, die Produkte entwickeln und anbieten sowie unsere Patente verletzen, sind prinzipiell rechtlich eingeschränkt. Sie haben weder Rechtssicherheit für sich noch für ihre Kunden. Deshalb hat sich auch als erster Hersteller Keba mit uns geeinigt. Vor kurzem haben wir gemeinsam eine Lizenzvereinbarung abgeschlossen. Gespräche mit weiteren Parteien werden bereits aufgenommen. Wir sind überzeugt, dass eine individuelle Lizenzvereinbarung mit Compleo schneller und günstiger Rechtsicherheit schafft als eine langjährige juristische Auseinandersetzung vor Gericht.

Im September hat Compleo bekannt gegeben, dass die beiden ehemaligen Wallbe-Werke zum Jahresende geschlossen werden und die Produktion zentral in Dortmund erfolgen soll. Können Sie uns einen aktuellen Zwischenstand geben? Werden Angestellte aus Paderborn und Schlangen in Dortmund übernommen?

Wir haben dort Kollegen mit wahnsinnigem Knowhow an Bord. Wo wir keine Redundanzen im Unternehmen hatten, haben wir Mitarbeitende in andere Compleo-Gesellschaften vermittelt. Diese Personen haben dann von uns Angebote erhalten, die zu einer überwiegenden Mehrheit angenommen wurden. Es ist natürlich nie eine schöne Situation, Standorte zu schließen. Betriebswirtschaftlich war es aber keine Frage!

2 Kommentare

zu „Compleo-CEO Lohr: „Um zu skalieren, müssen wir die Produkte vereinheitlichen““
Mattias
17.11.2022 um 17:44
Conmpleo hat eine sehr traurige Entwicklung durchgemacht. Ich verfolge das Unternehmen von Beginn an, war nach dem Börsengang investiert und bin dann mit Gewinnen raus. Es ist ein Meisterstück von Managementversagen, das vorrangig auf die Börsenstory ausgerichetet war. Insb. die alten Gesellschafter (Familie Hagby) hat sich beim Börsengang die Taschen voll gemacht und sind jetzt nicht bereit mit eigenem Geld auszuhelfen - das sagt schon viel über ihr Vertrauen in das Unternehmen. Was Jörg Lohr jetzt mit geringer Kapitaldecke und hohen Belastungen stemmen muss, ist eine Herkulesaufgabe. Der alte Vorstand hatte mit wenig Sinn und Verstand investiert - 40 Mio für Wallbe ausgeben und fast nichts davon ist übrig geblieben. Die Wallbox Solo entwickelt und jetzt wird diese eingestampft. Stattdessen setzt man auf die teure Ex-Innogy-Box, die preislich im Massenmarkt wenig Chancen hat. Eon verramscht das Teil ja aktuell in einer Kampagne. Und ob eOperate, das Eon praktisch an Compleo verschenkt hat, das Geschäft retten kann, ist doch mehr als fraglich. Und SAFE hat ja einen Weg aufgezeichnet wie sich die Patente relativ einfach umgehen lassen - sogar von der PTB freigebeben. Die Prognose würde en passant auch um 100 Mio gesenkt - trotzdem will man profitabel werden. Da erscheint mir sehr viel ist alles mehr hoffen und Wunschdenken, da helfen auch die 40 HPC Bestellungen der Telekom nicht wirklich weiter. Vor allem aber braucht Compleo relativ schnell neues Geld - ob sich angesicht der kastratophalen Lage jemand findet, der das Risiko eingeht, ist zu bezweifeln.
Sebastian
23.11.2022 um 21:08
Gemischtwarenladen nennt man das. Das Backend ist absolute Grütze, wer will kann beispielsweise mal einen Remotestart an einer der Ladesäulen versuchen - auf dem Papier kst die Erfolgsquote 100%, da das Backend den Start nicht mit der Ladesäule validiert sondern einfach immer mit Erfolg beantwortet. Dazu Null Fokus, AC Hardware und DC? Zwei komplett verschiedene Dinge. Kann die DC Lösung 400kw, erfüllt sie alle Normen? Hat Sie einen Wirkungsgrad von über 95%? Im DC Bereich kauft jeder Betreiber aktuell nur von einem Hersteller, weil es das mit Abstand beste Produkt auf dem Markt ist. Im AC Bereich auf Eichrecht konzentrieren d.h. nur der Deutsche Markt ist relevant? AC im öffentlichen Bereich verliert immer mehr an Stellenwert, da damit niemand Geld verdient. Short auf Compleo dürfte eine gute Idee sein.

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