Effizienz im Fokus: Die Trends beim E-Antrieb im Überblick
Elektromotoren sind nicht neu, aber so viel geballte Entwicklungspower wie zurzeit ist wohl noch nie in die Effizienzsteigerung von E-Antrieben geflossen. Aus gutem Grund: Sechs Experten sprachen bei unserer Online-Konferenz „electrive.net LIVE“ über das Potenzial der Antriebsentwicklung für Elektromobilität. Hier ist der Konferenzbericht.
***
Aus Strom macht der Elektroantrieb Bewegung. Dabei gibt es jede Menge Ansatzpunkte, um noch effizienter zu sein. Viele betreffen den Elektromotor selbst. Mit Hochdruck verbessern OEMs, Zulieferer und Startups die E-Antriebe selbst, aber auch die dazugehörigen Inverter-Plattformen, Getriebe-Layouts, Software-Systeme oder das Thermomanagement. In der 23. Ausgabe unserer beliebten Online-Konferenz „electrive.net LIVE“ – moderiert von electrive.net-Chefredakteur Peter Schwierz – erlebten über 500 zugeschaltete Gäste technische, deskriptive und kreative, operative und strategische Themenschwerpunkte rund um jene Komponente, die mit der Batterie zusammen das Herzstück des E-Fahrzeugs bildet. Präsentiert wurde das digitale Event übrigens von Bosch.
Kein Wort fällt in der vierstündigen Konferenz so oft wie „Effizienz“, mal in Verbindung mit Hairpin-Wicklungen, mal mit Radnabenmotoren, mal mit der Vorkonditionierung von Batterien. Interessant zudem: Es kommt kaum die obligatorische Diskussion zu den großen Technologierichtungen BEV oder FCEV auf. Kein Wunder: Die E-Motoren-Entwicklung befindet sich in der komfortablen Lage, dass E-Motoren in allen Modellen gebraucht werden – ob Hybrid, Batterie-elektrisch oder Brennstoffzellen-betrieben.
Um was für ein Marktpotenzial es geht, macht der erste Speaker das Tages klar: Benjamin Dorn, Oberingenieur des PEM an der RWTH Aachen, zeigt eine Schätzung, wonach in Europa bis 2030 kumuliert 185 Millionen E-Motoren gebraucht werden. Ein großer Kuchen, der allen Akteuren – OEMs, Zulieferern und Startups – genug Platz bietet. Das wird im Laufe des Tages von allen Seiten immer wieder betont.
Dorn widmet seinen Vortrag der Hairpin-Statorproduktion. Das PEM beschäftigt sich mit dem Thema produktionsseitig seit 2016. Bei der Herausforderung, „so viel Kupfer wie möglich in den Nuten unterzubringen“, also einen besonders hohen Nutfüllfaktor zu erreichen, bietet die Hairpin-Wicklung einen vielversprechenden und schon von vielen OEMs übernommenen Ansatz. Der Produktionsprozess ist aber noch lange nicht ausgereizt. Dorn stellt vor diesem Hintergrund das Projekt HaPiPro² vor, das die flexible Fertigung von Stator-Varianten mit Hairpin-Wicklungen auf einem Produktionssystem zum Ziel hat. Denn bis dato fallen dabei zu hohe Werkzeugkosten an.
Von der seriennahen Forschung zu einem Industrieriesen: Bosch hat bereits heute über 5 Millionen Fahrzeuge mit seinen E-Antriebskomponenten auf der Straße. Das geht aus dem Vortrag von Ralf Schmid, Executive Vice President Electrification bei Bosch, hervor. Der Auftragseingangswert auf diesem Feld beläuft sich – Stand 2021 – auf 10 Milliarden Euro. Denn: „Wir sind hochvertikal integriert – von SiC-Chips bis zum vollständigen E-Antriebssystem.“
Schmid offenbart unter anderem den CO2-Fußabdruck einer typischen Permanentmagneterregten Synchronmaschine (PSM) und spricht darüber, wie Daten-getriebene Ansätze den Materialeinsatz verringern können. „Und zwar um bis zu 30 Prozent weniger Magnet-Material bei gleich bleibender E-Motor-Performance und -Effizienz.“ Das sei bei den geopolitischen Abhängigkeiten der heutigen Zeit ein wichtiges Einsparungspotenzial. Auch an fremderregten Synchronmaschinen (ESM) sei Bosch dran. „Die Komplexität ist höher, aber es ist eine mögliche Lösung, um mit den CO2-Footprint noch weiter runterzukommen. E-Mobilität macht nur Sinn, wenn die Wertschöpfungskette nachhaltig ist!“
Mit Ines Miller, Team Lead Battery Cell der P3 automotive GmbH, erfährt das Publikum anschließend, wie die Vorkonditionierung konkret die Leistung für das Laden und den Antriebsstrang beeinflusst. Wer ein E-Auto hat, kennt das: Sobald die Außentemperaturen fallen, verschlechtert sich die Ladeleistung – vor allem zu Ladebeginn, bis sich die Batterie erwärmt hat. Miller hat Ladekurven und Zellchemie-Analysen im Gepäck.
Zu den wichtigsten Erkenntnissen gehört, dass die Leistungsminderung ohne Vorkonditionierung bis zu 50 Prozent betragen kann und, dass Batterien mit NCA- gegenüber LFP-Chemie bei 0 Grad Celsius im Extremfall um bis zu 31 Minuten schneller auf 90 Prozent SoC geladen werden können. Die Vorkonditionierung der Batterie lohnt sich definitiv, ist aber kostspielig. Miller macht trotzdem Hoffnung, dass diese Funktion bald nicht mehr nur im Premiumsegment erhältlich sein wird: „Die OEMs haben die Notwendigkeit erkannt, die Vorkonditionierung auch im Mittelklassesegment anzubieten.“
In der anschließenden Paneldiskussion vor der Mittagspause geht der Blick unter anderem nach Asien: Während Europa im Batterie-Bereich viel Nachholbedarf hat, verhält es sich bei Motoren und deren Integration in den Antriebsstrang anders: „Europa und speziell Deutschland ist hier gut aufgestellt. Wir haben einen starken Maschinen- und Anlagenbau“, so Dorn.
Bosch-Mann Schmid ergänzt: „Wir müssen uns dem Wettbewerb stellen, bei Kosten, bei Innovationen. Da darf man keine Minute schlafen.“ Es werde richtig spannend, wie man bei Elektrofahrzeugen von den oberen Preisklassen in die mittleren und unteren Preisklassen komme. „Denn dort ist es deutlich schwieriger, Elektroautos herzustellen, die man sich leisten kann. Ich hoffe nicht, dass uns da die Chinesen den Rang ablaufen. Wir müssen uns um kleine und mittlere Fahrzeuge kümmern.“
Im zweiten Teil der Konferenz präsentieren sich gleich drei Startups aus München auf der digitalen electrive-Bühne. Alexander Rosen stellt die DeepDrive GmbH mit ihrem innovativen Radnabenantrieb vor. Bewusst provokant stempelt der Co-Gründer aktuelle E-Fahrzeuge allesamt als „sehr ineffizient ab“, denn: „Unter 60 Prozent des wertvollen Stroms aus der Steckdose landen auf der Straße.“ Der Antrieb spielt seinen Ausführungen zufolge dabei eine tragende Rolle.
Mit seinem Team hat sich Rosen zum Ziel gesetzt, die bisherigen Schwachstellen des getriebelosen Radnabenmotors auszumerzen. „Die technischen Hürden lassen sich lösen. Die Vorteile dieser Motorentechnologie sind so groß, dass sie sich etabliert, sobald sie preislich konkurrenzfähig wird. Davon bin ich überzeugt.“ DeepDrive ziele auf die gleichen Kosten ab wie eine konventionelle E-Achse heutzutage. Dazu gesellen sich eine hohe Drehmoment-Dichte und ein geringes Gesamtgewicht. Noch ist das Startup mit seinen Radnabenmotoren nicht in der Serie. Die Vorbereitungen laufen jedoch unter Hochdruck.
Mit Tobias Stahl von der Unternehmensberatung Strategy Engineers rücken die globalen Rohstoffvorkommen für Elektroantriebe in den Fokus. Dabei wird deutlich: An China geht bei Selten-Erd-reichen Magneten kein Weg vorbei. Während die Rohstoffgewinnung in diesem Bereich durchaus noch in mehreren Ländern erfolgt, hat China bei der Verarbeitung zu den begehrten Magneten mehr oder weniger ein Monopol inne. Das Resultat: „Die Preise werden erwartbar steigen“, so Stahl.
Recycling kann aus seiner Sicht helfen, die Materialien im Kreislauf zu halten – aber „nur mit Zeitversatz“. Der Unternehmensberater sieht deshalb vor allem einen Weg aus der „Rohmaterial-Klemme“: „Wir müssen wieder zu kleineren und leichteren Fahrzeugen kommen und die Antriebseffizienz extrem erhöhen“. Hersteller müssten sich trauen, Autos zu bauen, die einen Zweck haben – und nicht solche, die alles abdecken.
Mit Manuel Kuder von der Bavertis GmbH geht es zum Ende noch mal an die Schnittstelle von Leistungselektronik und Batterie, von Hard- und Software. Mit ihrem starken Forschungshintergrund will die Bavertis GmbH jeder einzelnen Batteriezelle eine smarte Leistungselektronik – sogenannte Multilevel-Umrichter – spendieren. Kuder spricht von der Schaffung einer transparenten, software-gesteuerten Batterie.
Durch die neue Technologie entfallen die in heutigen Fahrzeugen verbauten Inverter, Onboardlader und Batteriemanagementsysteme. Per Software-Update soll die Batterie unter anderem für verschiedene Nutzungsszenarien programmiert werden können. Für besonders wichtig hält Kuder bidirektionales Laden: “ Wir müssen Batterien wirklich als Netzpuffer nutzen, denn wir sollten die Ressourcen, in die wir investieren, auch ausnutzen!“ In einem Demo-Fahrzeug hat die Bavertis GmbH ihre Technologie schon verbaut. Im März 2023 soll die Seed-Finanzierungsrunde abgeschlossen werden.
Halbleiter sind denn auch der Aufhänger für die anschließende Paneldiskussion der drei Speaker. Aus Sicht von IT-Fachmann Kuder hat Deutschland klar den Aufbau von Produktionskapazitäten verschlafen. SiC-Chips dürften auch auf lange Sicht hin knapp bleiben, da sind sich alle einig. Für andere Halbleiter – etwa Silizium-Chips – gelte dies nicht zwangsläufig.
Interessant ist die Sicht von Rosen und Stahl auf den Trend zu immer größeren E-Fahrzeugen. „Wir sehen diese Nachfrage und wir missionieren nicht, wir bedienen, was die OEMs und im Endeffekt die Endkunden wollen“, sagt Rosen – klar, steht doch gerade die Radnabenmotor-Technologie für den Vorteil, besonders viele Batteriepakete unterbringen zu können. Stahl legt nach: „Wir müssen weg von Material, das besonders kritisch und umkämpft ist.“ Der Kostennachteil bei den bekanntlich teureren, aber magnetfreien EMS könnte sich aus seiner Sicht sogar irgendwann in Kostenneutralität oder einen Kostenvorteil umkehren. Es gelte also, jetzt strategische Weichenstellungen für die Zukunft zu treffen.
2 Kommentare