BYDs Europa-Auto: Erste Fahreindrücke zum Atto 3
Nach Han und Tang, die schon etwas länger auf Chinas Straßen herumstromern, ist der Atto 3 BYDs drittes Fahrzeug mit der sogenannten „Blade“-Batterie. Der Name rührt von der langgezogenen Form der Akkuzellen her, die nicht in Modulen gruppiert werden, sondern direkt zu einem Pack zusammengebaut sind. Außerdem ist der Atto 3 das erste auf der neuen E-Plattform 3.0 stehende Fahrzeug und vor allem: Das erste BYD-Modell, das für Europa entwickelt wurde. Zwar nicht exklusiv, aber mit „Europe in mind“, wie ein BYD-Sprecher uns gegenüber betonte. Wir hatten die Gelegenheit, den neuesten Wurf der Chinesen einen Tag lang in und um Amsterdam herum zu testen.
Gutes Platzangebot
Von außen wirkt der Atto 3 durch seine Höhe zwar relativ groß, tatsächlich ist er mit 4,45 Metern Länge und 1,87 Metern Breite relativ kompakt, in Sachen Länge liegt er ziemlich genau in der Mitte zwischen einem Volkswagen ID.3 und ID.4.
Für diese Größe ist das Platzangebot im Innenraum sehr überzeugend: Auf den vorderen Sitzplätzen sowieso, besonders aber auf der Rückbank, die mit viel Beinfreiheit und einer sauberen Oberschenkelauflage punktet. Noch großzügiger wird gerade der Fond durch das Panorama-Dach, das tolle Blicke gen Himmel ermöglicht.
Längere Fahrten lassen sich hier auch mit mehreren Personen gut aushalten, zumal im 440 Liter fassenden Kofferraum (1.338 Liter bei umgeklappter Rückbank) auch einiges an Gepäck Platz hat. Kleines Manko hier: Eine Durchreiche für Skier oder andere längere Gegenstände sucht man leider vergeblich – dafür muss dann schon ein ganzer Sitz umgeklappt werden (möglich im Verhältnis 60:40). Ebenso haben wir einen Kofferraum unter der Fronthaube vermisst, Platz wäre ausreichend vorhanden gewesen.
Verspieltes Interieur
Beim Einsteigen fühlt man sich wie in einer Mischung aus Fitness- und Tonstudio: Die Armablagen sehen aus wie Laufbänder, die Luftauslässe der Klimaanlage erinnern an Gewichte, das Armaturenbrett wirkt muskulös und die Gummibänder der Türablagen sehen nicht nur aus wie Gitarrensaiten – sie lassen sich sogar anschlagen und produzieren Töne. Die zweifarbigen Sitzbezüge lassen den Innenraum angenehm frisch und verspielt wirken, abgerundet wird dieser Eindruck durch einen Gangwahlhebel, der dem Triebwerks-Schieber eines Flugzeuges nachempfunden ist.
Die Beschleunigung ist mit 7,3 Sekunden bis 100 km/h natürlich nicht mit einem Flugzeug zu vergleichen, aber dennoch flotter als die meisten Verbrenner dieser Klasse und vollkommen ausreichend, um diese beim Ampelstart mühelos abzuhängen. Auch der Frontantrieb hat sich als unproblematisch herausgestellt – normalerweise drehen elektrische Fronttriebler gerne mal durch, hier wurde die maximal mögliche Beschleunigung passend gewählt, um dies zu verhindern.
Sehr gute Mittelklasse
Generell ist der Atto 3 nicht nur preislich, sondern auch in seinen Eigenschaften überall solide Mittelklasse: Die Verarbeitungsqualität ist deutlich besser als man es von einem chinesischen Hersteller erwarten würde, aber noch nicht ganz auf dem Level der deutschen Anbieter. Positiv hervorzuheben ist hier der weitgehende Verzicht auf billig wirkendes Hartplastik oder Fingerabdrücke anziehende Glossy-Oberflächen, stattdessen wurden viele weiche, matte Kunststoffe verbaut.
Das Fahrwerk ist zwar nicht übermäßig sportlich, dafür aber bequem genug, um es lange im Auto auszuhalten. Der Verbrauch ist nicht der beste, für einen 1,61 Meter hohen SUV aber ganz passabel: Wir haben ihn mit 19 kWh/100km bei winterlichen Temperaturen durch Amsterdam bewegt. Wichtig dabei: Für Fotos, Ladeversuche und Fahrerwechsel haben wir oft angehalten und hatten die Türen länger geöffnet – der Heizverbrauch dürfte in unserem Fall also deutlich höher als normal gewesen sein. In Kombination mit dem 60,5 kWh fassenden Akku ergibt sich so eine realistische Reichweite von fast 320 Kilometern, die im Sommer sicher nochmal ein ordentliches Stück größer sein dürfte.
Gar nicht mittelmäßig, sondern fast schon Premium ist der Atto 3 in Sachen Features: Hier ist viel serienmäßig, was bei der Konkurrenz aufpreispflichtig ist. Schon in der Basisvariante für 39.500 Euro ist der Wagen nahezu voll ausgestattet (unter anderem: beheiztes Lenkrad, elektrisch verstellbare und beheizte Vordersitze, Wärmepumpe). Aufpreispflichtig sind nur die bunte Ambientebeleuchtung, ein 11 kW AC-Lader (Standard sind 7 kW), eine elektrische Heckklappe und ein etwas größerer Touchscreen – damit landet man dann bei 44.300 Euro (jeweils inkl. MwSt.).
Etwas schlechter als bei der Konkurrenz sind allerdings die Fahrerassistenzsysteme: Diese halten Spur und Abstand ganz ok, sind allerdings an diversen Stellen immer mal wieder unsicher und reagieren etwas spät, dann aber umso energischer.
Software: Deutliche Verbesserungen
Im Vergleich zu früheren Versionen ist das Infotainmentsystem deutlich ausgereifter: Die 360-Grad-Kamera ist schärfer, der Bildschirm größer und die Gesamtperformance flotter.
Ein besonders cooles Feature ist der drehbare Bildschirm, so ist man nicht auf eine Ausrichtung festgelegt, sondern kann je nach Situation umschalten. Routenübersicht einer längeren Nord-Süd-Strecke? Das geht hochkant am besten. Einen Film schauen? Das machen wir lieber im Querformat. Streaming-Integration sucht man allerdings vergeblich, stattdessen kann man Filme per USB abspielen. Ebenso haben wir eine Anzeige der Navigation im Tacho-Display vermisst – beides kommt hoffentlich bald per Update nach (so schon geschehen mit Apple CarPlay und Android Auto, das war auch nicht von Beginn an verfügbar).
Besonders überzeugt hat dafür die Spotify-Integration, die sich kaum von der normalen Spotify-App unterscheidet und ein einfaches Stöbern in Playlisten und Podcasts ermöglicht. Für optimalen Hörgenuss hätte das Soundsystem aber einen Tick besser sein können.
Die Filteroptionen in der Ladestationsdatenbank wirken allerdings wie aus 2015, denn als „schnell“ ist alles über 15 kW definiert, die höchste Stufe ist 50 kW und heißt „super-schnell“. Klar, mit gerade mal 88 kW DC-Spitzenleistung muss man keinen 350 kW-Lader ansteuern, aber „super-schnell“ sind 50 kW im Jahr 2023 eben trotzdem nicht mehr.
Ladeperformance durchwachsen
Womit wir auch beim einzigen deutlich spürbaren Schwachpunkt des Atto 3 wären: der Ladekurve. Die meisten Hersteller geben die Ladezeit nur bis 80 oder 90 Prozent an, weil die letzten Prozent des Ladevorgangs überproportional länger dauern – zehn bis 80 Prozent sind eigentlich sowas wie der Branchen-Standard. BYD gibt aber sogar nur die Zeit von 30 bis 80 Prozent an, also gerade mal den halben Ladehub der Batterie. Dieser nimmt laut Datenblatt allerdings immer noch stolze 29 Minuten in Anspruch – die Vollladung dauert sogar 80 Minuten, das kann der Wettbewerb auch in preiswerten Segmenten teils deutlich besser. So günstig die Eigenschaften der Lithium-Eisenphosphat-Batterie generell auch sein mögen (z.B. in Bezug auf Alterung und Sicherheit) – an die Ladeperformance normaler Li-Ionen Batterien kommen sie (noch) nicht heran.
Ein attraktives Gesamtpaket mit einem Schwachpunkt
BYD will sich mit dem Atto 3 explizit an Paare und junge Familien richten – der Basispreis von 39.500 Euro inkl. MwSt. hilft dabei sicherlich, ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis als beim Atto 3 bieten aktuell nicht viele Hersteller. Allerdings muss man in Sachen Ladezeit zwar den einzigen, dafür aber einen sehr großen Schwachpunkt in Kauf nehmen: Langstrecken können mit der suboptimalen Schnellladekurve relativ zäh werden. Wer das verschmerzen kann, macht mit dem Atto 3 aber nichts verkehrt und bekommt ansonsten ein solides und ausgereiftes Fahrzeug, dass den Vergleich mit der europäischen Konkurrenz nicht scheuen muss.
Autor: Robin Engelhardt
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