Klimaschutz: Ampel-Koalition will einzelne Sektorziele abschaffen
Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP haben nach dreitägigen Verhandlungen eine Einigung in mehreren Streitfragen erzielt. Zum „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“ gehört auch eine Novelle des Klimaschutzgesetzes, mit dem die Ampel feste Sektorziele für die Einsparung von CO₂ abschaffen wird.
Das FDP-geführte Verkehrsministerium hatte die Ziele zuletzt deutlich verfehlt. „Die Einhaltung der Klimaschutzziele soll zukünftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden. Basis dafür ist das jährliche Monitoring. Klimaschutz soll damit zu einer echten Querschnittsaufgabe der Bundesregierung werden. Alle Sektoren leisten ihren Beitrag: Stromerzeugung, Industrie, Verkehr, Bauen und Wohnen sowie Landwirtschaft“, heißt es dazu in dem Beschluss.
In dem 16-seitigen Dokument mit dem Titel „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“ wird zwar das Ziel, bis 2045 eine Netto-Treibhausgasneutralität zu erreichen, bekräftigt – für die Jahre 2035, 2040 und 2045 will die Bundesregierung gar ein Ziel für Negativemissionen festlegen. Doch statt der von der Großen Koalition unter Angela Merkel beschlossenen Einzel-Überprüfung von Sektoren bei den jeweiligen Klimaschutzzielen sollen diese künftig in einer „sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung“ überprüft werden.
Davon dürfte vor allem der Verkehrssektor profitieren, der seine Einzel-Ziele wie erwähnt zuletzt deutlich verfehlt hat – und das Maßnahmenpaket aus dem FDP-geführten Verkehrsministerium wurde von Expertengremien als ungenügend eingestuft. Die nach wie vor zu hohen CO₂-Emissionen aus dem Verkehrssektor können nun mit den bereits erzielten Einsparungen aus anderen Sektoren verrechnet werden. Zur Dokumentation sollen die Sektoren zwar weiter einzeln erfasst werden, für die Bilanz zählt nach dem Willen der Ampel-Parteien künftig die Gesamtbetrachtung – und auch diese nur über einen längeren Zeitraum. Der Zwang zu strengeren Maßnahmen im Verkehrssektor wird somit praktisch ausgehebelt. Man sorge dafür, „dass sich die Sektoren gegenseitig helfen können“, so FDP-Parteichef Christian Lindner. „Die reine Sektor-Orientierung überwinden wir.“
Kfz-Steuer soll Klimaauswirkung berücksichtigen
Zudem hat der Koalitionsausschuss einige weitere Beschlüsse gefasst, die die Mobilität betreffen. An dem Ziel von 15 Millionen vollelektrischen Fahrzeugen im Jahr 2030 hält die Koalition fest und macht das zur Grundlage der Planungen und Berechnungen. Am Masterplan Ladeinfrastruktur II hält man fest, plant aber als kurzfristige Maßnahmen einen vorausschauenden Ausbau der Verteilnetze, will „zusätzliche Potenziale für Ladesäulenausbau heben“, binnen fünf Jahren mindestens einen Schnellladepunkt pro Tankstelle vorschreiben (mit Ausnahmen für kleine Tankstellen) sowie das „Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz (GEIG) so novellieren, dass Anforderungen für Ladesäulen-Infrastruktur für Wohn- und Gewerbegebäude deutlich ambitionierter ausgestaltet werden“.
Die Kfz-Besteuerung soll sich künftig mehr an der Klimawirkung eines Fahrzeugs orientieren: „Die Koalition ist sich einig, dass die Besteuerung von Kraftstoffen zukünftig stärker deren Umwelt- und Klimawirkung berücksichtigen sollte. Für klimaneutrale Kraftstoffe sollten daher besonders innovations- und investitionsanreizende Steuersätze gelten“. Sprich: Wie von Lindner angekündigt, sollen E-Fuels-only-Verbrenner geringer besteuert werden – und nicht die Steuersätze für fossile Verbrenner steigen.
Auf Seite zehn des unten verlinkten Dokuments wird etwa auf die E-Fuels eingegangen, wo ein „Hochlauf der Produktion und Nutzung […] bereits kurzfristig angereizt“ werden soll. Dafür sollen unter anderem „rechtliche und administrative Regelungen, die aktuell einer Ausweitung der Nutzung entgegenstehen, beseitigt“ werden. Zudem werden ein „E-Fuels-Dialog“ und eine Roadmap für alternative Kraftstoffe angestrebt: „In einem E-Fuels-Dialog des BMDV mit der E-Fuel-Branche, dem Mineralölhandel, den Automobilherstellern und Importeuren werden bis Sommer 2023 weitere Zulassungs-, Vertriebs- und Nutzungseinschränkungen identifiziert und soweit möglich von der Bundesregierung bzw. der Wirtschaft abgebaut“, heißt es in dem Dokument.
E-Lkw werden bis 2025 von der Maut befreit
Außerdem sollen zum 1. Januar 2024 eine CO₂-Differenzierung der Lkw-Maut und ein CO₂-Aufschlag in Höhe von 200 Euro pro Tonne CO₂ eingeführt werden. Emissionsfreie Lkw werden bis Ende 2025 von der Infrastrukturgebühr befreit, anschließend werden lediglich 25 Prozent des regulären Satzes erhoben. Allerdings wird zum gleichen Zeitpunkt die Lkw-Mautpflichtgrenze auf 3,5 Tonnen abgesenkt, es sind also künftig mehr Fahrzeuge mautpflichtig – es soll Ausnahmen für Handwerksbetriebe geben.
Damit die Spediteure und Flottenbetreiber zügig auf emissionsfreie Nutzfahrzeuge umsteigen, soll es einen „vorausschauenden Aufbau eines initialen Netzes an Ladeinfrastruktur und Wasserstofftankinfrastruktur für schwere Lkw bis 2025“ geben, die Ausschreibungen hierfür sollen im Q3 2023 erfolgen. „Für Batterie-elektrische Lkw wird ein bedarfsgerechtes Grundnetz entlang der Bundesautobahnen geschaffen“, heißt es wörtlich in dem Entwurf. Zugleich soll es auch eine Förderung von Infrastruktur an Depots, Betriebshöfen, Hubs geben, um den Markthochlauf elektrisch betriebener schwerer Nutzfahrzeuge zu beschleunigen.
Andere Punkte verwundern aber: So soll etwa die Förderung von leichten und schweren Nutzfahrzeugen mit alternativen, klimaschonenden Antrieben und dazugehöriger Tank- und Ladeinfrastruktur bis 2028 verlängert werden – im Dezember wurde das KsNI-Programm bis 2026 verlängert. Allerdings überrascht der Nachsatz: „Künftig wird auch der Aufbau von Lkw-Tank- und Ladeinfrastruktur gefördert.“ Das war bisher schon der Fall, zum einen Fahrzeug-bezogen als Teil der KsNI-Förderung, aber auch andere Ladeparks und H2-Tankstellen wurden bereits mit Bundes-Fördermitteln errichtet.
Autobahn-Ausbau kommt – mit PV- oder Windkraftanlagen
Klarer sind die Pläne hingegen bei den Bussen: „Die Vorgaben des Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungsgesetzes werden dahingehend geändert, dass im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe ab 2030 nur noch bilanziell emissionsfreie Fahrzeuge (insb. Nahverkehrs-Busse) beschafft werden dürfen. Sonderfahrzeuge sind davon ausgenommen.“
Auch der im Vorfeld viel diskutierte, beschleunigte Autobahn-Ausbau wird wohl kommen: Für einige Straßenprojekte will die Bundesregierung ein „überragendes öffentliches Interesse“ festschreiben und diese beschleunigt planen. Laut Christian Lindner soll es dabei um 144 Projekte gehen, in dem Beschluss ist diese Zahl aber nicht enthalten. Die beschleunigten Verfahren sollen aber so geplant werden, dass unmittelbar neben den neuen Autobahnen PV-Anlagen oder Windkraftanlagen errichtet werden.
Doch wie die „Tagesschau“ in einer Analyse schreibt, wird es nicht nur auf die nun in den Marathon-Verhandlungen erzielte Einigung ankommen, sondern auch auf deren Umsetzung: „Und an vielen Stellen – siehe Heizung – bleibt darin ein Grundproblem der Ampel bestehen: Bestimmte Einigungen werden so weich formuliert, dass am Ende jeder etwas anderes darunter versteht.“
spiegel.de, tagesschau.de, handelsblatt.com (Dokument als PDF)
13 Kommentare