Batterie: Europa im Zangengriff des Inflation Reduction Act

Die Batterie-Entwicklung hat in den vergangenen 20 Jahren enorme Fortschritte gemacht. Doch inzwischen ist die Batterie wegen ihrer enormen Bedeutung für die Mobilität der Zukunft zum Politikum geworden. Bei „electrive.net LIVE“ diskutieren wir mit Experten, wo die Entwicklung hin geht – und ob die Europäer noch mithalten können.

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Da im politischen Berlin derzeit bei der Mobilität vor allem über das Thema E-Fuels diskutiert wird, werden die 15 Millionen vollelektrischen Fahrzeuge bis 2030 schon fast beiläufig als gesetzt hingenommen. Dabei wurde bekanntlich erst Anfang diesen Jahres die Marke von einer Million E-Autos im Bestand erreicht. Da die Brennstoffzelle bei den volumenstarken Pkw immer noch in der Nische festhängt, wird die überwiegende Mehrheit der ausstehenden 14 Millionen E-Fahrzeuge vor allem eines brauchen: eine Batterie.

Doch genau diese Lieferketten, die gerade erst aufgebaut wurden oder sich noch im Aufbau befinden, geraten jetzt schon wieder unter Druck. Chinesische Batteriehersteller kündigen im Wochentakt neue Zellfabriken in Giga-Maßstab an, die alle mit Rohstoffen versorgt werden müssen. Auf der anderen Seite buhlen die USA mit den üppigen Förderungen aus dem Inflation Reduction Act um die Batterieindustrie, erste Projekte in Europa wurden bereits hinten angestellt, weil die Rahmenbedingungen in Nordamerika derzeit einfach besser sind. Wie Deutschland und Europa sich in diesem Umfeld behaupten können und was bei den künftigen Batterie-Generationen zu erwarten ist, haben wir bei „electrive.net LIVE“ mit mehreren Branchenexperten vor über 500 Gästen diskutiert.

Den Auftakt machte Batterie-Professor Markus Hölzle vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) mit seinem Vortrag „Batterien für die Energiewende: Immer besser, günstiger, globaler – und kein Ende in Sicht“. Um die bisherige Entwicklung der Lithium-Ionen-Batterien zu verdeutlichen, hat Hölzle einen Blick in sein eigenes Archiv geworfen. Bei einer Batterie-Tagung im Jahr 1993 wurde eine der ersten Lithium-Ionen-Zellen vorgestellt – eine Rundzelle von Sony mit 26 Millimetern Durchmessern bei 46 Millimetern Höhe, 99 Wh/kg Energiedichte und Kosten von satten 16.000 Euro pro Kilowattstunde.

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„Vor 30 Jahren war es undenkbar, dass eine Lithium-Ionen-Batterie in großen Stückzahlen gebaut und massenhaft in Autos eingesetzt wird“, so der Professor und blickt auch voraus: „Die größten Schritte bei der Verbesserung der Lithium-Ionen-Batterie liegen hinter uns – aber eben nur die größten. Die Energiedichte wird bis 2030 weiter steigen und die Kosten werden sinken, nur eben nicht mehr in so großen Schritten wie zuvor. Die volle Performance von Lithium-Ionen-Batterien ist noch nicht erreicht.“

Für den Zeitraum bis 2030 erwartet Hölzle bei den Kathodenmaterialien eine deutliche Veränderung bei den Marktanteilen. Besonders nickelreiche Materialien, die eine höhere spezifische Energiedichte ermöglichen, werden zulegen, aber auch manganreiche NCM-Mischungen für das Volumensegment. LFP-Kathoden, die 2019 nur drei prozent des Marktes ausgemacht und inzwischen auf 29 Prozent zugelegt haben, werden laut Hölzle im Jahr 2030 bei rund 35 Prozent Marktanteil liegen – besonders bei preiswerten Fahrzeugen sind Materialien wie Nickel und Kobalt Kostentreiber in der Beschaffung. Natrium-Ionen-Batterien werden zum Ende des Jahrzehnts im Auto aber nur eine überschaubare Rolle spielen: Erste Anwendungen erwartet Hölzle erst nach 2026 und „die Automobiltauglichkeit muss noch nachgewiesen werden“.

Natrium-Ionen-Batterien haben eine deutlich geringere Energiedichte

Dabei geht es Hölzle nicht nur um die bisherige Herausforderung bei Natrium-Ionen-Zellen, dass sich die Materialien beim Laden und Entladen stark ausdehnen und zusammenziehen – was die Stabilität der Zelle beeinflusst. Er verweist auch auf die bisher überschaubare Energiedichte der Na-Ion-Zellen: Selbst mit dem vielversprechendsten Ansatz auf Basis von Preussisch Weiß würde ein BEV-Pack mit 100 dieser Zellen nur eine Reichweite von 160 Kilometern ermöglichen – eine NCM-Batterie mit hohem Nickelanteil bei 100 Zellen aber 448 Kilometer. „Die geringe Reichweite eines Na-Ion-Akkus würde die Reichweitenangst der Verbraucher wieder aufleben lassen, die mit Li-Ion inzwischen weitgehend ausgeräumt ist“, so Hölzle.

Etwas klarer ist die Lage bei den Anodenmaterialien: Hier wird reines Graphit zunehmend durch Silizium-Materialen abgelöst – von derzeit 93 Prozent reinen Graphit-Anoden werden 2030 nur noch rund zehn Prozent bleiben. Ein wesentliches Wachstum sieht Hölzle etwa bei Silizium-Komposit-Anoden mit graduell höherem Siliziumanteil. Allerdings werden aus Kostengründen eher Materialmischungen mit bis zu zehn Prozent Silizium den Markt dominieren – Mischungen mit bis zu 90 Prozent Silizium wird es demnach eher in teuren Premiumautos geben, nicht aber in der breiten Masse. Mit Silizium können nicht nur die Anoden dünner und die Batterien schneller geladen werden, sondern es sinkt auch die Rohstoff-Abhängigkeit von China – von dort stammen etwa 90 Prozent des Graphits.

Auch wenn derzeit viele Autobauer in Batterie-Startups investieren, um sich bei der Entwicklung von Feststoffbatterien den Status eines Vorreiters zu sichern, geht Hölzle davon aus, dass erste Lithium-Metall-Anoden nicht vor 2028 auf den Markt kommen werden – dementsprechend überschaubar bleibt ihr Marktanteil im Jahr 2030.

Frühere Prognosen der Batterie-Branche sind nicht eingetroffen

Deutlich über 2030 hinaus will Hölzle aber keine Aussagen treffen – und verweist wieder auf das Jahr 1993 bzw. die damaligen Erwartungen: Nach Lithium-Ionen komme die Lithium-Schwefel-Technologie und dann Lithium-Luft-Batterien, so der Tenor. Nur fünf Jahre später sei von Lithium-Luft kaum noch die Rede gewesen, stattdessen stand die All-Solid-State-Batterie im Fokus. Und heute werde neben (Semi-)Solid-State-Batterien vor allem über die Natrium-Ionen-Technologie diskutiert, die vor wenigen Jahren kaum ein Experte auf dem Schirm hatte. „Der Markt ist immer für Überraschungen gut – aber im positiven Sinne“, so der Professor.

Aber: Auch wenn in Europa zahlreiche Batterie-Projekte angekündigt sind, die Abhängigkeit von asiatischen Ländern ist hoch. In China sind die Produktionskapazitäten für Batteriezellen bereits heute größer als der nationale Bedarf. Und verhältnismäßig kleine Länder wie Südkorea und Japan haben sind jeweils auf die Kathodenherstellung fokussiert – ohne Importe aus diesen Ländern geht auch in Europa wenig. Und auch um diese Kathodenmaterialien buhlen die Hersteller, die in den USA ihre Zellfabriken bauen. „In Europa können wir uns nicht zurücklehnen“, so Hölzle. „Wir haben Nachholbedarf beim Verständnis und müssen die Fertigung an Land ziehen. Die USA haben gezeigt, dass sehr viel Politik im Spiel ist.“

Wie sieht ein europäischer Zellhersteller den Inflation Reduction Act?

Der nächste Speaker kommt von einem Unternehmen, das noch nicht einmal zehn Jahre alt ist – die Deutschland-Tochter ist sogar nochmals deutlich jünger. Dabei ist Northvolt eines der Batterie-Unternehmen, das im Zuge des Inflation Reduction Acts in die Schlagzeilen gekommen ist: Aufgrund der steigenden Energiepreise in Europa wurde das bereits angekündigte Projekt zu einer Zellfabrik in Heide (Schleswig-Holstein) pausiert. Da zugleich die üppigen US-Fördergelder locken, könnte die dritte Northvolt-Fabrik nun in Nordamerika und nicht in Norddeutschland entstehen.

Aus Hamburg ist Nicolas Steinbacher, Head of Strategy & Program bei Northvolt Germany, zugeschaltet. In seiner Momentaufnahme, wo die europäische Zellfertigung im geostrategischen Wettbewerb steht, verweist er etwa auf die chinesische Industriestrategie, die bereits auf das Jahr 2018 zurückgeht. In Europa war zu diesem Zeitpunkt an eine einheitliche Strategie, geschweige denn einer entsprechenden Finanzierung, nicht die Rede. „In Europa haben wir hingegen keine dezidierte Industriestrategie, sondern auf eine starke Regulatorik und IPCEI-Förderprogramme mit starkem F&E-Fokus gesetzt“, so Steinbacher. „Und in den USA gab es vor dem Inflation Reduction Act keine zielgerichtete Strategie zum Aufbau einer US-Batterieindustrie. Das ändert sich jetzt im Eiltempo – auch weil man sich geostrategisch gegen China positionieren will.“

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Da die USA nun auch massiv auf die Förderung einer lokalen Rohstoffgewinnung und -verarbeitung setzen und China nach dem Aufbau der heimischen Batterieindustrie auf die Expansion in andere Märkte setzt, verschieben sich die Kräfteverhältnisse. „China hat einen Vorsprung bei der Materialbeschaffung und Wertschöpfung und somit einen verstärkten geopolitischen Hebel“, sagt Steinbacher. „Möglicherweise kann sich der Fokus auf die heimische Industrie wieder verstärken. Dazu kommt, dass sowohl in China als auch den USA die Energiekosten niedrig sind – trotz des Ausbaus erneuerbarer Energien.“

Die Energieversorgung hat aber einen massiven Einfluss auf die Kosten und Nachhaltigkeit der Batteriezelle. „Das bedeutet, dass wir eine ganzheitliche und strategische, zugleich aber auch pragmatische und schnelle Antwort auf den IRA in Europa setzen, um eine Neujustierung der Rahmenbedingungen zu schaffen“, sagt der Northvolt-Manager. „Eine integrierte und schlagkräftige europäische Batteriestrategie ist notwendig – ausgerichtet an europäischen Stärken wie der Forschung und Entwicklung oder strategischen Allianzen zwischen Zellherstellern, Maschinenbauern, Energieunternehmen, Automobilherstellern, Politik und Verbänden.“

Unternehmertum statt strenge Regulierung? Oder beides?

Seine zentrale Forderung: Mehr Pragmatismus wagen und das Unternehmertum fördern. „Wir kommen gerade in Deutschland von einer sehr Ingenieurs-getriebenen Denkweise, alles bis ins kleinste Detail zu optimieren und die letzten Prozente herauszuholen“, so Steinbacher. „In diesem Setting hilft das nur zu einem gewissen Teil, da wir damit Geschwindigkeit verlieren.“

Doch das betrifft nicht nur die Batterieindustrie als solche, sondern benötigt laut dem Northvolt-Manager Bemühungen darüber hinaus. „Erneuerbare Energien stehen in direktem Zusammenhang mit einer nachhaltigen Batterieproduktion. Der Standort einer Gigafactory orientiert sich an der Verfügbarkeit erneuerbarer Energie“, sagte Steinbacher – eine Begründung mit der sich Northvolt einst für den deutschen Standort in Heide entschieden hatte. „Wir müssen in Europa einen Industriestrompreis auf den Weg bringen, um hierzulande zu wettbewerbsfähigen Preisen produzieren zu können. Wenn wir jetzt das Zeitfenster verpassen, werden Geldströme umgelenkt werden – weg von Europa.“

Übrigens: Zur Weiterführung der Pläne in Heide betonte Steinbacher auf Nachfrage von Moderator und electrive.net Chefredakteur Peter Schwierz die „guten Gespräche“, die aber vertraulich seien. Bei Northvolt gibt man sich also weiter zuversichtlich, dass eines Tages in Schleswig-Holstein die Bagger rollen, aber: „Es gibt Bewegung bei vielen Bereichen, es hat jedoch noch nicht den Reifegrad erreicht, der das Pendel zum Umschwingen bringt.“

Lithium-Bedarf ungleich höher als die Fördermengen

Die Rohstoff-Perspektive brachte Micha Zauner von der Deutschen E-Metalle AG in das Vormittagspanel ein. Auch wenn der Name anders klingt, bei dem Unternehmen handelt es sich um ein erst vor zwei Jahren gegründetes Startup aus Dresden, das aber zügig an Relevanz gewonnen hat: Zauner saß kürzlich im Regierungsflieger, um als Teil der Wirtschaftsdelegation von Bundeskanzler Olaf Scholz in Südamerika Rohstoffpartnerschaften zu schließen – im Falle von Deutsche E-Metalle für Lithium aus Argentinien.

In seinem Vortrag fasst Zauner verschiedene Prognosen zum weltweiten Lithiumbedarf zusammen. „Wir sehen kurzfristig bei 2030 fast eine Verzwanzigfachung des Bedarfs, das ist ein großes Problem. Denn noch sind wir stark von China abhängig und diese Differenz zwischen dem derzeit geförderten und nachgefragten Lithium kann zu Verteilungskämpfen zwischen Nationen führen“, so der Rohstoff-Experte. „Wir sehen bereits heute in Ländern mit großen Vorkommen Kämpfe um Lizenzen für neue Abbau-Projekte.“ Die Deutsche E-Metalle hat sich mit lokalen Partnern bereits exklusive Abbaurechte für 70.000 Hektar im „Lithium-Dreieck“ zwischen Argentinien, Chile und Bolivien sichern können.

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Dabei verweist Zauner auch auf den Preisschock bei Öl und Gas, der nach der russischen Invasion in der Ukraine die Weltmärkte getroffen hat. „Europa muss strategische Reserven aufbauen, um erneute Abhängigkeiten wie bei Öl und Gas zu vermeiden“, so Zauner.

Derzeit kommen 60 Prozent des weltweit abgebauten Lithiums aus Festgestein, etwa lithiumhaltiges Spodumen. 40 Prozent kommen aus der leichter zu verarbeitenden Sole – dort ist das Lithium bereits gelöst, aus dem (mit einem gewissen Enerigieaufwand zerkleinerten) Spodumen muss es erst chemisch herausgelöst werden. „Darüber hinaus gibt es noch die Möglichkeit, Lithium aus Geothermie-Sole zu entwickeln“, sagt Zauner. „Hier werden die ersten Projekte im industriellen Maßstab erst entwickelt.“

Um die CO2-Emissionen in der Lithium-Lieferkette deutlich zu verringern, setzt Zauner auf ein Verfahren namens „Direct Lithium Extraction“. Damit sollen die von Bildern bekannten Verdampfungsbecken in den südamerikanischen Salzseen überflüssig gemacht werden: Das Lithium soll in Anlagen selektiv aus der Sole entzogen werden. Die dann „abgereicherte“ Sole kann wieder im Untergrund verpresst werden – so die Theorie. In drei bis fünf Jahren soll eine entsprechende Anlage mit Beteiligung der Deutschen E-Metalle in Argentinien in Betrieb gehen.

Wie Zauner in der anschließenden Diskussionsrunde berichtet, ist auch bei so jungen Unternehmen wie seinem der Druck aus dem Ausland groß – oder die Versuchung. „Es ist relativ leicht, außerhalb Europas an die nötige Finanzierung zu kommen, die Angebote aus Asien oder dem angelsächsischen Raum sind da“, sagte der Vorstand. „In Deutschland reagiert man schon verhaltener, mit Risikokapital in solche frühen Projekte zu investieren – die Autobranche investiert meist erst, wenn man kurz vor der Produktion steht. Es gibt ein Bekenntnis und wie wir bei der Regierungsreise festgestellt haben, auch bei Olaf Scholz ein großes Bewusstsein dafür. Die Taten bleiben aber aus.“

„Übergeordnet sind die Zeichen gestellt“, entgegnet ZSW-Vorstand Hölzle, die auch politische Kreise berät. „Es kommt aber auf die Ebene an. Wir haben ein europäisches Problem: Nicht jedes Land hat eine Autoindustrie, nicht jedes Land ist daran interessiert, schnelle Lösungen zu finden. Und selbst dann hängen Ministerien, Beamten-Apparate und Bewilligunszeiträume hinten dran.“

Doch können politischer Wille, (Förder-)Geld und beschleunigte Verfahren noch etwas am globalen Kräfteverhältnis ändern? Während Northvolt-Manager Steinbacher (trotz Perspektive als Europäer) lobend auf die Entwicklungen in den USA blickt, ist es für Zauner nach eigenen Angaben schon „fünf nach zwölf“: „Wir sind zu spät dran. Gerade im Rohstoffbereich hat die chinesische Politik mit ihrer Planwirtschaft früh Tatsachen geschaffen, auch in Südamerika, in Afrika“, sagt der Deutsche-E-Metalle-Vorstand. „Wenn man sich dort Lizenzen und Rohstoffe sichern will, ist das meist David gegen Goliath.“

„Tesla denkt out-of-the-box“

Dabei zeichnet sich ab: Wer in der Autobranche die Batterie schon früh nicht nur als Commodity, sondern als wichtigen Teil seiner künftigen Wertschöpfung begriffen hat, ist heute im Vorteil – Tesla zum Beispiel, das gerade aus der deutschen Autoindustrie für seine Batteriepläne lange belächelt und dann doch plötzlich sehr ernst genommen wurde. „Tesla denkt out-of-the-box, hat inzwischen sehr viel Know-how intern aufgebaut und kann Dinge selbst schnell bewerten und entscheiden – ohne stundenlange Diskussionen und Konferenzen mit x Zulieferern“, sagt Hölzle. „Ich sehe daher Tesla nicht als Risiko für Mercedes oder BMW, sondern für die deutsche Zuliefererindustrie.“

Das zweite Panel am Nachmittag wurde von Saskia Wessel, Fraunhofer-Einrichtung Forschungsfertigung Batteriezelle (FFB), eröffnet. Die Bereichsleiterin Produkt- und Produktionstechnologie stellte die flexiblen Zelldesigns der FFB vor. Soviel vorweg: Bei der Produktionskapazität von bis zu sieben Gigawattstunden pro Jahr handelt es sich bei der FFB um einen theoretischen Wert – der Fokus liegt auf der Forschung mit entsprechend häufigen Stillständen für Optimierungen, nicht mit dem Fokus auf maximale Auslastung wie bei einem kommerziellen Betreiber. Und natürlich mit einem Ein-Schicht-Betrieb anstatt der Produktion rund um die Uhr – die Anlagen der für 2026 geplanten „FFB Fab“ entsprechen aber jenen 7 GWh. Die derzeitige „FFB PreFab“ entspricht noch einer Produktionskapazität von 200 MWh/Jahr.

„Pouchzellen und Rundzellen sind für einige Anwendungen gefragt, in unserer Marktanalyse gehen wir aber davon aus, dass prismatische Zellen 2030 den größten Anteil ausmachen werden“, sagte Wessel. „Daher werden wir schon in der PreFab prismatische Zellen priorisieren. Bei allen drei Formaten ist aber klar, dass die Zellen größer werden als das, was wir vor einigen Jahren gesehen haben.“ Dabei geht es vor allem um die Sicht der Autobranche. Andere Anwender, etwa Power Tools, haben ganz andere Anforderungen an künftige Batteriezellen.

Aber auch in der Autobranche sind die Anforderungen vom reinen Fokus auf Energiedichte und Reichweite diverser geworden – je nach Modell geht es um die höchste Performance in einer spezifischen Anwendung (zum Beispiel Schnellladen), möglichst niedrige Kosten für Einstiegsmodelle oder auch höchste Performance in mehreren Anwendungen – also ein Kompromiss aus hoher Energiedichte für eine hohe Reichweite, kurze Ladezeiten und niedrige Kosten.

Fünf Pouchzellen-Formate, drei prismatische Zellen

„Wir werden Anfang 2024 in der PreFab erste Pouch- und prismatische Zellen als A-Muster zu produzieren“, berichtet Wessel über die Roadmap. „Bis Ende 2024 soll die Linie dann auch Natrium-Ionen-Batterien fertigen können. Mit der ‚FFB Fab‘ ab 2026 werden wir auch im C- oder D-Muster-Maßstab Rundzellen fertigen können.“ Die Validierung bei Partnern wird aber schon in diesem Jahr anlaufen. Dabei wird es sich um verschiedene Zellchemien und Formate handeln, bei der Pouchzelle sind zum Beispiel fünf Formate geplant, bei der prismatischen Zelle derzeit zwei.

Aber selbst bei dem Aufbau einer Forschungsfertigung bekommt Wessel die Auswirkungen des Inflation Reduction Act zu spüren. „Aktuell sind die Zulieferer einiger Komponenten ein Flaschenhals. Es sind kaum Kapazitäten vorhanden und teils werden angekündigte Projekte verlagert“, berichtet die FFB-Managerin. „Wir suchen vor allem im Bereich der Peripherie wie Gehäuse, Deckel oder Ableitern nach Partnern, die und dabei unterstützen, für unsere spezifische Anwendung flexibel die Komponenten zu fertigen.“

Bei den bisherigen Vorträgen ging es eher allgemein um die Batterie, aber auch den in Deutschland weit verbreiteten Fokus auf Elektroautos. Thomas Prohaska, Produktmanager Batteriesysteme bei dem Schweizer Nutzfahrzeughersteller Designwerk, denkt in größeren Maßstäben – er und sein Team haben bekanntlich bereits E-Lkw mit 1.000 kWh großen Batteriepacks auf die Straße gebracht.

Doch nicht nur die Größe der Batterien unterscheidet sich bei Designwerk, die Schweizer haben sich auch für andere Teile der Wertschöpfungskette entschieden: Sie steigen erst bei der Entwicklung und Montage von Batteriepaketen an, integrieren diese in eigene Fahrzeuge, beraten und unterstützen die Kunden im Betrieb und schauen auf auf die Rücknahme und das Recycling. „Wir haben uns bewusst entschieden, auf fertige Module zurückzugreifen und die Themen Rohstoffe und Zellfertigung Partnern zu überlassen“, erklärte Prohaska. Die neueste Batteriesystem-Generation hatte Designwerk erst Mitte März vorgestellt.

Für diese neue Generation stellt Prohaska beispielhaft drei Konfigurationen für das Fahrzeug MC Logistics vor. Von 508 kWh bei vier Metern Radstand für 350 Kilometer bis hin zu 1.017 kWh bei 5,8 Metern Radstand ist alles möglich – die vier Batteriepakete für 700 Kilometer Reichweite wiegen übrigens 5,6 Tonnen. Es geht aber nicht nur um theoretische Werte: Prohaska berichtete auch vom real ermittelten Tagesprofil einer Sattelzugmaschine High Cab Semi 6×2 T mit 900 kWh. Mit voller Beladung und einem Ladestopp in der ohnehin fälligen Mittagspause ist das Fahrzeug 814 Kilometer weit gefahren. „Nimmt man die Batterie mit einer Megawattstunde, werden auch 1.000 Kilometer am Tag möglich“, so der Produktmanager.

Was diese Entwicklung möglich gemacht hat, ist die stetig gestiegene Energiedichte der zugekauften Zellen. Auf Batteriesystem-Ebene ist die Energiedichte so von 136 Wh/l im Jahr 2016 auf nun 257 Wh/l gestiegen – das sind 85 Prozent mehr in sieben Jahren. „Das hat die Elektromobilität im Lkw möglich gemacht“, sagte Prohaska und verweist aber auch auf die gestiegenen Nickel-Anteile in der Kathode, aber auch auf Siliziumanteile in der Anode – wie Professor Hölzle in seinem Auftakt-Beitrag aufgeschlüsselt hat.

Designwerk lanciert LFP-Zellen im Lkw – ab 2024

Da im energiehungrigen Lkw mit dreistelligen Verbräuchen pro 100 Kilometer die Energiedichte und Reichweite die entscheidenden Faktoren waren, hat man bisher fast ausschließlich auf NMC-Zellen gesetzt. Das fängt gerade an, sich zu ändern. „Wir sehen, dass die Erhöhung der Energiedichte auf bei LFP rasant zunimmt. Daher ergibt es Sinn, auch bei Lastwagen auf LFP zu setzen“, so Prohaska. Im kommenden Jahr wird Desingwerk sein Portfolio um ein entsprechendes Produkt erweitern. Für die Lithium-Eisenphosphat-Technologie sprechen die Zyklenanzahl, aber auch die Kosten pro Kilometer – Lebensdauer und Betreibskosten sind im Lkw-Bereich bekanntlich extrem wichtig.

Last, but not least, blickt bei der 27. Ausgabe von „electrive.net LIVE“ Ferdinand Ferstl, Team Lead E-Mobility Industrialization bei P3 Automotive, auf die aktuellen Trends in der Batterie-Entwicklung. „Die vier Trends Gewicht/Energiedichte, Kosten, Sicherheit und Nachhaltigkeit sind die Treiber der Batterie-Entwicklung“, berichtete der Batterie-Experte der Unternehmensberatung. „Da sie je nach Markt und Kunde unterschiedlich stark gewichtet werden, ergeben sich so unterschiedliche Lösungen.“

Als Beispiel führt Ferstl die Batteriepacks aus dem BMW i4, Tesla Model 3 Long Range und Hyundai Ioniq 5 an – alle kommen auf einen vergleichbaren Energiegehalt, mal mit Vorteilen bei der gravimetrischen Energiedichte, mal bei der volumetrischen. Aber: Da es sich im prismatische Zellen (BMW), Rundzellen im Tesla und Pouch-Zellen im Hyundai handelt, gibt es auch Unterschiede beim Aufwand, der für die Sicherheit der Batterie notwendig ist, aber auch bei der Elektronik-Architektur rund um die Batterie und dem Kühlsystem.Und es handelt sich bei allen drei Batterien um den klassischen Aufbau mit Modulen als Zwischenschritt.

Der dabei wichtige Punkt: Einige der Maßnahmen, mit denen die vier Trends in den neuen Batterien umgesetzt werden können, sind nicht kompatibel und arbeiten gegeneinander. Um etwa das Gewicht zu senken, können die Unternehmen auf Leichtbaumaterialien setzen, unterschiedliche Funktionen in einem Bauteil zusammenfassen oder etwa auf Cell-to-Pack- oder Cell-to-Chassis-Konzepte setzen. Möchte man hingegen die Sicherheit verbessern, werden zum Beispiel ein aufwändigeres brandsicheres Gehäuse oder Systeme zum Vermeiden thermaler Propagation (dass eine beschädigte und überhitzte Zelle benachbarte Zellen über den kritischen Punkt hinaus erhitzt) nötig. Das erhöht aber das Gewicht. Ähnliches gilt, wenn man die Nachhaltigkeit und Recyclingfähigkeit einer Batterie verbessern will: Wenn eine Batterie so ausgelegt wird, dass sie einfach zu reparieren und für das Recycling schnell zu demontieren ist, läuft das in der Regel den derzeit verbreiteteren Trends zu Cell-to-Pack-Systemen und der weiteren Integration entgegen.

Cell-to-Chassis-Konzepte meist schlecht für das Recycling

Um das zu untermauern, verweist Ferstl auf zwei Fahrzeuge von BYD, denn beim Han EV und Seal kommen zwei unterschiedliche Varianten der hauseigenen Blade-Batterie zum Einsatz. Im Han werden 92 große Batteriezellen in ein relativ leichtes Batteriegehäuse gesetzt und sind darin wie Streben strukturell belastet – ein Cell-to-Pack-Konzept. Im BYD Seal werden die prismatischen Zellen mit dem Gehäuse und Gehäusedeckel verklebt, der Deckel des Batteriegehäuses dient dann als Fahrzeugboden. Dieses Cell-to-Chassis-Konzept verringert zwar weiter das Gewicht und ermöglicht potenziell höhere Reichweiten. Einfach zu reparieren und zu recyceln ist eine solche verklebte Batterie aber nicht.

„Europäische Autobauer haben noch keine Cell-to-Pack- oder Cell-to-Chassis-Modelle auf dem Markt, die werden bis zur Mitte des Jahrzehnts kommen“, sage Ferstl. „Damit liegen sie etwa drei bis vier Jahre hinter den chinesischen Wettbewerbern.“ Eine weitere Entwicklung aus Asien: Dort sind auch bereits Cell-to-Pack-Batterien angekündigt, die auf nicht-prismatischen Zellen basieren sollen, etwa von LGES und Farasis mit Pouchzellen – bisher nutzen Cell-to-Pack-Systeme entweder Rundzellen oder wie bei BYD prismatische LFP-Zellen.

Ferstls Eindruck: „Die europäischen OEM sind an genau diesen Themen dran, es dauert jetzt aber eben noch diese drei bis vier Jahre, bis dieses Systeme dann auf den Markt kommen. Die Industrie ist auf dem richtigen Weg, muss aber in diese Richtung weiter denken!“

Fraunhofer-Expertin Wessel sieht bei der Recycling-Fähigkeit der Cell-to-Pack-Batterien auch „eine große Herausforderung“, wie sie in der abschließenden Diskussionsrunde angibt. „Es ist an sich eine clevere Idee, aber bei Sicherheit und Recycling noch nicht final entwickelt.“

Wir bleiben dran – es wird auch in Zukunft wieder eine Ausgabe unserer Online-Konferenz zur Batterietechnologie geben – womöglich dann mit Ansätzen zum Recycling von Cell-to-Pack-Batterien. Die 28. Ausgabe von „electrive.net LIVE“ findet am 28. April 2023 statt. Das Thema: Smart Charging – Zukunft des Ladens.

4 Kommentare

zu „Batterie: Europa im Zangengriff des Inflation Reduction Act“
Sig
03.04.2023 um 07:54
"Reichweitenangst"? würde man, wie in SWE, NOR, FIN schon seit Jahrzehnten, an jedem Parkplatz eine Steckdose hinschrauben, wäre auch dieses Problem gelöst. Ist wahrscheinlich im Vergleich zur Scheuert Wallbox zu günstig... https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/7/75/Standheizung-Schweden.jpg/220px-Standheizung-Schweden.jpg
Dieter Schleenstein
04.04.2023 um 18:24
Die Steckdosen sind für die E-Heizung vorgesehen, nicht zum Aufladen. Mit 3,6 kW oder weniger braucht ein EV zu lange, selbst 10 h nachts reichen da nicht.
Max
03.04.2023 um 15:09
Und unter jedem Artikel ein "Überall-Schuko"-Beitrag von Sig, egal wie groß oder klein der Bezug zum Artikel
Franz Rüther
07.04.2023 um 10:19
Ich unterstelle mal, du hattest gestern voll geladen.Du musstest und konntest also in der Nacht von gestern auf heute nur die Strommenge nachladen, die du gestern verbraucht hattest. Jeden Morgenn steht dir wieder eine volle Batterie (85%, 100%) zur Verfügung, wenn dein BEV abends angesteckt wurdeJeder Deutsche fährt 14.000 km pro Jahr oder rund 40 km pro Tag und braucht so 8 kWh/d.Wenn du nun 36 kWh pro Tag lädst, dann reicht die Strommenge für 180 km pro Tag oder 65.000 km pro Jahr.Eine 11 kW Wallbox schafft sogar 550 Kilometer pro Tag oder 200.000 Kilometer pro Jahr.Und das Beste ist, du fährst nur noch zum Autowaschen zur Tankstelle.PS: Dem Strom aus der Steckdose ist es egal, ob eine Mikrowelle, ein Toaster oder eine Powerbank angeschlossen ist.

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