Viel Akku, viel Leistung, viel Komfort: Ein Roadtrip mit dem BMW iX xDrive50
Nach diversen Fahrten in und um München geht es für uns in einem Tag nach Amsterdam und zwei Tage später wieder zurück nach München. Da wir den BMW iX xDrive50 bereits in der Vergangenheit im Test hatten, soll es in diesem Bericht deshalb nicht nur um das Auto auf der Langstrecke gehen, sondern auch um unsere Erfahrungen mit der Ladeinfrastruktur.
Nierenleiden
Das Design des iX ist eines von der Kategorie, an die man sich erst noch gewöhnen muss. Die Proportionen sind ungewohnt, lange Motorhaube und Kühlergrill-Imitat lassen hier auf den ersten Blick keinen Elektroantrieb vermuten, das Heck ist unten sehr massiv und wird nach oben deutlich zierlicher, es erinnert entfernt an die Silhouette einer Birne. Je öfter man den Wagen aber ansieht, desto gefälliger wird das Design, nach Ende unserer Reise hat mir das Heck ziemlich gefallen – nur mit dem Grillimitat werde ich mich wohl nie anfreunden. Gewissermaßen ist das aber eine weitere Parallele zum i3: Dessen Design ist auch sehr unkonventionell, aber mit der Zeit wird es gefälliger.
Luftiges Interieur
Im Innenraum finden sich weitere Referenzen auf den i3: Das Armaturenbrett ist etwas abgesetzt und scheint zu schweben, außerdem wurde auf eine allzu massive Mittelkonsole verzichtet – stattdessen findet zwischen Fahrer und Beifahrer noch problemlos eine kleine Reisetasche Platz. Ein bisschen fühlt man sich im iX wie ein einem rollenden Wohnzimmer, gerade auf der Rückbank sitzt es sich sehr komfortabel: Solide Oberschenkelauflage, fürstliche Beinfreiheit und genug Luft über dem Kopf. Möglich wird das unter anderem durch den Radstand, der mit drei Metern für ein „nur“ 4,95 Meter langes Fahrzeug außergewöhnlich lang ausfällt. Beim Fahren fühlt er sich allerdings deutlich kürzer an, Hinterachslenkung sei Dank. Den Platz im Fond erkauft der Wagen sich durch einen relativ kleinen Kofferraum: 500 Liter sind zwar nicht wenig – für ein Fahrzeug dieser Größe aber auch nicht viel. Klappt man die Sitze um, stehen 1.700 Liter zur Verfügung. Platz für Skier findet sich reichlich, der Mittelsitz lässt sich nämlich einzeln wegklappen.
Unseren ersten Ladestopp machen wir am Supercharger Leonberg bei Stuttgart, um obligatorisch auszuprobieren, wie gut die Tesla-Ladesäule den BMW akzeptiert. Es funktioniert wunderbar und mit voller Leistung – wenngleich die Freischaltung des Ladepunkts über die Tesla-App etwas umständlich sein kann. Deutlich bequemer geht es mit einer Ladekarte oder mit Plug&Charge- bzw. Autocharge-Lösungen (Identifizierung des Autos direkt über den Stecker, ohne Ladekarte oder App). Bei Tesla ist dieses Feature leider Tesla-Modellen vorbehalten.
Gutes Reisemobil
Auch wenn unser Testwagen mit der Kraft von 523 elektrischen Pferdchen nach vorne prescht, ist der iX definitiv kein sportliches Auto. Die 2,5 Tonnen Leer(!)gewicht wollen in engen Kurven einfach zu stark nach außen, die Sitzposition ist zwar sehr bequem, aber eben auch viel zu weit von der Straße entfernt und mehr Seitenhalt hätte auch nicht geschadet. Etwas anderes kann der iX dafür aber wirklich hervorragend: Komfortabel lange Strecken zurücklegen. In einer Woche Test haben wir insgesamt 2.000 Kilometer abgespult, der Großteil davon an zwei Tagen, an denen wir jeweils von München nach Amsterdam bzw. retour gefahren sind. In vielen anderen Elektroautos mit hoher Reichweite habe ich mir Ladepausen oft auch deshalb herbeigesehnt, weil man auf ihren Sitzen nicht viele Stunden am Stück verbringen möchte. Beim BMW hingegen will man gar nicht aussteigen, auch nach vielen hundert Kilometern sitzt es sich auf allen Plätzen hervorragend. Beheizt sind übrigens nicht nur alle Sitze, sondern auch die zugehörigen Ablagen für die Arme. Hier würde man es wahrscheinlich auch 800 Kilometer am Stück aushalten – wäre da nicht ein Problem.
Sein größter Feind: Der Luftwiderstand
Der Akku ist mit 108,8 kWh netto mehr als üppig, sein Verbrauch aber auch. Im niederländischen Streckenabschnitt, wo mittlerweile ja durchgängig Tempo 100 angesagt ist, lag unser Durchschnittsverbrauch bei 24,2 kWh/100km. Das entspricht zwar immer noch einer Realreichweite von über 400 Kilometern, aber das schafft der BMW i4 auch, der führt dafür aber nur 80 kWh mit, bei nahezu baugleichen E-Maschinen. Bei Tempo 130 schrumpft die Reichweite auf 300 Kilomater zusammen – unser Gesamtschnitt für die komplette Tour lag bei 32 kWh/100km (wir hatten aber auch viel Spaß und haben ab und an die Maximalgeschwindigkeit von 203 km/h ausgenutzt).
Zur Ehrenrettung des iX sind natürlich die Randbedingungen relevant: Das Thermometer ist während unserer gesamten Reise fast nie über den Gefrierpunkt geklettert und wir haben den Innenraum immer mollig warm eingeheizt – im Sommer sind da sicher mindestens 50, wahrscheinlich eher 100 Kilometer mehr Reichweite drin. Trotzdem: Wer wirklich sehr viele sehr lange Strecken fahren will, greift lieber zu einem windschnittigeren Auto.
Unseren zweiten Ladestopp legen wir am Autobahnkreuz Hilden ein und verweilen deutlich länger, als das Auto es eigentlich bräuchte. Die Pizzen im angeschlossenen Bäckershop sind einfach zu lecker, da können wir erst nach einer ausgiebigen Essenpause weiter. Manchmal gibt eben nicht der Ladevorgang die Länge der Pause vor.
Laden: Das Maximum aus 400 Volt herausgeholt
Im Gegensatz zum VW-Konzern oder Kia/Hyundai setzt BMW (noch) nicht auf eine 800-Volt-Architektur, sondern auf die bewährten 400 Volt. Nichtsdestotrotz liegt die Peak-Ladeleistung bei stolzen 195 kW. Auch die Ladekurve ist nicht schlecht, lange Zeit bewegt er sich zwischen 150 und 180 kW, von zehn bis 80 Prozent vergehen exakt 35 Minuten.
Kälte ist natürlich auch hier der Feind, mit komplett ausgekühlter Batterie kann die Ladeleistung auf 50 kW absinken und steigt dann im Laufe des Ladevorgangs nicht über 90 kW. Essenziell ist es deshalb, die Batterieheizung zu aktivieren (einen Ladepunkt ins Navi eingeben). Einen Button zur manuellen Batterieheizung suchten wir leider vergeblich. Das angekündigte Update mit der Möglichkeit, die Batterie auf Knopfdruck vorzuheizen, hatte der Testwagen noch nicht.
Wirklich benötigt haben wir diese Funktion aber nicht: Während der beiden Ladestopps war das Auto schneller zur Weiterfahrt bereit als die Passagiere.
Software: Aufgeräumt und mit hervorragendem Bedienkonzept
Lange Zeit galt die Software als zentrale Schwachstelle bei Fahrzeugen etablierter Hersteller, die zwar Autobau in Sachen an sich sehr gut beherrschten, aber eben keine Software-Entwickler sind. Davon ist im Infotainment-System des iX nichts mehr übrig, es läuft flüssig, hat einen guten Ladeplaner, eine saubere Spotify-Integration und vor allem: Ein sicheres, ausgefeiltes Bedienkonzept und keinen lieblos in die Landschaft geklebten Touchscreen. Dreh-Drück-Regler sind zwar gerne als altmodisch verschrien, aber wer mal versucht hat, in einem fahrenden und wackelnden Auto einen Touchscreen zu bedienen, weiß einen Dreh-Drück-Regler schnell zu schätzen.
Ein wirkliches Schmankerl ist aber das Head-Up-Display, das so viele Informationen so gut aufbereitet, dass man nur selten auf den Zentralbildschirm schauen muss und somit den Blick stets auf der Straße behalten kann. Egal ob Navi-Anweisungen oder durch Spotify-Playlisten scrollen – der Fahrer sieht fast alles Wichtige in der Frontscheibe und kann das System vom Lenkrad aus bedienen.
Immer online, immer informiert
Eine angenehm positive Überraschung war die myBMW App, die dem gemeinen Autotester (aber nicht nur dem) mit wirklich vielen Features eine große Hilfe ist. Die Bilder der Kameras innen und außen lassen sich direkt aufs Smartphone übertragen, das Fahrzeug orten, vorklimatisieren oder eine Route an das Navi schicken – es gibt fast nichts, was die App nicht kann. Für uns besonders angenehm: Wir mussten keine Verbrauchswerte mehr abfotografieren oder manuell notieren, weil die App alles perfekt aufbereitet zur Verfügung stellt und die Statistiken zu den Ladevorgängen sogar in eine .csv-Datei exportieren kann. Hier können sich viele andere Anbieter definitiv eine Scheibe abschneiden.
Schildererkennung: Vorbild für die Konkurrenz
Auch die Fahrerassistenzsysteme waren sehr gut. Spur und Abstand hält der iX auf normalen Autobahnen perfekt, auf kurvigeren Strecken ist er etwas unsicher, ebenso über 150 km/h. Auf Befehl durch Antippen des Blinkerhebels erledigt er auch Spurwechsel von allein. Am Beeindruckensten fand ich aber tatsächlich die Schildererkennung. Von Teslas chronisch dysfunktionaler Schildererkennung geprägt, war das BMW System eine echte Wohltat. Er erfasst nicht nur alle Schilder sofort und richtig – er hat auch eine sehr gute Vorhersage, die einem ein kommendes Limit oder dessen Aufhebung ankündigt. Wie oft habe ich schon am Ende einer Baustelle Vollstrom gegeben, nur um drei Kilometer später für die nächste Baustelle wieder in die Eisen zu steigen. Das passiert im iX nicht, der sagt nämlich vorher, dass bald wieder ein Limit kommt und sich großartiges Beschleunigen nicht lohnt.
Angekommen in Amsterdam stecken wir einfach im Hotel an – wo in Deutschland mit viel Liebe eine Wallbox pro Hotel zu finden ist, sind in den Niederlanden schnell zehn oder mehr Ladepunkte verfügbar. In Sachen Destination Charging sind unsere Nachbarn ein wirklich gutes Vorbild.
Den Rückweg machen wir über Soest (Aral Pulse) und Quirla (Allego), bevor ich am Autohof Mitterteich aussteige und mein Co-Pilot Johannes die letzte Etappe nach München alleine zurücklegt.
Reichweitenangst ist so 2020
Ein Roadtrip in die Niederlande ist mit einem Elektroauto heute genauso leicht wie mit einem Verbrenner. Mehrere Ladekarten mitzuführen kann zwar für bessere Preise sinnvoll sein – aber an einer Säule stranden, weil die Ladekarte nicht akzeptiert wird, ist de facto nicht mehr möglich. Auch die Flächendeckung hat sich massiv verbessert. Vor fünf Jahren war es tatsächlich in vielen Gegenden schwierig, Schnellladestationen zu finden. Vor zwei Jahren hat man zwar überall CCS-Ladepunkte gefunden, aber für solche mit mehr als 300 kW war schon etwas Planung nötig.
Heute gibt es so viele 300-kW-Schnelllader, dass bei diesem Roadtrip unser Hauptkriterium war, bei welchem Ladestopp das beste Restaurant verfügbar ist. Es ist fast schon langweilig geworden, mit Elektroautos lange Strecken zu fahren, auf der Strecke München-Amsterdam und zurück haben wir pro Richtung jeweils knapp eine Stunde länger gebraucht als mit einem Diesel, der die Strecke sicher hätte durchfahren können. Das ist bei acht Stunden reiner Fahrzeit völlig im Rahmen.
BMW wird elektrisch
Und auch bei BMW hat sich wirklich einiges getan. Zwar senden die Münchner immer noch gemischte Signale, was ihren zukünftigen Kurs angeht – z.B. mit einem Projekt für 100 Wasserstoff-Fahrzeuge, die primär Bayerns Twitter-Minister Hubert Aiwanger glücklich machen sollen. Die Produkte sprechen aber eine sehr klare Sprache: BMWs Zukunft ist elektrisch. Batterie-elektrisch. Die Zeit, in der man, geprägt vom anfänglich ausbleibenden Erfolg des i3, Elektromobilität nur stiefmütterlich behandelte, sind definitiv vorbei. Der iX ist nicht nur einer der besten BMWs, sondern auch insgesamt eines der besten Elektroautos am Markt. BMW kann Elektro – jetzt müssen sie nur noch zeigen, dass sie das auch zu bezahlbaren Preisen können. Mit 124.000 Euro ist unser Testwagen doch recht happig bepreist gewesen.
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