Wie ZF eMobility-Software in der Formel E entwickelt
Wenn am Wochenende die Formel E ihr neuntes Saisonrennen in Monaco startet, ist auch ZF wieder mit dabei. Der deutsche Zulieferer baut den Antrieb für Mahindra und Abt-Cupra. Im Interview erklärt ZF-Motorsportchef Sascha Ricanek, wo die Herausforderungen für seine Ingenieure liegen, was ZF im E-Motorsport für Serienautos lernt und welchen Stellenwert die Software hat.
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Mit den schnellsten Formel-E-Autos aller Zeiten ist die Elektro-Rennserie im Januar in die neue Saison gestartet. Das Auto selbst ist für alle Teams bekanntlich gleich, die E-Antriebe entwickeln die Hersteller aber selbst. Neben Porsche, Jaguar, Nissan, dem Stellantis-Konzern mit seinen Marken DS und Maserati sowie dem chinesischen E-Auto-Startup Nio entwickelt und baut auch der deutsche Zulieferer ZF Formel-E-Antriebe. Eingesetzt werden diese vom indischen Rennstall Mahindra und dessen Kunden-Team Abt-Cupra aus dem Allgäu.
Die Saison läuft für die beiden Teams aber nicht wie gewünscht – dabei fing es mit der Pole Position und dem Podestplatz von Mahindra-Fahrer Lucas di Grassi beim Auftakt in Mexiko sehr gut an. Doch seitdem konnte der frühere Formel-E-Champion nicht mehr punkten, sein Teamkollege Oliver Rowland auch nur zwei Mal. Bei Abt-Cupra gab es hingegen erst in Berlin die ersten Zähler der Saison – drei Punkte für die im Regen erzielte Pole Position von Robin Frijns, zwei weitere für Platz 9 im Rennen von Nico Müller. Mahindra ist zur Saison-Halbzeit Achter, Abt-Cupra Elfter – von elf Teams.
Am Rande des Rennwochenendes in Berlin stand Sascha Ricanek, seines Zeichens Motorsportchef von ZF, im Interview mit electrive.net Rede und Antwort. Er räumt ein, dass „wir noch nicht auf dem Niveau sind, welches wir gerne hätten“. An dem Formel-E-Engagement des Zulieferers will er trotz der bisher mauen Ergebnisse nicht rütteln. Das hat einen guten Grund, denn vor allem bei der Software für die E-Antriebe sind die Lerneffekte für Serienfahrzeuge laut Ricanek enorm.
Im Interview spricht Ricanek über die Entwicklung von Hard- und Software, den Kulturwandel bei der Technologie und erzählt, wie die Formel E dazu geführt hat, dass ZF bereits heute 800-Volt-Systeme mit Siliziumcarbid-Halbleitern für Straßenautos anbietet.
Herr Ricanek, die ersten Rennen mit den Generation-3-Rennwagen der Formel E und den stärkeren Antrieben sind gelaufen. Wie fällt das Zwischenfazit aus? Was lief gut für ZF? Was hätte besser laufen können?
Das erste Zwischenfazit, das zeigen die Ergebnisse, ist ein bisschen ernüchternd für uns, weniger für ZF alleinstehend, sondern für das ganze Team, zusammen mit Mahindra und Abt. Das liegt daran, dass wir leider zu spät das Fahrzeug fertig bekommen haben, um früh in das Testing zu gehen. Mit einem komplett neuen Auto mit 100 kW mehr, ist das Testing essentiell. Das haben wir leider zu spät angefangen, sodass wir während der ersten Rennen auch testen und das sieht man an den Ergebnissen. Wir sind noch nicht auf dem Niveau, auf dem wir sein wollen und deswegen gibt es noch viel Freiraum, um besser zu werden. Daran arbeiten wir. Wir sind weiter motiviert. Wir sind committed zu dieser Rennserie, aber die ersten Rennen waren eher Lessons Learned als ergebnisorientiert.
Sie haben es angesprochen, Abt-Cupra war vor den beiden Rennen hier in Berlin noch punktelos. Hier und da hat auch das Glück gefehlt. Da schließt sich die Frage an, wie sehr leidet man als Motorsportmann auch mit, wenn es gerade vielleicht nicht an den Antrieben lag?
Wenn wir das Wort Motorsport auseinandernehmen, dann steckt das Wort Sport darin. Im Sport will man gewinnen, deshalb treten wir alle an. Deshalb leiden wir extrem, keine Frage, aber wir sind auch Ingenieure und müssen die Essenz daraus ziehen, was da genau passiert. Das ist nichts anderes, als dass wir noch nicht auf dem Niveau sind, welches wir gerne hätten. Wir leiden auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite motiviert es uns, besser zu werden. Das ist das Ziel im Moment, schnell zu reagieren, schnell die richtigen Schlüsse zu ziehen und das machen wir.
Die Formel E ist mit diesen engen Stadtkursen auch manchmal wie eine Lotterie. Man weiß nie, was letzten Endes passiert, um auch unfallfrei durch das enge Feld zu kommen. Das Energiemanagement spielt eine entscheidende Rolle. Ist das alles nicht auch für das Publikum ein bisschen sehr speziell auf diese elektrische Rennserie zugeschnitten?
Ja und nein. Am Ende muss man sagen, Elektrofahren ist auch im wahren Leben eine Lotterie. Wir lernen noch viel. Auch wenn man sich so ein Auto privat kauft, muss man es verstehen. Man muss ein anderes Fahrverhalten an den Tag legen. Man muss schauen, wie man mit der Reichweite haushaltet. Man muss verstehen, wie lange man laden kann, damit man immer voll ist und noch mehr. Ähnlich ist es im Motorsport, deswegen erscheint es für einen Hardcore-Motorsportfan etwas sehr komplex und etwas sehr weit hergeholt. Das ist es am Ende aber gar nicht, sondern es reflektiert die Realität relativ genau. Auf der Basis würde ich sagen, wir müssen es verstehen lernen. Da ist natürlich die Frage, wer möchte es verstehen? Was wir in der Formel E merken, ist, dass wir eine ganz andere Generation ansprechen, die eher auf Nachhaltigkeit ausgelegt ist, eher auf CO2- Themen schaut und weniger auf V12- und V8- Geräusche.
Jetzt haben Sie letzten Endes angesprochen, dass Sie als ZF als Unternehmen auch viel lernen wollen. Was nimmt man hier von der Rennstrecke für die Serie, für die Straße und für den Endverbraucher mit?
Als ZF nimmt man sehr, sehr viel mit. Man muss dazu sagen, wir hätten das 800-Volt-Siliziumcarbid- System ohne Formel E niemals in die Serie gebracht. Damals haben unsere Serienentwickler gesagt, dass das nicht das richtige System ist. Es war zu früh. Es war zu teuer. In der Formel E haben wir es dann eingesetzt und relativ schnell in die Serie gebracht, deswegen sind wir heute zu Recht an der Stelle weltweit Marktführer in der Zulieferung von E-Antrieben in die Serie mit diesem 800-Volt-System. Von daher nehmen wir für den Straßengebrauch sehr, sehr viel mit. Wir müssen weiterhin viel und schnell an der Stelle lernen, denn wie wir alle wissen, beklagen sich viele immer noch über die Reichweite bei elektrischen Autos und Ladestrukturen, weil es lange dauert und so weiter. Da versuchen wir über die Formel E weiter an neuen Lösungen zu arbeiten, die wir zumindest bei uns im Haus immer direkt in die Serie überspielen.
Machen wir es konkret, was hat ein Antrieb aus einem Formel-E-Rennwagen mit einem Serienauto zu tun, wenn man auf den Antrieb, auf die Wechselrichter und die Steuerungssoftware schaut?
Zum Glück haben Sie Software noch erwähnt, weil wir natürlich ein von Hardware getriebenes Unternehmen aus der Vergangenheit sind. Die Hardware war immer anders im Rennsport als in der Serie. Auch eine Formel-1-Kupplung oder ein -Dämpfer – das hat miteinander nie was zu tun. Aber auf der Feature- und Applikationsseite übernehmen wir sehr, sehr viel und das ist im Moment die Software im Antrieb. Das heißt, auf der Softwaresteuerungs-, Betriebsmanagement- und Energiemanagementebene lernen wir extrem viel, was wir dann in die Serie hineinbringen. Teile der Entwickler von der Formel E sitzen bei uns in der Serie. Sie sind an die Serie direkt angebunden, im Advanced Engineering, in der Vorentwicklung und spiegeln das, was wir hier an Erkenntnissen herausziehen, täglich und wöchentlich in neuen Serienprojekten wider.
Sie haben Siliziumcarbid schon angesprochen, das ist ein Trendthema der Elektromobilität. Das hat ZF früh besetzt und ist jetzt auch an der Wolfspeed-Fabrik für Siliziumcarbid im Saarland beteiligt. Profitiert man direkt von den Learnings in der Formel E und konkret bei diesen Projekten, die jetzt anstehen?
Ja. Wir treiben Wolfspeed dahin, dass sie uns den kommenden Next-Generation-Chip für die Formel E zur Verfügung stellen. Natürlich hoffen wir, da auch für die Formel E zu lernen und auch anders herum, Wolfspeed und ZF gemeinsam aus der Formel E. Das ist immer ein Iterationsprozess, das ist ganz wichtig. Sie können im E-Antrieb nichts alleine auf die Beine stellen und sagen: „So funktioniert es.“ Wir haben ganz, ganz viele Komponenten, die auf dem Prüfstand extrem effizient sind, hoch performant sind und dann im Auto nicht das leisten, was sie könnten. Das liegt daran, dass die Komplexität hinter dem System und der Einfluss von außen so groß sind, dass wir das Systemverständnis auf Fahrzeugebene brauchen. Dafür brauchen wir starke Partner, die mithelfen und eine Kooperation dafür ist Wolfspeed.
Wo liegt denn für Ihre Ingenieure die technische Herausforderung, wenn zum Beispiel die Leistung des Antriebs in dem Regelwerk auf maximal 350 kW limitiert ist?
Das ist alles Software. Der Anspruch liegt in der Software. Die Hardware ist einmal entwickelt und sie ist homologiert. Die können und müssen wir auch nicht ändern. Da holen Sie marginal noch Effizienzen heraus, wenn überhaupt, aber das bringt relativ wenig, sondern es geht um die Steuerung und zu verstehen, wie liegt das Auto auf der Straße, wie rekuperiert es, wie reagiert es in Kurven et cetera und was heißt das dann für ihre Effizienzbilanz. Gerade die Themen wie hohe Drehzahl, niedrige Drehzahl, wie verhält sich dort das System und wie viel Leistung zieht er dann – da gelten andere Mechanismen als im Verbrenner. Die Peakleistung kommt nicht bei höchster Drehzahl, sondern wir brauchen die untertourig in den Kurven in der Formel E. Das zu lernen, zu verstehen und umzusetzen, ist alles Software und das ist die größte Herausforderung für die Ingenieure.
Der Fokus auf die Effizienz ist auch bei aktuellen Serienmodellen wie dem Hyundai Ioniq 6 oder VW ID.7 zu sehen, diese Themen kommen in der Serie an! Musste da generell die Automotive-Welt, auch gerade die deutsche Automotive-Welt, erst einmal Erfahrung sammeln, um das jetzt besser ausrollen zu können, was andere schon länger machen? Ein Stichwort ist auch Tesla.
Ja und nein. Ich glaube, jetzt gehen wir auf ganz dünnes Eis, weil vieles ist nicht technologisch getrieben, sondern auch kulturell getrieben. Gerade in Deutschland, aber auch in Europa sind wir immer sehr verhalten. Wir wollen alles zwei Mal checken und testen. Diese E-Mobility-Welt, die auch viel mit Infrastruktur und Einflüssen zu tun hat, bedarf anderer Denkweisen, auch bei den Ingenieuren. Das heißt, unsere Teams müssen anders denken als noch vor 10 oder 15 Jahren. Bei ZF konkret ist es noch etwas schwieriger, weil wir historisch ein mechanisches Unternehmen sind. Das heißt, wir kommen aus der Hardwareproduktion. Früher konnten Sie bei uns ein Getriebe oder einen Dämpfer kaufen, das haben wir Ihnen auf den Hof gestellt und fertig war es. Heute reden wir über integrative und iterative Entwicklungsprozesse gemeinsam mit dem Kunden. Das müssen Sie erst einmal auch in den Kopf des Ingenieurs bekommen, unabhängig dessen, ob dieser technologisch weiß, was er macht. Das heißt, es ist ein Wandel der Kultur und der Technologie, deswegen reden wir von einer großen Transformation.
Kommen wir zurück zu der Formel E. Was wäre denn möglich, wenn es die 350-kW-Obergrenze nicht geben würde? Würden dann die Rundenzeiten sinken, oder bliebe es auf ähnlichem Niveau, weil man auch mit der Energie haushalten muss?
Wir können Ihnen auch 1.000 kW hinstellen, wenn Sie das gerne möchten. Wir hatten gerade interessante Gespräche. Ein E-Auto kann eine Beschleunigung an den Tag legen, da wird dem Endkunden schlecht und angst und bange. Das ist aber nicht das Ziel des Ganzen, das will keiner. Natürlich haben wir es limitiert, das hat auch mit Kosten und Sicherheit zu tun. Da gibt es viele Faktoren, die da mitsprechen. Es geht in der Formel E im Moment nicht darum, das schnellste Auto hinzustellen. Es geht darum, ein Auto zu zeigen, welches hochperformant und effizient ist, was auch die Batteriekapazitäten erlaubt, die in ein Formel-Auto passen und für ein 40-minütiges Rennen reichen. Daher ist die Leistung nicht der limitierende Faktor, aber es wird mit den nächsten Generationen sicher noch einmal hochgehen. Wir fahren auf Stadtkursen. Wenn Sie schauen, wie die Streckenbegrenzungen sind – wir wollen keine Formel-1-Autos im Moment haben, denn das würde nicht dem Konzept eines Stadtkurses entsprechen.
Was ist die Faustformel? Wie macht man ein Formel-E-Auto schnell und effizient zugleich? Kann man das noch einmal in drei Sätzen griffig zusammenfassen?
Auf jeden Fall brauchen Sie eine effiziente Hardware als Basis. Da spielt Gewicht ein sehr, sehr große Rolle. Da spielen thermische Parameter eine große Rolle. Wir reden viel über Wärme und Kälte, die unser System massiv beeinflussen. Am Ende ist es die Software, die Sie für jede Tages- und Nachtzeit und auf jede Wetterbedingung, zum Beispiel Regen, einstellen müssen. Deswegen haben wir permanent zwei Mann bei jedem Rennen vor Ort, die nichts anderes machen, als nur den Powertrain softwareseitig zu betreuen.
Zum Abschluss werfen wir einen Blick in die Glaskugel und schauen, wo die Reise für ZF und Formel E hingeht. Was würden Sie gerne noch für Herausforderungen meisten? Wo sehen Sie diese Rennserie in fünf Jahren?
Stand heute sind wir seitens ZF absolut committed zur Formel E. Wir denken, es ist technologisch die richtige Herausforderung, die wir im Motorsport brauchen, neben allen anderen Engagements, die wir nach wie vor haben. Die Formel E ist das, was wir brauchen, um in der Serie weiterhin Innovation zu liefern, deswegen sind wir committed. Die Serie hat noch einiges zu lernen, sie ist noch jung. Auf der Marketing- und der Vermarktungsseite gibt es noch einige Schritte zu tun. Das weiß man auch und daran arbeitet man. Das muss jetzt zügig passieren, dass da jeder gewillt ist, weiterhin mitzuarbeiten.
Wir gehen davon aus, dass wir näher an die Formel 1 rücken. Die Formel 1 wird irgendwann ein Problem haben, sich selbst zu vermarkten. Das wird noch dauern, deswegen läuft die Marketingmaschinerie dort noch. Aber der Zeitpunkt wird kommen und dann ist die Formel E da. Den Zeitpunkt will ZF definitiv auf der technischen Seite miterleben und deswegen entwickeln wir jetzt Generation-4-Ideen, die wir da an technischen Innovationen hineinbringen können und dann auch mit unserer Serie abstimmen.
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