Jesteburg: E-Pionier-Pflegedienst AHD zählt heute 49 E-Autos
Mit mehreren Teslas zog ein norddeutscher Pflegedienst 2020 die Aufmerksamkeit auf sich. Wir berichteten seinerzeit ausführlich über die „Pfleger in der Elektro-Limousine“ des AHD-Pflegediensts Ole Bernatzki. Fast drei Jahre sind seitdem vergangen – und wir haben neugierig nachgehört, wie der Fuhrpark heute aussieht.
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Wie alles begann? Der AHD-Pflegedienst Ole Bernatzki aus Jesteburg im nördlichen Niedersachsen flottete im Spätsommer 2020 sieben Tesla Model 3 und zwei Volkswagen ID.3 ein, die sich seinerzeit zu bereits vier vorhandenen VW e-Golf und zwei Teslas gesellten. Die allerersten zwei E-Autos hatte die Firma bereits 2014 gekauft. Für einen mittelgroßen Pflegedienst mit rund 200 Mitarbeitern und einem 120 Fahrzeuge umfassenden Fuhrpark ging das Unternehmen die Elektrifizierung früh, beherzt und dank der Teslas auch öffentlichkeitswirksam an. Zumal sich um die Instandhaltung der Fahrzeuge sogar eine firmeneigene kleine Werkstatt mit Kfz-Meister kümmert.
Ole Bernatzki ist Chef der Ambulanten Hauspflege Dienst GmbH – und Autoenthusiast. Er selbst fährt seit 2020 ein Tesla Model S als Dienstwagen und macht keinen Hehl daraus, dass er viel von dem US-Elektroautobauer hält. Pflegepersonal in der Elektro-Limousine – das war und ist für Bernatzki kein Widerspruch. Im Gegenteil: Ihm liegt daran, das Berufsbild von ambulanten Pflegekräften auf diese Weise aufzuwerten. Die weißen E-Limousinen mit dem Logo des Pflegedienstes kennt in und um Jesteburg inzwischen jeder. Zweigstellen hat der ambulante Dienst unter anderem in Seevetal, Tostedt, Rönneburg und Buchholz.
Und heute? Inzwischen hat der AHD 49 rein elektrische Fahrzeuge in Betrieb, darunter 16 Teslas (ein Model S, zwei Model Y, 13 Model 3), 15 Dacia Spring und zehn VW e-Up, außerdem zwei Mercedes EQV, zwei VW ID.3 und vier e-Golf. Das sind inzwischen gut 40 Prozent des Gesamtfuhrparks. Auch die ersten beiden eGolf von 2014 verrichten laut dem Unternehmen weiter ihren Dienst, auch wenn die Reichweite nicht mehr mit neueren E-Modellen vergleichbar sei. Grundsätzlich sind alle Teslas, ID.3, e-Up, Mercedes und die zwei neueren e-Golf Mitarbeitern fest zugeordnet. Der Rest sind Poolfahrzeuge, hauptsächlich für Beschäftigte aus der Hauswirtschaft.
Bernatzki und sein Team haben in den vergangenen Jahren schon viel erlebt. Etwa die mehrmalige Verzögerung bei der Auslieferung der zehn Volkswagen e-Ups bis hin zu der Frage, ob sie überhaupt noch kommen. Die Lieferschwierigkeiten beim e-Up waren 2020 weithin bekannt. Die Förderbedingungen haben sich im Laufe der Zeit auch schon mehrfach geändert. Viel Energie ist zudem in die Installation eine Solar- und Ladeanlage inklusive einer Netzanschlusserweiterung geflossen.
Zuverlässig und bei den Gesamtkosten günstiger
Für den AHD steht aber fest: „Wir möchten nie wieder auf E-Fahrzeuge verzichten.“ Sie seien zuverlässig und wenn man die TCO betrachte auch kostengünstiger und sie belasteten die Umwelt weniger. „Nicht zu vernachlässigen, der Fahrspaß liegt Welten über dem Verbrenner“, so Bernatzki. Aktuell sei die umfangreiche Modernisierung der Flotte abgeschlossen. Ältere Verbrenner, die zukünftig ausgemustert werden, sollen aber durch weitere E-Fahrzeuge ersetzt werden – und Tesla wird dabei eine große Rolle spielen.
Neben den Mitarbeiter-Dienstwagen hat der Pflegedienst zuletzt massiv in Poolfahrzeuge investiert. 15 Dacia Spring verrichten hier ihren Dienst und werden „von den Kollegen gerne genutzt“, heißt es aus Jesteburg. Diese Fahrzeuge werden grundsätzlich am Hauptsitz der Firma geladen. Eine Ladeleistung von 3,7 kW reiche dabei locker aus, schildert der Firmenchef. An inzwischen fünf Wallboxen mit je 11 kW Leistung können auch die Mitarbeiter individuell laden. Grundsätzlich haben alle Beschäftigten, die elektrisch fahren, auch eine Wallbox zuhause. Bei den Förderanträgen und bei der Installation der Boxen unterstützte der Pflegedienst nach eigenen Angaben tatkräftig.
Schon 2020 sprach Bernatzki davon, auch eine Solaranlage am Firmensitz installieren zu wollen. 2021 wurde das Projekt vollzogen, seitdem thront auf der Einrichtung in Jesteburg eine 30-kWp-Solaranlage, die die Stromkosten des Betriebs senkt. Ein Ausbau auf 60 kWp sei geplant, so der Unternehmer. An zwei weiteren Standorten des Pflegediensts sind ebenfalls Solarmodule installiert.
Ein Update liefert uns der AHD auch zum Wartungs- und Reparaturaufwand bei den E-Autos der Flotte: Bei den 16 Tesla übernimmt demnach der eigene Kfz-Meister des Unternehmens regelmäßig die Wechsel des Innenraumfilters und die Kontrolle der Bremsanlage nebst Bremsflüssigkeit. Reparaturen fielen vereinzelt an: „Bei drei Teslas wurden die Rücklichter wegen Feuchtigkeit getauscht, zweimal wurden Gelenkmanschetten ersetzt, bei einem war der Zentralcomputer defekt und ein Fahrzeug benötigte einen neuen Temperatursensor für die Heizung. Alles Garantieleistungen und in den meisten Fällen kam der Ranger und reparierte am Firmensitz.“ Kein Fehler habe zum Totalausfall der Fahrzeuge geführt, betont Bernatzki.
Die Dacia-Fahrzeuge sind erst ein gutes halbes Jahr im Einsatz und benötigten noch keine Reparaturen. Bei den e-Ups habe es an zwei Fahrzeugen Probleme mit dem Ladeport gegeben, die ID.3 hätten anfangs Probleme mit der Software gehabt, was sich aber nach und nach gebessert habe. Und: Bei einem der ersten e-Golfs wurde – abgedeckt von der Garantie – der Ladeport getauscht, beim anderen „für teures Geld“ die Fahrersitzheizung. Was Bernatzki kritisiert, ist, dass Mercedes, VW und Dacia sich selbst die Wartung ihrer E-Autos „immer noch fürstlich bezahlen lassen“.
Überzeugungsarbeit ist nicht mehr nötig
Abgesehen von solch kleineren Ärgernissen ist der Geschäftsführer aber mit der Zwischenbilanz sehr zufrieden: „Ich hatte nie Zweifel, dass die Elektromobilität für uns die beste Lösung ist. Nach drei Jahren Flottenerfahrung stelle ich fest, es ist die allerbeste Lösung. Unsere große Tesla-Präsenz hier im Ort hat schon einige Mitbürger veranlasst, sich auch einen Tesla zu kaufen. Und keiner hat mich im Nachgang beschimpft.“ Ohne die Firma Tesla wäre es beim AHD aber nicht so schnell gegangen, äußert Bernatzki. „Das Preis-Leistungs-Verhältnis und das zuverlässige eigene Ladenetz hat auch Skeptiker im Unternehmen überzeugt, vollelektrisch zu fahren. Und im Jahre 2023 ist das Schnellladenetz so gut ausgebaut, dass auch die Kollegen mit ihren VW oder Mercedes längere Strecken wagen.“
2020 erzählte der Geschäftsführer noch, wie er mit Blick auf die damals noch wenigen Elektroautos im Fahrzeugpool bei seiner Belegschaft anfangs viel Überzeugungsarbeit leisten musste – vor allem was die Reichweite angeht. Dabei waren und sind die Tagestouren im Schnitt 100 Kilometer lang, was also für die Stromer kein Problem darstellt. Anders ist das beim Nachtdienst. Die AHD-Pflegekräfte arbeiten im Drei-Schichtsystem und neben der Grund- und Behandlungspflege ist die Palliativ-Versorgung ein Schwerpunkt. „Da kann es vorkommen, dass wir nachts schnell mal 50 Kilometer in eine ungeplante Richtung müssen“, schildert Bernatzki. Um keinen Ladestopp zu riskieren, bleiben zumindest die alten e-Golf deshalb nachts außen vor.
Seit Anfang April durchläuft der AHD nach eigenen Angaben ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Als Grund gibt das Unternehmen allen voran das Tariftreuegesetz an, das im September 2022 in Kraft trat. Die Firma werde weiter bestehen und auch die Elektroflotte „sicherlich bleiben, da sie zur Kostenreduzierung beiträgt“, teilt der AHD uns mit.
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