„electrive.net LIVE“: Wie kommt der E-Lkw auf die Straße?
In der Ausgabe „Elektrifizierung schwerer Nutzfahrzeuge“ unserer Online-Konferenz „electrive.net LIVE“ stehen die Stromer im XXL-Format im Fokus. Führende Köpfe lassen uns hinter die Kulissen bei der Entwicklung elektrischer Trucks und Busse sowie der Ladeinfrastruktur blicken. Zudem nehmen wir Fördermöglichkeiten und das Ökosystem in den Blick. Der Konferenzbericht.
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Es rollen immer mehr E-Lkw auf die Straße. Dennoch steht die Elektrifizierung der Nutzfahrzeugbranche ganz am Anfang und es gibt noch viele Hürden – technische und politische –, bevor die Antriebswende in der Logistik wirklich gelingen kann. Aber das Potenzial ist gigantisch, da sind sich die Speaker einig – von Frederik Zohm (MAN Truck & Bus), Lena Beckmann (Webasto) und Wolfgang Brand (Milence) im ersten Panel bis Alexander Thal (NOW), Sven Lierzer (Capgemini Invent) und Philipp Leitner (The Mobility House) im zweiten Panel.
Laut Frederik Zohm, Entwicklungsvorstand bei MAN Truck & Bus und Keynote-Speaker der von electrive.net-Chefredakteur Peter Schwierz moderierten Online-Konferenz, ist die Elektrifizierung der 40-Tonner der größte Hebel, um CO₂-Emissionen im Straßengüterverkehr einzusparen. Der MAN eTruck wird im kommenden Jahr in Serienproduktion gehen. Ausgestattet mit einer 480-kWh-Batterie soll eine Reichweite von 600 bis 800 Kilometern möglich sein. Zohm betont, dass dies erst der Anfang sei und der Elektro-Lkw schon in einigen Jahren mit einem 800-kWh-Akku und 1.000 Kilometern Reichweite erhältlich sein wird. Das Produkt sei da, jetzt ginge es in erster Linie darum, die nötige Infrastruktur zu schaffen. „Alle Hersteller haben gezeigt, dass sie mit etwas Interessantem auf den Markt kommen werden“, so Zohm. „Wichtig ist nun, dass wir jetzt Flächen bekommen und die Anschlüsse an die Netze.“ Darüber hinaus müsse die nötige grüne Energie vorhanden sein, um E-Flotten zu laden.
Damit ein Batterie-elektrischer Lkw mit einem Dieselfahrzeug konkurrieren kann, braucht es aus Sicht von Frederik Zohm eine höhere CO₂-Bepreisung. Denn der BEV ist, wenn man die Gesamtbetriebskosten betrachtet, derzeit rund dreimal so teuer wie das Verbrenner-Modell. „Insofern plädieren wir dafür, CO₂ einen Preis zu geben“, sagt Zohm. „Das heißt, derjenige, der CO₂ emittiert, muss schlechter gestellt werden, als derjenige, der kein CO₂ ausstößt. […] So wird aus dieser Multiplikation auch ein Erfolg.“
In der anschließenden Fragerunde betont Zohm, dass die Politik einen Fokus setzen müsse, damit mehr Batterie-elektrische Lkw auf die Straße kommen. Zudem sollte sie „mehr erklären und weniger diskutieren“, um auch die Gesellschaft bei einem Thema wie der Elektrifizierung von Nutzfahrzeugen mitzunehmen. Zudem sollte man „das ein oder andere Thema einfach mal weglassen“, wie beispielsweise die geplante Euro-7-Regelung, die Hersteller viel Geld kosten wird, das sie dann nicht in alternative Antriebe investieren können.
Die von der FDP geforderte Technologieoffenheit sieht er unkritisch. MAN schaue sich beispielsweise auch die Brennstoffzelle für den Straßengüterverkehr an und letztendlich entscheide die Wirtschaftlichkeit, welche Technologie sich durchsetzt. „Am Ende habe ich vielleicht auch E-Fuels, aber wenn die nicht wirtschaftlich angedient werden können, dann werden sie auch nicht kommen.“
Die Komfortzone des Akkus ist entscheidend
Wie wichtig das Thermomanagement für die Reichweite eines E-Fahrzeugs und die Langlebigkeit seines Akkus sein kann, vergegenwärtigt Lena Beckmann, Director Product Management Battery bei Webasto Group, in ihrem Vortrag. „Zu heiß, zu kalt – die Lebenszeit [der Batterie] verringert sich, deswegen ist Thermomanagement eine gute Idee“, so Beckmann.
In Tests habe sich gezeigt, dass mit der Webasto-Thermomanagementeinheit eBTM ausgestattete Antriebsbatterien deutlich höhere Reichweiten und auch schnelleres Laden ermöglichen. Durchgeführt wurden die Versuche bei minus 15 und plus 45 Grad Celsius in einem Elektrobus. Das Ergebnis: Vorkonditionierte Akkus konnten bis zu doppelt so schnell geladen werden. Insbesondere bei zu hohen Temperaturen war die Ladeleistung mit Thermomanagement deutlich höher als ohne. Zudem erhöhte sich bei Batterien mit Thermomanagement die Leistung um bis zu 75 Prozent und die Rekuperation um rund 24 Prozent im Vergleich zu Akkus ohne eBTM.
1.700 Ladesäulen in fünf Jahren für Europa
Im dritten Vortrag des Tages stellt Finanzchef Wolfgang Brand das Unternehmen Milence vor, das Lkw-Lade-Joint-Venture von Daimler Truck, der Traton Group und der Volvo Group. Ziel ist der Aufbau und Betrieb eines europaweiten Ladenetzes für Lkw. „Wir wollen in den ersten fünf Jahren mindestens 1.700 Ladepunkte in Betrieb nehmen“, so Brand. Diese müssten nachhaltig und offen für alle E-Lkw auf dem Markt sein.
Aufgebaut werden die Standorte mit einem „modularen Ansatz“. Das bedeutet, dass in einem ersten Schritt acht Ladesäulen errichtet werden (Ladepark S), der Standort aber immer schon für weitere Lademöglichkeiten vorbereitet wird. So kann dieser bei Bedarf erweitert werden. Die Anzahl der Ladesäulen verdoppelt sich dann jeweils bis hin zum XL-Standort mit 64 Ladepunkten. „Warum jetzt?“, fragt Brand. Und liefert die Antwort gleich mit: „Das Produkt ist da!“ Es seien mittlerweile genügend Elektro-Trucks mit ausreichend Reichweite verfügbar, die in der Lage sind, ihren Akku in der vorgeschriebenen 45 Minuten langen Fahrerpause aufzuladen. Zudem setze Milence auf das kommende Megawatt-Charging, um auch die folgenden E-Lkw mit noch größeren Akkus in derselben Zeit aufladen zu können.
Der Fahrer ist ein zentraler Punkt des Vorhabens. Denn, so Brand, der Schwerlastverkehr auf der Straße wird in ganz Europa zunehmen und dafür brauche es Fahrer. Deswegen werde Milence an seinen Standorten auch Annehmlichkeiten wie Toiletten, Duschen, Verpflegung und Grünflächen schaffen. Mit dem Ziel, den Beruf des Lkw-Fahrers interessanter zu machen.
Noch gibt es einige Herausforderungen zu meistern. So fordert Brand bessere Rahmenbedingungen von der Politik, um die Elektromobilität im Güterverkehr voranzutreiben – aber auch, um die Bereiche Energie und Infrastruktur zu fördern. Es brauche europäische Standards, damit die Säulen mit den Stromnetzen kommunizieren können. Und von der Logistikbranche brauche es eine „gewisse Offenheit, sich auf das Abenteuer Elektromobilität“ einzulassen.
Der Welle voraus sein und auf Bewährtes setzen
In der anschließenden gemeinsamen Panel-Diskussion vor über 500 digitalen Gästen an den Bildschirmen stehen unter anderem immer neue Batteriezell-Innovationen aus China im Fokus. Wie schnell können diese in Nutzfahrzeugen eingesetzt werden und was bedeutet das für die Skalierung, fragt etwa Moderator Peter Schwierz. Sowohl Webasto als auch MAN zeigen sich dabei eher gelassen. „Es bleibt dabei, dass wir ein abgesichertes System auf den Markt bringen“, erklärt Entwicklungsvorstand Zohm. Der Test-Zyklus von zwei Sommern und zwei Wintern bleibe also bestehen. „Sonst hat man vielleicht nicht auf das richtige Pferd gesetzt.“ Auch Beckmann bleibt „kurzlebigen Trends“ gegenüber eher zurückhaltend. Webasto bleibe bei der bewährten NMC-Zelle und bei langjährigen Partnerschaften mit Zulieferern – auch, um die Lieferbarkeit des Produktes zu gewährleisten. Allerdings sei der Wechsel des Formfaktors durchaus ein Thema. „Wir kommen jetzt von prismatischen Zellen in der nächste Generation zu zylindrischen Zellen. Und da natürlich auch mit der Idee, dass man langfristig Zellen austauschen kann – eventuell mit höherer Leistungsdichte“, erklärt Beckmann.
Beim Aufbau der Ladeinfrastruktur müsse man hingegen „vor der Welle“ sein, wie Milence-Vorstand Brand erläutert. Wenn es bei einem Elektroauto noch verzeihlich sei, wenn das Aufladen nicht an jedem Standort sofort klappt oder teils zu langsam ist, sei das in der Logistik keine Option. Deswegen müsse auch Megawatt-Charging so schnell wie möglich auf die Straße kommen, „damit es da ist, wenn der Lkw kommt“. Das Henne-Ei-Problem, das lange Zeit die Diskussion rund um die Elektromobilität im Pkw-Bereich dominierte, soll bei der Lkw-Branche klar vermieden werden.
Geld für XXL-Stromer
Den Auftakt für das zweite Panel macht Alexander Thal, Programm Manager Technik Klimafreundliche Nutzfahrzeuge bei der NOW. Er gibt einen Überblick über Strategie, die Fahrzeugförderung, den Infrastrukturausbau und das Marktangebot.
Erst tags zuvor hatte die NOW eine Auswertung zum zweiten Förderaufruf im Rahmen der KsNI-Förderrichtlinie veröffentlicht. Demnach sind mit etwa 2.700 Anträgen mehr als viermal so viele Bewerbungen eingegangen wie beim ersten Aufruf 2021. Der dritte Förderaufruf ist für das vierte Quartal 2023 geplant. Einen genauen Monat will Thal auf Rückfrage von Moderator Peter Schwierz allerdings nicht nennen. Das hänge davon ab, wann die Regierung entscheidet, wie viel Geld sie zur Verfügung stellen wird. Sprich: Wann die Ampel-Koalition endlich einen Haushalt vorlegt. Dafür nennt Thal als Vorreiter bei der Elektrifizierung der Logistik einige Beispiele von Unternehmen wie GLS, Dachser, UPS und DB Schenker.
Ein Ökosystem für E-Lkw
Neben einem Ladenetz brauchen Elektro-Lkw auch ein eigenes Ökosystem und Datenstandards. Das betont jedenfalls Sven Lierzer, Senior Manager Automotive & Commercial Vehicles bei Capgemini Invent. Ohne solche Systemlösungen werde sich der Elektro-Truck schwertun – aber man könne dabei eine Menge aus dem Pkw-Bereich lernen. Als Beispiel nennt Lierzer Apps von Drittanbietern, um beispielsweise Ladesäulen zu finden und Logistik-Routen anhand dieser zu planen. Für Pkw seien diese vorhanden, für Nutzfahrzeuge fehlen oft die branchenspezifischen Daten.
Seiner Meinung nach braucht es vier Kern-Services für ein Ökosystem für Elektro-Lkw, wie einen eMSP-Service, der den Zugang zu Ladeinfrastruktur sowie Plug&Charge-Anwendungen ermöglicht. „Es ist einer der wichtigsten Dienste für die darauf setzenden Services“, erklärt Lierzer. Das zweite ist eine intelligente Routenplanung, die beispielsweise Aspekte wie die Batteriegesundheit, das Wetter, die Topografie oder auch den Ladestand berücksichtigt. Als Punkt drei und vier nennt der Experte einen White-Label-CPO für Depots, um kleinere Speditionen beim Aufbau von Ladeinfrastruktur zu unterstützen und eine ‚Driver Application‘, sodass der Lkw-Fahrer nur einen einzigen Zugang für alle Services braucht.
Die Frage sei, wie Telematik-Daten sowie Daten aus der Produktion, Umwelt, der einzelnen Kunden und den Lieferketten zusammengeführt und bereitgestellt werden können. Er plädiert für die europäische Plattform Catena-X. Aus diesen Daten würden sich dann auch weitere Geschäftsmodelle ergeben, wie beispielsweise Logistic-as-a-Service. Es könnte auch für den Ausbau der Ladeinfrastruktur genutzt werden, weil es zeigt, wo genau noch Bedarf besteht, so Lierzer. Ein Fahrzeug könnte dann drei bis vier Euro pro Monat allein aus seinen Daten als Umsatz generieren. Momentan sind es um die 35 Cent.
Intelligentes Laden schont den Geldbeutel
Im letzten Vortag der Online-Konferenz erläutert Philipp Leitner, Business Development Manager bei The Mobility House, wie Betreiber von Nutzfahrzeugflotten mit intelligenten Ladelösungen Geld sparen können. Er zeigt verschiedene Szenarien – beispielsweise statisches und dynamisches Lastenmanagement, mit dem Betreiber einer Flotte von 64 Fahrzeugen zwischen 500 und rund 750 Euro sparen können.
Darüber hinaus nennt Leitner auch das „Fahrplan-basierte Lastmanagement“, wenn also die einzelnen Fahrzeuge je nach Strecke und Abfahrtszeit priorisiert werden. „Die Fahrzeuge werden ausreichend, aber nicht übermäßig gelanden“, womit der Flottenbetreiber 1.100 Euro pro EV bei der oben genannten Fuhrparkgröße einsparen könnte. Noch mehr sparen können Fuhrparkmanager durch „zeitbasierte Netzlimits & Netzbetreibersignale“ – also das Laden, wenn der Strom besonders günstig ist, beispielsweise bei einem Nachtstromtarif.
Der nächste Schritt ist laut The Mobility House das Laden mit dynamischen Energiepreisen. Laut Leitner ist die Volatilität der Marktpreise gut mit den Ladezeiten von Nutzfahrzeugen vereinbar. Die – noch etwas in der Zukunft liegende – Königsdisziplin sei die Netzintegration von elektrischen Nutzfahrzeugen, also die Vehicle-to-Grid-Integration, was an gesichts der großen Batterien von Trucks und Bussen sehr sinnvoll sein werde.
Kein Gießkannenprinzip beim Ladenetzausbau
In der abschließenden Panel-Diskussion geht es unter anderem darum, wie „flott“ die Experten die Nutzfahrzeugbranche bei der Elektrifizerung erleben. Laut Leitner und Lierzer ergibt sich ein gemischtes Bild: Manche hätten sich mit dem Thema E-Mobilität noch nicht beschäftigt, andere hätten bereits eine Roadmap.
Lierzer fügt hinzu, dass OEMs bei vielen Lösungen im Bereich E-Mobilität aktiv mitarbeiten, weil sie „die Bedürfnisse ihrer Kunden sehr genau kennen“. Beispielsweise, dass die gesetzliche Pause für den Fahrer 45 Minuten beträgt und Fahrzeuge in dieser Zeit geladen können werden müssen.
Zudem waren sich die beiden Teilnehmer einig, dass OEMs künftig eine schlüsselfertige Lösung beim Thema Laden im Depot anbieten müssen. „Unsere Erfahrung aus dem Bus-Bereich ist, dass die wenigsten OEMs um die Notwendigkeit drum herumkommen, sich in Richtung schlüsselfertige Lösung oder als As-a-Service-Lösung zu positionieren“, so Leitner. „Was wir sehen, ist, dass entweder eine schlüsselfertige Lösung gefordert wird oder zumindest eine Teillösung in Richtung Ladeinfrastruktur, dann auch mit intelligentem Lastenmanagement.“ Lierzer glaubt ebenfalls, dassneue Player aus China mit schlüsselfertigen Lösungen auf den Markt drängen könnten, um eben diese Nische zu besetzen.
Auch bei der Anzahl der benötigten Megawatt-Charging-Punkte waren sich Capgemini und The Mobility House einig: Anfangs noch nicht ganz so viele. Wichtig sei unter anderem, dass die Säulen nicht nach dem Gießkannenprinzip errichtet werden, so Lierzer. Es werde sich zeigen, wo das Netz ausgebaut werden müsse, und wo auch Depotladen unterwegs eine Rolle spielen könne. Die Motivation, das Ökosystem rund um elektrische Nutzfahrzeuge jetzt zu gestalten, eint indes alle Expert*innen der 29. Online-Konferenz von electrive.net – und auch das hohe Frageaufkommen aus dem digital zugeschalteten Publikum im Chat.
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