Ehemaliger Nikola-Lkw: Iveco enthüllt Heavy Duty BEV
Am Rande des Truck Grand Prix auf dem Nürburgring hat Iveco seinen schweren Elektro-Lkw vorgestellt. Bei der Iveco Heavy Duty BEV genannten Sattelzugmaschine handelt es sich wohl nicht um eine reine Iveco-Eigenentwicklung – sondern um ein Modell mit bewegter Geschichte.
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Es war eine Weltpremiere an einem ungewöhnlichen Ort. Im Fahrerlager des Nürburgrings, zwischen den Motorsport-Lkw für den Truck Grand Prix und den GT3-Rennautos des ADAC GT Masters, hatte Iveco eine kleine Ausstellungsfläche umgesetzt. Zu sehen waren dort drei Sondermodelle des Iveco S-Way – mit Erdgasantrieb, einem stärkeren Diesel und einer besonders sparsamen Option, die mit ihrer „speziellen Konfiguration“ die Gesamtkraftstoffeffizienz um bis zu vier Prozent verbessern soll, so Iveco. Innerhalb der Marke sei es ein echter „Fuel Hero“.
Ganz rechts stand aber eine Sattelzugmaschine, die weder auf Diesel noch auf Erdgas angewiesen ist. „Als Weltpremiere ist für Freunde des Elektroantriebs selbstverständlich auch ein IVECO Heavy Duty BEV (battery electric vehicle) auf dem Stand zu sehen“, schreibt Iveco in der Mitteilung zum Truck Grand Prix 2023. „Dieser verfügt über neun Batterien mit einem Gesamtenergiespeicher von bis zu 738 kWh, die eine Reichweite von bis zu 530 Kilometern ermöglichen.“ Weitere Infos zu dem zuvor nicht angekündigten E-Lkw gibt es nicht.
Andere Hersteller wie Daimler Truck oder MAN haben die Premieren ihrer schweren Elektro-Lkw über Monate und Jahre regelrecht zelebriert – MAN tut es mit dem für 2024 geplanten eTruck immer noch, Daimler Truck hält auch beim eActros 600 (die Prototypen wurden als LongHaul bezeichnet) und dem kommenden GenH2-Truck an dieser PR-Strategie fest.
Läuft bei Iveco also alles anders? Nun, es lief anders als bei MAN und Daimler Truck, aber auch anders als von Iveco selbst geplant. Denn bei dem Fahrzeug, das auf der Rennstrecke in der Eifel vorgestellt wurde, handelt es sich um ein Modell, das offenbar in letzter Minute umgeflaggt wurde: den Nikola Tre BEV.
Eine Win-Win-Situation für Nikola Motor und Iveco
Die Geschichte dieses Fahrzeugs beginnt bereits im Jahr 2019: Für seinen Europa-Start hat sich das damals junge E-Lkw-Startup Nikola Motor aus den USA mit Iveco und dessen damaligen Mutterkonzern CNH Industrial verbündet. Da Nikola bis dato seine Systeme mit Batterie oder Brennstoffzelle vorrangig für US-Lkw mit langer Motorhaube und anderen Abmessungen entwickelt hatte, fehlte den Amerikanern ein Fahrgestell für den europäischen Markt. Iveco hingegen hatte ein Fahrgestell, aber keinen passenden und leistungsstarken E-Antrieb in Sicht.
Seinerzeit stieg also die Iveco-Mutter CNH Industrial mit 250 Millionen US-Dollar bei Nikola ein und beide Seiten verkündeten, unter anderem die Gründung eines europäischen Joint Ventures anzustreben, um mit dem Nikola Tre zunächst einen für Europa geeigneten Batterie-elektrischen Schwerlast-Lkw zu entwickeln und zu bauen – gefolgt von einem FCEV-Pendant. Gefertigt werden sollten die Fahrzeuge im CNH-Werk in Ulm. Nikola lieferte die Batteriesysteme sowie ein eigenes Infotainmentsystem für das Cockpit – als Investoren-gestütztes US-Startup muss man nicht nur bei der Hardware überzeugen, sondern auch bei der Software. Iveco seinerseits brachte das Fahrgestell und Führerhaus der S-Way-Reihe ein. FPT Industrial, die Antriebsstrangmarke von CNH Industrial, lieferte den E-Motor zu. Mit dem Hamburger Hafen konnte sogar ein Erstkunde gewonnen werden, der 25 Exemplare abnehmen wollte.
Im August 2022 meldete das Joint Venture dann, dass man die ersten Alphaversionen des Tre BEV für den europäischen Markt gebaut habe und in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 mit der Serienproduktion beginnen wolle. Und auch Betaversionen des Tre FCEV, ebenfalls auf Basis des Iveco S-Way, wurden in Ulm bereits montiert. Da der Wettbewerb bisher vor allem auf den Batterie-Lkw setzt und Brennstoffzellen-Lastwagen namhafter Hersteller wohl erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts kommen, hatte Nikola mit dem geplanten Produktionsstart des Tre FCEV im ersten Halbjahr 2024 ein nahezu konkurrenzloses Angebot – und konnte zahlreiche Aufträge für den Tre FCEV gewinnen.
Doch seit Mai 2023 ist die Lage anders: Damals kündigte Iveco an, Partner Nikola alle Anteile an dem Ulmer Joint Venture abzukaufen – seit Anfang Juli firmiert Nikola Iveco Europe als EVCO. Das ähnelt nicht nur dem Namen Iveco, sondern steht auch für „Electric Vehicles COmpany“. Sprich: Iveco hat die Entwicklung und Vermarktung der BEV- und FCEV-Sattelzugmaschinen in Europa übernommen und die Lizenz zur Weiterentwicklung der Nikola-Komponenten erhalten. Nikola selbst zieht sich damit de facto aus Europa zurück, hat sich aber im Gegenzug die Lizenz für die S-Way-Technologie von Iveco für Nordamerika und die damit verbundene Lieferung von Komponenten gesichert.
Nur: Als Nikola Tre BEV wird das bereits fertig entwickelte Modell nun in Europa nicht mehr auf den Markt kommen. Sondern als jener Iveco Heavy Duty BEV aus dem Fahrerlager am Nürburgring. Das liegt anhand der erst jüngst erfolgten Übernahme des Joint Ventures nicht nur nahe, auch die 738 kWh Batteriekapazität und 530 Kilometer Reichweite des E-Lkw von Iveco entsprechen wenig überraschend den bekannten Daten des Nikola Tre BEV.
Somit gibt es quasi nur einen Unterschied: die Optik: Das Nikola-Design mit den eigenen LED-Tagfahrlichtern und dem schwarz abgehobenen Kühlergrill samt „N“-Logo hat Iveco in den vergangenen Wochen wieder entfernt. Stattdessen trägt der Heavy Duty BEV wieder die bekannte Front des Iveco S-Way, nur mit einigen blauen Akzenten – und einem „Electric“-Schriftzug über der Windschutzscheibe.
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