Debunking Toyota: Die BEV-Strategie des weltgrößten Autoherstellers
Meldungen zu Wunder-Batterien gibt es immer wieder, aber wenn der weltgrößte Autohersteller eine solche ankündigt, wird die Branche hellhörig. Toyota verspricht eine Halbierung der Größe, des Gewichts und der Kosten von Traktionsbatterien. Kommt der japanische Konzern von der Ankündigung ins Machen, oder bleibt es beim Bluff?
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Armselig: In den deutschen Verkaufsräumen von Toyota gibt es ein einziges BEV. Nämlich den bZ4X. Toyota hat dieses SUV mit einer gewissen Lieblosigkeit auf den Markt gebracht. So war zum Beispiel die maximale Ladeleistung selten nacheinander abrufbar. Ein Problem, das durch Updates kleiner geworden ist. Einen Routenplaner mit Vorkonditionierung, der bei einem zeitgemäßen BEV das Mindestmaß ist, gibt es bis heute nicht. Der im Grundsatz gekonnt konstruierte bZ4X transportiert die Botschaft: Wir könnten, wenn wir wollten. So richtig wollen wir aber noch nicht.
Der Fairness halber muss erwähnt werden, dass in Kürze der Lexus RZ450e auf der gleichen Basis folgt. Theoretisch gibt es auch den UX300e, der wegen des CHAdeMO-Steckers leider Theorie bleibt. Eine Verkaufsverhinderungsmaßnahme. Siehe Nissan Leaf.
Es ist bekannt, dass Toyota bald viel mehr BEV-Typen anbieten wird. Die vielversprechende Limousine bZ3 zum Beispiel, die wie der technisch ähnliche BYD Seal mit 800 Volt-System und LFP-Zellen im Cell-to-Body-Design zu uns kommt. Japaner haben Dinge gerne unter Kontrolle. Es darf darum als sicher gelten, dass der bZ3 nicht einfach ein BYD Seal mit anderer Karosserie ist, sondern dass Toyota im Gegenteil hohen Einfluss auf Entwicklung, Konstruktion und Fertigung genommen hat.
Die Frage bleibt offen: Wo bleibt Toyota? Was ist die BEV-Strategie des weltgrößten Autoherstellers?
Gedehnte Auslegung der Wirklichkeit
Eigentlich liegt das Prahlen nicht in der Natur der Japaner. Umso mehr erstaunt es, wenn Keiji Kaita, Präsident des Forschungs- und Entwicklungszentrums für CO2-Neutralität in der „Financial Times“ sagt, dass „wir anstreben, die Situation bei Batteriezellen mit flüssigem oder festem Elektrolyten drastisch zu verändern“. Sie wären zu groß, zu schwer und zu teuer. „Wir sehen das Potenzial, alle diese Faktoren zu halbieren.“ Verbunden wurde diese Prognose mit der Ansage, in Zukunft 1.000 Kilometer Reichweite und zehn Minuten Ladezeit erreichen zu können. Never underestimate Toyota – wir dürfen Toyota niemals unterschätzen, twitterte der deutsch-britische Analyst Matthias Schmidt.
https://twitter.com/auto_schmidt/status/1676176234152165383
Bei näherer Betrachtung der Aussagen von Keiji Kaita aber bleibt wenig übrig. Es ist ein beliebtes und sinnloses Spiel der Autoindustrie, Vergleiche wie die angesprochene Halbierung bei Größe, Gewicht und Kosten anzustellen, ohne einen Ursprungswert zu nennen. Wir brauchen konkrete Zahlen – und die bekommen wir nicht.
Die Zahlen gibt es immerhin bei der Reichweite: 1.000 Kilometer sollen es sein. Werte, die fraglos auf Basis heutiger Traktionsbatterien möglich sind. In Japan darf übrigens (fast) nirgends schneller als 100 km/h gefahren werden. Der WLTP ist entsprechend angepasst. Und ob die 1.000 Kilometer sich auf den Normzyklus oder eine ideale Konstantgeschwindigkeit (Toyota: „cruising range“) beziehen, ist unklar. Mit imaginären 120 Kilowattstunden und zwölf Kilowattstunden Stromverbrauch unter Optimalbedingungen ist diese Strecke bereits machbar, wenn auch eine weit gedehnte Auslegung der Wirklichkeit. Nichts daran ist rekordverdächtig oder ein Hinweis auf einen Durchbruch.
Unklare Vergleichsgröße
Und zehn Minuten Ladezeit? Auch hier fehlt die Vergleichsgröße. Sollten es zehn Minuten für einen Ladehub von zehn auf 80 Prozent SOC sein: Exakt das hat CATL aus China jüngst für die Qilin-Batterie gezeigt, und der Enabler für diese kurze Zeit ist nicht etwa eine exotische Zellchemie, sondern ein äußerst leistungsfähiges Kühl- und Heizsystem. Im Jahresverlauf geht das Qilin-System in Produktion.
Eine herausragende vergleichbare Innovation ist von Toyota nicht erkennbar. Die Erwartungshaltung allerdings ist hoch: Der Konzern ist bekannt für die Perfektionierung der Produktion – und für seine sehr große Erfahrung im Umgang mit den Pufferbatterien in über 20 Millionen Hybridautos. Niemand in der Industrie hat einen so langen und so umfangreichen Lernhorizont.
Was Toyota wirklich vorhat, geht aus einer allgemeinen Mitteilung hervor, die im Juni veröffentlicht wurde. Beim Lesen macht sich Ernüchterung breit – nicht im Sinn einer Enttäuschung, sondern im Sinn der Konfrontation mit der Realität. Diese unterscheidet sich bei Toyota nämlich kaum von den Wettbewerbern.
Toyota ist die Mitte
Der Ladehub von zehn auf 80 Prozent SOC dauert beim Toyota bZ4X im Bestfall 30 Minuten. Ab 2026 soll dieser Wert auf 20 Minuten für die gleiche Chemie (prismatische NMC-Zellen) sinken. Das erscheint weitaus machbarer als die zugleich reklamierte Verdoppelung der Reichweite, die plausibel nur über eine insgesamt viel größere Traktionsbatterie erreicht werden dürfte; technisch gesprochen demnach über ein besseres Packaging im gleichen Bauraum.
2027 folgen fürs Volk preisgünstige LFP-Zellen, die wiederum 30 Minuten für die Vergleichsladung brauchen. So wie es in der Branche üblich ist. Und 2028 sollen auf die gegenüber dem aktuellen bZ4X verdoppelte Reichweite noch ein Plus von zehn Prozent kommen. Ursache hierfür ist eine Zellchemie mit nochmals gesteigertem Nickelanteil, zum Beispiel NMC955 (für eine Kathodenmischung aus 90 Prozent Nickel und je fünf Prozent Mangan und Kobalt).
Alle diese Werte – wenn sie sich in konkreten Zahlen und nicht Vergleichen darstellen – sind lediglich durchschnittlich. Nicht besonders gut: Hyundais e-GMP mit 800 Volt Systemspannung kommt auf 18 Minuten. Nicht besonders schlecht: Einige chinesische Elektroautos brauchen 45 Minuten und mehr. Toyota ist eben die biedere Mitte.
Solid State oder nur Semi Solid State?
Bei den Formulierungen zu Solid-State-Batterien ist Toyota besonders vorsichtig. Man strebe die Serienproduktion für 2027/28 an. Das ist also vorerst ein Ziel. Nicht weniger. Nicht mehr. Auch die Kosten würden „geprüft“, so Toyota. Das bedeutet, dass die Kosten noch zu hoch sind. Und der Reichweitenzuwachs gegenüber einer Zellchemie mit hohem Nickelanteil beträgt offenbar nur zehn Prozent. Den Fortschritt reklamieren die Forscher bei der Ladezeit von zehn „oder weniger“ Minuten.
Neuerdings sagt Toyota, dass man potenzielle Solid-State-Batterien nicht mehr nur als Pufferspeicher in Hybridautos, sondern auch in BEV einbauen will. Offen ist, ob es sich um eine echte Solid-State-Batterie mit metallischer Lithium-Anode handelt oder um Semi-Solid-State mit einem Gel oder weichen Pulver als Elektrolyten. Nur die reine Lithium-Anode mit tatsächlich festem Elektrolyten lässt das Potenzial dieser Bauart freiwerden, wie Fachleute in Hintergrundgesprächen betonen. Branchenkreise gehen eher von Semi-Solid-State bei Toyota aus.
Der Weltmarktführer leistet sich diese Zögerlichkeit aus unterschiedlichen Gründen. Zuerst ist es wichtig zu verstehen, dass Toyota sich mit Japan identifiziert. Hier liegt der Anteil von BEV bei Neuwagen mangels Förderung bei nur rund zwei Prozent. In Europa wiederum ist Toyota der einzige Hersteller, dem es durch die Senkung der CO2-Emissionen bei den Pkw mit Verbrennungsmotor gelingt, die Flottengrenzwerte fast ohne BEV einzuhalten. Das wird sich zwar perspektivisch ändern. Noch aber reicht der massenhafte Verkauf von Hybridautos, um alle CO2-Vorgaben locker einzuhalten.
Gigacasting wie Tesla
An einer ganz anderen Stelle offenbart Toyota dagegen, dass Tesla zum Vorbild für die Japaner geworden ist: Die nächste BEV-Generation (ab 2026) wird teilweise im Gigacasting gefertigt. Hierbei kommen Strukturbauteile an Front und Heck, die früher aus vielen Einzelteilen zusammengebaut wurden, in einem einzigen Aluminiumguss aus der Maschine. Das beschleunigt die Produktion und senkt die Kosten.
Akio Toyoda hatte im Dezember 2021 eine ganze Armada von Elektroautos vorgestellt. Passiert ist wenig. „An ihren Taten sollt Ihr sie erkennen“, heißt es in der Bibel. Gemeint ist, dass die Wirklichkeit ein Test für die Glaubwürdigkeit ist. Und hier ist die Bilanz bei den Elektroautos von Toyota schwach.
Es sollte sich aber niemand der Illusion hingeben, dass sich das nicht ändern kann. Toyota wird kontinuierlich mehr Elektroautos bauen. Wahrscheinlich liegt die Gesamtstückzahl mittelfristig im unteren Drittel der Autoindustrie. Hoffentlich werden diese Elektroautos dem Ruf der Marke gerecht: Sie müssen nicht S3XY sein. Sondern solide, zuverlässig und bezahlbar.
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