BMW i4 eDrive35: Darf es ein bisschen weniger sein?
Eines direkt vorne weg: Eine griffige Modellbezeichnung gehört nicht zu den Stärken der aktuellen Elektro-Generation bei BMW. BMW i4 eDrive35 Gran Coupé heißt das Modell offiziell, das BMW zum Test geschickt hat. BMW ist klar, i4 auch. „eDrive“ steht für den elektrischen Heckantrieb (in Unterscheidung zum Verbrenner-Heckantrieb „sDrive“ und dem Allrad „xDrive“), die 35 soll das Modell irgendwie in die Leistungs-Kategorisierung von BMW anlehnen (den Hubraum-Bezug gibt es auch bei den Verbrennern schon lange nicht mehr). Und auf den Hinweis zur Karosserieform „Gran Coupé“ will man in München offenbar doch nicht ganz verzichten, auch wenn es den i4 derzeit in gar keiner anderen Karosserie-Variante gibt. Da das schon komplex genug war, werden wir in diesem Text eher vom „35er“ sprechen als von der vollen Modellbezeichnung.
Die Modellpolitik des i4 ist offenkundig stark an der Vertriebslogik ausgerichtet. Zur Premiere gab es das reichweitenstärkste Modell, den i4 eDrive40, oder kurz 40er. Einen Mittelklasse-BMW mit Heckantrieb. Und um das Performance-Lager zu befrieden, wurde auch gleich das sportliche Top-Modell i4 M50 mit 400 kW starkem Allrad auf den Markt gebracht. Bei der Fahr-Präsentation im Herbst 2021 war noch der Tenor bei den Baureihen-Verantwortlichen, dass man keine Kosten und Mühen in der Entwicklung gescheut habe, um auf einen Netto-Energiegehalt von über 80 Kilowattstunden zu kommen. Die Reichweite sei für die Kundschaft schließlich ein wichtiges Thema. Das Ergebnis sind 83,9 kWh brutto, von denen 80,7 kWh nutzbar sind. Passt.
Doch es gibt auch noch eine andere Klientel, die früher oder später bedient werden will – jene mit einer festen Budget-Obergrenze, wie etwa Dienstwagen-Berechtigte. Von Sparfüchsen oder einer aufs Geld bedachten Kundschaft wollen wir hier nicht unbedingt sprechen, schließlich geht es immer noch erst ab 56.500 Euro los. Für diesen Basispreis gibt es inzwischen den 35er mit 70,2 kWh brutto bzw. 67 kWh netto in der Batterie.
210 statt 250 kW – Klingt nach mehr Unterschied, als es ist
Zugegeben, mit einem Basispreis von jenen 56.500 Euro werden in der Praxis nur die wenigsten 35er, die BMW verkaufen wird, unter einem Bruttolistenpreis von 60.000 Euro bleiben. Der für die Dienstwagenbesteuerung wichtige Wert wird also kaum eine Rolle dabei spielen, sich für das neue Basismodell zu entscheiden – anstatt doch zum 40er mit der größeren Reichweite zu greifen.
Bei dem Elektromotor, der unter dem Kofferraumboden verbaut ist, handelt es sich bei beiden i4-Varianten (genau genommen bei allen dreien, denn auch der Hecktriebler setzt auf dieses Aggregat) um die gleiche Konstruktion: Bei der fünften Generation seiner E-Antriebe setzt BMW bekanntlich auf stromerregte Synchronmotoren, die ohne Permanentmagnete und ohne seltene Erden auskommen. Und wie die Praxis mit verschiedensten Baureihen vom iX3 über den großen iX bis hin zum neuen iX1 gezeigt haben, sind diese Motoren nicht nur durchzugsstark, sondern auch ausgesprochen sparsam.
Im 35 liegt die maximale Leistung jedoch „nur“ bei 210 kW, während es der 40er auf 250 kW bringt. Der Unterschied liegt hier nicht im Motor, sondern in der Batterie: Jene des 35ers kommt auf eine Nennspannung von 353 Volt, die größere aus dem 40er auf 399 Volt – bei gleicher Stromstärke bietet die größere Batterie also einfach mehr Leistung. Egal, ob der Motor mehr kann oder nicht. BMW setzt in beiden Batterien auf die exakt gleichen Zellen, verbaut aber einfach weniger davon – oftmals wird bei den kleineren Batterien auch auf eine andere Zellchemie gesetzt.
Unsere Testfahrten führen uns aber zu einem klaren Ergebnis: Im Alltag spürt man keinen Unterschied, da man ohnehin eher selten mit 200 kW Leistungsbedarf oder mehr unterwegs ist. Auch auf der Autobahn haben wir die 40 kW Differenz nicht wirklich vermisst, in der Stadt ohnehin nicht. Im direkten Vergleich wären vermutlich die Unterschiede besser erfassbar, aber da wir beide i4-Versionen mit rund einem Jahr Abstand (hier geht es zum Test des i4 eDrive40) getestet haben, sind die Charakteristiken zu ähnlich. Auch mit etwas weniger Leistung ist der Antrieb gut abgestimmt, nimmt fein dosierbar die Befehle des Pedals an, egal ob beim Beschleunigen oder Rekuperieren.
Der Verbrauch ist nahezu gleich
Und auch der Verbrauch ist nahezu gleich: Am Ende des Tests zeigte der Bordcomputer 16,2 kWh/100km an, bei einzelnen Fahrten waren es aber auch unter 15 kWh/100km. Dass der Verbrauch etwas unter den 16,8 kWh/100km liegt, den wir im Vorjahr für den 40er ermittelt haben, muss nicht unbedingt auf die geringere Leistung oder die kleinere (und etwas leichtere) Batterie zurückzuführen sein. Die Tests fanden bei unterschiedlichen Bedingungen und mit leicht anderen Ausstattungen (z.B. Felgen) statt, ein direkter Vergleich auf die Nachkommastelle ist also nicht zulässig. Die Größenordnung passt aber.
Bei Leistung und Verbrauch gibt es also kaum relevante Praxis-Unterschiede. Bei der Reichweite ist das natürlich anders, fast 14 kWh Differenz im Netto-Energiegehalt bedeuten bei diesen Verbrauchswerten knapp 100 Kilometer Reichweite, die dem 35er auf den großen Bruder fehlen. Allerdings ergeben sich auch beim 35er errechnete 413 Kilometer Praxis-Reichweite mit unserem Durchschnittsverbrauch.
Auf der Autobahn – mit geltenden Tempolimits, ansonsten Richtgeschwindigkeit – stieg der Verbrauch selten über 19 kWh/100km. Das bedeutet immer noch 352 Kilometer Autobahn-Reichweite, für den 40er hatten wir 2022 436 Kilometer ermittelt, also 84 Kilometer Differenz. Und selbst wenn man nur den auf der Langstrecke relevanten Bereich von zehn bis 80 Prozent Ladestand heranzieht, kommt der 35er noch reale 250 Kilometer zwischen zwei Ladestopps weit. Im 40er sind es wohl zwischen 300 und 350 Kilometer – da ist eher die Distanz zum nächsten Ladepark entscheidend. Aber ein oder zwei Stationen weiter kommt man mit dem großen Akku schon.
An der Ladesäule angekommen, sind die Unterschiede wieder kleiner als es die Papier-Angaben vermuten lassen. Mit der kleineren Batterie sinkt auch die maximale DC-Ladeleistung etwas, konkret von 205 auf bis zu 180 kW. Da aber auch weniger Energie nachgeladen werden muss, steht der 35er mit 32 Minuten nur eine Minute länger als der 40er, um von zehn auf 80 Prozent zu laden.
Warum das so ist, zeigen die von uns ermittelten Ladekurven: Beim 35er (in Hellblau) ist die Ladekurve sehr ähnlich, aber immer einige kW nach unten verschoben zum 40er (in Dunkelblau). Es ist also nicht so, dass aufgrund der anderen Batteriespannung nur der Peak etwas niedriger ausfällt und in der Folge beide Batterie-Varianten auf der selben Kurve laden. Da der 35er nie an die Leistungskurve des 40er herankommt und schon bei 45 Prozent Ladestand unter die Marke von 100 kW fällt, wird es gefühlt ab 60 Prozent Ladestand zäh.
Der Vergleich in unserer Grafik mit den beiden Tesla-Modellen zeigt aber auch, dass sich einige Konkurrenzmodelle auf diesem Niveau bewegen – das ist einfach der Leistungsstand der 400-Volt-Modelle. Allerdings wäre im Alltag doch eher eine Ladekurve wie beim Mercedes EQE 350+ wünschenswert – zwar etwas weniger in der Spitze, dafür lädt der EQE noch mit 147 kW, wenn der i4 bereits unter die 100er Marke gefallen ist. Zwischen 40 und 80 Prozent SoC sind die Unterschiede eklatant, auch zum i4 eDrive40 – und dessen Antrieb bildet bekanntlich die Basis für den i5, also ein direktes Konkurrenzmodell zum EQE. An die 800-Volt-Stromer von Hyundai – in der Grafik ist der Ioniq 5 eingetragen, die Ladekurve entspricht aber dem Limousinenmodell Ioniq 6 – kommt aber keines der deutschen Modelle heran.
Beim Schnellladen liegt der i4 eDrive40 vor dem 35er
Beim Schnellladen fällt der i4 eDrive35 also etwas ab – nicht nur zum 40er, sondern auch zur Konkurrenz. Das ist vor allem ab 50 bis 60 Prozent Ladestand zu spüren, ab dann dauert es deutlich länger, bis sich die Ladestand-Anzeige im Cockpit weiter nach rechts füllt. Wer also regelmäßig längere Strecken unterwegs ist und diese mit möglichst wenigen Ladestopps absolvieren will, sollte doch zum großen Akku greifen – mit dem 35er würden sich dann eher viele, aber kürzere Ladestopps anbieten, um das Fenster mit der höheren Ladeleistung auszunutzen. Alle 150 Kilometer ein kurzer Ladestopp ist jetzt vermutlich auch nicht das, was die Premium-Kundschaft von BMW erwartet – selbst in einem Basismodell.
Überschreitet die tägliche Fahrstrecke jedoch nur selten die 200 Kilometer und man kann seinen i4 zu Hause oder am Arbeitsplatz mit Wechselstrom laden, sind die Unterschiede zwischen dem 35 und 40er erstaunlich gering. Allerdings ist auch die Preisdifferenz mit 2.700 Euro überschaubar. Sofern also nicht doch eine feste Budget-Obergrenze den Rahmen vorgibt und man doch lieber ein weiteres Ausstattungspaket als 84 Kilometer Praxis-Reichweite vorzieht, werden wohl viele Kunden zum iDrive40 greifen.
Neben der geringen Preisdifferenz gibt es womöglich noch einen weiteren Kritikpunkt, bei dem sich der 35er und 40er zu wenig voneinander unterscheiden: der Innenraum, konkret der Fußraum vor der Rückbank. Sie erinnern sich an die Aussage, dass BMW keine Kosten und Mühen gescheut habe, eine 80 kWh große Batterie in die Plattform des i4 zu intergrieren? Nun, das Ergebnis war, dass BMW neben den flach im Unterboden angeordneten Batteriemodulen weitere Module im „zweiten Stock“ auf die untere Ebene aufgesetzt hat, konkret unter der Rücksitzbank und im Kardantunnel der Verbrennermodelle. Genau jene drei Module à zwölf Zellen aus dem Kardantunnel hat BMW für die Batterie im 35er entfernt. Nur: Der Kardantunnel selbst ist noch da, wenn auch jetzt leer und ohne Funktion. Ja, für Puristen gibt es ohnehin keinen BMW ohne Kardantunnel, weil die Kraft des Reihensechsers ja irgendwie an die Hinterachse muss. Für Pragmatiker ist aber nicht verständlich, warum BMW dem i4 eDrive35 keine eigene Verkleidung des Innenraumbodens spendiert hat. Vermutlich ist es nicht so einfach wie gedacht, die Kardantunnel-Konstruktion aus der Plattform zu entfernen. Den Nachteil der Verbrenner-Karosserie kann BMW an dieser Stelle aber nicht ausbügeln: die Platzverhältnisse.
Zum Rest des i4 müssen wir an dieser Stelle gar nicht so viel sagen, es würde nur unseren Test aus dem Vorjahr wiederholen. Daher nur in Kurzform: Die Verarbeitung ist durchweg hochwertig, das Bediensystem ist zwar an die klassische Auto-Bedienlogik angelehnt und kein Tablet, das zufällig in einem Auto verbaut wurde, erledigt seine Aufgabe aber gut. Die Assistanzsysteme haben einen sehr guten Eindruck hinterlassen, die Car2X-Kommunikation funktioniert sauber: Selbst auf die Ampel einer temporären Baustelle an einer Landstraße hat der BMW mit mehreren Hundert Metern Vorlauf hingewiesen. Und das Fahrwerk zählt zu den besten in seiner Klasse, der Geräuschkomfort im Innenraum ist ebenfalls erwähnenswert – da kommt derzeit kein Tesla und kein Hyundai in die Nähe.
Positiv ist auch, dass BMW auch kleine Software-Details verbessert. Beim 2022er Test des i4 eDrive40 hatten wir noch kritisiert, dass die DC-Ladeleistung im Instrumenten-Display nur in einer kaum ablesbaren Balkengrafik dargestellt wird. Die Grafik ist zwar weiterhin vorhanden, die Anzeige wurde aber um eine genaue Kilowatt-Angabe ergänzt. So kann der Fahrer wenigstens etwas besser abschätzen, ob sich ein Aufenthalt am Schnelllader noch lohnt – bei der Balkengrafik war nur schwer abzuleiten, ob zum Beispiel noch 100 oder nur 80 kW fließen.
Die Verbrenner-Herkunft ist im Innenraum überall spürbar
Zum i4 gehört aber eben auch, dass es im Kern ein Verbrennermodell ist. Die Fronthaube ist entsprechend lang (für den Reihensechser), aber selbst bei den Hecktrieblern ist kein Frunk verbaut. Auch im Innenraum geht es nicht beengt, aber sportlich geschnitten zu – nicht nur beim Kardantunnel im Fußraum. Auch gut zugängliche Ablagen sind eher knapp. Der Kofferraum ist zwar durch die weit aufschwingende Heckklappe des Fließhecks gut zugänglich, es passen aber zum Beispiel nicht drei Getränkekisten nebeneinander in den Kofferraum. Beim Nio ET5, obwohl dieser nur die kleinere Öffnung einer Stufenheck-Limousine hat, kann dieser drei Kästen Mineralwasser nebeneinander verstauen – und noch einen Sixpack daneben. Sprich: Ein Fahrzeug auf einer reinen E-Auto-Plattform holt in dieser Größenklasse von grob 4,80 Metern mehr raus und bietet auch ein luftigeres Raumgefühl als der i4.
Und (natürlich) ist auch die Aufpreisliste ein wiederkehrender Kritikpunkt bei einem deutschen Premiumhersteller. In unserem Testwagen sind Extras für mehr als 13.000 Euro verbaut, was den Bruttolistenpreis von 56.500 auf 70.880 Euro bringt. Und dabei reden wir nicht über eine Vollausstattung: Der Testwagen stand auf den 17 Zoll großen Aero-Felgen für nur 400 Euro Aufpreis. Selbst eine Sitzheizung vorne kostet 380 Euro, die induktive Ladeschale fürs Smartphone (vor dem Cupholder und damit nur schwer zugänglich) kostet 200 Euro. Ambientelicht schlägt mit 370 Euro zu Buche und der „Komfortzugang“, bei dem der Fahrzeugschlüssel in der Hosentasche bleiben kann, kostet 650 Euro.
Fazit
Der „Verzicht“ beim Basismodell des i4 dürfte für viele Kunden kaum ins Gewicht fallen. Da der Preisunterschied aber nur etwas über dem Niveau des Assistenzpakets liegt, dürften viele Kunden nach wie vor zum großen Akku greifen.
Den Trend zu immer größeren Batterien stoppt BMW immerhin – wenn auch zwangsläufig, weil in den Unterboden der CLAR-Plattform mit der aktuellen Zellgeneration nicht mehr reinpasst. Mit den effizienten Antrieben ist es zwar möglich, auch mit 67 kWh in dieser Fahrzeugklasse wettbewerbsfähige Reichweiten zu erzielen. Ob BMW das im Marketing auch dem Kunden nahebringen kann, dass „mehr“ nicht unbedingt besser ist, steht auf einem anderen Blatt Papier – angefangen mit der Preisliste.
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