Was die Begleitforschung aus den aktuellen Tests mit Oberleitungs-Lkw ableitet
Zwischen Herbst 2019 und März 2023 analysierten Wissenschaftler im BOLD-Projekt die Technologieakzeptanz von Oberleitungs-Lkw sowie Chancen und Hindernisse dieses Technologiepfads für die Industrie und das politische Umfeld. Auf 93 Seiten haben sie nun ihren Abschlussbericht vorgelegt, der Erkenntnisse aus der 3,5 Jahre dauernden Projektphase bündelt.
Um was geht’s? Das Prinzip des Lkw-Oberleitungssystems lautet wie folgt: Während der Fahrt wird der Elektromotor der O-Lkw mit Strom aus der Oberleitung angetrieben, während gleichzeitig die Batterien aufgeladen werden. Das dynamische Laden verkürzt damit stationäre Stand- und Ladezeiten und ermöglicht elektrisches Fahren auch über den elektrifizierten Streckenabschnitt hinaus.
Der Projektname BOLD steht für „Begleitforschung Oberleitungs-Lkw in Deutschland“. Das wissenschaftliche Vorhaben wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz finanziert. Ausgewertet haben das Fraunhofer-Institut ISI, das ifeu-Institut für Energie und Umweltforschung und das Öko-Institut gemeinsam die drei eHighway-Feldversuche ELISA (in Hessen), FESH (in Schleswig-Holstein) und eWayBW (in Baden-Württemberg) sowie zwölf weitere Forschungsprojekte zu elektrischen Oberleitungs-Lkw.
Ziel sei es, Ergebnisse aus diesen Versuchen und Projekten (…) miteinander in Bezug zu setzen, projektübergreifend vergleichbar zu machen und damit den Erkenntnisgewinn aus allen Projekten zu maximieren, wie es das Fraunhofer ISI formuliert. Den inhaltlichen Fokus setzten die Wissenschaftler dabei auf Umweltauswirkungen und Akzeptanz der Technologie. Außerdem haben sie politische Szenarien und Strategien für eine mögliche Systemeinführung entwickelt und dafür Experten aus den Projekten, aber auch externe Stakeholder einbezogen. Die Ergebnisse aus dem BOLD-Projekt sollen nichts Geringeres als „eine umfassende wissenschaftliche Grundlage für die künftige Entscheidung über eine großskalige Systemeinführung bilden“, wie die Projektbeteiligten schreiben.
Scania dafür, Daimler Truck eher dagegen
So viel zur Vorrede, kommen wir zu den Resultaten: In puncto Akzeptanz haben die Wissenschaftler unter anderem herausgefunden, dass Lkw-Hersteller sehr unterschiedliche Haltungen gegenüber O-Lkw einnehmen. Scania wird als Beispiel für einen Player mit sehr positiver Einstellung gegenüber der Technologie genannt. Das ist auch kein Wunder, schließlich stellt Scania die Fahrzeuge für die Feldversuche in Schweden und Deutschland. Gleichwohl liege Scanias Hauptaugenmerk bei den alternativen Antrieben auf BEV-Fahrzeugen, relativieren die Studienmacher. Die ablehnendste Haltung nimmt laut dem Report Daimler Truck ein. Das Unternehmen beteiligt sich zwar an dem Feldversuch eWayBW in Baden-Württemberg, aber nur um seinen BEV-Lkw mit dem Oberleitungs-Lkw von Scania zu vergleichen.
Andere OEMs nehmen der Analyse zufolge eine neutrale bis beobachtende Haltung gegenüber Oberleitungs-Lkw ein. Volvo habe sich aus einer frühen Beteiligung zurückgezogen, Iveco habe sich an Versuchen mit Induktionsspulen und DAF an einem kürzlich durchgeführten Entwicklungsprojekt mit Oberleitungs-Trucks beteiligt. MAN, das über Traton mit Scania verbunden ist, und Renault Trucks, eine Marke von Volvo Trucks, hätten sich nicht gesondert engagiert und äußerten in den Interviews eher kritische Haltungen gegenüber Oberleitungs-Lkw, heißt es wortwörtlich.
Die Begleitforschung hat als weiteres Resultat auch einen allgemeinen Wissensmangel und irreführende Informationen hinsichtlich Kosten und der technologischen Einsatzbereitschaft der verschiedenen alternativen Antriebsmöglichkeiten offengelegt. Anwohner und lokale politische Akteure seien hier am kritischsten gewesen, so die Wissenschaftler. Ihr O-Ton: „Die Stimmung in der Gesellschaft gegenüber Oberleitungs-Lkw ist nach wie vor kritisch und zwar vor allem angesichts fehlender öffentlicher Informationen, hoher wahrgenommener Kosten, Vergleichen mit alternativen Technologien und Problemen in den Betriebsphasen.
Beteiligte Logistiker mit eHighway Hessen zufrieden
Und wie stehen Logistiker zu O-Lkw? Nicht beteiligte Logistikunternehmen nehmen laut dem Bericht eine abwartende Haltung ein. Die in Hessen am ELISA-Projekt beteiligten Speditionen seien dagegen explizit zufrieden, „obwohl der
Lkw-Betrieb eine höhere Aufmerksamkeit der Fahrer erfordert und in einigen Fällen ein höherer Aufwand für die Routenplanung besteht“. Aus Sicht der Unternehmensführungen eigne sich der Oberleitungs-Lkw derzeit vor allem für regionale Transporte, heißt es.
Mit Blick auf die politische Landschaft hat eine Akteurs-Netzwerkanalyse der Wissenschaftler ergeben, dass viele internationale Akteure auf die Entscheidung der deutschen Regierung warten und Deutschland als Schlüsselland wahrgenommen wird, nach dem sich andere Länder richten. Schweden und Frankreich seien ebenfalls wichtig, spielen jedoch laut dem Fraunhofer ISI aufgrund der geografischen Lage – im Fall von Schweden – und wegen ihrem Fokus auf Lkw mit Stromschienen anstelle von Oberleitungen – so der Fall in Frankreich – eine untergeordnete Rolle. Länder wie Österreich, Dänemark, Großbritannien, Italien und die Niederlande sehen indes klare Barrieren für die Technologie, „wenn Schlüsselländer wie Deutschland sich politisch nicht klar dazu bekennen“.
Auf EU-Ebene zeigte eine Befragung der BOLD-Partner, dass elektrifizierte Straßensysteme bisher keine große Rolle in politischen Diskussionen spielen. Viele EU-Politiker seien uninformiert oder neutral gegenüber dieser Technologie eingestellt, so das Ergebnis.
Weitere Erkenntnisse des Abschlussreports betreffen die Klimabilanz von Oberleitungs-Lkw im Vergleich zu Batterie-elektrischen Lkw, Brennstoffzellen-Lkw und die Verwendung von E-Fuels bzw. Power-to-Liquid-Kraftstoffen. Eine von den Wissenschaftlern initiierte vergleichende Lebenszyklus-Bewertung der Technologien ergab, dass die direkte Verwendung von Elektrizität, sei es zum stationären Aufladen von Batterien oder über Oberleitungen, eine technisch machbare Alternative für einen großen Teil des Straßengüterverkehrs darstellt und selbst kurzfristig eine positive Klimabilanz aufweist.
„Konzepte mit direkter Stromnutzung sollten daher vorrangig verfolgt und nur dort ergänzt werden, wenn ihr Einsatz aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen begrenzt ist“, schlussfolgern die Projektpartner. Oberleitungs-Lkw mit kleineren Batterien hätten wiederum einen Vorteil gegenüber Batterie-Lkw: Die Ergebnisse zeigen nicht nur leicht höhere Treibhausgas-Einsparungen, sondern auch eine signifikante Reduktion anderer Umweltauswirkungen wie Versauerung und Eutrophierung im Vergleich zu Batterie-elektrischen Lkw.
Infrastrukturkosten auf Nutzer umlegen
Aber: Der Aufbau einer Oberleitungsinfrastruktur ist die zentrale Herausforderung für den Einsatz von Oberleitungs-Trucks. In Europa stehen bisher nur einige wenige Teststrecken von einigen Kilometern Länge zur Erprobung zur Verfügung. Allein in Deutschland umfasst das Kernnetz der Autobahnen aber eine Länge von rund 4.000 Kilometern.
Wirtschaftliche Analysen hätten dennoch gezeigt, dass Oberleitungs-Lkw bereits in den nächsten Jahren für die Nutzer wirtschaftlicher sein könnten als Diesel-Lkw, teilen die Studienmacher mit. Zwar könnten in der Netzaufbauphase die Infrastrukturkosten nicht auf die frühen Nutzer umgelegt werden, „längerfristig kann die Infrastruktur aber durch die Nutzer refinanziert werden, wenn das Netz in größerem Umfang genutzt wird“, vergegenwärtigen die Wissenschaftler.
Sowohl Ladesäulen für Batterie-elektrische Fernverkehrs-Lkw als auch dem Oberleitungssystem attestieren die Projektbeteiligten Stärken und Schwächen in unterschiedlichen Marktphasen. „Während stationäre Ladepunkte vor allem in der frühen Marktphase das flexiblere System darstellen, kann das Oberleitungssystem perspektivisch den Druck auf den Bau von Ladestationen reduzieren und durch die Möglichkeit des dynamischen Ladens Synergien schaffen“, heißt es.
Klares Signal aus der Politik fehlt bislang
Noch ist das Oberleitungssystem aber nicht ausgereift. Die Technologie der Fahrzeuge und der Infrastruktur muss den Forschern zufolge zur Serienreife weiterentwickelt und die Standardisierung der zentralen
Schnittstellen vorangetrieben werden. Und es fehle noch ein Betriebsmodell und ein Markt für Oberleitungs-Lkw, der mehrere Hersteller umfasst und Nachfrage generiert. „Um dies zu erreichen, bedarf es eines klaren Signals und einer Entscheidung in naher Zukunft für die Verwendung von elektrischen Oberleitungs-Lkw durch die deutsche Bundesregierung. Dies würde Klarheit für Industrie, Forschung und Nachbarländer schaffen“, so eine zentrale Handlungsempfehlung der Beteiligten.
Dr. Till Gnann, der die Forschungsaktivitäten im BOLD-Projekt am Fraunhofer ISI koordinierte, kommt zu folgendem Resümee: „Aufgrund ihrer hohen Effizienz, vergleichsweise niedriger Kosten und positiver Klimaauswirkungen stellen Oberleitungs-Lkw eine vielversprechende Option dar, wenn sie mit erneuerbaren Energien betrieben werden.“ Und weiter: „Im BOLD-Projekt wurde deutlich, dass der Bau einer Oberleitungsinfrastruktur für das deutsche Autobahnnetz im Langstrecken-Straßengüterverkehr technisch möglich, aber sehr herausfordernd ist.“ Die Frage sei vielmehr, welche Technologie sich letztendlich durchsetzen wird, wie lange der Bau der Infrastruktur dauern wird und wie lange sie aufgrund einer geringen Auslastung subventioniert werden kann.
isi.fraunhofer.de, isi.fraunhofer.de (Abschlussbericht als PDF)
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