electrive LIVE #33: Wie Elektromobilität in der Flotte bei der Antriebswende hilft
Elektrische Dienstwagen haben keinen Seltenheitswert mehr: Zweidrittel der deutschen Unternehmen sammeln bereits Erfahrung mit E-Autos. Doch oft noch testweise und im kleinen Umfang. Kein Wunder: Neben viele Chancen lauern weiterhin Hürden bei der Modellauswahl, beim Restwert, bei der Abrechnung des Ladestroms – und hier und da auch bei der Überzeugung der Belegschaft.
Großunternehmen bilden dabei keine Ausnahme. Der Softwarekonzern SAP und die Deutsche Telekom haben Dienstflotten mit einer fünfstelligen Anzahl an Fahrzeugen und wollen gänzlich vom Verbrennungsmotor weg. Sie gelten damit als Vorreiter in der deutschen Wirtschaft. Mit Steffen Krautwasser (SAP) und Dr. Olga Nevska (Deutsche Telekom) skizzieren die beiden deutschen Flottenchefs der Konzerne in unserer 33. Online-Konferenz den steinigen aber lohnenswerten Weg zum emissionsfreien Fuhrpark. Über 300 digitale Gäste lauschen ihnen.
Umstellung auf E-Autos eine Investition in die Zukunft
Dass die Umstellung auf elektrische Autos und Transporter eine clevere Investition in die Zukunft ist, unterstreichen auch Tom Pilz (Alphabet Fuhrparkmanagement), Cornelius Junker (CHARGE NOW for Business), Manuel Hutter (The Mobility House) und Horst Haug (Mobilize Power Solutions). Sie teilen mit dem Fachpublikum Zahlen, Projekte und Beispiele aus ihrer Berufspraxis sowie vor allem ihre Learnings im Bereich der Infrastruktur.
Den Anfang macht an diesem Tag Tom Pilz, Manager E-Mobility & Fleet Emission Consulting der Alphabet Fuhrparkmanagement GmbH. Sein Unternehmen verfügt als Leasing- und Finanzierungsspezialist über 160.000 Fahrzeuge in Deutschland. Dadurch ist Pilz nah am Markt dran. „Jedes Jahr werden in Deutschland eine Million Firmenfahrzeuge zugelassen. Ein großes Potenzial!“, vergegenwärtigt er. Zwei Drittel der Firmen hätten hierzulande schon E-Mobilität implementiert, gleichzeitig seien über 70 Prozent der Fahrzeuge in Betriebsflotten weiterhin Diesel. „Die Durchdringung ist also noch nicht da“. Das liegt aus Pilz‘ Sicht weniger am weggefallenen Umweltbonus („Trotzdem wollen alle umstellen“) als daran, dass es keine E-Roadmap von der Stange gibt, sondern jedes Unternehmen gemäß seinen Anforderungen einen eigenen Weg finden muss.
Wie der Weg der Deutschen Telekom aussieht, beleuchtet Dr. Olga Nevska, Geschäftsführerin der Telekom Mobility Solutions. Die Tochtergesellschaft agiert als Telekom-eigener Mobilitäts-Provider und verantwortet rund 23.000 Betriebsfahrzeuge (darunter inzwischen 1.700 BEV). Seit 2023 beschaffen Nevska und ihr Team nur noch Batterie-elektrische Pkw, das gilt für alle unter die Car Policy fallenden Dienstwagen, nicht aber für die rund 16.000 Service-Fahrzeuge, die die Techniker des Unternehmens für die Kundenbesuche nutzen. „Bisher“, verrät Nevska in unserer Konferenz exklusiv, denn die Geschäftsführerin ist an diesem Thema dran. Eine Entscheidung mit der Chefetage der Telekom, ob auch die Serviceflotte elektrifiziert wird, stehe unmittelbar bevor. Nevska geht davon aus, dass „wir in diesem Bereich starten werden, um Erfahrung zu sammeln“.
Die Flottenmanagerin berichtet weiter, wie sich die Beschaffung von den ersten E-Autos im Jahr 2019 bis heute verändert hat, wie die Mitarbeiter offener, die Modellauswahl größer und die Reichweitenangst geringer wurde („Wir setzten anfangs auf eine Ersatzmobilität für Urlaube. Die wurde kaum genutzt.“). Sie spricht von Lenk-Mechanismen, die ihr Unternehmen in der Car Policy ausprobiert hat, ehe man sich traute, auf 100 Prozent BEV zu setzen. Die größte Herausforderung nun? „Die Early Adopters haben sich freiwillig einen E-Dienstwagen bestellt, jetzt müssen wir auch alle anderen mitnehmen und als Unternehmen Aufwand betreiben, damit sich niemand verloren fühlt.“
Die Mythen, die weiterhin über E-Autos und Ladeinfrastruktur kursieren, greift Cornelius Junker, Senior Sales Manager bei CHARGE NOW for Business, powered by Digital Charging Solutions, auf. „Die Ladegeräte sind nicht ausgereift oder Lader immer belegt – das sind häufige Bedenken“, berichtet Junker aus seinem Berufsalltag. Als Manager unter dem Dach des Berliner eMobility Service Providers berät er zu Ladelösungen für OEMs, Flotten und E-Auto-Fahrer, die das Laden zu Hause, bei der Firma und unterwegs abdecken. Eine seiner Kernbotschaften: „Nehmen Sie nicht alles aus einer Hand: Bricht der Anbieter weg, ergibt sich ein Login-Effekt. Besser ist es, auf ein gut abgestimmtes Partner-Netzwerk zu setzen.“
Umweltbonus bei Beschaffung kein Thema mehr
Zum direkten Austausch zwischen den drei genannten Speakern und Moderator Peter Schwierz kommt es anschließend in der ersten Panel-Diskussion. Telekom-Vertreterin Olga Nevska schildert, dass bei einer E-Auto-Beschaffungsdauer von sechs bis neun Monaten der weggefallene Umweltbonus schon länger kein Thema mehr sei. Man habe sich damit arrangiert. Tom Pilz von Alphabet stimmt zu. Der Wegfall der Förderung wird aus seiner Sicht auch durch die Tatsache abgemildert, dass sich die Autobranche „zu einem Angebotsmarkt mit mehr Konkurrenz“ hineinwickele und die Preise der E-Autos dadurch attraktiver werden. Die Restwerte waren aus seiner Sicht bisher schwer kalkulierbar. Das ändere sich aber ebenfalls langsam.
Kontrovers diskutieren die Panel-Teilnehmer den Vorstoß der Regierung, die 0,25% Regel bei der Besteuerung von elektrischen Dienstwagen auf Modelle mit einem Bruttolistenpreis von 80.000 Euro anzuheben. „Vorher war es mit 60.000 Euro sehr knapp bemessen“, so Pilz. Nun kämen auch hiesige Hersteller mit Fahrzeugen, die tendenziell weiter kommen, zum Zuge. Nevska befürchtet, dass man „nun eher geneigt ist, ‚Groß´ zu nehmen“.
Auch die THG-Quote als Förderinstrument streifen die Experten und bezeichnen sie als kleinen, aber wichtigen Baustein, der einen „guten Kommunikationseffekt“ im Unternehmen erzielen könne. „Schön wäre, wenn in diesem Bereich auf die Gesetzgebung mehr Verlass wäre, damit mehr Stabilität einkehrt. Es sind schon genug Parameter volatil“, bemerkt Nevska.
Chinesische Fahrzeuganbieter hält das Trio übrigens durchaus für konkurrenzfähig. „Sie stehen preislich gut da und sind vor allem angesichts der langen Lieferzeiten der deutschen und europäischen Hersteller lukrativ“, so Pilz. Das Manko: „Der Service, die Werkstattabdeckung. Auch amerikanische Hersteller haben da übrigens Probleme. Das zählt einfach als Komfort-Faktor!“, führt der Alphabet-Vertreter aus. Nevska stimmt zu.
Ladeinfrastruktur-Fachmann Junker schaltet sich bei der Diskussion um die kommende Kartenterminal-Pflicht an öffentlichen Ladern ein. „Damit tut man den Nutzern nicht unbedingt einen großen Gefallen. Das kreiert Komplexität, die es gar nicht bedarf“. Für Flotten ergebe sich die Frage, ob nun jeder Mitarbeiter eine Kreditkarte haben müsse. „Viel einfacher ist es pro Mitarbeiter/Kostenstelle gebündelt abzurechnen. Unser Favorit ist eine simple digitale Lösung.“ Auch hier kann Nevska aus der Praxis nur zustimmen: „Wir wünschen uns eine einfache, transparente, geräuschlose Lösung – und keine Barbelege-Sammlung“.
Elektrifizierung von Service-Flotten eine andere Hausnummer
Schließlich sind sich alle drei einig, dass die Elektrifizierung von Service-Flotten, wie sie etwa bei der Telekom zum Einsatz kommen, eine andere Hausnummer darstellt als die Umstellung von klassischen Mitarbeiter-Dienstwagen. „Bei Transportern ist die Reichweite noch schwierig, vor allem weil am Tag oft die Zeit für das Zwischenladen fehlt“, so Pilz. Flottenmanagerin Nevska sieht noch eine Marktlücke bei elektrischen Klein-Transportern in Caddy-Größe und spricht von „stolzen Preisen“ im Transportersegment. Außerdem sei unklar, wo und wie die Service-Flotte geladen werden kann. „Nur auf öffentliches Laden wollen und können wir uns noch nicht verlassen.“
Im zweiten Teil der Konferenz übernimmt Manuel Hutter, Key Account Manager Unternehmensflotten von The Mobility House, den Auftakt. Er skizziert, wie Flottenbetreiber dank netzdienlichem Laden künftig mit ihren E-Fahrzeugen Geld verdienen könnten. Sein Münchner Unternehmen arbeitet schon seit Jahren an Geschäftsmodellen, wie sich die Speicherfähigkeit von E-Autos vermarkten lässt.
„Nur durch intelligentes Laden – also V1G – lassen sich 830 Euro pro Jahr pro Fahrzeug sparen. Mit der zusätzlichen künftigen Option der Rückspeisung ins Netz – auch V2G genannt – sind es 1.690 Euro“, berichtet Hutter mit Verweis auf eigene Feldversuche. „Fuhrparks seien künftig mehr wert als die Fahrzeuge. Sie werden ein Asset am Markt!“ Für V2G fehlt es zwar noch an Regularien, Hutter empfiehlt aber, schon jetzt auf herstellerneutrale und Schnittstellen-offene Lade- und Energiesysteme zu setzen, um die Implementierung später zu erleichtern. Und V1G habe auch schon ein hohes Sparpotenzial, betont er anhand des neuesten, für den Privatmarkt konzipierten Produkts namens eyond aus München.
Mit Steffen Krautwasser betritt anschließend SAPs globaler Flottenchef die digitale Bühne. Seine Abteilung verantwortet rund 28.000 Fahrzeuge, darunter etwa 18.000 in Deutschland. Im Gepäck hat Krautwasser weitere interessante Zahlen: So sind in der Konzernflotte von SAP inzwischen 3.100 reine Elektroautos und 4.500 Plug-in-Hybride integriert. 1.200 Ladepunkte strebt das Unternehmen an seinen Standorten bis Ende des Jahres an, rund 2.000 sind bei Mitarbeitern daheim installiert. Die Bestellungen von BEV lagen 2020 noch bei sieben und 2023 bereits bei 32 Prozent. Bisher alles auf freiwilliger Basis. Ab 2025 werden Krautwasser und sein Team auf Anweisung des Executive Board dann nur noch emissionsfreie Fahrzeuge bestellen. Gemäß der üblichen Verweildauer in der Flotte rechnet der SAP-Fuhrparkchef damit, dass ab 2030 dann die letzten Verbrenner und PHEV ausgemustert sind.
Krautwasser berichtet, wie der Software-Konzern vor zehn Jahren anfing, mit E-Autos zu experimentieren. Plug-in-Hybride bezeichnet er als sinnvolle Übergangstechnologie, die etliche Mitarbeiter an die E-Mobilität herangeführt habe. „Wir haben uns intern viel mit Modellen und Ladeinfrastruktur beschäftigt, inzwischen glaube ich, dass Change Communication das größte Thema ist.“ Es gebe im Unternehmen viele Neustarter in Sachen E-Mobilität, „die wollen sich nicht mir Ladekurven beschäftigen, sondern nur von A nach B kommen“. Um die Leute mitzunehmen sei viel Kommunikation gefragt.
Elektroautos sind ein Business-Case
Außerdem rückt Krautwasser die Kosten in den Fokus, schließlich werde verlangt, dass man profitabel agiere. „Da wir früh begonnen haben, können wir Vergleichswerte heranziehen. Daher können wir sagen: Elektroautos sind nicht nur ein Nachhaltigkeits- sondern ein Business-Case.“ Die höheren Anschaffungskosten werden durch niedrigere Betriebskosten aufgefangen. Allerdings bleibt die Kalkulation dynamisch: „Die Förderung ist weggefallen. Steuervorteile werden früher oder später wegfallen. Und wie sich die Kosten bei Unfällen entwickeln, müssen wir noch abwarten.“
Mit Horst Haug, Geschäftsführer von Mobilize Power Solutions, kommt zum Abschluss noch einmal ein Ladeinfrastruktur-Fachmann zu Wort. Bei Mobilize handelt es sich um die vierte Marke im Renault-Konzern. In Deutschland ist sie in Form eines Joint Ventures von Renault und GP Joule aktiv. Europaweit hat Mobilize 50.000 Ladepunkte installiert, außerdem arbeite man an einem europaweiten Backend, berichtet Haug.
Als eines der wichtigsten Projekte skizziert der Geschäftsführer des Hamburger Joint Ventures, die für das zweite Quartal 2024 geplante Kommerzialisierung einer V2G-fähigen Wallbox namens Mobilize Powerbox, die es zu dem ebenfalls V2G-fähigen Renault 5 geben soll. Bei dem dazugehörigen Stromvertrag wird Mobilize wiederum mit The Mobility House kooperieren. So klein ist in diesem Fall die eMobility-Welt.
Aufbau von Ladeinfrastruktur am Office eine Routine-Aufgabe?
In der zweiten Panel-Diskussion des Tages debattieren die Experten anschließend, ob der Aufbau von Ladeanlagen am Office inzwischen schon eine Routine-Aufgabe ist. Hutter, Haug und Krautwasser verneinen. „Jedes Projekt muss aus mehreren Perspektiven betrachtet werden: Gebäudeart, Fahrzeuganzahl, Art der Fahrzeuge und Einsatzzwecke, Energiezufuhr“, zählt der Fachmann von The Mobility House auf. „Die Lösungen sind klar, aber die Umsetzung ist immer individuell“, pflichtet der Mobilize-Geschäftsführer bei.
Krautwasser bestätigt dies aus Kundensicht: „Schon die Frage, ob es sich um ein eigenes oder angemietetes Firmengebäude handelt, ist entscheidend. Es wird einfacher, je mehr man über eigene Gebäude spricht.“ Dennoch müsse jeweils individuell geschaut werden, wie man die benötigte Strommenge zum Standort bekommt und welche maximale Ausbaustufe man anstrebe. Schon jetzt sei klar: SAP werde nicht für jedes E-Fahrzeug einen Lader vorhalten: Es muss nicht jedes Fahrzeug jeden Tag geladen werden“, so Krautwasser.
Das bidirektionale Laden interessiert laut Hutter schon heute viel Kunden. „Es ist ein spannender Bereich, bei dem die Regulatorik noch hinterherkommen muss.“ Der Firmenparkplatz als Energiedrehscheibe? Für den SAP-Manager ist das noch ein Zukunftsthema. „Wir schauen uns das an. Aber mein Thema als Fuhrparkmanager aktuell ist vor allem, wie die Leute ihr Ziel gut erreichen können.“ Technisch werde bald sehr viel möglich, aber regulatorisch stehe man vor sehr großen Herausforderungen. „Was machen wir zum Beispiel, wenn jemand im Office kostenlos sein Auto lädt und mit diesen Strom dann die heimische Wärmepumpe versorgt?“, fragt Krautwasser in die Runde. „Die Regulatorik muss jetzt angegangen werden!“
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