Was kann das Tesla Model Y mit BYD-Akku?
Ist das Tesla Model Y eigentlich ein deutsches Auto? Schließlich wird es in Grünheide produziert. So wie unser Testwagen, bei dem der Buchstabe B an der elften Position der VIN für Berlin steht. Die Pressestelle hat auf unseren Wunsch die Basisversion bereitgestellt: Mit Heck- statt Allradantrieb. Mit 455 statt 533 Kilometern Reichweite nach WLTP-Norm. Und mit LFP-Zellen von BYD in der Traktionsbatterie, zu deren grundsätzlichen Eigenschäften die Kälteempfindlichkeit gehört. Kann das im Winter funktionieren und falls ja, welche Abstriche müssen Käufer hinnehmen, die 7.000 Euro weniger investieren als für Maximale Reichweite aka Long Range?
Die gute Nachricht zuerst: Für nun 42.990 Euro (Anmerkung der Redaktion: Beim Erscheinen dieses Artikels lag der Preis noch bei 44.890 Euro, Tesla hat die Preise aber über Nacht gesenkt) gibt es alles, was einen Tesla ausmacht. Und das ist zuerst die Convenience bei der Bedienung. Also die Verbindung aus Einfachheit und Komfort. Konkret: Die App ist fehlerfrei, zeigt den Standort, den Ladestand und die Innenraumtemperatur an. Die Vorklimatisierung ist genauso über die App möglich wie das Öffnen und Schließen – und das alles zuverlässig und zügig. Das ist leider erwähnenswert, weil viele Wettbewerber das nicht oder nicht in dieser Übersichtlichkeit bieten.
Tesla bedeutet Convenience
Das gilt auch für den Routenplaner: Nach der Zieleingabe per Sprachsteuerung zeigt das Display die Supercharger entlang der Strecke an und wie lange geladen werden sollte. Zugleich wird die Traktionsbatterie für den Stopp vorkonditioniert, was im Winter das Heizen bedeutet. Am Supercharger angekommen, startet das Laden wie bei Plug & Charge: Die Identifikation ist automatisiert. Kabel einstecken, fertig.
Es sollte jedem klar sein, dass diese Kombination aus perfektem Routenplaner, gezielter Vorkonditionierung und „Plug & Charge“ – nennen wir es mal so, auch wenn es nicht exakt das normierte Plug & Charge-Verfahren ist – besonders für jene Nutzer ideal ist, die ein Elektroauto einfach nur fahren wollen, ohne viel wissen zu müssen. Convenience eben. Viele Konkurrenten haben das verstanden und das Prinzip übertragen. Einige dagegen bieten in dieser Hinsicht gar nichts. Und BMW hat Tesla bei einer Funktion eingeholt: Die manuelle Vorkonditionierung bei BMW ist ein gelungenes Feature für alle, die gerne ohne Navigationssystem fahren.
Vorkonditionierung eliminiert Kälteproblem
Der Punkt, an dem das Tesla Model Y RWD herausragend ist, ist die Steuerung der Traktionsbatterie. Tesla veröffentlicht keine Zahlen, aber nach unserer Messung und anderen übereinstimmenden Quellen beträgt der Energieinhalt 60 Kilowattstunden (kWh). Was Tesla aus den LFP-Zellen von BYD macht, ist beeindruckend.
Eigentlich haben LFP-Zellen (für Lithium-Eisenphosphat) ein Kälteproblem. Bei Frost nehmen sie gar keinen Strom, und erst bei über 40 Grad Innentemperatur fühlen sie sich richtig wohl. Offensichtlich ist die Steuerungssoftware so ausgelegt, dass durch die Vorkonditionierung am Supercharger dieser Zielkorridor erreicht wird. Das lässt sich auch am vorher ansteigenden Stromverbrauch erkennen.
Ladeperformance wie 800-Volt-Systeme
Ergebnis: Das Teil ballert. Bei winterlichen Außentemperaturen von drei bis acht Grad sind für den Ladehub von zehn auf 80 Prozent reproduzierbar knapp 20 Minuten vergangen. Das ist fast das Niveau der Plattform e-GMP von Hyundai mit 800 Volt Spannung, wo die Werksangabe 18 Minuten beträgt.
Die Peakleistung liegt im Model Y bei über 170 kW. Dieser Zahlenwert ist aber weniger aussagekräftig als der Vergleich der Minuten für den typischen Ladehub von zehn auf 80 Prozent. So lässt sich die Performance von Traktionsbatterien mit unterschiedlichem Energieinhalt besser vergleichen. Für Fachleute: Die C-Rate. Und hier bedeuten 20 Minuten nicht nur einen Vorsprung gegenüber den durchschnittlich 30 Minuten, die bei der Konkurrenz üblich ist. Dieser Sprint deklassiert zugleich den Zulieferer BYD, der in den eigenen Elektroautos wie dem Atto 3 44 Minuten angibt.
LFP-Zellen sind belastbar
Wie macht Tesla das? Darüber darf plausibel spekuliert werden. Klar ist, dass die Vorkonditionierung die zwingende Voraussetzung für die hohe Ladegeschwindigkeit ist. Das erreicht Tesla mit großer Erfahrung und per Software. Darüber hinaus ist es wahrscheinlich, dass Tesla den LFP-Zellen mehr zumutet als anderen Zellchemien.
Der Grund: LFP-Zellen haben eine sehr hohe Zyklenfestigkeit. Wenn von dieser überschüssigen Dauerhaltbarkeit ein wenig verloren geht, weil die Zellen hart rangenommen werden, ist das in der Realität möglicherweise kaum feststellbar. Wichtig ist auch zu verstehen, dass LFP-Zellen ein sehr geringes Risiko des thermischen Durchgehens haben. Sie sind belastbar.
Das Model Y ist sparsam
Die LFP-Zellen im Tesla Model Y RWD sind nicht nur kein Nachteil, sondern ziemlich erfreulich. Zur Praxisreichweite: Tesla gibt 455 Kilometer und einen Stromverbrauch von 15,7 kWh/100km nach WLTP-Norm an. Im winterlichen Testmittel kamen wir exakt auf 20 kWh/100km oder, wie es im Markensprech heißt, 200 Wh/km. Daraus ergibt sich eine rechnerische Reichweite von 300 Kilometern.
Auf der Autobahn mit Richtgeschwindigkeit konnten wir ein Spektrum von 20,2 kWh/100km in dichtem Verkehr und mit wechselnden Tempi bis 24,7 kWh/100km bei freier Strecke und aktiver Vorkonditionierung feststellen. Die Reichweite reduziert sich so auf 243 Kilometer. Schneller oder gar bis zur Spitzengeschwindigkeit von 217 km/h fahren macht allerdings keinen Spaß. Dazu gleich mehr.
Zuerst noch ein paar andere Stichprobenwerte beim Stromverbrauch: Im Überlandbetrieb waren 15,4 kWh/100km ablesbar. Der Minimalwert von 13,4 kWh/100km kam im fließenden Stadtverkehr zu Stande. Das Tesla Model Y ist für ein Auto dieses Formats sparsam.
Fahrwerksabstimmung und Geräuschdämmung verbesserungsfähig
Es ist wenig verwunderlich, dass das Tesla Model Y in Europa das meistverkaufte Auto – nicht nur Elektroauto – ist. Es bietet viel Platz, es ist leicht zu bedienen und profitiert vom Image der Modernität, das Tesla inzwischen genießt. Tesla steht fast synonym fürs Elektroauto an sich.
Mit etwas innerem Abstand und einer gewissen Nüchternheit muss aber auch gesagt werden, dass das Model Y Schwächen hat. So bleibt es zum Beispiel dabei, dass die Fahrwerksabstimmung dürftig ist. Bei niedrigen Geschwindigkeiten ist der Abrollkomfort mäßig. Bei härterer Gangart ist die Lenkung zu indifferent. Und bei schneller Fahrt auf der Autobahn ist das Model Y nicht ansatzweise so souverän wie etwa ein BMW iX1. Man lässt es freiwillig.
Wer seit vielen Jahren keinen Neuwagen gefahren ist oder noch nie in einem Elektroauto unterwegs war, wird das kaum bemerken. Aber in diesem Segment und dieser Preisklasse gibt es sehr viel harte Konkurrenz, und die ist oft leiser und komfortabler.
Tesla hat sich zuletzt stark auf die Kostensenkung in der Produktion konzentriert. Eine Strategie, die sich auszahlen wird, wenn der Kampf ums Geld härter wird. Sprunginnovationen dagegen sind ausgeblieben.
Assistenzsysteme nicht mehr innovativ
Das ist auch beim Autopilot so, der nicht dem entspricht, was in diesem Fahrzeugsegment erwartet werden darf. Zwar arbeitete der adaptive Tempomat (weder Enhanced noch FSD) im Testzeitraum nahezu einwandfrei. Das tut ein solches System in einem Kleinwagen Toyota Yaris aber auch, und zwar serienmäßig und ganz selbstverständlich. Schon bei der Spurführung zeigt sich ein Abstrich im Detail, der zeigt, dass Tesla Nachholbedarf hat: Das Lenkrad erkennt den Menschen nicht kapazitiv, also über die Berührung, sondern über den Zug am Lenkrad. Die Auslegung ist zu sensitiv: Es gibt immer wieder die Mahnung, die Hände als Steuer zu legen, obwohl sie längst dort sind.
Auch die Identifizierung von Fahrbahnlinien und deren Unterscheidung bei weiß und gelb – zum Beispiel in Baustellen – ist nicht auf dem gleichen Niveau wie die Konkurrenz. Und die Verkehrszeichenerkennung macht zu häufig Fehler. Es ist nur folgerichtig, dass es keine automatische, sondern nur eine manuelle Übernahme der Limits in den Tempomat gibt.
Was außerdem fehlt, ist eine 360-Grad-Kamera. Die Kombination der vorhandenen Kameras erzeugt kein gutes Rundumbild, und auch die Anzeige der Zentimeter bis zum nächsten Hindernis beim Einparken ist nicht mehr so präzise wie zu Zeiten von Teslas Ultraschallsensoren. Es ist besser, den Kopf zu drehen. Der Testwagen hatte das Holiday Update mit dem 3D Park Assist noch nicht, das möglicherweise zu einer Verbesserung führt.
Das Model Y ist der neue Golf
Das Tesla Model Y RWD für 42.990 Euro ist keineswegs alternativlos. So kostet ein Volkswagen ID.4 mit Heckantrieb, 77-kWh-Traktionsbatterie und 550 Kilometern Normreichweite bis zum 31. März 40.900 Euro. Für die Ultramagerversion des ID.4 mit 52 kWh und 364 Kilometern verlangt VW 32.600 Euro. Der BMW iX1 mit 474 Kilometern nach WLTP ist ab 47.900 Euro zu haben. Eine ganze Armada von SUV dieser Größenordnung konkurriert mit dem Model Y. Und trotzdem verkauft es sich am besten.
Das Tesla Model Y hat in Europa nicht weniger als den Volkswagen Golf abgelöst. Was das Model Y RWD aus unserer Sicht attraktiv macht, ist wie durchdacht dieses Elektroauto bei den antriebstypischen Eigenschaften ist. Die kurzen Ladezeiten an den Superchargern und die Verlässlichkeit der Routenplanung sind ein elementarer Pluspunkt. Viele Kunden mögen das reduzierte cleane Cockpit, das vor der absehbaren Überarbeitung namens Juniper immerhin noch einen Blinkerhebel hat, und die Bedienung über das Display. Für alle anderen gibt es viel Auswahl bei anderen Herstellern.
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