Weltpremiere des Audi Q6 e-tron: Wohin geht die Reise für Audi?
Die Weltpremiere eines elektrischen Hoffnungsträgers, veranstaltet in dem Werk, in dem das neue Modell gebaut wird. Das war der Plan von Audi im Jahr 2018, als der e-tron quattro vorgestellt werden sollte. Doch dann wurde der damalige Audi-CEO Rupert Stadler wenige Wochen vor dem geplanten Event im Zuge der Dieselgate-Ermittlungen in Untersuchungshaft genommen und einen Tag später von Audi beurlaubt. Kurzerhand musste die auf Stadler zugeschnittene Präsentation in Brüssel umgeplant werden. Um auch räumlich eine möglichst große Distanz zu schaffen, zog Stadlers Nachfolger Bram Schot in San Francisco das Tuch vom e-tron quattro.
Sechs Jahre später stellt Audi seinen nächsten elektrischen Hoffnungsträger vor, bei einer Veranstaltung in dem Werk, in dem das Auto gebaut wird. Die kleine Anekdote rund um die Weltpremiere des e-tron quattro ist inzwischen in Vergessenheit geraten, die Köpfe sind längst andere. Und auch die Gründe für die Verzögerung bei der Weltpremiere sind nicht mehr strafrechtlicher Natur, sondern technischer: Der neue Audi-CEO Gernot Döllner war mit der Software noch nicht zufrieden.
Zumindest für die PR-trächtige Weltpremiere konnte die Entwicklungsmannschaft den obersten Audi-Manager inzwischen umstimmen. „Der Q6 e-tron auf der neuen PPE-Plattform ist der nächste Technologiesprung in der elektrischen Premiummobilität für unsere Kundinnen und Kunden“, lässt sich Döllner nun zitieren. „Die PPE zeigt, wie wir innerhalb des Volkswagen-Konzerns Kompetenzen bündeln und so Elektromobilität skalierbar machen. Dank der PPE sind wir in der Lage, volumenstarke Modelle mit hohem technischem Anspruch in unterschiedlichen Segmenten auf den Markt zu bringen und damit unser Portfolio weiter zu elektrifizieren.“ Und: Die Flexibilität der PPE helfe dabei, trotz gleicher technischer Basis, den künftigen Modellen „ihren eigenständigen Charakter und die typische Audi-DNA zu verleihen“.
„Maßstäbe bei E-Performance, Reichweite und Laden“
Dass die PPE und der Q6 e-tron als erster Audi auf dieser Plattform schon wieder als Hoffnungsträger gelten, hat auch mit den Entwicklungen seit 2018 zu tun. Der inzwischen in Q8 e-tron quattro umbenannte Debüt-Stromer war in seinem Segment und als Fahrzeug auf Basis einer Verbrenner-Plattform ohnehin eher ein Versuch, ohne eigenständige E-Plattform ein Elektroauto anbieten zu können. Der Q4 e-tron nutzt den MEB von Volkswagen und tut sich entsprechend schwer, sich nennenswert von den (günstigeren) Schwestermodellen abzuheben. Und der e-tron GT ist nicht nur von Anfang an ein Exot gewesen, sondern im Kern ein Porsche Taycan im neuen Audi-Kleid. Aber eben kein Audi, der den unternehmenseigenen Anspruch „Vorsprung durch Technik“ erfüllen konnte und sollte.
Die „Premium Plattform Electric“, die in den vergangenen Jahren gemeinsam mit Porsche im Konzernverbund entwickelt wurde, soll das gemeinsam mit der Elektronikarchitektur E3 1.2 ändern. Audi will nicht mehr dem Markt folgen, sondern wieder die Trends setzen. „Der Q6 e-tron setzt Maßstäbe bei E-Performance, Reichweite und Laden“, schreibt Audi spürbar stolz. „Dank der neuen Elektronikarchitektur E3 1.2 bildet die Q6 e-tron Baureihe die technologische Speerspitze im Audi-Portfolio.“
Beim Blick auf die technischen Daten wird die – wenig überraschende – Verwandtschaft zum elektrischen Porsche Macan sichtbar. Da Porsche mit der Weltpremiere seines ersten PPE-Modells einige Wochen früher dran war und es bereits im Dezember eine ausführliche Berichterstattung zu einem Technik-Workshop gab, sind die 100 kWh Brutto-Energiegehalt der Lithium-Ionen-Batterie bereits bekannt. Auch Audi gruppiert die 180 prismatischen Zellen in zwölf Modulen. Ein minimaler Unterschied: Porsche hat einen nutzbaren Netto-Energiegehalt von 95 kWh angegeben. Audi spricht von 94,9 kWh – also ein Unterschied rein auf dem Papier. Da die Daten inklusive der NCM811-Zellchemie übereinstimmen, ist es wahrscheinlich, dass Audi ebenfalls die Zellen von CATL aus dem thüringischen Werk bezieht – auch wenn Audi das nicht ausdrücklich bestätigt.
Exakt gleich ist aber die Lade-Performance: Bei dem 800-Volt-System gibt Audi bis zu 270 kW DC-Ladeleistung in der Spitze an. In zehn Minuten soll Strom für 255 Kilometer nachgeladen werden, der Standard-Ladevorgang von zehn auf 80 Prozent soll rund 21 Minuten dauern. Modelle wie die 400-Volt-Konkurrenz von Mercedes im EQE SUV hängt Audi hier ab. Und mit dem „intelligenten, hochleistungsfähigen und prädiktiven Thermomanagement“ soll die Ladeperformance konstant abrufbar sein. Auch das von Porsche bereits vorgestellte „Bankladen“ an 400-Volt-Ladestationen, bei dem die Batterie virtuell in zwei 400-Volt-Einheiten geteilt wird, ist kein reines Porsche-Feature, sondern eines der PPE – und damit auch im Q6 e-tron zu finden. Übrigens: Wie schon der Macan trägt auch der Q6 e-tron seine Ladeports über dem Hinterrad – in Europa links für AC und DC per CCS, rechts nur AC.
Wieder eine Gemeinsamkeit mit Porsche: Auch Audi bringt zum Marktstart zwei Antriebsvarianten auf den Markt, die beide den 100-kWh-Akku nutzen. Der Unterschied liegt aber in den Antrieben selbst, da die Plattform flexibel genug ist, unterschiedliche Antriebseinheiten aufzunehmen. Zur Erinnerung: Porsche setzt an beiden Achsen auf permanenterregte Synchronmotoren (PSM). Audi fertigt seine E-Motoren für den Q6 e-tron im ungarischen Györ. Hinten kommt ebenfalls eine PSM zum Einsatz (mit 200 Millimetern aktiver Länge jedoch etwas kürzer als jene im Porsche), an der Vorderachse setzen die Ingolstädter auf eine Asynchronmaschine (ASM). Deren aktive Länge entspricht mit 100 Millimetern der PSM aus dem Porsche – wenn auch mit anderem Funktionsprinzip. Die neuen PPE-Antriebe von Audi sollen zudem deutlich kleiner und leichter sein als die bisher in Györ gebauten Elektromotoren.
Mit 285 kW für den Basis-Allradler und 380 kW für den SQ6 e-tron unterscheiden sich die Leistungsdaten aber vom Macan 4 und Macan Turbo. Alle Daten zu den Q6-Varianten finden Sie in dieser Tabelle.
Q6 e-tron | SQ6 e-tron | |
---|---|---|
Antrieb | AWD | AWD |
Leistung | 285 kW | 380 kW |
Beschleunigung | 5,9 s | 4,3 s |
Höchstgeschwindigkeit | 210 km/h | 230 km/h |
WLTP–Reichweite | 625 km | 598 km |
Batteriekapazität | 100 kWh | 100 kWh |
Ladeleistung DC | 270 kW | 270 kW |
Ladezeit DC 10-80% | 21 min | 21 min |
Preis | 74.700 Euro | 93.800 Euro |
„Zu einem späteren Zeitpunkt“ soll es noch zwei Varianten mit Heckantrieb geben, so Audi. Bei dem einen Modell soll der Fokus auf Effizienz und Reichweite liegen (also vermutlich mit dem 100-kWh-Akku), das andere Modell soll den Einstieg in die Q6 e-tron-Baureihe markieren – dann sind im Unterboden nur noch zehn Module mit einem Energiegehalt von 83 kWh verbaut. Auffällig ist, dass Audi den Basis-Allradler bisher nur als Q6 e-tron bezeichnet und das stärkere Modell als SQ6 e-tron. Wie also die genaue Modellbezeichnung der beiden Hecktriebler lauten wird, ist noch nicht bekannt. Es ist aber möglich, dass die eher kryptischem, zweistelligen Ziffern unter Döllner nicht mehr zum Einsatz kommen.
Während es hierzu noch keine Details gibt, ist klar, dass der Q6 e-tron 4,77 Meter lang ist, (ohne Außenspiegel) 1,94 Meter breit und 1,65 Meter hoch. Der Radstand liegt bei 2,90 Metern – oder genau genommen 2,899 Meter.
Beim Design der Karosserie gibt es kaum Überraschungen, schließlich hatte Audi selbst zuletzt nur noch minimal getarnte Erlkönige ausgestellt, etwa auf der IAA 2023. Die grundlegenden Proportionen mit langem Radstand und kurzen Überhängen waren schon mit der Tarnfolie gut sichtbar, aber auch prägende Elemente wie der geschlossene, aber dreidimensional ausgeformte Singleframe an der Front sind bereits bekannt. Die eigentlichen Hauptscheinwerfer sind in den Lufteinlässen versteckt, bei den hoch platzierten Scheinwerfer-Einheiten handelt es sich nur um das LED-Tagfahrlicht. Hier sind mit der Pixel-Darstellung viele unterschiedliche Leuchtgrafiken möglich, ebenso auch am Heck.
In der Seitenansicht fällt noch ein Stilelement auf, das der inzwischen geschasste Designchef Marc Lichte bereits in den e-tron quattro integriert hat: Das schwarze Element am unteren Ende der Türen soll auf die Lage der so wichtigen Batterie hinweisen. Ob dieses Merkmal ohne Lichte auch noch in weiteren Elektro-Audis zu finden sein wird, muss abgewartet werden. „Technologie sichtbar machen“ war damals der Ansatz. Diesen Leitsatz verwendet Audi zwar immer noch, bezieht das aber auf die sogenannten „quattro-Blister“, also jene Konturen der Karosserie, auf die sich die flach geneigten D-Säulen stützen.
Den Innenraum des Q6 e-tron hatte Audi bereits in dem weiß-grauen Erlkönig auf der IAA vorgestellt, daher hier nur in Kurzform. Audi gibt zwar selbst an, dass das Interieur „so konsequent wie nie zuvor“ an den Bedürfnissen der Kundschaft ausgerichtet sei. Allerdings bedeutet das keinen radikalen Bruch, auch der Q6 e-tron ist innen sofort als Audi zu erkennen. Es sind mehr Anpassungen im Detail.
Hauptsächlich fällt die leicht geänderte Anordnung der Bildschirme auf, die das Design prägt. Optisch bilden das 11,9 Zoll große Fahrer-Display des „Audi virtual cockpits“ und der nun 14,5 Zoll große MMI-Touchscreen für das Infotainment eine Einheit. Der Touchscreen ist dabei als Curved Display ausgelegt und neigt sich zum Fahrer hin – so soll der Fahrer auch den rechten Rand des Displays noch in seinem „Fahrergreifraum“ erreichen können. Beide Bildschirme sind von einem gemeinsamen Rahmen umgeben, dessen Form an den Audi-typsichen Singleframe-Grill erinnern soll. Eine spezielle Ambiente-Beleuchtung soll zudem dafür sorgen, dass das Curved Display bei Nacht „regelrecht schwebt“. Optional gibt es auch ein Augmented Reality Head-up-Display.
526 Liter Kofferraum, 2.400 kg Anhängelast
Weiter hinten steht weniger die Bedienlogik, sondern der Komfort und Nutzwert im Fokus. Mit dem 2,90 Meter langen Radstand und flachen Innenraumboden ohne Kardantunnel eines Verbrenner-Allradlers soll der Q6 e-tron ein „großzügiges Raumgefühl und Platzangebot sowie eine hohe Alltagstauglichkeit“ aufweisen. Der Kofferraum fasst bis zu 526 Liter. Werden die Rücksitzlehnen komplett umgeklappt – möglich ist das auch im Verhältnis 40:20:40 –, stehen 1.529 Liter zur Verfügung. Und unter der Fronthaube gibt es einen 64 Liter großen Frunk. Damit liegt der Q6 e-tron auf einem vergleichbaren Niveau zum Macan: Im Porsche sind Frunk und Kofferraum minimal größer, der Audi bietet bei umgeklappten Rücksitzen mehr Ladevolumen. Mit bis zu 2,4 Tonnen Zuglast übertrifft der Audi den Porsche aber um 400 Kilogramm.
Eine Premiere gibt es mit dem Q6 e-tron auf jeden Fall: Es ist die erste Elektro-Baureihe, die im Audi-Stammwerk Ingolstadt gebaut wird. Vorstand und Aufsichtsrat haben entschieden, die bestehenden Werke umzurüsten und keine neuen zu bauen. In Ingolstadt wurde etwa eine eigene Batteriemontage errichtet, während Porsche die Batteriepacks vom Zulieferer Dräxlmaier vormontieren lässt. Die PPE wird in die bestehenden Montagelinien integriert – und gemeinsam mit den Verbrennern gebaut.
Der Q6 e-tron ist am März zu Preisen ab 74.700 Euro bestellbar, der SQ6 e-tron kostet mindestens 93.800 Euro. Beide Varianten sollen ab Sommer 2024 ausgeliefert werden.
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