Polestar 2: Wie gut ist das Modelljahr 2024?
Eines muss man Polestar ganz klar lassen: Im Göteborger Hauptquartier hat man von Anfang an verstanden, wie schnell sich die Elektromobilität weiterentwickelt und wie wichtig es ist, das auch in den eigenen Fahrzeugen abzubilden. Über Fahrzeug-Generationen wurde ein fertig entwickeltes Verbrennermodell bis zum Facelift vier Jahre nach Verkaufsstart möglichst nicht angefasst. Das Facelift selbst brachte dann auf einen Schlag die aktuelle Motorengeneration, beim Design beschränkte man sich nach Möglichkeit auf eine minimal andere Stoßstange oder eine neue Leuchtengrafik in den Scheinwerfern – ohne dabei das Blech zu ändern, weil das ist teuer.
Änderungen am Blech hat auch Polestar beim Polestar 2 weitgehend vermieden, unter dem Blech hat sich seit den ersten Auslieferungen im Jahr 2020 aber viel getan. Das Premieren-Modell mit Allradantrieb wurde später um einen Frontantrieb und auch eine kleinere Batterie ergänzt. Zudem wurde die Software laufend verbessert.
Das Facelift im klassischen Sinne stellt das Modelljahr 2024 dar: Der schwarze Kunststoff-Grill wurde durch ein schlichteres, in Wagenfarbe lackiertes Element ersetzt, damit auch der Polestar 2 die Designsprache der weiteren, in der Zwischenzeit angekündigten und vorgestellten Baureihen trägt. Dazu ein paar neue Felgen und Lack-Optionen und schon wirkt der Polestar 2 nicht nur deutlich moderner, sondern auch mehr wie ein E-Auto als ein Verbrenner mit E-Antrieb. Was ein bisschen Kunststoff an der Front so alles ausmachen kann.
Kleiner Wandel beim Design, großer bei der Technik
Der Wandel, den das Modell bei der Technik durchgemacht hat, ist enorm. Ich muss zugeben, dass ich es zunächst für einen Fehler hielt, als es bei den Volvo-Modellen XC40 und C40 Recharge (inzwischen in EX40 und EC40 umbenannt) Gerüchte gab, wonach zum neuen Modelljahr die Single-Motor-Versionen von Front- auf Heckantrieb umgestellt werden sollen. Ja, der E-Motor an der Hinterachse war aufgrund der Allrad-Modelle technisch möglich, der Konzeptwechsel schien aber alleine aus betriebswirtschaftlicher Sicht fragwürdig: Warum 2021 die Frontantriebs-Versionen vorstellen und dann Ende 2022 schon wieder einstellen?
Polestar hatte den Konzeptwechsel dann Anfang 2023 bestätigt und im Herbst mit den Auslieferungen begonnen. Uns stand ein solcher Polestar 2 mit dem 220 kW starken Heckantrieb und dem neuen 82-kWh-Akku zum Wintertest zur Verfügung. In „Thunder“-Grau lackiert und trotz der Winterreifen auf den optionalen 20-Zoll-Felgen.
Die winterlichen Bedingungen des Tests mit Temperaturen um den Gefrierpunkt, meist nasser und zum Teil auch schneebedeckter Fahrbahn waren zwar vorteilhaft, um das Fahrverhalten des neuen Antriebs zu testen. Schließlich reden wir hier über eine fast 300 PS starke Mittelklasse-Limousine mit Heckantrieb und einem sehr üppigen Drehmoment von 490 Nm – eine Kombination, die Spaß macht. Das Fahrwerk gibt präzise Rückmeldung und die Software der Traktionskontrolle ist fein abgestimmt.
Auf der anderen Seite waren die Bedingungen alles andere als ideal, um Verbrauchsdaten zu ermitteln, die auch im Rest des Jahres aussagekräftig sind und nicht nur in den wenigen Schnee-Tagen in weiten Teilen Deutschlands, in die zufällig unser Testzeitraum gefallen ist. Daher sind die 21,8 kWh/100km Durchschnittsverbrauch mit Vorsicht zu genießen, bei 20 Grad wären es bei denselben Strecken wohl knapp unter 20 kWh/100km gewesen – mit Sicherheit können wir das aber nicht belegen. In diesem Verbrauch ist eine längere Autobahnfahrt enthalten, die einen Großteil der 887 Kilometer ausgemacht hat. Bei Kurzstreckenfahrten im Winter kann der Verbrauch aber extrem hoch sein, da (sofern nicht anders eingestellt) jedes Mal der ausgekühlte Innenraum mit viel Energieaufwand wieder geheizt wird.
Dass der Verbrauch unseres Wintertests 2024 einige Kilowattstunden niedriger ist als bei dem Wintertest 2021 überrascht kaum. Denn seinerzeit sind wir das damals 300 kW starke Allradmodell gefahren, im Schnitt waren es 25-26 kWh/100km. Dabei handelte es sich um eine der frühen Software-Versionen, der Allradler ist mit einer verbesserten Abstimmung inzwischen sparsamer geworden.
Von den 82 im Unterboden verbauten Kilowattstunden sind netto immerhin 79 kWh nutzbar. Bei einem Winter-Durchschnitt von 21,8 kWh/100km ergeben sich 362 Kilometer Praxis-Reichweite – was sich durchaus sehen lassen kann. Mit Sommerreifen, etwas gnädigeren Temperaturen und trockener Straße dürften wohl ohne größere Probleme mehr als 400 Kilometer mit einer Akku-Ladung möglich sein. Sofern der Fahrer den rechten Fuß etwas zügelt, gleich mehr dazu.
Blicken wir zunächst noch auf das Ladeverhalten, denn auch hier ist die Entwicklung enorm. Der Polestar 2 in der Launch Edition von 2020 war hier in der Spitze mit 150 kW angegeben, in der Praxis konnte dieser Wert aber nur selten erreicht werden. Später hat Polestar per Software-Update etwa eine Batterie-Vorkonditionierung nachgeliefert, was die Lage bereits gebessert hat. Mit dem jüngsten Batterie-Update von 78 auf 82 kWh (und dem Wechsel von LG-Zellen auf CATL) kann der Polestar 2 des Modelljahres 2024 die vollen 200 kW Ladeleistung erreichen, die mit einem 400-Volt-Elektroauto derzeit möglich sind.
Dank der erwähnten Vorkonditionierung, die den Akku rechtzeitig von dem Ladestopp in das optimale Temperaturfenster bringt, war das sogar im Winter zu erreichen, wenn auch nur kurz. Bei einem anderen Ladestopp während des Tests, bei dem es mit kalter Batterie an den rund zehn Kilometer entfernten Schnelllader ging, sind trotz der kurzen Heizphase immerhin über 160 kW in der Spitze geflossen. In weniger als vier Jahren hat sich der Polestar 2 von einer kleinen Diva, bei der alle Faktoren für die optimale Leistung stimmen mussten, zu einem alltagstauglichen Auto entwickelt, das auch dann noch eine gute Leistung liefert, wenn eben nicht alles perfekt läuft.
Wie die Grafik mit unseren Messwerten des Polestar 2 und vergleichbaren E-Limousinen zeigt, kann der Polestar locker mit anderen 400-Volt-Fahrzeugen mithalten. Den 200-kW-Peak hält er zwar etwas kürzer (nicht einmal bis 20 Prozent Ladestand), liegt dafür ab 40 Prozent aber über einem BMW i4. Ein kleiner Haken: Bei hohem Ladestand über 75 Prozent liegt der BMW wieder vorne.
Hat sich die Investition in ein neues Antriebskonzept inmitten des Modellzyklus also gelohnt? Bei der Batterie lässt sich das klar mit Ja beantworten. Der etwas höhere Energiegehalt ist natürlich gern gesehen, aber in diesem Fall nicht so entscheidend wie das spürbar bessere Ladeverhalten. Im Winter 2021 brauchte es noch Geduld und idealerweise Vorbereitung am Schnelllader, 2024 läuft es einfach.
Beim Antrieb selbst ist die Antwort nicht ganz so einfach. Ja, die Abstimmung ist gelungen, Leistung und Effizienz sind gestiegen. Und anders als bei den bisherigen Fronttrieblern sind selbst die kleinen Antriebseinflüsse auf die Lenkung konzeptbedingt eliminiert, auch die Traktion ist beim Hecktriebler besser. Um aber den Fronttriebler selbst mit den 330 Nm Drehmoment ans Haftungslimit zu bringen, musste man schon sehr stark beschleunigen. Bei weniger sportlichen Fahrten im Alltag dürfte für die meisten Kunden der Wechsel kaum zu spüren sein. Sinkt aber die Haftung – etwa bei Schnee – deutlich, ändert sich das Fahrverhalten und man muss auf die Hinterachse aufpassen. Einigen Fahrern dürfte es zwar Spaß machen, dass die Traktionskontrolle nicht sofort eingreift, sondern etwas Querstehen zulässt – schließlich ist es eine Mittelklasse-Limousine mit einem knapp 300 PS starken Heckantrieb. Andererseits: Rechnet man nicht mit diesem Verhalten, kann es überraschend kommen.
Beim Rest des Fahrzeugs gibt es den Eindrücken von 2020, 2021 im Winter und 2021 mit dem Fronttriebler wenig hinzuzufügen. Der 4,61 Meter lange Polestar 2 ist nach wie vor kein Raumwunder, man spürt die Einschränkungen durch die Mischplattform CMA: Die für den Hochkant-Touchscreen ausladende Mittelkonsole begrenzt den Platz für die Knie vorne, hinten schränkt ein hoher, mit Batteriezellen gefüllter Kardantunnel die Beinfreiheit ein. Vorne gibt es einen kleinen Frunk für das Lade-Zubehör oder kleine Taschen. Der Kofferraum an sich ist mit 405 bis 1.095 Liter ausreichend, aber setzt sicher keine Benchmarks. Trotz des Heckantriebs gibt es unter dem Kofferraumboden noch ein weiteres, üppiges Staufach. Die Verarbeitung ist nach wie vor gut und die Materialauswahl weitgehend hochwertig, etwa bei den Stoffen oder Holz-Elementen. Die großen Kunststoff-Flächen in Hochglanz-Schwarz ziehen aber auch 2024 noch Staub und Fingerabdrücke an – zumindest bei den Lenkradtasten ist Volvo inzwischen bei einem matten Kunststoff, Polestar noch nicht.
Fazit
Schon mit den kleineren Updates hat sich der Polestar 2 spürbar verbessert, das Modelljahr 2024 ist mit all seinen Änderungen ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Mit seinem Design und auch den Fahrleistungen wird das Modell auch weiter seine Zielgruppe erreichen. Gleichzeitig heißt das aber auch: Er wird wohl auf diese Zielgruppe – Design-affin, Autoliebhaber, Technik-begeistert – beschränkt bleiben. Denn zwei Punkte stehen meiner Meinung nach einem größeren Erfolg im Weg: Seine Misch-Plattform und der Preis. Andere Modelle auf einer reinen E-Plattform bieten spürbar mehr Platz. Und seit 2020 sind Konkurrenten wie das Tesla Model 3 günstiger geworden, der Polestar hingegen teurer. Für den Long Range Single Motor werden mindestens 49.975 Euro fällig. Dafür muss man 2024 mehr bieten. Die Polestar-Lernkurve macht aber Lust auf die kommenden Modelle, die zwar auch selbstbewusst eingepreist sind, aber wenigstens auf einer reinen Elektro-Plattform stehen.
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