Deutschland, China und die Elektroautos: Keine Lust auf Handelskrieg
Der MG4 ist ein Symbol: Eine Leasingrate von 159 Euro für Privatkunden und ohne Anzahlung ist nicht plausibel. Jedenfalls nicht bei einem Bruttolistenpreis von 34.990 Euro. Hinter der monatlichen Rate verbirgt sich ein sehr hoher Nachlass. Ist der MG4 das Elektroauto, dass die marktverzerrende Wirkung von staatlichen Subventionen in China beweist?
Für den Konzern SAIC (Shanghai Automotive Industry Corporation) ist der Kompaktwagen nichts anderes als die solide Basis für den Absatz in Europa: Die Marken MG und Maxus konnten im Januar und Februar insgesamt 11.312 Elektroautos absetzen. Kein originär chinesisches Unternehmen war erfolgreicher – aber was bedeutet das für die Debatte um das Konkurrenzverhältnis zu Deutschland und um die Frage, wie Europa insgesamt reagieren muss? Klar ist: Einfache Antworten sind falsch und kluge sind rar. Und sicher ist auch, dass niemand Lust auf einen Handelskrieg hat, obwohl der Subventionswettlauf Realität ist.
Die aktuelle Bedeutung von Elektroautos aus chinesischer Produktion wird meistens zu hoch eingeschätzt. Nach Zahlen des Analysten Matthias Schmidt waren 13,6 Prozent der Neuzulassungen in Europa im Januar und Februar Elektroautos. 21,6 Prozent davon – also gut jedes Fünfte – kamen aus Fabriken in China. Je nach Lesart ist wiederum nur die Hälfte davon Namen wie SAIC, BYD oder Geely zuzuordnen. Und auf gehypte Marken wie Nio oder Xpeng entfallen lediglich Marktanteile im Promillebereich.
Die Abhängigkeit ist gegenseitig und selbstverständlich
Das meistverkaufte Auto aus einem chinesischen Werk – konkret aus Shanghai – aber ist das Tesla Model 3 (15.197 Neuzulassungen), und auch ein BMW iX3 aus Shenyang kommt auf 2.115 Importexemplare. Und was ist mit dem Dacia Spring (4.928 Stück), der nichts anderes als ein umgebauter Dongfeng Nano Box aus Wuhan ist? Es ist offensichtlich: Entscheidend ist, wo die Wertschöpfung stattfindet.
Das ist auch der Grund, aus dem der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) sich eindeutig gegen Strafzölle ausspricht. Ein in China verkaufter Volkswagen wird in Changchun, Hefei oder Chengdu gebaut. Die Gewinne werden allerdings in Wolfsburg verbucht. Der VDA – und mit ihm Bundeskanzler Scholz – befinden sich in Opposition zur Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen. In Brüssel ist Wahlkampf: Es wird geprüft, ob es unzulässige Subventionen gibt. Das ist eine eindeutige Drohgebärde und im besten Fall ein Mittel, um Verhandlungen zu führen.
Was gleichzeitig passiert: Deutsche Konzerne bauen in China. Und immer mehr chinesische Firmen in Deutschland und Europa. CATL, der Weltmarktführer bei Batteriezellen, fertigt in Thüringen. Volvo, Teil von Geely, wird den EX30 bald auch in Belgien vom Band laufen lassen. BYD will in Ungarn eine Fabrik errichten, wo der chinesische Hersteller seit Jahren Elektrobusse für die europäischen Märkte baut. Es ist in der Autoindustrie ein gängiges Verfahren, in den Märkten zu produzieren, wo auch der Absatz stattfindet: In China, in den USA, in Europa.
Eine scharfe Abgrenzung in ein binäres Ja- oder Nein-System ist vor diesem Hintergrund weder möglich noch sinnvoll.
China in der Binnenkrise
Trotzdem geht die Angst um, und das hat gute Gründe. So berichtet die CN EV Post, dass eine Kilowattstunde LFP-Zellen für umgerechnet nur rund 52 Euro gehandelt wird. Bis vor Kurzem war es mehr als das Zweifache. Die ökonomischen Probleme in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt: Einerseits wurden Überkapazitäten aufgebaut. Andererseits fehlt den Käufern das Vertrauen in die eigene wirtschaftliche Perspektive, die Nachfrage ist entsprechend schwach, und der demografische Wandel trifft die 1,5 Milliarden Menschen als Folge der früheren Ein-Kind-Politik möglicherweise noch härter als uns Europäer.
Wie genau der Staat den Unternehmen hilft, ist nicht transparent. Wenn mit Steuergeld gearbeitet wird, wäre das möglicherweise ein unrechtmäßiger Markteingriff. Ängstliche Beschreibungen und Ratlosigkeit sind aber keine geeignete Reaktion auf diese unangenehme Wirklichkeit.
Was ist zu tun?
„Wir müssen innovativer sein.“
Professor Stefan Bratzel vom Center Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach äußert sich vorsichtig: „Handelsschranken und Protektionismus würden uns nicht dauerhaft helfen“, sagt Bratzel im Gespräch mit electrive. Zwar müsse man in Europa auf unfaire Subventionspraktiken achten, aber entscheidend sei etwas anderes: „Wir können nicht billiger sein. Also müssen wir innovativer sein.“
Baut die besten Elektroautos. Darum geht es.
Dass China derzeit einen Vorteil besonders bei der Fertigung von Batteriezellen- und Systemen habe, sei das Ergebnis einer planvollen und langfristigen Strategie, so Bratzel. Das Ziel unserer Industriepolitik müsse es sein, diese Wertschöpfung auch in Europa zu schaffen.
Kritisch ist die Abhängigkeit vor allem dort, wo China eine Quasi-Monopolstellung aufgebaut hat. Das gilt zum Beispiel für das chemisch simple Anodenmaterial Grafit, das in nahezu jeder Batteriezelle eines Elektroautos verbaut ist. Theoretisch kann der reine Kohlenstoff überall hergestellt werden. Praktisch passiert das in China.
Eine ähnliche Situation besteht bei der Veredelung von Lithium zu Lithiumhydroxid. Es war ein Fehler der Autoindustrie, die Batteriezelle als Commodity – also als beliebigen Rohstoff, der überall bestellt werden kann – zu betrachten.
Inflation Reduction Act zieht Investitionen ab
Inzwischen ist dieser Fehler erkannt worden. Das Problem: Der Inflation Reduction Act (IRA) in den USA zieht viele Investitionen in die USA oder nach Kanada, die ursprünglich für Europa gedacht waren. Typisch für das, was passiert, ist Volkswagen: Das konzerneigene Batterieunternehmen PowerCo wird drei Gigafactories errichten. Eine in Salzgitter, eine in Valencia und die mit Abstand größte in Kanada, wo die Rohstoffförderung mit dem Zugang zum US-Markt perfekt zusammenläuft.
China und die USA subventionieren praktisch das Elektroauto und die dazugehörige Batterieproduktion.
Die Brüsseler Prüfung von Antidumpingzöllen wirkt im Vergleich nach außen unsympathisch, weil nur defensiv agiert wird statt positiv verstärkend zu handeln. Fachkreise spekulieren bereits über 15 bis 25 Prozent. Übrigens: Auf außerhalb der EU gebaute Fahrräder kommen nach 14 Prozent Einfuhrzoll 19 Prozent Umsatzsteuer. Der zusätzliche Antidumpingzoll für Fahrräder aus China beträgt 48,5 Prozent. Bei E-Bikes sind es sogar 62,1 Prozent.
Lieferkettengesetz und ökologische Bewertungskriterien
Antidumpingzölle könnten nur ein Instrument sein, um unfairen Marktverzerrungen zu begegnen, meint dazu Nils Redeker auf Anfrage von electrive. Er ist stellvertretender Direktor am Jacques Delors Centre der Hertie School und arbeitet zu europäischer Wirtschaftspolitik. Er plädiert für eine breite Spanne von Maßnahmen, um die Wertschöpfung von Elektroautos in Europa zu halten oder hierher zu holen.
„Ein Beispiel ist das Lieferkettengesetz. Es ist in Deutschland in Anwendung, und eine europäische Richtlinie ist in Trilogverhandlungen“, erklärt Redeker. Ein Lieferkettengesetz, um unter anderem Zwangsarbeit zu verhindern, würde die Standards in Europa belohnen.
Das Gleiche gelte für ökologische Bewertungskriterien, so Redeker. Auch hier wäre die Incentivierung zum Beispiel von CO2-freier Produktion ein Vorteil für deutsche und andere europäische Standorte.
Aber was ist mit direkten Förderprogrammen und Subventionen? „Hier muss sich die Europäische Union strukturell verbessern“, sagt Nils Redeker und verweist auf die Tatsache, dass die EU keine Steuern erhebe, sondern nur relativ geringe Mitgliedsbeiträge verteile: „Es ist offen, wer direkte und umfangreiche Fördermaßnahmen bezahlen soll.“ Strafzölle wiederum wären kein gutes Instrument, könnten jedoch ein Signal senden. „Das eigentliche Ziel aber muss sein, dass wir in der Europäischen Union die Wertschöpfungskette etablieren.“
Auf sich selbst besinnen – und investieren
Weder Deutschland noch China haben ein vernünftiges Interesse an einer Verschlechterung der Handelsbeziehungen. Die Verknüpfung ist längst intensiv. Die Vorstellung einer Trennung – hier wir, dort die anderen – ist in der globalen Autoindustrie naiv. Volkswagen plant eine gemeinsame Plattform mit Xpeng. Das chinesische Unternehmen EVE Energy errichtet im ungarischen Debrecen das Werk für die Batteriezellen der Neuen Klasse von BMW. Und Porsches neuer Elektro-Macan hat CATL-Batteriezellen aus dem Thüringen-Werk im Unterboden. Das ist die wechselseitige Realität.
Trotzdem kann die mutmaßlich staatlich getriebene Überproduktion in China nicht ignoriert werden. Es ist schön, wenn die Preise für Batteriezellen sinken. Aber bitte nicht in einem ruinösen Ausmaß.
Für die deutsche als Teil der europäischen Autoindustrie ist es am wichtigsten, sich auf sich selbst zu besinnen und einfach gute Elektroautos zu bauen. Das beinhaltet elementar die Forschung und die Produktion von Batterie-Zellen und -Systemen. Jeder Cent muss in diese Strategie investiert werden.
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